Paulas Törnberichte | ||||||
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"Wir hatten Zustände an Bord" - Chaos,
Sturmtief und gemütlicher
Ausklang
Donnerstagabend: Wir stehen zu dritt unter Dach,
während es um uns herum mächtig donnert und in
Strömen regnet, und betrachten die Blitze am Nachthimmel:
Heide, Silvia und ich. Wir reden übers Segeln, die
zurückliegende Woche, die Wahrscheinlichkeit, auf See vom
Blitz getroffen zu werden. Ich berichte davon, wie wir in Schweden ins
Gewitter kamen und erzähle noch manche Anekdote.
Während ich
rede, wird mir bewusst, wieviel Begeisterung aus jedem meiner
Sätze quillt. Die beiden Frauen
werden merklich infiziert.
August
2018
Heide
und Silvia sind eindeutig nicht die treibende Kraft hinter dem
jeweiligen Projekt Folkebootsegeln – das sind eher ihre
Männer. Sie stürzen sich nicht gierig auf jede neue
Erfahrung
– da sind eher Respekt, Anspannung und Nervosität im
Spiel.
Später im Hafen: Erleichterung! Noch mal gut gegangen. Ach,
wenn
wir bloß nicht morgen wieder ablegen müssten...
Doch jetzt merkt man ihnen an, dass unser Gespräch etwas
bewirkt.
Es löst die Bereitschaft aus, die schönen Erlebnisse
zu
genießen, die schwierigen Situationen als wohltuend lehrreich
zu
betrachten und lebendigen Anteil zu haben an dem grandiosen Abenteuer,
mit Paula und mir auf Törn zu gehen. Als wir Svendborg
verlassen,
um in der zweiten Reisewoche an die Schlei zurückzukehren,
sind
Heides und Silvias Begeisterung, Faszination und Optimismus
unverkennbar gewachsen.
Das liegt sicher nur zum Teil an unserem Gewitterabend.
Natürlich
kommt auch die allmählich sich einstellende Routine zum
Tragen,
die Vertrautheit mit der eigenen Crew und der Gesamtgruppe. Und auch
unser kleines Intermezzo hier trägt dazu bei. Als Kontrast zum
Fahrtensegeln sind wir zur Svendborg Classic Regatta angereist. Dieser
Programmpunkt war meine Vorgabe – ich möchte
unbedingt
wieder teilnehmen, also müssen die Charterboote mit. Und die
Charterer erhalten die seltene Gelegenheit, bei einer
gemütlichen,
unverkrampften Veranstaltung mit dabei zu sein.
Sturmtief Johanna trübt gleichwohl den Regattaspaß.
Statt
insgesamt sechs Wettfahrten werden nur zwei gestartet, eine am
späten Freitagnachmittag, die andere früh am
Samstagmorgen,
in einem Zeitfenster, für das die Regattaleitung drei bis vier
Windstärken verspricht, bevor wieder siebener
Schauerböen
durchziehen. Es sind letztlich eher fünf bis sechs in dem
Zeitfenster, und höchstens die Hälfte der gemeldeten
Boote
läuft überhaupt aus. Doch an beiden Wettfahrten nimmt
eines
der Charterboote teil: Mal ist es Oliese mit kombinierter
Oliese-Salty-Crew, dann Frieda mit kombinierter Frieda-Martha-Crew.
Alle Wünsche werden erfüllt: Wer es möchte,
bekommt so
viel Regattaerlebnis, wie unter den Umständen
möglich. Wer
das nicht möchte, wie Heide und Silvia, wird auch nicht
gezwungen.
Im Hafen obliegt ihnen die Aufgabe, die nicht auslaufenden Boote zu
verholen, damit die Innenlieger rauskönnen – sie
gehören also in jedem Fall dazu. Noch offenkundiger wird das
am
Samstagabend bei der Siegerehrung und dem anschließenden Fest
im
historischen Pakhus. Es ist ein unvergessliches Erlebnis, von die
Gäste vorher nicht ahnten, wie gut es ihnen gefallen
würde.
Wir gehören zu den Letzten, die in die Koje gehen.
Für die anfängliche Skepsis, Nervosität und
Anspannung
gibt es – jenseits geringer Erfahrung oder genereller
Segelleidenschaft – gute Gründe. Denn am Beginn der
Reise
stand: Das Chaos!
