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Vier plus vier - Das intensivste Segeln überhaupt

Paula und Martha segeln unbefangen und fröhlich auf und ab. Saltys übersehene Zeisinge sind gelöst, endlich steht das Groß. Nur Oliese hoppelt noch unter Fock und Motor aufs Ufer zu, wendet, das Großfall verheddert sich. Die schwarze Wand, die auf uns zu treibt, beginnt zu grummeln. Wir brechen das Projekt, uns in geräumigem, geschützten Terrain gemütlich einzusegeln, ab: Erstmal zurück nach Arnis. Alle Segel sind geborgen, bevor uns der Böenkragen erreicht. Plötzlich null Sicht, der Regen ergießt sich in den Halsausschnitt des Ölzeugs. Sicherheitshalber legen wir  am Mastenkran an. Dieses Spektakel hier droht uns den Tag zu verderben - aber werden wir das zulassen?

Juni 2018

Von vornherein steht fest, dass es eine außergewöhnliche Woche wird: Unterwegs mit vier Booten und vier Personen. Diese sind Okko, der Martha schon zum dritten Mal für einen Flottillentörn gebucht hat. Rolf, der letztes Jahr schon dabei war - auch da gerieten wir in ein Gewitter, mir kommt der Verdacht, er sei ein Regengott, und da ist es ganz gut, dass wir diesen unvermeidlichen Programmpunkt jetzt gleich zu Beginn abhandeln können. Binnenrevier-Drachensegler Rolf muss sich nun mit Oliese anfreunden, nachdem er letztes Jahr zu Admiral Jacob ein eher distanziertes Verhältnis pflegte. Und dann ist da noch Martin, unser Newcomer: Als gebürtiger Hamburger erstmals auf der Ostsee und an der Schlei, Einhandsegeln ist er auch nicht gewohnt - aber zwischen ihm und Salty entwickelt sich schnell ein inniges Vertrauensverhältnis. Das ist auch gut so, denn wir werden bei viel Wind spannende Abenteuer erleben. Beide, Rolf und Martin, haben viele ihrer Seemeilen auf Seen in Voralpenland sowie als Mitsegler im Mittelmeer gesammelt, tendenziell einem Leichtwindrevier, wo außerdem der Autopilot die Navigation erledigt und die Elektrowinsch die Kraftakte erledigt.

Das Anlegen im Gewitter gelingt letztlich mühelos: Zwar prasselt der Regen so heftig, dass wir uns mit Zeichensprache verständigen müssen, doch es klappt ausgezeichnet. Lediglich meine Schuhe sind vorläufig unbrauchbar, für die Gummistiefel war keine Zeit mehr. Wir warten die weitere Schaueraktivität ab, segeln mit einer leichten Abendbrise noch nach Maasholm - Segelsetzen klappt vorzüglich, auch bei Rolf und Oli - und gehen dort lecker essen.

Von da an sollten die Charterboote keine Meile mehr ungerefft segeln.

In der Technikfalle

Sonntag: Eine stramme fünf aus Südwest bläst uns ins Gesicht. Vorerst ist das nicht der Wind, bei dem die Gäste sich reibungslose Manöver vorstellen können. Superspezialservice ist gefragt: Ich helfe allen beim Ablegen, binde die Boote an der Außenmole fest, wo in Ruhe die Segel gesetzt werden können, woraufhin die Reise ohne größere Hindernisse beginnen kann. Die potenziellen Hilfspersonen sind weg, als Paula und ich ablegen, also müssen wir uns etwas einfallen lassen - und erfinden das selbstablegende Boot: Ich binde eine Vor- und eine Achterleine um die Sorgeleine der riesigen Box. Der Wind treibt Paula achteraus daran entlang bis zum Heckpfahl. Ich löse zuerst vorne, dann hinten, der Wind drückt uns herum, bis der Bug Richtung Ausfahrt zeigt. Mit der nächsten Bö kommt Paula in Gang, so treiben wir ruhig aus dem Hafen. Dann setze ich Segel, das Groß in der Abdeckung der Werft.

