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Wie die Feuerwehr: Flottillentörn 4.-10. Mai 2019

„Oli lässt fragen, ob ein Boot Ehrenmitglied bei der Feuerwehr werden kann. Sie findet nämlich, Feuerwehrleute haben’s drauf. Und außerdem findet sie – völlig zu Recht: Sie hat es auch drauf. Und das passt doch so gut zusammen.“ Joe schmunzelt, als ich ihm die Gedanken, die mein Boot mir zukommen lässt, in Worte fasse. „Oliese hat es wirklich drauf“, bestätigt er. Und Robin ergänzt, er werde sich mal erkundigen, was sich da machen lässt in Sachen Ehrenmitgliedschaft.

Mai 2019

Wir kennen Oli ja schon als ausgesprochen selbstbewusstes und überaus cleveres Boot, und diesmal hat sie eine Crew ganz nach ihrem Geschmack: Flottillentörn Nummer eins beginnt am Donnerstag, als Joe und Robin anreisen: Vater und Sohn, Feuerwehrleute aus der Pfalz mit Marineerfahrung. „Ich habe vor zwei Jahren den Jollenschein gemacht und bin seitdem nur Motorboot gefahren“, erklärt Joe. Robin ergänzt: „Ich habe nicht so viel Erfahrung.“ Unter anderen Umständen würden meine sämtlichen Alarmglocken schrillen, zumal unser zweitägiges Skippertraining unter Starkwind und ruppigen Schauerböen leidet und aus einem sehr eingeschränkten Programm besteht. Immerhin: Joe kann exzellent Motorboot fahren, also auch Oli bei siebener Böen und langsamer Fahrt im Wind halten, bis Robin mit der Vorleine den angepeilten Pfahl erreicht. Und sie verstehen auf Anhieb sämtliche Erläuterungen, die Segel gehen problemlos rauf und runter, Wenden und Halsen gelingen – den Rest werden wir sehen.

Freitagabend reisen die restlichen „Crews“ an – beides Einhandsegler. Okko ist zum vierten Mal dabei. Martha und er sind miteinander bestens vertraut, freuen sich jedesmal aufeinander, doch es ist auch immer wieder seine einzige Segelwoche im Jahr. Bernd will sich fitmachen für die zwei Wochen, die er im Sommer mit seinen Söhnen gebucht hat. Seine erste Folkebootreise im vergangenen Jahr ist, das stellt sich allmählich heraus, nicht in allen Teilen gelungen. Er hätte ein Training gut gebrauchen können, aber das haben Robin und Joe vor ihm schon gebucht, nun machen wir es notgedrungen unterwegs. Salty bleibt ganz zu Hause – die Zahnoperation ihres Charterers ist nicht gut verlaufen, klugerweise hat er eine Reiserücktrittversicherung abgeschlossen. Salty ist voll bezahlt und hat Pause.

Die Wetterlage ist ein gewisses Desaster: Im April war es schon beinahe sommerlich. Jetzt Anfang Mai bekommen wir es mit einstelligen Höchsttemperaturen zu tun. Der Mittelwind bei liebloser Sonne variiert zwischen vier und sechs Windstärken. In kurzer Folge ziehen fiese, ausgefranste, dunkle Schauerwolken durch, in denen ruppige Böen stecken, begleitet von Regen oder Hagel. Oder… aber der Reihe nach.

Am Samstagmorgen grübele ich über fünf verschiedenen Wetterberichten und finde keinen Grund, nicht loszusegeln. Wir bereiten uns also gedanklich vor auf die Reise nach Marstal. Kaum haben wir die beschauliche Idylle des Hafens verlassen, kommen mir Zweifel: Die Wolken sehen grimmig aus. In Kappeln vor der Brücke dirigiere ich Paula von Boot zu Boot und verkünde, dass wir doch lieber einfach nur nach Maasholm fahren. Die Segel bleiben unten, und kurz hinter Rabelsund versteht jeder meine Entscheidung, als wir uns bei übelstem Gepuste in einem Schneeschauer wiederfinden. Ich weiß gar nicht recht, was ich mit meinen vor Kälte schmerzenden Händen machen soll, und bin heilfroh, dies nicht noch mehrere Stunden, sondern höchstens ein paar Minuten durchhalten zu müssen. Aus Sicht der Gäste ist die Frage, warum wir nicht weitersegeln, vollständig geklärt.

In der anschließenden Flaute mit sonniger Wärme legen Paula und Oliese souverän an. Bevor die anderen Boote fest sind, zieht der nächste Schauer auf, verpustet die Boote wie Sektproppen, und die Manöver geraten unelegant. Aber letztlich erfolgreich, wir sind ja eine Gruppe und helfen einander. Abends gibt es leckeres Essen bei „Schlei-Eck“, und wir freuen uns auf den ersten Segeltag.