Diese
dritte Etappe unserer Sommerreise beginnt in Odense. Odense ist die
drittgrößte Stadt Dänemarks. Kaum ein
Segler kennt sie,
und dafür gibt es Gründe. Wir sind mit der Gruppe,
die in
Marstrand aufgestiegen ist, hierhergefahren. Der Kontrast
könnte
kaum größer sein: Eben noch ankerten wir im
Päckchen in
der Idylle Korshavns, nun tuckerten wir, ohne die Segel an diesem
letzten Tag der Abenteuerreise überhaupt auszupacken, durch
eine
schmale Baggerrinne, die sich von Industrieanlage zu Industrieanlage im
Zickzack durch den nur siebzig Zentimeter flachen Fjord
schlängelt. Drei Frachtschiffe sind uns schon begegnet, bevor
wir
den Odense Kanal erreichen. Die Landschaft ist mal lieblich und
beschaulich, mal monströs-industriell. Dazwischen bahnen sich
fünf tapfere Folkeboote ihren Weg. Das Timing für die
Drehbrücke Odins Bro gelingt, eine halbe Stunde
müssen wir an
einem dafür vorgesehenen Anleger warten. Ich funke den
Brückenwärter an, er ist ausgesprochen freundlich und
gut
gelaunt und verspricht eine möglichst pünktliche
Öffnung
um dreizehn Uhr dreißig. Nicht extra unseretwegen: Es kommt
uns
ein weiterer Kümo entgegen.
Eine
Viertelstunde nach der Brückenpassage erreichten wir den
weitgehend ausgedienten Handelshafen im Norden der Stadt und fanden ein
Plätzchen – an improvisierte Liegeplatzsituationen
waren wir
inzwischen gewöhnt. Bis hierher war es ein schöner
Kontrast
und ein letztes Abenteuer, durchaus sehenswert, aber bestimmt nicht
jede Woche: Der Odense Fjord ist kein günstiges Segelrevier.
Deswegen verirrt sich kaum jemand hierher – wir wurden sogar
gefragt, was wir dort denn bloß wollten. Und weil keine
Gastlieger kommen, ist der Hafen in keiner Form darauf eingestellt.
Immerhin, in Liegeplatznähe fanden wir eine
öffentliche
Toilette. Eine Tankstelle war zu Fuß zu erreichen, so dass
die
neuen Gäste vollgetankte Boote vorfinden, allerdings ohne
aufgefüllten Trinkwasservorrat. Hafenduschen gab es keine,
dafür aber ein öffentliches Schwimmbad mit freiem
Eintritt
und schön heißen Duschen. Die Wahl fiel ja auf
Odense, weil
es gut zu erreichen ist, und das hat sich bestätigt. Mit etwas
Improvisation lässt es sich gut aushalten.
Nun reisen nach und nach die neuen Gäste an, erwartungsvoll
und
mit leuchtenden Augen, während die bisherige Gruppe in Etappen
abreist – müde, aber voller Eindrücke. Ich
werde sie
vermissen. Die neue Gruppe muss sich erst eingewöhnen und
einspielen, an die Handgriffe an Bord und das Miteinander
gewöhnen. Auch an mich und meine Rolle als Törnplaner
etc.
müssen sich alle gewöhnen. Und ich muss mir bewusst
machen,
dass ich von den „Neuen“ nicht die gleiche
Sicherheit
erwarten kann wie von den Abreisenden.
Der
ideale erste Reisetag hätte so aussehen können:
Stauen von
Gepäck, Anreise des Nachzüglers der Salty-Crew.
Olieses Crew,
Vater und zehnjähriger Sohn, die schon nach einer Woche in
Svendborg absteigen wird, parkt dort das Auto und kehrt
gemütlich
mit der Bahn zurück. Wir machen in Ruhe Einweisung und nutzen
den
Rest des Tages dazu, im geräumigen Hafenbecken ein paar
Manöver zu segeln. Danach laufen wir gemeinsam aus und suchen
uns
einen kleinen Hafen im Odense Fjord, um die Nacht im Grünen zu
verbringen. Nach einem gemütlichen ersten Abend im Cockpit
erreichen wir am Sonntag den einzigartigen Naturhafen Korshavn
–
früh genug für den unverzichtbaren Landgang.