Ein erster Kommunikationsfehler kommt mir relativ bald in den Sinn, während wir mit sieben Knoten über Grund aus der Schlei huschen: Die sicheren und komfortablen, aber umständlichen und zeitaufwändigen Ablege- und Segelsetz-Manöver haben jeweils an die zwanzig Minuten gedauert. Entsprechend groß sind die Abständen zwischen uns. Auch Paula hat sich im letzten Moment fürs Reff entschieden, spätestens damit ist klar, dass wir nicht ohne Weiteres die Anderen einholen werden. Es wäre also klug gewesen, zu vereinbaren, dass die Anderen in der Umgebung Warteschleifen segeln, bis alle in Fahrt sind. Statt dessen sehe ich bis Schleimünde nicht mal mehr Oli, die als Letzte vor uns abgelegt hat. Und auch danach sind die Drei höchstens zu erahnen inmitten der zahlreichen weißen Flecken am Horizont.

Die Vereinbarung lautete: Wenn Paula und ich als Erste an der Untiefentonne Pøls Rev ankommen, warten wir dort. Bevor wir den Wegpunkt in Sicht haben, hüllt uns ein Schauer in miserable Sicht. Als der Regen aufhört und sich schüchtern die Sonne durch ein Gucklock wagt, habe ich die Tonne in Sicht. Und Martha, die dort extra das Groß geborgen hat, um auf uns zu warten. Oliese meldet sich über Funk - Rolf hat im Regen die Orientierung verloren, wird aus der Seekarte nicht schlau und aus dem GPS schon gar nicht. Es zeigt ihm eine Weile an, er solle 22 Grad fahren. Da hat es wohl Recht, Olieses Position ist zu weit westlich, und beizeiten zwölf Grad abzufallen hätte geholfen. Nach langem Hin und Her erfahre ich die Position und lotse ihn zu unserer.

Über Salty mache ich mir zunächst keine Sorgen - Martin hat Navionics an Bord. Als wir wieder auf Nordkurs sind, komme ich allerdings ins Grübeln: Salty ist nach Martha gestartet. Martin wäre sicher nicht von selbst auf die Idee gekommen, dass dies ein verbindlicher Treffpunkt ist - das haben wir nicht deutlich genug formuliert. Aber er hätte ja an Martha vorbeifahren müssen. Hm. Über Funk kommt keine Reaktion, ans Handy geht er auch nicht. Allmählich formiert sich in meiner Phantasie das Szenario einer hilflos treibenden Salty und eines über Bord gefallenen Skippers. Ich bin kurz davor, die Seenotrettung zu verständigen. Aber dann zeigt mir Paula ein weit entferntes Segel, das unverkennbar auf die Helnääs Bugt zuhält. Das ist unser heutiges Ziel, und da werden ansonsten nicht allzu Viele hin wollen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das dort Salty ist, scheint mir ausgesprochen hoch.

Die Maus liegt dann auch friedlich an der Mooring, als wir in die Bucht segeln und unseren Ankerplatz suchen. Dort bauen wir uns ein einstündiger Arbeit unsere eigene Insel: 7,64m lang, 8,80m breit, vierfach verankert und leise schaukelnd und plätschernd. Eine prächtige Abendsonne kommt zum Vorschein, als Martin uns mit einer vorzüglichen Thunfischsoße verwöhnt. Die zwei Töpfe Pasta kocht Paula. Später werde ich bedauern, dass ich nur unserem Neuzugang gesagt habe, jeder müsse einmal für alle kochen - Rolf hat nur Miracoli mit, Okko auch eher spartanische Fertigküche. Aber dieser Ankerabend in Paulas großem, gemütlichen Cockpit ist ein wunderbares Gruppenevent in unserer außergewöhnlich kleinen Runde. Die Nacht wird dann etwas unruhig, weil der Wind gegen drei Uhr unangekündigt auf Süd dreht und der Schwell recht ungehindert in die Bucht läuft.

