Paulas Törnberichte | ||||||
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Vier plus vier - Das intensivste Segeln
überhaupt
Paula und Martha segeln unbefangen und fröhlich
auf und ab. Saltys übersehene Zeisinge sind gelöst,
endlich steht das Groß. Nur Oliese hoppelt noch unter Fock
und Motor aufs Ufer zu, wendet, das Großfall verheddert sich.
Die schwarze Wand, die auf uns zu treibt, beginnt zu grummeln. Wir
brechen das Projekt, uns in geräumigem, geschützten
Terrain gemütlich einzusegeln, ab: Erstmal zurück
nach Arnis. Alle Segel sind geborgen, bevor uns der Böenkragen
erreicht. Plötzlich null Sicht, der Regen ergießt
sich in den Halsausschnitt des Ölzeugs. Sicherheitshalber
legen wir am
Mastenkran an. Dieses Spektakel hier droht uns den Tag zu
verderben - aber werden wir das zulassen?
Juni 2018
Von vornherein steht fest, dass es eine
außergewöhnliche Woche wird: Unterwegs mit vier
Booten und vier Personen. Diese sind Okko, der Martha schon zum dritten
Mal für einen Flottillentörn gebucht hat. Rolf, der
letztes Jahr schon dabei war - auch da gerieten wir in ein Gewitter,
mir kommt der Verdacht, er sei ein Regengott, und da ist es ganz gut,
dass wir diesen unvermeidlichen Programmpunkt jetzt gleich zu Beginn
abhandeln können. Binnenrevier-Drachensegler Rolf muss sich
nun mit Oliese anfreunden, nachdem er letztes Jahr zu Admiral Jacob ein
eher distanziertes Verhältnis pflegte. Und dann ist da noch
Martin, unser Newcomer: Als gebürtiger Hamburger erstmals auf
der Ostsee und an der Schlei, Einhandsegeln ist er auch nicht gewohnt -
aber zwischen ihm und Salty entwickelt sich schnell ein inniges
Vertrauensverhältnis. Das ist auch gut so, denn wir werden bei
viel Wind spannende Abenteuer erleben. Beide, Rolf und Martin, haben
viele ihrer Seemeilen auf Seen in Voralpenland sowie als Mitsegler im
Mittelmeer gesammelt, tendenziell einem Leichtwindrevier, wo
außerdem der Autopilot die Navigation erledigt und die
Elektrowinsch die Kraftakte erledigt.
Das Anlegen im Gewitter gelingt letztlich mühelos: Zwar
prasselt der Regen so heftig, dass wir uns mit Zeichensprache
verständigen müssen, doch es klappt ausgezeichnet.
Lediglich meine Schuhe sind vorläufig unbrauchbar,
für die Gummistiefel war keine Zeit mehr. Wir warten die
weitere Schaueraktivität ab, segeln mit einer leichten
Abendbrise noch nach Maasholm - Segelsetzen klappt vorzüglich,
auch bei Rolf und Oli - und gehen dort lecker essen.
Von da an sollten die Charterboote keine Meile mehr ungerefft segeln.
In der Technikfalle
Sonntag:
Eine stramme fünf aus Südwest bläst
uns ins Gesicht. Vorerst ist das nicht der Wind, bei dem die
Gäste sich reibungslose Manöver vorstellen
können. Superspezialservice ist gefragt: Ich helfe allen beim
Ablegen, binde die Boote an der Außenmole fest, wo in Ruhe
die Segel gesetzt werden können, woraufhin die Reise ohne
größere Hindernisse beginnen kann. Die potenziellen
Hilfspersonen sind weg, als Paula und ich ablegen, also müssen
wir uns etwas einfallen lassen - und erfinden das selbstablegende Boot:
Ich binde eine Vor- und eine Achterleine um die Sorgeleine der riesigen
Box. Der Wind treibt Paula achteraus daran entlang bis zum Heckpfahl.
Ich löse zuerst vorne, dann hinten, der Wind drückt
uns herum, bis der Bug Richtung Ausfahrt zeigt. Mit der
nächsten Bö kommt Paula in Gang, so treiben wir ruhig
aus dem Hafen. Dann setze ich Segel, das Groß in der
Abdeckung der Werft.