So wäre es ideal gewesen, doch die Bedingungen sind anderer
Meinung: Von Samstagabend bis Montagmorgen wird es mit sieben
Windstärken pusten. Den unvermeidlichen Liegetag in Odense zu
verbringen, ist für niemanden eine Option. Wir müssen
also
das Kunststück vollbringen, noch am Samstag nach Korshavn zu
kommen, und zwar vor der Dämmerung und dem Aufbrisen.
Wesentliches
Nadelöhr ist die Brücke – sie
öffnet um 13 Uhr 30
und dann wieder um 16 Uhr 30. Also entweder zu früh
für
Nachzügler Jonas, oder zu spät für Korshavn.
Ich bin bester Laune, als wir eine Lösung des Dilemmas finden:
Wir
nehmen die frühere Brücke und legen im
nächsten Hafen
entlang des Kanals wieder an. Jonas bekommt Order, sich dorthin ein
Taxi zu nehmen. Ich erwarte dort entspanntes Anlegen
längsseits an
der Außenmole, das sollten alle auch aus dem Stehgreif ohne
Weiteres schaffen. Dort werden wir Wasser bunkern und danach Einweisung
und Briefing erledigen. Ich melde uns frohen Mutes bei der
Brücke
an.
Guter Plan? Dachte ich auch. Dachten alle. Das erste Problem tritt auf,
als Jan und Linus in Svendborg den Zug verpassen und erst kurz vor eins
wieder in Odense sein können. Um ein Uhr sollen wir ablegen.
Ein
Blick auf Paula und Oliese verrät mir die Lösung: Sie
liegen
ohnehin nebeneinander innen im Päckchen. Zwei
zusätzliche
Springs, dann können wir ablegen. Zwei Folkeboote mit einem
Ruderblatt und einem Außenborder zu manövrieren, ist
nicht
ganz einfach, aber es klappt. Gerade haben wir Fahrt aufgenommen, da
kommt Olieses Crew die Pier entlanggeschlendert. Prima, Zug war
pünktlich – wir legen kurz nochmal an und nehmen sie
mit.
Auf der Fahrt zur Brücke erledigen wir die Motoreinweisung,
dann
lösen wir den Schleppverband auf. In Stige erkenne ich, dass
wir
an der Außenmole bei dem auflandigen Wind nicht liegen
können. Stattdessen müssen wir uns im engen Hafen
freie Boxen
suchen.
Und damit beginnt das Chaos.
Ich bin es gewöhnt, in Ruhe selbst anzulegen und dann einem
Charterboot nach dem anderen einen Platz zu suchen und Leinen
anzunehmen. Zwar sind Jan und Linus die einzigen, die noch nie bei mir
ein Boot gechartert haben, doch für alle ist es die erste
Flottille. Wie sollten sie die Anlegeroutine kennen? Das Briefing, bei
dem ich stets eindringlich betone, dass wir nacheinander in den Hafen
einlaufen müssen, um uns nicht gegenseitig in die Quere zu
kommen
– dieses Briefing hat noch nicht stattgefunden. Es ist
für
nach diesem Anlegen vorgesehen. Ihr ahnt schon, was passiert: Ich bin
noch mit Paulas Leinen beschäftigt, da rauschen schon die
Charterboote in den Hafen, überstürzt und hektisch,
alle
gleichzeitig und bunt durcheinander, teilweise aus verschiedenen
Richtungen denselben Liegeplatz ansteuernd. Ich raufe mir die Haare.
Immerhin ist es nun anschaulich, was ich zu sagen habe: Ich helfe gerne
beim Anlegen („Ihr habt Vollservice gebucht!“),
wenn ich
die Chance dazu erhalte. Und wir haben Funkgeräte, um uns
anzusprechen. Immer nur ein Boot zur Zeit! Und so weiter. Als das
geklärt ist, fahren wir weiter. Tuckern bis zum Ende des
Kanals.
Von dort können wir segeln. Bei böigem West
fünf wird
das unvermeidlich sportlich. Aber ach! Die Haare raufen darf ich in
lockerer Folge weiterhin ausgiebig.
