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"Du bist ja wohl völlig irre!"

Das Lindelse Noor ist eine wunderbare Bucht südlich von Rudkøbing - weitläufig mit mehreren kleinen Inseln und vielfältigen Ankermöglichkeiten. Allzu unbefangen darf man sich hier nicht bewegen: Die Einfahrt bildet eine Barre, deren tiefe Stelle man treffen muss. Dahinter folgt ein tieferes Becken, umgeben von Untiefen und Steinen. Betonnung gibt es keine, sorgfältige Navigation also ein Muss. In meiner Seekarte markieren diverse Bleistiftstriche mit Koordinaten die Kurse und Peilmarken, die sicher durch dieses Abenteuer führen. Wir werden allmählich zutraulich, probieren verschiedene Stellen aus, diesmal genau vor der Insel Bukø. Charterern habe ich diesen Ort noch nie empfohlen. Doch in dieser Gruppe können alle geradeaussegeln, Anlegen unter Segeln gehört auch schon zum Repertoire - warum also nicht eine Spur Nervenkitzel?   

Juni 2020

Wunderbarer Auftakt zu einer raren Woche schönsten Sommerwetters: Erik erwartet uns in Schleimünde mit zwei Überraschungen. Die Giftbude ist auf, also lädt er mich zum Dank für den schönen Törn neulich zu Currywurst Pommes ein. Und: Lovis kommt! Mittags war das Boot noch gar nicht segelklar, Paula zum Eisessen verabredet. Doch die Eisdiele war geschlossen, Lovis irgendwann startklar, jetzt sind sie optimistisch, es noch im Hellen zu schaffen.

Lovis liegt längsseits an dem kleinen Steg südlich der Meno-Brücke. Paula, Henri und Thorsten sitzen im Cockpit, Erik und ich auf dem Steg. Ich vermisse mein Telefon. Erik wählt die Nummer, es ist nicht erreichbar. Ziemlich sicher liegt es unter Wasser. Resigniert richte ich mich darauf ein, die Woche ohne es zu verbringen. Davon die Laune verderben lassen? Keine Chance. Erst spät geht uns der Gesprächsstoff aus. Ich gucke ins Wasser. Und sehe: Das Display leuchten! "Da isses", rufe ich.

Paula holt den Kescher. Thorsten tapt ihn an den Bootshaken. Ich wühle erfolglos im Schlick. Erik wühlt erfolglos im Schlick. Ist ja irgendwie auch egal, das Gerät wird ja eh kaputt sein. Jetzt versucht Henri sein Glück. Vorsichtig und geschickt fördert er das gute Stück an die Oberfläche. Bisschen den Schlick wegwischen, dann erstmal ausschalten, ab in einen Kochtopf, falls der Akku überhitzt - mehr unternehme ich nicht. Erik simst mit anderntags noch den Tipp, es mit reichlich Frischwasser zu spülen und dann in Reis einzulegen. Zu spät, habe ich außerdem nicht an Bord. Immerhin reicht es morgens noch für den Wetterbericht. Dann drängelt sich eine blöde Google-Nachricht vor, die ich nicht wegdrücken kann, weil die Tasten nicht mehr funktionieren. Doch im Laufe der Woche erholt sich das Gerät, Freitag ist es wieder voll funktionsfähig. Und Henri ist der Held. 



SPONTANFLOTTILLE

Die Tautropfen auf Pommerys Vordeck sehen aus wie Glasperlen. In Kombination mit der Sammlung gehäkelter Schleimünde-Hafengeldquittungen könnte man Erik für einen Hippie halten. Ist er aber nicht. Zum Glück ist er auch keine Schlafmütze - er und Thorsten wachen, anders als Paula und Henri, rechtzeitig auf, um uns beim Ablegen zu helfen. Ich bin nicht überrascht, als beim Segelsetzen Martha zu uns aufschließt. Ich habe den Gästen empfohlen, was auch wir vorhaben: Wind nur bis mittags, also möglichst früh los, Ziel Marstal.