Ein erster Kommunikationsfehler kommt mir relativ bald in den Sinn,
während wir mit sieben Knoten über Grund aus der
Schlei huschen: Die sicheren und komfortablen, aber
umständlichen und zeitaufwändigen Ablege- und
Segelsetz-Manöver haben jeweils an die zwanzig Minuten
gedauert. Entsprechend groß sind die Abständen
zwischen uns. Auch Paula hat sich im letzten Moment fürs Reff
entschieden, spätestens damit ist klar, dass wir nicht ohne
Weiteres die Anderen einholen werden. Es wäre also klug
gewesen, zu vereinbaren, dass die Anderen in der Umgebung
Warteschleifen segeln, bis alle in Fahrt sind. Statt dessen sehe ich
bis Schleimünde nicht mal mehr Oli, die als Letzte vor uns
abgelegt hat. Und auch danach sind die Drei höchstens zu
erahnen inmitten der zahlreichen weißen Flecken am Horizont.
Die
Vereinbarung lautete: Wenn Paula und ich als Erste an der
Untiefentonne Pøls Rev ankommen, warten wir dort.
Bevor wir den Wegpunkt in Sicht haben, hüllt uns ein Schauer
in miserable Sicht. Als der Regen aufhört und sich
schüchtern die Sonne durch ein Gucklock wagt, habe ich die
Tonne in Sicht. Und Martha, die dort extra das Groß geborgen
hat, um auf uns zu warten. Oliese meldet sich über Funk - Rolf
hat im Regen die Orientierung verloren, wird aus der Seekarte nicht
schlau und aus dem GPS schon gar nicht. Es zeigt ihm eine Weile an, er
solle 22 Grad fahren. Da hat es wohl Recht, Olieses Position ist zu
weit westlich, und beizeiten zwölf Grad abzufallen
hätte geholfen. Nach langem Hin und Her erfahre ich die
Position und lotse ihn zu unserer.
Über Salty mache ich mir zunächst keine Sorgen -
Martin hat Navionics an Bord. Als wir wieder auf Nordkurs sind, komme
ich allerdings ins Grübeln: Salty ist nach Martha gestartet.
Martin wäre sicher nicht von selbst auf die Idee gekommen,
dass dies ein verbindlicher Treffpunkt ist - das haben wir nicht
deutlich genug formuliert. Aber er hätte ja an Martha
vorbeifahren müssen. Hm. Über Funk kommt keine
Reaktion, ans Handy geht er auch nicht. Allmählich formiert
sich in meiner Phantasie das Szenario einer hilflos treibenden Salty
und eines über Bord gefallenen Skippers. Ich bin kurz davor,
die Seenotrettung zu verständigen. Aber dann zeigt mir Paula
ein weit entferntes Segel, das unverkennbar auf die
Helnääs Bugt zuhält. Das ist unser heutiges
Ziel, und da werden ansonsten nicht allzu Viele hin wollen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass das dort Salty ist, scheint mir ausgesprochen
hoch.
Die
Maus liegt dann auch friedlich an der Mooring, als wir in die Bucht
segeln und unseren Ankerplatz suchen. Dort bauen wir uns ein
einstündiger Arbeit unsere eigene Insel: 7,64m lang, 8,80m
breit, vierfach verankert und leise schaukelnd und
plätschernd. Eine prächtige Abendsonne kommt zum
Vorschein, als Martin uns mit einer vorzüglichen
Thunfischsoße verwöhnt. Die zwei Töpfe
Pasta kocht Paula. Später werde ich bedauern, dass ich nur
unserem Neuzugang gesagt habe, jeder müsse einmal für
alle kochen - Rolf hat nur Miracoli mit, Okko auch eher spartanische
Fertigküche. Aber dieser Ankerabend in Paulas
großem, gemütlichen Cockpit ist ein wunderbares
Gruppenevent in unserer außergewöhnlich kleinen
Runde. Die Nacht wird dann etwas unruhig, weil der Wind gegen drei Uhr
unangekündigt auf Süd dreht und der Schwell recht
ungehindert in die Bucht läuft.