Frieda verliert ihre Baumschere. Sammelt sie gleich wieder ein, aber
ich hatte so sehr gehofft, es sei klar, dass man die vor dem
Segelsetzen rausnehmen muss. Salty geht zum Segelsetzen in den Wind,
doch das Manöver dauert beim ersten Mal notgedrungen lange. Zu
lange. Bevor das Segel oben ist, sitzt das Boot auf Grund. Ein
vorbeikommendes Motorbötchen schleppt sie nach mehreren
Anläufen wieder frei, wir können weiter. Es sind die
normalen
Tücken eines ersten Segeltages in unvertrautem Revier. Aber
das
alles hat Zeit gekostet, die wir nicht unbedingt haben.
Bis Korshavn ist es schönes Segeln bei voller
Schräglage. Der
bange Blick in den Hafen offenbart wenige, aber ausreichend viele freie
Stegplätze - Ankern bei sieben Windstärken
hätte ich
nicht unbedingt gewollt. Der Wind pfeift jetzt aber doch schon ganz
ordentlich durch den kleinen Hafen. Abdeckung gibt es hier keine. Drei
Plätze sind von der Bucht aus gegen den Wind anzusteuern
–
das ist relativ simpel. Die anderen beiden Plätze sind um den
Steg
herum mit Anlegen bei Wind von hinten. Ein Spaß wäre
das
selbst für eine erfahrene, eingespielte Crew nicht, schon
wieder
ein Grund zum Haare raufen, aber erstmal muss Paula fest. Wir fahren an
den Heckpfahl einer freien Box. Ich binde sie mit einer Vorleine fest.
Lege die Achterleine über. Ziehe uns an der Achterleine des
Nachbarn rein, gebe eine Vorleine über, den Rest erledigen die
hilfsbereiten Menschen auf dem Steg – bestimmt zu zehnt haben
sie
sich versammelt, weil jedem klar ist, dass das Anlegen hier eine
Herausforderung sein wird. Einer bietet Unterstützung per
Dinghi
mit Außenborder an.
Martha
gelingt die Aufgabe in der Box neben uns souverän. Der Wind
legt
nochmal mächtig zu. Funkspruch von Frieda: Motor verhakt, geht
nicht runter. Salty trifft ein – letztes Jahr war
für die
Crew noch ein harmloser Schlei-Törn ein großes
Abenteuer.
Die werden jetzt Unterstützung brauchen. Das hier wird
länger
dauern – ich bitte Jan, mit Vorleine am Heckpfahl der letzten
freien Außenbox festzumachen und erstmal abzuwarten, damit er
nicht die ganze Zeit hin und her fahren muss. Er missversteht mich und
kurvt um den Steg herum aufs Ufer zu. Dann, davon bin ich
überzeugt, kümmert Oliese sich um die
Schadensbegrenzung.
Linus am Funk: „Wir sitzen fest – was sollen wir
machen?“ Ich sage: „Bleibt mal ganz ruhig da
sitzen, dann
könnt ihr schon nix kaputtmachen.“ Dann wende ich
mich an
den freundlichen Helfer: „Ich würde jetzt gerne auf
das
Angebot mit dem Schlauchboot zurückkommen...“
Später wird er sagen: „Ich hab das gerne gemacht.
Und
außerdem hatte ich selbst mal ein Folkeboot.“ Ich
schenke
ihm zum Dank ein Buch, könnte mir vorstellen, dass ihm das
Freude
macht. Doch das Geschenk muss er sich wacker erarbeiten.
Zunächst
setzt er mich zu Frieda über. Ich entriegele den
Außenborder, übernehme das Ruder, steuere die freie
Außenbox an. Der Plan ist der gleiche wie eben bei Paula und
Martha: Vorleine um den Pfahl, in Ruhe die Achterleine, dann langsam
ranziehen. Wenn man das Manöver kennt und versteht, kann es
nicht
schiefgehen. Obwohl die Crew von selbst vielleicht in der
verständlichen Nervosität nicht auf den richtigen
Ablauf
gekommen wäre, kann es eigentlich auch jetzt nicht
schiefgehen,
denn ich bin ja dabei und sage Schritt für Schritt, was zu tun
ist.