Dort sitzen wir abends im Yachthafen zusammen: Sören, der in seiner zweiten Woche auf Oliese nun einhand unterwegs ist und sich ein bisschen Händchenhalten wünscht. Ralf und Steffi, die recht spontan Martha gebucht haben. Julian und Martin, die in der Türkei eine größere Yacht segeln wollten, bevor zuerst die Gruppe bröckelte und dann die Einreise untersagt blieb, sie also den alten Traum vom Folkeboot und der Dänischen Südsee notgedrungen verwirklichen. Paula liegt unter Samkas Bug. Marthas Crew hat uns übersehen und ist im Yachthafen gelandet. Oli hat Sören zuverlässig an diesen Platz geführt, der auch ihr Lieblingsplatz ist. Julian und Martin winkten fröhlich, als sie vorbeituckerten. Im Verlauf des Abends beschließen wir, den Rest der Woche gemeinsam zu verbringen.

Montag: Nordwest 5, damit wäre ein richtig langer Schlag möglich, mindestens bis Nyborg, sogar nach Kerteminde oder Musholm. Aber ich will gar keine langen Schläge, wir müssen das ja auch alles dann wieder zurück, lieber möchte ich ein paar Stunden schön segeln und danach Zeit für Mittagsstunde und Landgang haben, und ich vermute, dass es die Gäste ähnlich sehen. Entspanntes Anlegen wäre nicht schlecht, dafür ist Svendborg optimal. Und nachdem ich letztes Jahr sechs Wochen lang quasi hier gewohnt habe, was diesmal nicht möglich sein wird, freue ich mich riesig auf einen Besuch in der Stadt.

Unter den staunenden Blicken der anderen Crews legen Oli und Paula unter Segeln ab. Dann beginnt die Rauschefahrt. Das vorgesehene Timing gelingt perfekt: Der Strom kentert kurz nach zwölf, als wir hoch am Wind durch die Lunkebugt fegen. Also haben wir zuerst im Rudkøbing Løb und dann auch im Svendborg Sund mitlaufend Strom. Der Sund ist landschaftlich wunderschön, seglerisch anspruchsvoll, ein Hochgenuss - und das sage ich, wo ich ihn in- und auswändig kenne. Die Gäste sind völlig begeistert.

Denen habe ich gesagt: "Ihr müssst nicht alles nachmachen, was wir machen." Ich bin auch begeistert, zum Beispiel davon, dass die Gruppe vom ersten Tag an eng zusammenbleibt. Paula segelt in den Hafen, ich berge die Fock, kreuze zur Promenade und erspähe reichlich Leerstand an den Boxen vor Bendixen. Aufschießer zum Pfahl, Segel runter, jemand gratuliert zum beeindruckenden Manöver. Als ich Paula in die Box ziehe, schnappen sich - raschel, raschel - die Charterboote ihre Pfähle zum Groß Bergen. Julian sagt: "Danke, dass du uns das möglich gemacht hast, hier unter Segeln anzulegen." Er spendiert eine Runde Anlegebier. Dann schlagen Sören und ich uns bei Bendixen die Bäuche mit Fish & Chips voll.

Svendborg - was soll ich sagen? Es ist einfach schön hier. Ich kann nicht mal sagen, woran ich das festmache. Verzichte auf jeglichen Landgang, statt dessen gibt es Mittagsstunde und ein bisschen Büro. Ich bin mir sicher, dass wir das hier noch toppen können, zumal bei dem traumhaften Wetter ohne ein einziges Wölkchen während der ganzen Woche. Julian und Martin beantragen, nach all den Häfen am nächsten Tag zu ankern. Das wäre bei West Nordostdrehend im Lindelse Noor. Natürlich fahren wir nicht den kurzen direkten Weg einfach wieder zurück, sondern linksherum. Vor dem Auslaufen gibt es ein bisschen Briefing - das Anlaufen der flachen, steinigen, unbetonnten Bucht ist nicht ganz trivial. Wir verabreden uns in der Nordostecke, wo die Mooringtonnen liegen. Naja: Einlaufen mit dem abflauenden Westwind, den wir erwarten, ist auch Revierunkundigen zumutbar.