Der Schlag nach Marstal ist „mit alles“: Wir starten um neun mit achterlichen drei Windstärken. Zwischendurch wird es etwas dümpelig, weil die Boote in der Dünung dümpeln. Schließlich, kurz vor dem Ziel, brist es auf zu einer strammen Fünf. Wir sind auf keinen Fall zu früh: Kaum liegen die Boote in zwei Zweierpäckchen im alten Handelshafen, schon pfeifen mächtige Drücker über uns hinweg. Immerhin gab es keinen Regen oder gar Schnee, es war eine gelungene Überfahrt. Nur hat Martha irgendwie ihre Baumschere verloren, und am nächsten Morgen gibt auch ihr Wasserkocher auf. Wir bestaunen erstmal die „Bonavista“: Mit nagelneuen Masten, Bäumen, Gaffeln und Breitfockrah sieht sie erheblich nach einem beinahe segelklaren Schoner aus. Ich bin gerührt und muss zumindest ihre in sechsjähriger Untätigkeit rau gewordene Schanz streicheln.

Montag: Morgens um acht sieht es freundlich aus. Ab mittags soll es aufbrisen, bis dahin ist mit 4-5 Windstärken und Schauerböen zu rechnen – alles wie gehabt. Die Schauer glaube ich inzwischen zu kennen, mehr als eine stramme sechs steckte bisher nicht darin. Wir nehmen uns einen kurzen Schlag vor: In Ommel sind wir in zwei Stunden, falls dort beim Anlegen Schwierigkeiten drohen, würden wir nach Aerøskøbing ausweichen. Sicherheitshalber binden wir die Reffs ein.

Wir legen ab unter Segeln. Als Paula noch an der Vorleine hängt, nähert sich der erste Schauer. Ausgefranste, dunkle Cumulus-Wolke – das kenne ich schon. Schnee erwarte ich diesmal nicht, aber was wird diesmal mit dem Wind? Ist egal, die Anderen sind schon unterwegs, also folgen wir.

Wir haben das Fahrwasser schon verlassen, um querfeldein Richtung Mørkedyb zu segeln, als es losgeht. Die als Landmarke erkorenen Windmühlen auf Taasinge sind nicht zu sehen, aber die Bö – eine geschätzte Sieben – lässt sich bei halbem Wind gut abreiten. Nach fünfzehn Minuten ist sie durchgezogen. Einzig Bernd und Frieda machen mir Sorgen: Mit offenen Schoten und schlagenden Segeln im Wind stehend abzuwarten, ist überhaupt keine gute Idee. Bernd kann es nicht wissen, aber: Vor allem gerefft bedeutet das eine enorme Belastung für die figeliensche Göhl. Als ich ihn über Funk erreiche, geht er gerade endlich wieder auf Kurs. Durchs Mørkedyb, an Birkholm vorbei, müssen wir unglaublich Höhe laufen, aber es geht sehr gut. Danach eine Wende, Kurs auf Aerøskøbing. Es ist Segeln zum Genießen - doch der nächste Schauer zieht auf. Etwas daran ist anders als bei den diversen Schauern der letzten vier Tage. Sehe ich da einen Böenkragen? Läuft da nicht eine gewaltige Dünung heran?

Bevor es richtig loskachelt, berge ich das Großsegel. Im Sitzen ist das ungewohnt, aber in dem Geschaukel und Gespritze geht es nicht anders. Nur mit der Fock liegt Paula perfekt in der See und verliert keinerlei Geschwindigkeit. Sie bleibt sagenhaft auf Kurs, während ich Zeising um Zeising um das nasse Tuch binde. Hinter uns sieht es ähnlich aus, alle folgen dem Beispiel. Außer Frieda. Es wirkt, als seien wir nur unter Fock erheblich schneller. Ich schlage mir Ommel aus dem Kopf, wir würden dort extrem unruhig liegen, wenn wir überhaupt unfallfrei anlegen könnten.