Wir sind auf gutem Wege, als sich der Liegeplatznachbar einmischt. Er
ruft uns zu, auf welchen Pfahl wir die Achterleine legen sollen
–
er will verhindern, dass wir seine eigene Achterleine
übersehen
und uns darin verheddern. Aber wie das nunmal so ist, wenn von allen
Seiten Kommandos gebrüllt werden, geht die Reihenfolge der
Ausführung durcheinander. Ergebnis: Wir erreichen den Pfahl,
ich
atme durch, Frieda treibt ab und hängt ziemlich schlau mit dem
Heck zum Liegeplatz an ihrer einen Leine. Unser Schlauchboot-Freund
muss wieder ran. Irgendwann liegt Frieda ruhig und sicher auf ihrem
Platz. Ich steige zurück ins Dinghi.
Auf der Salty klarieren wir erstmal den Heckanker – wir
könnten ihn als Bremse gebrauchen. Den beiden Teenagern
drücke ich die Achterleinen in die Hand und schärfe
ihnen
ein: „Wenn ihr irgendwie an einen Pfahl kommt, legt ihr das
Auge
drauf.“ Wir tuckern um den Steg herum und lassen uns vor Topp
und
Takel zum angepeilten Liegeplatz treiben. Johannes hält
erwartungsvoll den Anker. Ich beschließe es ohne Anker zu
wagen.
Ein Fehler: Eine Bö schiebt uns, Salty wird rasend schnell,
doch
für den Anker scheint es nun zu spät. Ich gebe
Rückwärts. Der Motor bremst ein wenig, doch der
Radeffekt
stellt Salty quer. Gang raus, Kurs korrigieren – Salty
schießt auf den Steg zu. Miriam legt die Achterleine auf den
Pfahl. Wirft geistesgegenwärtig dem Nachbarn in Luv eine
Vorleine
zu. Johannes stemmt sich in die Leine, Salty stoppt
mustergültig
auf. Knappe Kiste, aber hat funktioniert...
Nun wenden wir uns Oliese zu. Der Schlauchbootfahrer krängt
sie
mit dem Fockfall, sie kommt frei. Und nimmt natürlich sofort
Fahrt
auf. Ich manövriere uns erstmal weg vom Hafen, damit Ruhe
reinkommt in das wilde Manöver. Dann begeben wir uns zu Salty.
Diesmal mit Anker: „Schmeiß weg!“
brülle ich,
und dann „Zieh! Halt gegen!“ Danach nehme ich dem
verdutzten Jan die Ankerleine aus der Hand und kann Oli nun ganz ruhig
aus der Hand treiben lassen. Linus übergibt Leinen, Oliese
legt
an.
Wir
haben mal eben zwei Stunden lang den ganzen Hafen in Atem gehalten
– respektable Leistung. Dafür aber auch ohne einen
Kratzer.
Als ich das alles später Björn schildere, wird der
sagen, ich
hätte an einem Abend mehr erlebt als er während
seiner
ganzen, zweimonatigen Reise. Ich bin nicht sicher, ob das stimmt, aber
es fühlt sich so an. Müde schlurfe ich
zurück zu Paula.
Kochen ist nicht, Stulle muss reichen. Und ich bin froh über
den
anstehenden Liegetag bei strahlendem Sonnenschein und umgeben von
schönster Natur.
Am
Montag ist das Gepuste vorbei. Ablegen und Segelsetzen gelingt nicht
völlig reibungslos, mit Verzögerungen, die wir hier
lieber
unterschlagen wollen. Bei drei Windstärken segeln wir
über
den Großen Belt nach Reersø – ein
gemütlicher
Tag, wie wir ihn verdient haben. Der Wind schläft irgendwann
ein,
dann kommt eine frische Seebrise aus Südost auf. Schon wieder
Anlegen bei fünf – die machen uns das wirklich nicht
leicht!
Aber diesmal gelingt es allen souverän und kontrolliert, ohne
Gebrüll und Schlauchbootmanöver. Reersø
ist in meinen
Augen okay, aber unspektakulär. Die Gruppe ist begeistert
–
ein schöner Kontrast zu Korshavn und Odense ist der kleine Ort
allemal, und das Fischgeschäft im Hafen ist wirklich toll. Und
wir
haben eine gute Ausgangsposition für den nächsten
Tag.