Das Thema Navigation wird uns weiter beschäftigen, bis zur ausgiebigen Nachbesprechung bei der Bootsrückgabe. Rolf macht bis dahin riesige Fortschritte: Er begreift unmissverständlich und für alle Zukunft, dass es nicht ausreicht, dem Rest der Gruppe hinterherzusegeln. Sondern dass jeder auch auf sich allein gestellt in der Lage sein muss, das Ziel zu erreichen. Und er beherzigt meinen Rat mit der Daumennavigation - Breiten- und Längengrad des GPS mit Fingern oder nach Augenmaß grob zu folgen, ergibt auf einen Daumenabdruck genau die Position. Und vor allem im großen Maßstab der Detailkarte ist das hinreichend genau, um Tonnen und Landmarken eindeutig identifizieren zu können. Man könnte einwenden, es sei eine gründlichere Einweisung in den Gebrauch des alten, schlichten Garmin 72 hilfreich gewesen. Ich denke eher an den umgekehrten Weg: Das Gerät ist allenfalls ein Backup - dringend nötig ist die Botschaft, die von einer ausgebreiteten Seekarte nebst Zirkel, Kursdreieck, Bleistift und Notizblock ausgeht. Denn Wegpunktnavigation reißt Segler, die es sich angewöhnt haben, nichts als der Elektronik zu vertrauen und denen der Blick auf die Karte und aufs Wasser verloren gegangen ist, nicht aus der Technikfalle.



Ins Paradies

Unser Ziel bei Südwest 4-5 ist Sottrupskov im Als Sund. Segelsetzen klappt, die Navigation auch. Die Schauer ziehen vor uns durch oder lösen sich rechtzeitig auf, und ich behalte die Anderen im Blick, bis wir im Als Fjord in Nieselregen geraten. Da hat sich die Wegpunktnavigation längst wieder bewährt: Ich zum Beispiel fahre so lange auf Westkurs, bis ich die als Wegpunkt gespeicherte Einfahrt in den Als Fjord auf einem nach der Wende segelbaren Kurs peile. Das heißt: Scheinbar endlos lange Richtung Genner Bugt - um dann gerade so an der Dyvig vorbeizuschrammeln.

Alle kommen sicher an, und der kleine Steg vor dem winzigen Ort in der idyllischen Umgebung weckt Begeisterung. Martin sagt: „Nicolas - du führst uns ins Paradies!“ Nun weiß ich das nicht, ob ein Dixi-Klo und eine wackelige Pontonbrücke als Inbegriff des Gartens Eden konsensfähig sind, aber aus irgendwelchen Gründen fahre ich ja dauernd hier hin, und dazu gehört: Es ist einfach schön hier. Ruhig. Anders als im Alltag. Anders als in modernen Marinas. Anders als am Mittelmeer. Und dadurch auf rührende Weise perfekt. Sogar der introvertierte Rolf gerät ins Schwärmen, und das freut mich enorm.


Die Folkeboot-Invasion

Bis hierhin ist es eine phantastische Reise, wenngleich auch bereits deutlich geworden ist, dass wir wenig Reserven für Pannen haben: Lauter Einhandsegler, jeder muss funktionieren, jeder muss durchhalten. Wird das am nächsten Tag der Fall sein? Unser Ziel lautet Flensburg. Martin muss nämlich Mittwoch früh bereits abreisen und zu einer Familienfeier fahren. Damit das nicht bedeutet, dass er auf eigene Faust Salty zurück nach Arnis bringt, habe ich Björn als Überführungscrew angeheuert - und Flensburg ist für seine An- und Martins Abreise ein idealer Standort. Außerdem denke ich schon länger darüber nach, dort zum ersten Mal mit Paula hinzusegeln. Zum beharrlichen Westwind dieser Woche passt das auch wesentlich besser als ein Abstecher weiter in die Südsee - aber für heute heißt es Kreuzen, was das Zeug hält, bei 5-6 wird es sportlich werden, aber zur Belohnung gibt es völlige Abdeckung und, so hoffen wir, ein standesgemäßes Plätzchen im Museumshafen.