Der Wind reißt Wasserfetzen von den Wellenkämmen, keine Ahnung, ob das eine Acht oder Neun ist, auf jeden Fall kein uneingeschränkter Spaß. Aber die Boote sausen geradeaus durch das Chaos. Paula und ich fahren einfach stoisch auf Aerøskøbing zu und hoffen, dass die Anderen uns folgen. Was ich noch nicht weiß: Bernd hätte Friedas Groß gar nicht rechtzeitig bergen können. Es geht nämlich nicht mehr runter. Das dünne Holz der Göhl ist gerissen, das Kopfbrett hängt heraus, das Segel wird sich nur mit Gewalt bergen lassen, indem man den Kehder durch die dünne Öffnung zerrt. Es zeugt von Friedas und Bernds unerschütterlicher Tapferkeit, dass sie ohne weiteren Schaden die zweite Bö über sich ergehen lassen. Erst kurz vorm Hafen kommt per Funk die Klage, das Segel lasse sich nicht bergen. Ich ahne, was los ist. Und halte mich bedeckt: „Was soll ich dazu jetzt sagen? Komm mal erstmal in den Hafen.“

Immerhin haben wir das Glück, bei schwachem Wind und Sonnenschein unbehelligt anlegen zu können. Paula unter Segeln. Oli unter Motor. Martha unter Fock – der Außenborder startet nicht, aber ich mache mir zu Recht keine Sorgen darum: Okko bekommt das hin mit dem Anlegen an der Bunkerpier, und das Problem ist einzig und allein eine nicht weit genug geöffnete Belüftungsschraube am Tank. Diese neuen Tanks sind echt kritisch – bei den alten genügte eine halbe Drehung, bei den neuen muss man die Schraube fast rausdrehen, bevor Luft in den Tank strömt.

Und dann kommt also Frieda, unter Motor mit schlabberndem Groß, dass sich mit voller Kraft doch bergen lässt, wobei sicherlich das nächste Stück Göhl aufreißt und auch das nagelneue Segel leidet, aber das hilft ja nichts.

Dienstag: Die Wetterlage ist unverändert. Der Mittelwind ist eine Spur geringer, die Schauer kommen in größerem Abstand. Vielleicht wäre es der bessere Tag gewesen für einen kurzen Schlag, aber eine lange Strecke hätte auch diesmal Risiken geboten. Wir haben ein anderes Programm: Mastreparatur als All-Hands-Manöver, Bootsbauseminar statt Flottillensegeln. Großer, tausendfacher Dank gebührt Christian von der Museumswerft, der mich nach Marstal zum Baumarkt fährt und mit fehlendem Werkzeug versorgt. Und dem supertollen Menschen aus dem Yachthafen, der zweimal extra für uns den Mastenkran bedient. Sowie den Charterern, die eisern zusammenhalten und es offenbar genießen, ein bisschen über die Hintergründe meines Jobs zu lernen. Und auch dem untröstlichen Verursacher des Schadens, der uns mit hervorragenden Lachsbrötchen aus der røgeri verwöhnt. Die Reparaturstelle muss bei Gelegenheit geputzt, gehobelt, geschliffen und lackiert werden, wird aber hoffentlich erstmal wird sie die Saison überstehen.

Mittwoch: Neue Wetterlage: Keine ruppigen Schauerböen aus West mehr, statt dessen nach nächtlichem Regen ein umlaufendes laues Lüftchen, das irgendwann auf Ostsüdost drehen und gegen Abend auffrischen soll. Zunächst der Test: Friedas Großsegel geht reibungslos rauf und runter, der Kopf bleibt in der Göhl – mehr lässt sich nicht sagen, aber mehr wollen wir ja auch nicht. Hauptsache, wir können endlich wieder segeln. Ziel ist Mjels Vig, immer eine Garantie für zufriedene Gesichter. An Aerø entlang bis Skjoldnæs läuft es eher beschaulich mit um die drei Knoten, vielleicht gerade gut, um runterzukommen vom latenten Stress der ersten Tage. Auf dem kleinen Belt haben wir eine Reihe von Tonnen abzuklappern, das macht die fünfunddreißig Seemeilen durchaus kurzweilig. Hinter Skjoldnæs flirten wir mit dem Vierknoten, später sausen wir mit deren fünf an Als vorbei, und an der Nordspitze gibt es sogar eine kurze Surf. Zur Krönung kreuzen wir Richtung Dyvig – und als dann Friedas Groß mühelos nach untern saust, klatschen Paula und ich euphorischen Beifall. Nach dem Anlegen fragte ich, ob der Segeltag akzeptabel gewesen sei. Antworten: Geil! Großartig! Herrlich! Bernd wäre am liebsten ewig so weitergefahren. Doch als es beim Segelpacken gewaltig zu pusten anfängt und der nachfolgende Regen für standesgemäße Kuchenbudenromantik sorgt, wissen wir: Wir haben alles richtig gemacht - wieder ein typisches „Wildgänse“-Erlebnis.