Es gilt noch einen Konflikt auszufechten: Das Hafengeld wird per
Briefumschlag am Hafenmeisterbüro bezahlt. Auf dem Umschlag
soll
man Bootsnamen und Liegeplatznummer eintragen. Wir liegen im
Päckchen längsseits an Platz 76 und 77, aber das
weiß
natürlich keiner von uns, als wir die Umschläge
ausfüllen. Also lassen wir das Feld frei. Im Umschlag finden
wir
die Schnipsel, die am Want zu befestigen sind. Dann kommt die
Hafenmeisterin und beginnt ihre Kontrollrunde. „Das geht aber
nicht dass wir nur für ein Boot bezahlen“, raunzt
sie mich
in Landessprache an. Unbeholfen versuche ich ihr in gebrochenem
Dänisch zu verstehen zu geben, dass wir alle bezahlt haben:
Eins,
zwei, drei, vier, fünf, jeder hat bezahlt, jeder hat einen
Schnipsel am Want, alles ist in Ordnung.
Sie versteht nicht. Nun begehe ich den Fehler, zu fragen, ob wir uns
auf Englisch oder gar Deutsch unterhalten können. Davon will
sie
absolut nichts wissen, bekommt einen ähnlichen Wutanfall wie
ich
am Morgen in Korshavn. Dann stellt sich aber heraus, dass sie die
Umschläge in ihrer Tasche dabeihat. Wir zählen nach.
Paula,
Frieda, aha, das sind ja schonmal zwei. Und hier Martha. Und da ist ja
Johanna. Nein, Johanna liegt gegenüber und gehört
nicht dazu.
Also nochmal von vorn – sie steckt die Umschläge
unsortiert
zurück und blättert erneut alle durch. Paula, Frieda,
Martha.
Hm. Johanna. Nein, die nicht. Aber hier Salty. „Aber da fehlt
trotzdem noch eine!“, insistiert sie, und
tatsächlich findet
sich kein Umschlag für Oliese.
Wir rufen Jan. Ob er bezahlt hätte. Oh ja, und zwar direkt bei
der
Hafenmeisterin. Wir reden inzwischen zu fünft auf sie ein, was
sie
nicht glücklicher macht – bis Jan vor ihr steht. Sie
erkennt
ihn wieder, ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie
findet
den Umschlag, den sie selbst ausgefüllt hat: Statt eines ihr
unverständlichen Bootsnamens steht da
„Tysk“. Der Tag
klingt aus, indem die ganze Gruppe bei Bier und Rotwein am Grillplatz
zusammensitzt und Linus uns die Krebsrennbahn vorführt.
Nächster
Tag: Südost drei ist die Vorhersage, damit sollen wir es
über
Weg T und durch die Brücke nach Nyborg schaffen. Wir
verständigen uns darauf, zwischen Musholm und der
vorgelagerten
Fischzucht durchzusegeln – das ist die direkteste Strecke zu
unserem Treffpunkt vor der gemeinsamen Querung des Tiefwasserwegs.
Ablegen, Segelsetzen – das klappt inzwischen. Doch wir finden
uns
umgeben von Flautenlöchern und kleinen Windfeldern.
Scheiß-Thermik! Schnell wird ersichtlich: Je weiter
draußen, desto mehr Wind. Motoren gilt nicht, also hangeln
wir
uns von Gekräusel zu Gekräusel. Es bietet sich an,
ganz
außenrum an der Fischzucht vorbei zu fahren, um schneller die
stetige Brise zu erreichen, die am Seegangsbild schon gut erkennbar
ist.
Eine Crew meldet sich über Funk: Sie würden gerne
östlich an Musholm vorbeifahren. Mit anderen Worten: Dichter
an
Seeland vorbei, und damit viel länger in der Flaute.
„Na
dann mach mal“, sage ich nur. Das Ergebnis ist absehbar: Am
Treffpunkt warten wir eine halbe Stunde. Und nun tritt
Murphy’s
Law in Kraft: Die ganze Zeit war null Verkehr, jetzt kommt von Norden
her ein Frachter auf. Wir warten. Und verlieren nochmal eine halbe
Stunde.
Die Anderen murren: „Eine Stunde Beiliegen geübt
–
wirklich toll...“ Ich beschließe, mich nicht zu
äußern. Auch die Anderen sagen nichts –
ist ja auch
nicht nötig, die Betreffenden haben selbst gemerkt, dass
dieser
Alleingang nicht sinnvoll war.