Zu Beginn genießen wir die Abdeckung der Wälder im Als Sund. In Sønderborg segeln wir eine halbe Stunde umeinander herum im Kreis und warten auf die Brückenöffnung. Die passieren wir gesittet und kontrolliert unter Motor - und dann geht es drunter und drüber. Wir und Okko setzten gleich wieder die Segel, wie ich das auch morgens bei der Besprechung empfohlen habe. Der Satz ist wohl ein bisschen untergegangen - Salty und Oli tuckern in die Bucht raus, wo sofort die volle Dröhnung Wind und eine kabbelige See stehen. Martin bekommt nach einigem Gezerre das Groß hoch. Rolf nicht: Wieder einmal klemmt die Großschot, bevor das Tuch oben ankommt, und dann verhakt sich das Fall hinter der Jumpstagspreize. Zwar kommt Rolf von selbst auf die Idee, in den Schutz des Hafens zurückzukehren, aber mit all den unklaren Leinen wird das natürlich auch jetzt nichts mit dem unkomplizierten Segelsetzen.

Paula und ich legen an einem der Dalben bei den Fischern an. Ich winke Oliese heran. Binde sie an Paulas Heck fest, klariere die Fallen, halte Händchen an der Vorleine, während Rolf nun doch sein Erfolgserlebnis bekommt. Endlich endlich endlich können wir los - das Ganze hat eine knappe Stunde gedauert, nachdem wir auch schon eine Stunde später ausgelaufen sind als geplant. Es geht auf dreizehn Uhr hin, und wir sollen noch zwanzig Meilen gegen Wind und Strömung in die Förde hoppeln. Ich gebe zu, kurzzeitig ist meine Laune im Keller und mein Nervenkostüm überbeansprucht. Zu spüren bekommt das die Crew einer Hallberg Rassy, die die benachbarte Bunkerpier ansteuert. Oliese schwoit in ihrer Ideallinie, aber ich würde von den Leuten doch erwarten, dass sie in der Lage sind in einem so geräumigen Hafen auch mit einem kleinen Schlenker längsseits anzulegen. Sie fahren aber in zwei Metern Abstand an Olis Heck vorbei. Seemannschaft? Rücksichtnahme? Dieses Verhalten da würde mir auch gegen den Strich gehen, wenn ich nicht gerade sowieso kurz vorm Durchdrehen wäre. Also schnauze ich sie so laut und unmissverständlich an, wie ich kann. Und finde jetzt, beim Schreiben, also im Nachhinein, nachdem sich die Wogen geglättet haben, dass ich Recht habe.

Meine Laune ändert sich sofort, als Paula zunächst mit Südkurs durch die Sønderborg Bugt pflügt und die Kreuz dann absolut phantastisch läuft. Der bedeckte Himmel reißt auf, die Förde zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Ein prima Revier: Nach und nach lässt die Welle nach, aber es ist viel mehr Platz zum Kreuzen, Toben und Spaß haben, als in der engen Schlei. Selbst die gefürchtete Schwiegermutter ist kein Problem: Die Tonne ist nun wirklich nicht zu übersehen und lässt sich mühelos an Backbord lassen. Auf diesem Schlag können wir fast auf Halbwind abfallen, und Paula versegelt, selbst Ruder gehend, eine Charteryacht, die mit auf Sturmfockgröße eingerolltem Vorsegel, mitlaufendem Motor und staunender Crew in unserem Kielwasser zurückbleibt. Um Holnis herum scheint es für einen Moment, als stünde uns ein zäher Abend bevor: Hier ist die Förde am engsten, die Strömung am stärksten, und das nahe Ufer sorgt für unwillkommene Abdeckung - es geht nur noch mit vier Knoten auf schlechtem Kurs voran. Doch als wir wieder vollen Wind haben, dreht der auf West, und wir können ohne weiteren Holeschlag in die Stadt segeln, an den Ochseninseln vorbei, die bisher das Weiteste war, zu dem Paula und ich in dieser Gegend gekommen sind.