Das Thema Navigation wird uns weiter beschäftigen, bis zur
ausgiebigen Nachbesprechung bei der Bootsrückgabe. Rolf macht
bis dahin riesige Fortschritte: Er begreift unmissverständlich
und für alle Zukunft, dass es nicht ausreicht, dem Rest der
Gruppe hinterherzusegeln. Sondern dass jeder auch auf sich allein
gestellt in der Lage sein muss, das Ziel zu erreichen. Und er beherzigt
meinen Rat mit der Daumennavigation - Breiten- und Längengrad
des GPS mit Fingern oder nach Augenmaß grob zu folgen, ergibt
auf einen Daumenabdruck genau die Position. Und vor allem im
großen Maßstab der Detailkarte ist das hinreichend
genau, um Tonnen und Landmarken eindeutig identifizieren zu
können. Man könnte einwenden, es sei eine
gründlichere Einweisung in den Gebrauch des alten, schlichten
Garmin 72 hilfreich gewesen. Ich denke eher an den umgekehrten Weg: Das
Gerät ist allenfalls ein Backup - dringend nötig ist
die Botschaft, die von einer ausgebreiteten Seekarte nebst Zirkel,
Kursdreieck, Bleistift und Notizblock ausgeht. Denn Wegpunktnavigation
reißt Segler, die es sich angewöhnt haben, nichts
als der Elektronik zu vertrauen und denen der Blick auf die Karte und
aufs Wasser verloren gegangen ist, nicht aus der Technikfalle.
Ins Paradies
Unser
Ziel bei Südwest 4-5 ist Sottrupskov im Als Sund.
Segelsetzen klappt, die Navigation auch. Die Schauer ziehen vor uns
durch oder lösen sich rechtzeitig auf, und ich behalte die
Anderen im Blick, bis wir im Als Fjord in Nieselregen geraten. Da hat
sich die Wegpunktnavigation längst wieder bewährt:
Ich zum Beispiel fahre so lange auf Westkurs, bis ich die als Wegpunkt
gespeicherte Einfahrt in den Als Fjord auf einem nach der Wende
segelbaren Kurs peile. Das heißt: Scheinbar endlos lange
Richtung Genner Bugt - um dann gerade so an der Dyvig
vorbeizuschrammeln.
Alle
kommen sicher an, und der kleine Steg vor dem winzigen Ort in der
idyllischen Umgebung weckt Begeisterung. Martin sagt:
„Nicolas - du führst uns ins Paradies!“
Nun weiß ich das nicht, ob ein Dixi-Klo und eine wackelige
Pontonbrücke als Inbegriff des Gartens Eden
konsensfähig sind, aber aus irgendwelchen Gründen
fahre ich ja dauernd hier hin, und dazu gehört: Es ist einfach
schön hier. Ruhig. Anders als im Alltag. Anders als in
modernen Marinas. Anders als am Mittelmeer. Und dadurch auf
rührende Weise perfekt. Sogar der introvertierte Rolf
gerät ins Schwärmen, und das freut mich enorm.
Die Folkeboot-Invasion
Bis
hierhin ist es eine phantastische Reise, wenngleich auch bereits
deutlich geworden ist, dass wir wenig Reserven für Pannen
haben: Lauter Einhandsegler, jeder muss funktionieren, jeder muss
durchhalten. Wird das am nächsten Tag der Fall sein? Unser
Ziel lautet Flensburg. Martin muss nämlich Mittwoch
früh bereits abreisen und zu einer Familienfeier fahren. Damit
das nicht bedeutet, dass er auf eigene Faust Salty zurück nach
Arnis bringt, habe ich Björn als
Überführungscrew angeheuert - und Flensburg ist
für seine An- und Martins Abreise ein idealer Standort.
Außerdem denke ich schon länger darüber
nach, dort zum ersten Mal mit Paula hinzusegeln. Zum beharrlichen
Westwind dieser Woche passt das auch wesentlich besser als ein
Abstecher weiter in die Südsee - aber für heute
heißt es Kreuzen, was das Zeug hält, bei 5-6 wird es
sportlich werden, aber zur Belohnung gibt es völlige Abdeckung
und, so hoffen wir, ein standesgemäßes
Plätzchen im Museumshafen.