Die
Großer-Belt-Brücke ist wie immer spannend. Auf
Am-Wind-Kurs
durchzusegeln, hat den Vorteil, dass Abdeckung und Turbulenzen
einsetzen, bevor man die mächtigen Pfeiler erreicht
– wir
hätten notfalls genügend Platz, um wieder abzudrehen.
Aber
wir kommen durch. Südlich der Brücke ist wie
ausnahmslos
immer ganz anderer Wind. Zunächst ein bisschen flautig bei
nerviger Dünung und Dampferschwell. Auf dem Weg nach Nyborg
setzt
ein ordentlicher Südwind ein. Und ich nähere mich der
Gelegenheit, mich erneut furchtbar aufzuregen, zur Abwechslung aber
diesmal nicht über die inzwischen vertrauten, liebgewonnen,
seglerisch gut eingespielten Charterer.
Wir segeln, Paula vorneweg, in den alten Handelshafen, der inzwischen
von Appartmentblocks umbaut und hübsch hergerichtet ist:
Längsseitsliegen, als Gruppe zusammen, Liegeplatz garantiert
– es ist sogar leerer, als erwartet. Beinahe komplett leer.
Könnte daran liegen, dass es ein bisschen kabbelig ist bei dem
Wind. Aber es ist allemal ruhiger als in den zwei schaukeligen
Nächten in Korshavn, und der Wind wird abends abflauen und auf
West drehen. Alternative wäre die Marina, aber die finde ich
eher
bedrückend, und es gibt nur verstreute
Gastliegeplätze
– das ist nix für eine Flottille. Ich berge die
Fock. In der
Mitte der westlichen Pier ist ein Holzdreieck gebaut, dessen Sinn ich
noch nicht begriffen habe, das mir nun aber gelegen kommt: Bei Wind
parallel zur Pier können wir hier, und nur hier, unseren
Aufschießer fahren.
Das
Groß schlägt, Paula baut ein bisschen Fahrt ab, die
Vorleine
liegt klar, ich konzentriere mich. An Land ein älteres Ehepaar
– wollen die mir Leinen annehmen? Wollen sie nicht: Er raunzt
mich an. „Wo willst du denn anlegen?“ Ich zucke die
Schultern – wonach sieht’s denn aus? Da
brüllt er in
völlig empörtem Tonfall: „Mensch! Hier
liegt man doch
viel zu unruhig, Mensch! Warum gehst du denn nicht in den anderen
Hafen, Mensch!“
Ich staune. Wie bitte? Passiert das gerade wirklich? Der
Aufschießer ist längst vermasselt. Vor der
Extrarunde sage
ich: „Willst du mir jetzt sagen, wo ich anzulegen habe, oder
was?“ Jetzt mischt die Gattin sich ein: Sie sieht wohl ein
Szenario kommen, in dem ich an Land springe, und dann gibt’s
auf
Maul - eilig zieht sie Männe am Arm: „Komm, lass uns
gehen.“
Der folgende Tag liefert unser Streichresultat: Erst ist kein Wind,
dann kommt die Flaute dazu. Wir schaffen es bis Lundeborg, stolze elf
Meilen, deren zweite Hälfte der Außenborder
bewältigt.
Der Tag ist dennoch bemerkenswert: Wir liegen im Innenhafen, zu
fünft nebeneinander in Boxen, und auf den Platz daneben legt
sich
Folkeboot Drossel aus Arnis – wie wir auf dem Weg zur
Regatta.
Beim Abendessen sitzt die ganze Gruppe auf dem Steg zusammen.
Fühlt sich inzwischen wirklich wie eine Gruppe an, auch wenn
das
definitiv zwei, drei Tage gedauert hat. Schade, dass Marcel, Jan und
Linus schon in zwei Tagen abreisen. Uta macht einhand weiter. Und zwar
ziemlich souverän, nachdem die aufregende Kreuz aus dem
Svendborg
Sund bewältigt ist.