Wir kreuzen tapfer durch die Brücke und den Sund, sausen durchs Højestene Løb. Dann schläft der Wind ein. Mit einem knappen Knoten stehen wir vor Birkholm herum. Der Hafen ist voll. Der Ankerplatz scheint mir jetzt unendlich weit weg. Also schlage ich Ommel vor. Kein Funkgerät nötig, alle Boote sind in Hörweite. Martin und Julian lassen sich nur widerwillig umstimmen - sie kennen Ommel nicht und erwarten einen Yachthafen. Was sie finden, beschreibt Sören als Ankern am Steg: Wir laufen barfuß über die Wiese. Wir sind unter uns, abgesehen von dem Schweinswal, der schnaufend und prustend in die Bucht schwimmt, und den Besuchern der umliegenden Sankt-Hans-Feuer. Geplant war es anders, erklärt man uns, "mit Bierzelt und Bockwurst." Jetzt sitzen kleine Gruppen um ihr jeweiliges Feuer, vom Hafen aus sieht es sehr gemütlich aus. Hätte ich dieses Unterhaltungsprogramm vorab organisiert, wäre es nicht besser gelungen.

Nun wollen wir aber endlich ankern. Natürlich nicht ohne Zitronenkuchen, wo wir schonmal so nahe an Aerøskøbing sind. Alle legen also in Ommel unter Segeln ab, in Aerøskøbing unter Segeln an und wieder ab. Zwischendurch gibt es Rundgang und Besuch beim Konditor - die saftige Köstlichkeit lässt sich nach Inaugenscheinnahme niemand entgehen.





BUKØ, oder: "DU BIST JA VÖLLIG IRRE!"


Flaute vor Strynø. Das wird doch wohl jetzt nicht noch zäh? Ah, es kräuselt sich wieder. Die Brise berappelt sich zu einem Nordost 3. Hm. Der Südost von eben wäre mir lieber gewesen. Auf 50°53,4'N fahren wir, so gut es geht, den Ostkurs, der uns heil ins Lindelse Noor bringt - die Windmühle von Strynø im Rücken und den Getreidespeicher auf Langeland genau voraus. Echolot beachten: Es müsste jetzt wieder tiefer werden. Aha, gut. Bei 10°41'E - die Spitze der Halbinsel im Süden querab - darf man nicht mehr geradeaus weiterfahren, denn dort lauert auf 50 cm Tiefe ein fieser Findling. Weiter ginge es nun mit 70° in Richtung einer Steilküste, vor der zwei Mooringbojen des Dänischen Seglerverbandes guten Ankergrund verheißen. So weit haben wir es besprochen.

Nur können wir die 70° gar nicht laufen. Zum vorgesehenen Ankerplatz müssten wir kreuzen. Aber vor der Steilküste liegen erstaunlich viele Boote, und wir wollen doch lieber unter uns sein. Ich nehme erstmal Seekarte, Zirkel und Dreiecke zur Hand. Wohin stattdessen? Warum nicht nach Bukø? Viel kürzer, kein Kreuzen, dafür ein vielversprechendes Ziel für den Landgang. Aber wie weit ran? Wie weit nach Osten? Wie weit dabei mindestens und höchstens nach Süden? Alles easy going, wenn man es genauer betrachtet. Unsere Abenteuerlust ist geweckt, Paula saust munter auf Bukø zu. Wir sind auf 2,80m Tiefe, das ist hier das tiefe Wasser. Nordwestlich der Insel, die optisch durchaus etwas hermacht, aber in der Karte winzig scheint, liegt ein Stein. Südwestlich steht als Tiefenangabe 1,20m. Das liegt alles innerhalb der 2m-Linie. Absprechen können wir das nicht, die Anderen haben keine Funkgeräte an Bord. Aber sie sehen ja, was wir machen.

