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Eigentlich gibt es kein Konzept... Flottillentörn 4.-10. Juni 2016

Wie lässt sich eine Reise zusammenfassen, bei der so gut wie alles perfekt läuft? Vielleicht am besten so: Wir segeln nach Haderslev. Es ist eine besondere Gelegenheit - die Stadt liegt abseits der üblichen Segelrouten, tief im Landesinneren am Ende eines schmalen, flussähnlichen Fjordes. In der Regel muss zumindest eine Strecke motort werden. Die Meisten fahren also vorbei und bleiben im Kleinen Belt. Wir hingegen können mit Ostwind hinein- und am nächsten Tag bei Westwind wieder hinaussegeln. Das Timing ist beinahe unglaublich: Kaum ist das letzte Boot angebunden, dreht der Wind binnen zwei Minuten auf West!

Juni 2016

Glück, Können und Konzept

 „Das ist wirklich ein tolles Konzept“, lobt eine Teilnehmerin die Art und Weise, wie wir unseren Flottillentörn fahren. „Eigentlich gibt es kein Konzept“, antworte ich, denn wir tun gemeinsam nichts anderes, als wenn ich ganz für mich allein eine Woche segeln ginge.

Mit dem Wetter haben wir natürlich reines Glück - während der Süden der Republik in Schauern und Gewittern versinkt, in Hamburg Tornados wüten, an der Ahr Menschen nur per Hubschrauber ihre überfluteten Häuser verlassen können und in der Eifel ein großes Open Air-Konzert wegen Blitz und Donner abgebrochen werden muss, bekommen wir keinen einzigen Tropfen Regen ab. Die Woche beginnt schwachwindig, was für das Einleben an Bord und zum Erlernen der nötigen Handgriffe mehr als hilfreich ist - alle Teilnehmer sind Folkeboot-Neulinge, zwei von ihnen erstmalig einhand unterwegs.

Als wir aber ab dem dritten Tag Wind haben, verwöhnt er uns mit satten, aber stressfreien 4-5 Beaufort und ändert fast täglich seine Richtung. Um daraus eine wunderschöne Runde zu basteln, die uns in Schlägen von 25 bis 30 Meilen zu den schönsten Orten weit und breit und pünktlich zurück in die Schlei führt, kommt es auf die richtige Einschätzung der Wetterbedingungen an. Auf Revierkenntnis. Und ein bisschen Kreativität. Das alles reist mit an Bord von „Paula“, mit der ich die Charterboote begleite. Strahlende Gesichter, leuchtende Augen und bisweilen ungläubiges Staunen sind das erkennbare Ergebnis.

Skepsis

Als die Gäste anreisen, ahnen sie bestenfalls, dass der Norden vom Wetter auf unglaubliche Weise begünstigt ist. Verlassen möchten sie sich darauf nicht, entsprechend skeptisch reisen sie an. Meine eigene Skepsis speist sich aus anderer Quelle: Es zeichnet sich ein ständiges Kommen und Gehen ab. Sieben Boote sollten wir sein, zwei davon bei den Kollegen von „Klassisch am Wind“ für meinen Flottillentörn gechartert. Doch ein Pärchen sagt kurzfristig ganz ab, „Olieses“ Frauencrew zwingt Berufliches dazu, schon Montag wieder abzureisen, „Frieda“ ist schon ab Donnerstag, aber nur bis Mittwoch gebucht, und auf „Salty“ entscheidet man sich erst am Samstagabend nach dem Kennenlernen der anderen Teilnehmer dagegen, auf eigene Faust einen individuellen Törn zu fahren.

Wir sind also sechs Boote, aber nur für zwei Tage, und nachdem endlich alle im gleichen Hafen liegen, treten die Ersten schon wieder den Rückweg an. Wie bei diesem Hin und Her so etwas wie Gruppengefühl aufkommen sollte, war mir im Vorweg rätselhaft. Doch meine Sorge erweist sich genauso als unbegründet wie jegliche Zweifel am Wetter.

Wind und Wetter

Ziel war ein möglichst abwechslungsreicher Törn, und der Wind trug dazu perfekt bei - hätte ich ihn bestellen können, wäre meine Wunschliste ziemlich genau so gewesen. Es begann samstags mit karibischen Temperaturen und schwachem Wind, der einen langen Schlag nicht zuließ - doch es mussten ja noch die letzten Einweisungen erledigt werden. Wir trafen uns abends in Maasholm, legten die Boote in zwei Päckchen und lernten einander erstmal kennen. Am Sonntag motorten wir in der Flaute nach Marstal, Badepause inklusive. Das war nicht ideal, doch die malerische Stimmung auf der glatten, diesigen Ostsee wusste zu gefallen, und wir hatten immerhin den Starthafen endlich verlassen und uns eine gute Ausgangsposition verschafft. Abends trugen alle brav ihr Kanisterchen zu Ebbes Bootswerft, um es dort an der Zapfsäule wieder aufzufüllen.