DMit
vier Booten – Oliese geht mit neuer Besatzung eigener Wege -
setzen wir den Flottillentörn fort. Korshavn auf
Avernakø,
Stagodde am Eingang des Haderslev Fjords, Mjels Vig, Sottrupskov
– landschaftlich absolute Highlights, und trotz
Kuchenbudenwetter
ist die Stimmung prächtig. Wir hatten genug Abenteuer, jetzt
machen wir es uns gemütlich mit kleinen Schlägen. Der
kürzeste, popelige sechs Meilen, ist mein
persönlicher
Favorit. Denn wir wagen ein Experiment: Bei Westsüdwest
kreuzen
wir aus der Dyvig. Genau in der engsten Engstelle kommt der Wind
geradewegs von vorne – als wir uns ihr nähern, sind
wir uns
einig: „Es ist unmöglich. Also machen wir
das.“
Paula
darf mal wieder ihre Zauberkräfte unter Beweis stellen. Ich
als
Normalsterblicher muss mich ins Zeug legen, um ihr ein
adäquater
Assistent zu sein. Volle Konzentration, wir müssen jede
Winddrehung ausfahren, jede Bö ausnutzen, jede Wende muss
sitzen.
Derer werden es zehn auf achtzig Metern, dann sind wir durch. Und ich
bin bereits hochzufrieden mit unserer Tagesleistung.
Im Als Fjord kommt von hinten ein Schauer auf. Langsam, uns die
Hoffnung lassen, er werde vorbeiziehen, aber schließlich doch
mit
der vollen, beeindruckenden Kraft seiner enormen Regentropfen, deren
Einschlag die Wasseroberfläche in eine magische Landschaft
verwandeln, die Emil Nolde und Caspar David Friedrich selbst dann nicht
in dieser Perfektion hätten malen können, wenn sie
sich
zusammengetan hätten. Ein Schauer auf See ist ein grandioses
Geschenk. Vor allem, wenn angenehm wenig Wind drinsteckt.
Ein
bisschen Wind gibt es schon, und der flaut nach dem Durchzug der Wolke
schlagartig ab. Es ist klar, was los ist: Die Schauerwolke ist ein
eigenständiges Druckgebilde und erzeugt ihren eigenen Wind
–
auf ihrer Rückseite klaut sie uns sozusagen den Gradientwind.
Alles, was wir tun müssen, ist ein Weilchen warten, bis sie
sich
ausreichend weit entfernt hat. Aber wie lange wird das dauern? Sie
zieht quälend langsam. Sottrupskov ist eine knappe Meile
entfernt.
Der ursprüngliche Plan beinhaltete einen Abstecher nach
Augustenborg, um dort Vorräte zu ergänzen, bevor wir
hier
anlegen. Jetzt möchte niemand riskieren, womöglich
die sechs
Seemeilen hin und zurück motoren zu müssen, und das
Einkaufen
ist plötzlich auch nicht mehr so dringend.
Als wir anlegen, weht uns eine stramme fünf entgegen. Nur Uta
ist
enttäuscht, dass niemand mehr segeln möchte. Als
Alternativprogramm unternehmen wir einen schönen
Waldspaziergang
– das ist auch mal ein schöner Kontrast zum Segeln.
Für
mich gilt es, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass wir nach
sechs ereignisreichen Wochen Dienstreise nun wieder ins kleine,
vertraute Arnis zurückkehren. In den Alltag von
Bootsübergaben, Skippertrainings und Büroarbeit. Es
hat mir
trotz aller Aufreger und Stresssituationen ausgesprochen gut gefallen,
doch allmählich setzt ein bisschen Verschleiß nicht
nur bei
den Booten ein – es ist schon ganz gut, dass die Reise nicht
endlos ist.
Den letzten Abend verbringen wir in Maasholm am Restauranttisch. Auf
dem Weg zur Schlei müssen wir bei fünf Beaufort
reichlich
Höhe laufen – das ist nicht weniger wild und ruppig
als am
ersten Tag. Aber Heide und Silvia strahlen und schwärmen von
dem
schönen Segeltag. Morgens packen wir die Segel gar nicht erst
aus
– eben nur nach Hause, aufklaren und abreisen. Letztes Jahr
fühlten sich diese vier Meilen für die Salty-Crew
noch wie
eine Weltreise an. Fazit: Es hat sich Einiges getan in diesen zwei
Wochen...
weiter: Die
doppelte Paula
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