Dann Flensburg: Historie und Industrieromantik sind außer der Abendsonne die ersten Vorposten. Am Ende der Innenförde erwarten uns neben Verkehrslärm - gerade läuft ein Feuerwehreinsatz - wunderbar-friedliche Abdeckung und der Museumshafen. Es wird ein bisschen knapp - ich zähle gerade vier freie Boxen. Eine davon liegt inmitten von lauter Folkebooten - die Frage, ob wir hier überhaupt erwünscht sind, ist damit wohl beantwortet. An Bord eines Restaurierungsobjektes treffe ich ein hilfsbereites junges Pärchen, das mich und Paula in Ruhe Segel bergen und anlegen lässt und sich dann rührend um einen Schlüssel für uns kümmert, damit wir den Steg verlassen und wieder betreten können. Am Ende leihen sie uns ihren für den Abend - allerherzlichsten Dank dafür!

Okko kennt eine Tapas-Bar in der Fußgängerzone gleich über die Straße, wo wir unseren letzten Abend in der bisherigen Konstellation verbringen. Björn reist abends noch an, ich muss Paulas Gästekoje mal wieder freiräumen. Vorher zelebrieren wir aber das überaus leckere Essen (mich überfordert nur, mir vier Gerichte merken zu müssen, die ich bestellt habe, und mache mich als Erstes gleich mal über Martins Garnelen her). Und wir tauschen uns aus über erschöpfte Körper und müde Arme - mir ist zweimal die Schot ausgerauscht, zweimal sind wir abgefallen und ein Stück zurückgesegelt, um auf die Anderen zu warten, und das Groß wieder dicht zu holen ist bei solchem Gepuste effektiver als jede Muckibude. Martin fasst als persönliches Fazit den bisherigen Törnverlauf treffend zusammen: Dies sei das intensivste Segeln seines Lebens gewesen. Und intensiv ist auf jeden Fall das richtige Wort.

Mit Übernachtungsgast Björn wird es mal wieder spät, denn Paula hat Rotwein an Bord. Morgens wird kein Hafenmeister uns fragen „Na - habt ihr wieder gesündigt?“, denn der Hafenmeister ist segeln. Ich habe schon verstanden, dass der Flensburger Museumshafen nur bedingt auf Gastlieger eingestellt ist, und dass wenn überhaupt nur Klassiker willkommen sind. Also wir. Ich habe auch gelernt, dass der Hafenkapitän nicht der Hafenmeister ist und beleidigt wäre, wenn ich ihn aufs Liegegeld anspräche. Gegen Mitternacht kommt zwei Plätze weiter aber noch der Kassenwart, um nach seinem Boot zu sehen, und sagt: „Ist ja die reinste Folkeboot-Invasion hier.“ Ich erkläre ihm die Umstände, werde endlich meine fünfzig Euro los, und es ergibt sich ein supernettes Gespräch, das mich in meinem Bestreben bestärkt, überhaupt nur noch in Häfen dieses Kalibers liegen zu wollen. Und derer gibt es viele.


Everybody goes surfin'...

Ein bisschen befürchte ich nun, die Spannung, den Genuss und auch die Anforderung nun nicht mehr aufrecht erhalten zu können: Am Mittwoch müssen wir schlicht zurück aus der Förde, und die letzten beiden Tage drohen in Sturm und Regen unterzugehen. Das Wort Antiklimax kommt mir in den Sinn - aber es fügt sich ganz anders. Mehrstenteils vorm Wind nach Mommark zu segeln, ist nämlich der Kracher. Es sind wieder fünf bis sechs, aber eine richtig stramme sechs, in einigen Drückern vielleicht sogar etwas mehr. Paula legt traditionsbewusst als Letzte ab, und bis Holnis ist auch kaum Aufkommen, weil wir alle mit Rumpfgeschwindigkeit unterwegs sind. Ab der Schwiegermutter gibt es ein kurzes Stück Südkurs mit dichten Schoten - zwar lasse ich mich von meiner Kompetenz beirren und verzichte auf das Ölzeug, die eine oder andere kalte Dusche kommt aber im großen Stil vom Bug her angeflogen, zunächst zu meinem Entsetzen, bevor ich kaum noch aufhören kann zu lachen. Währenddessen überholt Paula Martha und kommt mächtig auf die zuerst gestartete Salty auf.