Ich nehme die Fock runter und fahre das Groß aus der Hand, stets bereit zum Aufschießer, lasse es ab und zu schlagen, um Fahrt rauszunehmen. Langsamsegeln - könnte eine neue Leidenschaft werden. Ein Auge aufs Echolot, eins auf den Weg voraus, zwischendurch nochmal kurz Zirkel und Seekarte - es wird flacher und flacher und dann wieder tiefer, wir sind immer noch auf über zwei Meter und optisch schon dicht dran. Ich werde zutraulich, wir segeln weiter. Noch ein Stück. Und noch ein Stück, der Grund ist topfeben. Also noch ein Stück. Hm. Vielleicht ist es jetzt auch mal gut. Geschützt liegen wir hier allemal.

Der Anker fällt auf zwei Metern Tiefe. Blöd, viel zu früh, denke ich beim Bergen des Groß - wenn ich jetzt dreißig Meter Leine rausgebe, sind wir wieder im tiefen Wasser und mächtig weit von der Insel entfernt, die ich unbedingt erkunden möchte. Sören und Oli kommen angesegelt. Sören wirkt angespannt, doch er fährt einen perfekten Aufschießer an unsere Steuerbordseite, ich sammle die Vorleine vom Vorschiff. Paula schwoit, Oli fängt sich eine Bö und entscheidet sich nun doch für die Backbordseite - Sören und ich hängen Fender um, dann ziehe ich Oli ran. Ihr Großsegel ist inzwischen geborgen. Sören grinst: "Du bist ja wohl total irre!"

Ich vermute nicht, dass die Charterboote schonmal hierwaren. Doch es scheint ihnen zu gefallen. Marthas Anlegemanöver läuft genauso wie Olis: Ziemlich souverän, im letzten Moment wechselt das Boot die Seite. Salty muss nun aber an Paulas Steuerbordseite. Der erste Versuch ist zu zaghaft, Salty verhungert und muss neu Anlauf nehmen. Der zweite Versuch hätte klappen können, aber leidgeprüft, wie ich bin, rate ich frühzeitig zum Abbruch: Zu schnell. Der dritte Anlauf ist dann wirklich zu schnell, was nicht besser wird, als Julian nochmal die Großschot dicht nimmt. Zum Abdrehen ist es jetzt aber zu spät. Salty macht, was sie von Oli gelernt hat: Sie saust in unsere Ankerleinen und bleibt stehen. Perfekt, Rest von Hand. 

Die Anderen baden, ich mache das Schlauchboot klar und rudere nach Bukø. Winzig, wirklich schön - und überzogen von Milliarden von Mücken. Keinen Stechmücken, sondern diesen kleinen, harmlosen, schwirrenden Gesellen, die allein durch ihre massive Anzahl extrem nervig sind. Ist wohl ihre Jahreszeit und Witterung. Ich knipse ein paar Fotos, dann kehre ich zurück. Es war auch keine gute Idee, die Sandalen an Bord zu vergessen: Disteln, Brombeersträucher, Brennnesseln - allerlei Gefahren lauern hier in der unbewohnten Wildnis. Zumindest habe ich eine neue Insel betreten und erkundet.






STEINBUTT

Der letzte Tag vor der unvermeidlichen Rückreise - es darf gerne wieder etwas Besonderes sein. Eine bewohnte kleine Insel fehlt noch im Programm, also planen wir Lyø. Und einen abwechslungsreichen Weg dorthin.