Das beschauliche Marstal mit seiner allenthalben spürbaren Seefahrtsvergangenheit war ein Ambiente, das sofort jegliches Zeitgefühl ausschaltete: Am Montag kam es mehreren Teilnehmern so vor, als seien wir schon seit Wochen gemeinsam unterwegs. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass alle sich in ihren unbequemen, winzigen Holzkisten sofort zu Hause fühlten. Von da an wurde es von Tag zu Tag besser: Montag Südost, Dienstag Ost, Mittwoch West, Donnerstag...ha, das war der bemerkenswerteste Tag von allen. Und während der ganzen Zeit gab es zwar reichlich Sonnenbrand, aber nicht einen Tropfen Regen.

Gruppendynamik

Woran auch immer es lag - vom ersten Abend in Maasholm an hatte ich den Eindruck, nicht mit einer zusammengewürfelten Truppe von Individualisten unterwegs zu sein, sondern mit alten Freunden. Sofort stellte sich, unmerklich gelenkt von unseren Booten, Vertrautheit ein. Es störte überhaupt nicht, dass Detlef erst in Marstal dazustieß - allenfalls musste er nach dem Anlegen kurz seine Rolle erklären, man hielt ihn zunächst für einen Freund von mir statt für einen weiteren Charterer - oder dass „Oliese“ schon am frühen Montagmorgen wieder heimwärts segelte. Die Verabschiedung war überaus herzlich, genau wie die von Detlef am Dienstag.

Wenn mich an der Gruppe etwas irritierte, so war es die Tatsache, dass so wenig an Bord gekocht wurde: Zwar gab es immer einen kleinen Snack - „Oliese“ fütterte uns aus einem offenbar unerschöpflichen Hotdog-Vorrat, dann übernahm „Maj“ mit Holunderblüten-Pfannkuchen - doch davon abgesehen blieben die Spirituskocher kalt. Wir aßen statt dessen vorzüglich in Restaurants, die den schlechten Ruf der dänischen Küche gehörig korrigierten. Und meine Rechnung wurde jedes Mal anstandslos bezahlt.

Verblüfft war ich von den seglerischen Fähigkeiten der Einhandsegler und Crews. Ich bin gewöhnt an einigermaßen unerfahrene Gäste, hier nun war ich umgeben von Menschen, die schon reichlich gesegelt waren - auf Booten aller Größen und in den verschiedensten Revieren. Nur ein Folkeboot war neu für sie alle, und da zeigte sich, dass Folkeboote anders sind. Doch mit meinen Ratschlägen und Hinweisen konnten nicht nur alle auf Anhieb etwas anfangen, sie beherzigten sie auch, setzen sie nahtlos in die Tat um, kamen von selbst auf gute Ideen wie Reffen, fuhren sagenhaft saubere Manöver. Okko zum Beispiel gelang es, das Großsegel in drei Sekunden hochzuziehen und das Fall zu belegen, während ich mir noch Sorgen machte, weil er in einer relativ engen Hafenecke, umgeben von fabrikneuen X-Yachten, die Pinne verließ.

Ein bisschen Hafenkino boten wir auch, aber nur ein einziges Mal, und da war es wohl „Martha“, der die Sache nicht geheuer war. Sie brach das Anlegen zweimal ab und fuhr stattdessen rückwärts an Paula heran, damit ich aufsteigen und ihren Skipper unterstützen konnte. Die Gäste sprachen aus, was mir wieder einmal sehr bewusst wurde: Begleitetes Flottillensegeln ist das perfekte Segeltraining. Vor dem Auslaufen warfen wir einen gemeinsamen Blick in die Seekarte und besprachen die anstehenden Aufgaben und Herausforderungen. Reff einbinden? Am Vortag mit dem unhandlichen Fockausbaumer gekämpft? Wir sahen uns in Ruhe und aus gegebenem Anlass an, was sonst in der Einweisung zu Beginn des Törns kurz erwähnt wird und später, wenn es zum Einsatz kommt, längst wieder vergessen ist.

Und natürlich war es mir wie immer eine Freude zu sehen, wie die Crews nach einigen Tagen zu einer harmonischen Einheit mit ihrem Schiffchen verwuchsen, selbstsicherer und schneller segelten und gar nicht genug davon bekommen konnten. "Man möchte gar kein anderes Boot mehr segeln", sprach Marina aus, was alle dachten.