Einholen können wir sie erst, als bei Kalkgrund der Wind vorübergehend ein wenig nachlässt. Dann surfen sie nebeneinander in der typisch dort bei Westwind stehenden See. Großer Spaß: Den nächsten Lachkrampf bekomme ich, als das GPS einen Surf von über drei Sekunden gemittelten 8,4 Knoten meldete. Soweit ich mich erinnere, hatten wir im Großen Belt einmal 8,5 Knoten, wir liegen also dicht an unserer historischen Höchstgeschwindigkeit. Im Schnitt geht es über einen längeren Zeitraum mit sieben Knoten, und am Ende haben wir 34 Seemeilen in fünfeinhalb extrem unterhaltsamen Stunden zurückgelegt. Wie langweilig und langatmig Segeln doch sein kann bei trägen drei Beaufort...

Dieser Törn wäre auch bei einer Windstärke weniger ausgesprochen gelungen gewesen, aber Boote und Skipper kommen ausgezeichnet mit den Bedingungen zurecht. Inzwischen auch besser mit der Navigation. Nun muss bloß noch das Anlegen gelingen. Denn Mommark liegt zwar an der Leeseite von Als, aber von Abdeckung ist mangels Wald oder hoher Gebäude keine Spur. Es pfeift wie Hulle durch den Hafen. Ich finde für Paula einen Längsseitsplatz an einem Fingersteg. Auf seiner Luvseite ist Platz für die anderen drei - ich winke sie nacheinander zu uns heran, halte eine Vorleine, während sie die Fender passend für den Schwimmsteg hängen, dann ziehen wir mit vereinten Kräften die Boote in Position. Bei Oli sind wir so gut eingespielt, dass Rolf gar nichts weiter tun muss, als staunen. Es brist wieder auf - gut dass wir fest sind. Das Groß unfallfrei aufzutuchen, scheint mir bei diesem Seitenwind von vornherein zwecklos, also probiere ich etwas, gegen das ich mich bisher beharrlich gesträubt habe: Das Segel wird gerollt! Morgens wird sich zeigen, dass das Auspacken, um das Fall anzuschlagen, viel einfacher ist, als ich immer befürchtete. Da haben wir wohl die neue Packtechnik gefunden. Leider verpassen wir darüber die Küchenöffnungszeiten des Hafenbistros, und somit den prächtigen Mommark-Burger, auf den Okko sich so gefreut hat, aber immerhin Hot Dogs kann man uns noch anbieten. Und Mommark, eigentlich mein Nothafen, weil sich nichts Anderes anbot für diesen Tag, und gewiss nicht mein Favorit, entpuppt sich als ziemlich charmant. Der Blick auf den Belt ist phantastisch, das Ambiente mindestens okay, und in einer Hochdrucklage wäre auch der Sandstrand verlockend. Warum auf dem Parkplatz ein Folkebootwrack in die Wiese eingegraben wurde, wo es jetzt entsetzlich anschaulich komplett verrottet und verfällt, wird mir aber ein Rätsel bleiben. Ich kenne das gruselige Mahnmal bereits, aber letztes Mal habe ich noch nicht gesehen, dass die Reste von Hauptschott, Schwalbennestern, Kojen und Backskisten als Trümmerhaufen in der Bilge liegen.