Denn mal los: Wir lösen unser Ankerpäckchen auf. Sogar das ist nicht so trivial, wie Unbedarfte es sich vorstellen, nur ich weiß, wie die Boote sich verhalten, wenn sie Wind abkriegen. Wir verwerfen also Pläne wie: längsseitsliegend das Groß zu setzen. Nach und nach sacken Salty, Martha und Oli vorsichtig achteraus und segeln mit der Fock langsam über die Untiefen. Ich sammele Paulas Anker ein, verstaue ihn, und nehme die Verfolgung auf. Ich bin gerade pinkeln, als es richtig flach wird: Bei zwanzig Zentimetern Wasser unterm Ballast reiße ich die Pinne rum, der Schlenker bringt uns in tieferes Wasser.

Zurück durchs betonnte Mørkedyb? Können die Uncoolen machen, wir gönnen uns jetzt das unbetonnte Fahrwasser nördlich von Strynø und Birkholm. Wenn man nur nach Seekarte, Kompass und - kleines backup - Echolot navigiert, muss man den vorher bestimmten Kurs vom richtigen Ausgangspunkt aufnehmen. In unserem Fall von der ersten grünen Tonne des Rudkøbing Løb. Gelingt nicht allen, Salty findet die Tonne nicht und segelt ins Niemandsland, Martha folgt ihr, nach kleiner Grundberührung kommen sie uns entgegen. Paula führt also die Gruppe an. Sören hat größte Mühe, Oli vom Überholen abzuhalten - auch er möchte nicht unbedingt selbst den richtigen Weg finden.

Gemeinsam gelingt es, nach dem Claus Grund erreichen wir tiefes Wasser und segeln schwungvoll südlich an Drejø entlang. Am Mads Jessens Grund habe ich eine kleine Auflockerung eingebaut: Wir luven an, um Avernakø nördlich zu passieren. Für den Weg nach Lyø wäre dieser Schlenker nicht notwendig, aber alle begrüßen den Abstecher. Wie an der Wendeboje einer Regatta nehmen wir nacheinander die Schoten dicht.

Ost 5. Auf Lyø gibt es keine Abdeckung, es pustet voll durch den Hafen. Ich habe vorgesorgt: "Ihr müsst nicht alles nachmachen, was Paula und ich probieren", habe ich den Gästen eingeschärft, und auch, dass es durchaus sinnvoll sei, mit der Fock in den Schutz des Fähranlegers zu segeln und dann den Motor zu starten.

Wir entscheiden uns spontan für die große Lösung: Ich nehme frühzeitig die Fock weg, weil sie eh nur nervig hin und her bamselt und es zwei Meilen vorm Hafen wenig Sinn machen würde, sie auszubaumen. Mit dem Groß überholen wir noch einen kleinen Segeleimer und sausen in den Hafen. Anders als alle bisherigen ist der richtig voll. In der Einfahrt kriege ich mit schlagendem Groß ein bisschen Fahrt raus, vorm Wind ins westliche Becken verhindert die dichte Großschot, dass wir tierisch Fahrt aufnehmen. Drei Knoten sind aber üppig genug. In der Folkeboot-Ecke ganz im Südwesten des Hafens ist Platz. Eigentümlich - da legt sich scheinbar nie jemand hin, es könnte ja sein, dass wir kommen.

Da müssen wir aber hin treiben und wriggen und erstmal gegenüber festmachen, um das Segel zu bergen. Der Aufschießer misslingt, ich kriege den angepeilten Pfahl nicht zu fassen. Paula treibt ab. Aber der Nachbar ist jetzt auf Zack und bereitet seinen Bootshaken vor, um ihn mir entgegenzuhalten. Ich nehme die Schot dicht, das stabilisiert erstmal Paulas Lage. Vollruderlage, ohne Fahrt wird das ein weiterer Aufschießer, aber ich wrigge Paula durch die Wende, sie nimmt Fahrt auf, wir erreichen den Pfahl. Den Bootshaken brauchen wir nicht, aber der Hinweis auf den halben Meter Abstand ist hochwillkommen. Segel runter, Vorleine wieder los, wir verholen zu unserem Platz.