Eine sagenhafte Runde

Der Reiseverlauf: Maasholm - Marstal - Lyø - Haderslev - Miels Vig - Maasholm. Tagesetappen zwischen 25 und 30, insgesamt 136 Seemeilen.

Der erste richtige Segeltag führt uns durch die schmalen Rinnen des südfynschen Inselmeers, vorm Wind durch das Mørkedyb, hoch am Wind durchs Højestene Løb, raumschots nördlich an Avernakø vorbei. Standesgemäß endet der Spaß auf einer so schönen Insel wie Lyø, und zwar schon am frühen Nachmittag, so dass Zeit für einen ausgiebigen Landgang bleibt, Blätterteiggenuss beim Kaufmann inklusive. Nur „Frieda“ hat noch nicht genug und vertreibt sich die Zeit damit, die Insel noch einmal komplett zu umrunden.

Am Dienstag verlässt uns „Frieda“, um nach Schleimünde zurückzukehren. Die verbliebenen vier Boote erwartet ein bemerkenswertes Kontrastprogramm: Nach zwanzig Meilen vorm Wind auf offenem Wasser treffen wir kurz vor Aarø auf engem Raum, beinahe in Rufweite, zusammen und beschließen einstimmig, noch ein wenig weiter zu segeln - und zwar nach Haderslev. Im lieblichen Fjord tauschen wir einen Meter achterlicher Welle gegen ein sagenhaftes Ambiente aus sattem Grün und gemächlicher Fahrt nebst Vogelstimmen und Sightseeing. Der Tag klingt im Zentrum des alten Städtchens aus - bei einem vorzüglichen Abendessen am Marktplatz.

Am Mittwoch segeln wir mit gefühlten dreißig bis fünfzig Halsen zurück zum Kleinen Belt. Es folgt ein phantastischer Amwindkurs bei reichlich Wind. Die Boote dürfen zeigen, was sie können, und dann landen wir in einem der schönsten Häfen weit und breit - in der Miels Vig. Kommentar von Marina: "Ich hätte noch Stunden so weitersegeln können!" Und dann, leicht besorgt und an mich gewandt: "Wie willst du das denn noch toppen?"

Bitte sehr: Wir motoren aus der Bucht, setzen optimistisch die Segel und dümpeln zwei Stunden lang in einer medidativen Flaute herum. Mittags beschert uns die einsetzende Seebrise (wie aus dem Lehrbuch, die typischen Cumulswolken inklusive) eine tolle Kreuz durch den Als Fjord und Als Sund - ein Geschenk, mit dem nicht unbedingt zu rechnen war, das wir aber gerne annehmen. "Paula" hält sich auf der Kreuz ja sonst gerne dezent im Hintergrund, diesmal ist sie in Topform: Wir segeln "Maj" davon, überholen die mit Vorsprung gestartete "Martha" und erreichen Sønderborg mit den letzten Thermikblasen, bevor sich der abends zu erwartende Nordwest 5 durchsetzt. Nach kurzer Pause sausen wir in nicht einmal drei Stunden zurück in die Schlei. Rauschefahrt in der Abendsonne ist ein höchst seltener Genuss, aber auf diesem Törn ist ja alles dabei, was am Segeln Freude macht.

Nun klappt zum ersten und einziges Mal etwas nicht wie geplant. In Schleimünde sind alle Liegeplätze belegt, in denen man bei strammem Westwind unfallfrei an- und ablegen kann. Wir fahren also gleich weiter nach Maasholm. Da ist "Maj" bereits am Ziel, und uns Andere erwartet nur noch eine Stunde Motoren nach Kappeln bzw. Arnis - aber das spielt keine Rolle, können wir doch die unübertreffliche Woche ganz in Ruhe ausklingen lassen.

Fazit

Wir wollten: Sonne und Wärme. Lachen. Lernen. Geselligkeit. Gutes Essen. Neue Orte kennenlernen. Und vor allem: Segeln! Wir bekamen das alles, und sogar noch mehr - Segeln in allen Facetten, ein bisschen Kreuzen, mit ordentlich Speed, Lage und Seegang, aber ohne Stress, Hektik und mörderischen Ruderdruck. Wir erkundeten Insel und Idylle, Kleinstadt und Seefahrtsromantik. Besser kann ein Törn nicht gelingen.

Und noch ein Fazit: Abends war gerade genug Zeit, den individuell verlebten Tag gemeinsam Revue passieren zu lassen. Dann ging es, müde und glücklich, in die gemütliche Koje. Ein Folkeboot-Flottillentörn braucht kein Unterhaltungsprogramm.


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