Donnerstag machen wir den Early Bird: Gegen Mittag ist mit 5-6 und heftigen Schauerböen zu rechnen. Wir legen kurz nach sieben bei vier Beaufort ab und erreichen um halb elf Schleimünde. Weil der Hafen weitgehend leer ist und es gerade so schön passt, verzichten Paula und ich mal wieder auf den Außenborder. Sie fährt mit der Fock so zielstrebig auf die Einfahrt zu, dass mir für einen Zeising ums Groß fehlt. Ich raffe das Tuch ins Cockpit, nehme irgendwann noch die Fock weg und muss mich kräftig um den Pfahl klammern, um die Restfahrt wegzukriegen, aber wenn das Manöver vielleicht nicht elegant aussah, war es doch immerhin kontrolliert, sicher und planmäßig. Bei Martha, Salty und Oli machen wir wieder Teamwork, bis alle sicher fest sind und ich merke, dass wir zu viert wirklich alles hinkriegen.

Unsere Ankunft ist eine absolute Punktlandung: Kaum ist das letzte Segel gepackt, schon setzt der Regen ein, begleitet von der ersten heftigen Bö - Zeit für die Mittagsstunde. Was mich mehr als nur ein bisschen irritiert: Als wir ankommen, laufen drei Yachten gerade aus der Schlei. Was eine Stunde später kommt, ist von allen Seewetterdiensten bestens angekündigt. Ich meine, von Sonnenaufgang bis es mit Eintreffen des Trogs ruppig wurde, hätte man acht Stunden sicher und zügig segeln können. Muss man da gemütlich frühstücken und sich dann auf die Ostsee begeben? Ich bin wenig überrascht, als ich nachmittags aus der Koje krieche, den Niedergang öffne und als Erstes das Tochterboot des Retters vorbeituckern sehe, im Schlepp eine Yacht mit zerfetztem Großsegel. Auch morgen, wenn wir bei 5-6 und mit einer Starkwind- und Gewitterwarnung im Nacken eben noch die letzten sechs Meilen motoren, wird es mich irritieren, dass da irrwitzige Crews im T-Shirt und unter Vollzeug auslaufen. Genau eine der zahlreichen Yachten wird da den Eindruck erwecken, die Crew wisse, was sie da draußen erwartet: Groß im dritten Reff, Ölzeug, Rettungswesten und Lifebelts sind angemessen. Die Anderen haben ganz offenbar im windgeschützten und sonnigen Kappeln den Eindruck bekommen, ein schöner Segeltag stehe bevor. Verstehe ich nicht.

Nun denn - wir verbringen Mittsommer also fröstelnd in Schleimünde und hocken einzeln unter Deck, weil es für die Kuchenbuden zu pustig wäre, aber eben haben wir gemeinsam im Windschatten der (derzeit geschlossenen) Giftbude zu Abend gegessen und die Woche Revue passieren lassen. Eine einsame Graugans schwimmt am Fenster vorbei, die Schauer und der Wind lassen nach. Morgen steht noch eine gute Stunde Motorbootfahren auf dem Programm, dann hat Arnis uns wieder. Und die Kieler Woche geht zu Ende, weswegen Paula und ich am Sonntag die Rückkehr des Sommers gebührend feiern wollen. Am liebsten in Marstal und Umgebung.

Dank an Rolf, Martin und Okko für eine tolle Woche!

Zum Abschluss wollen wir aber doch die phantastischen Hauptdarstellerinnen loben, die sich ihre Streicheleinheiten wieder einmal mehr als verdient haben. Martha, Salty und Oli - und natürlich Paula - stürzten sich mit mitreißender Begeisterung in die zeitweise aufgewühlte See, flößten ihren Seglern grenzenloses Vertrauen ein und brachten sie zuverlässig und sicher ans Ziel. Ich konnte sie unterwegs gar nicht angemessen knuddeln (sie waren schließlich verchartert), aber meine Euphorie haben sie wohl mitbekommen. Und sie machen ihren Job mit der gleichen Freude wie ich.

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