Die Charterer kommen defensiv mit Fock und Motor auf Standby angeschippert. Wir finden provisorische Plätze. Als die Seniorentruppe aus Faaborg, die mit ihrem kleinen Bötchen vier Plätze blockiert, endlich abreist, kuscheln wir uns in unserer Ecke zusammen.

John Hafenmeister freut sich riesig, mich wiederzusehen. Er berichtet: An dem Sonntag, bevor Deutsche wieder einreisen durften, lagen neun Boote im Hafen. Am Montag waren es 37. Ab Donnerstag dann konstant über 60. Und vorgestern sei die Grenzpolizei dagewesen, sechs Männer im Schlauchboot, seien fünf Minuten durch den Hafen getuckert, hätten mit niemandem gesprochen und seinen dann verschwunden. Zuerst habe er gedacht, was für ein Aufwand für nichts, aber nun vermutet er, sie hätten auf die Nationalflaggen geachtet: Nur Deutsche und Norweger dürfen einreisen, eine schwedische Yacht hätten sie nach Hause geschickt.

Meinen Gästen gegenüber erwähne ich die Pizzeria in der Alten Schule hinter der Kirche. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, warum nicht zusammen Essen gehen? Die Pizzeria gibt es nicht mehr, neue Betreiber, ein grandioser Koch, die Speisekarte ist eine Kreidetafel mit den Gerichten, die es aktuell frisch gibt. Wir entscheiden uns für den Fisch des Tages: Steinbutt mit grandioser Sauce, dazu neue Kartoffeln und Salat - schlicht, aber frisch und außergewöhnlich köstlich. Mittelmeer? Komfortable Fahrtenyacht? Die Dänische Südsee überzeugt die Gäste als Paradies, das Folkeboot als großer Wurf des Bootsbaus, die Flottille mit latentem Regattamodus und spannenden Manövern als schönste Art des Reisens. 

Heimweg. Am Lyø Sand überholt uns Achneedochnicht. Salty segelt hinterher. Dabei ist das doch ganz eindeutig kein Folkeboot, sondern eine Jolle, und für mich sieht es so aus, als wolle Holger nach Mommark. Noch haben wir Ost 3, zu erwarten ist Südost 4. Da segeln wir doch lieber erstmal Südkurs, solange das mühelos geht, um später abzufallen.  Tatsächlich können wir den direkten Kurs von 195 Grad vor der Flensburger Förde nicht mehr laufen, aber das müssen wir auch nicht. Martha hat mal wieder einen guten Tag und segelt uns davon. Salty lässt sich Zeit. Julian und Martin wirken ein wenig enttäuscht, meistens die langsamsten zu sein, doch diesmal ist Saltys Timing perfekt: In Kappeln vor der Brücke treffen wir uns alle wieder.

Holger ist auch dabei. Er ruft: "Du hast dir ja einen geilen Kurs ausgedacht." Abends kommt er extra nochmal in den Hafen, um das zu besprechen - er ist nämlich von 220 Grad ausgegangen. Das mag für ein Boot mit soviel Abdrift wie Achneedochnicht der richtige Kompasskurs sein - aber nur bei Westenwind. Achneedochnicht ist viel schneller als wir, aber sie muss zwischendurch ein ganzes Stück der verschenkten Höhe aufkreuzen.

Ich kenne das Gefühl schon: Im Hafen ist auf bedrückende Weise alles wie immer, während meine Welt sich mehrfach fulminant um sich selbst gedreht hat, dazu brütende Hitze, während die liebgewordenen Gäste ihre Sachen packen. Da denke ich lieber an Marstal und Svendborg, an Zitronenkuchen und Steinbutt, an Segelspaß und Nervenkitzel. Wann können wir wieder los?.

weiter: Familienurlaub, oder: Bei uns ist immer Folkeboottreffen