Donnerstag: Angekündigt ist insgesamt wenig Wind, zunächst aus Südwest, später aus Südost. Okko und ich diskutieren beim gemütlichen Gruppenfrühtück im Clubraum die Tagesplanung. Ergebnis: Wenn es gar nicht läuft, wird es Sottrupskov. Wenn es besser läuft, auf keinen Fall Sønderborg, sondern Hørup Hav. Ein erstes Bonbon gönnen Paula und ich uns nach dem Ablegen: Wir kreuzen wieder aus der Dyvig. Wer die Ausfahrt zwischen Ufer und Sandbank mit Kuh kennt, weiß, dass das beinahe der ultimative Thrill ist. Aber dann auch nicht mehr, wenn man es schon zum zweiten Mal macht.

Im weiteren Verlauf überholen wir zwar alle, aber man muss lobend hervorheben, dass wir auf der ganzen Reise nie außer Sichtweite voneinander geraten. Olis und Friedas nagelneue Großsegel mögen eine Rolle spielen, aber vor allem bringt jeder seine Stärken am Ruder zur Geltung. Gestern raumschots waren Bernd und Frieda nicht einzuholen. Heute legt Oliese eine sagenhafte Kreuz im Als Sund hin. Morgen wird es Martha sein, die Paula nur deshalb nicht überholt, weil Okkko es nicht will und deswegen in Lee neben uns bleibt.

Zu meiner großen Genugtuung schaffen Paula, Oli und Martha eine perfekte Punktlandung für die Klappbrücke in Sønderborg – wir müssten nur im Windschatten des Alsion die Außenborder starten und könnten hindurchbrausen. Hilft aber nix, Frieda hat fünf Minuten Rückstand. Und das heißt: Eine Stunde Beiliegen für alle. Kein Vorwurf an Bernd übrigens: Der Als Sund ist bei mäßigem Südwest und ständigem Wechsel von Düse und Abdeckung eine Lehrstunde. Ständig besteht die Gefahr, Höhe zu verschenken oder mit schlagenden Segeln stehen zu bleiben. Beim ersten Einhandtörn kann das wohl kaum perfekt gelingen. Bernd sagt hinterher, er habe damit gerechnet, dass wir einfach durch die Brücke gehen und weitersegeln – Joe spricht für uns alle, indem er sagt: „Dafür sind wir eine Gruppe.“

Ich genieße es zutiefst, vor der Brücke mit backstehender Fock weitgehend die Position zu halten. Wir rutschen im Schildkrötentempo Richtung Ostufer, segeln gelegentlich zurück zur Ausgangsposition, beginnen erneut zu driften. Windmäßig ist inzwischen wenig los – die Flaute vor dem Südost. Ich empfehle allen, die Segel oben zu lassen. Endlich öffnet die Brücke, wir tuckern durch.

Es dauert eine Stunde, gegen die Strömung fast ohne Wind aus dem Stadthafen zu kreuzen. Robin gefällt das gar nicht, zwanzig Knoten im Motorboot sind ihm entschieden lieber. Doch ich finde, dies hier macht die Sache rund: Wir haben alle Windstärken von eins bis acht erlebt und sind darauf klargekommen. Frieda nähert sich der ersten Sperrgebietstonne der Badestelle. Ich mache Bernd darauf aufmerksam, er wendet und hoppelt zwischen Paula und Martha durch in irgendeine Richtung. Paula nähert sich der zweiten Sperrgebietstonne. Ich halte noch ein bisschen den Kurs, denn vor uns, kurz vorm Yachthafen, setzt sich das Gekräusel fort, das uns umgibt. Als wir wenden, bleiben wir in der Brise und bekommen kurz danach den einsetzenden Südost. Gleichzeitig wenden hinter und Martha und Oli – und bekommen: Nix.

Am Ende führt das natürlich nicht dazu, dass nur Paula in Hørup ankommt. Es sorgt für eine gewünschte Staffelung, so dass wir erstmal den Hafen auskundschaften und in Ruhe anlegen können, bevor der Rest der Gruppe einläuft. Okko muss zugeben, dass das von ihm favorisierte Hørup auch nicht der absolute Bringer ist, aber es ist immerhin ein okayer Hafen, der uns keinen allzu langen Rückweg übriglässt. Der Rückweg ist unter erneut wolkenverhangenem Himmel wieder ein toller Segeltag, der vorm Leuchtturm Schleimünde endet, weil niemand von uns Lust hat, die ganze Schlei aufzukreuzen. Unsere Erfahrung lässt und Vollgas geben, wodurch wir als Einzige die nächstmögliche Brückenöffnung gerade so noch schaffen. In der gewonnenen Stunde klare ich Paula auf und sondiere die Liegemöglichkeiten. Nachmittags reisen die liebgewonnenen Gäste ab – und ich bin heilfroh über zwei Stunden für mich allein, um mich gedanklich von ihnen zu verabschieden. Denn meine Abschiedsworte sind ernst gemeint: Ich werde euch vermissen!

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