Zu
Beginn genießen wir die Abdeckung der Wälder im
Als Sund. In Sønderborg segeln wir eine halbe Stunde
umeinander herum im Kreis und warten auf die
Brückenöffnung. Die passieren wir gesittet und
kontrolliert unter Motor - und dann geht es drunter und
drüber. Wir und Okko setzten gleich wieder die Segel, wie ich
das auch morgens bei der Besprechung empfohlen habe. Der Satz ist wohl
ein bisschen untergegangen - Salty und Oli tuckern in die Bucht raus,
wo sofort die volle Dröhnung Wind und eine kabbelige See
stehen. Martin bekommt nach einigem Gezerre das Groß hoch.
Rolf nicht: Wieder einmal klemmt die Großschot, bevor das
Tuch oben ankommt, und dann verhakt sich das Fall hinter der
Jumpstagspreize. Zwar kommt Rolf von selbst auf die Idee, in den Schutz
des Hafens zurückzukehren, aber mit all den unklaren Leinen
wird das natürlich auch jetzt nichts mit dem unkomplizierten
Segelsetzen.
Paula
und ich legen an einem der Dalben bei den Fischern an. Ich winke
Oliese heran. Binde sie an Paulas Heck fest, klariere die Fallen, halte
Händchen an der Vorleine, während Rolf nun doch sein
Erfolgserlebnis bekommt. Endlich endlich endlich können wir
los - das Ganze hat eine knappe Stunde gedauert, nachdem wir auch schon
eine Stunde später ausgelaufen sind als geplant. Es geht auf
dreizehn Uhr hin, und wir sollen noch zwanzig Meilen gegen Wind und
Strömung in die Förde hoppeln. Ich gebe zu,
kurzzeitig ist meine Laune im Keller und mein Nervenkostüm
überbeansprucht. Zu spüren bekommt das die Crew einer
Hallberg Rassy, die die benachbarte Bunkerpier ansteuert. Oliese
schwoit in ihrer Ideallinie, aber ich würde von den Leuten
doch erwarten, dass sie in der Lage sind in einem so
geräumigen Hafen auch mit einem kleinen Schlenker
längsseits anzulegen. Sie fahren aber in zwei Metern Abstand
an Olis Heck vorbei. Seemannschaft? Rücksichtnahme? Dieses
Verhalten da würde mir auch gegen den Strich gehen, wenn ich
nicht gerade sowieso kurz vorm Durchdrehen wäre. Also schnauze
ich sie so laut und unmissverständlich an, wie ich kann. Und
finde jetzt, beim Schreiben, also im Nachhinein, nachdem sich die Wogen
geglättet haben, dass ich Recht habe.
Meine
Laune ändert sich sofort, als Paula zunächst
mit Südkurs durch die Sønderborg Bugt
pflügt und die Kreuz dann absolut phantastisch läuft.
Der bedeckte Himmel reißt auf, die Förde zeigt sich
von ihrer schönsten Seite. Ein prima Revier: Nach und nach
lässt die Welle nach, aber es ist viel mehr Platz zum Kreuzen,
Toben und Spaß haben, als in der engen Schlei. Selbst die
gefürchtete Schwiegermutter ist kein Problem: Die Tonne ist
nun wirklich nicht zu übersehen und lässt sich
mühelos an Backbord lassen. Auf diesem Schlag können
wir fast auf Halbwind abfallen, und Paula versegelt, selbst Ruder
gehend, eine Charteryacht, die mit auf
Sturmfockgröße eingerolltem Vorsegel, mitlaufendem
Motor und staunender Crew in unserem Kielwasser zurückbleibt.
Um Holnis herum scheint es für einen Moment, als
stünde uns ein zäher Abend bevor: Hier ist die
Förde am engsten, die Strömung am stärksten,
und das nahe Ufer sorgt für unwillkommene Abdeckung - es geht
nur noch mit vier Knoten auf schlechtem Kurs voran. Doch als wir wieder
vollen Wind haben, dreht der auf West, und wir können ohne
weiteren Holeschlag in die Stadt segeln, an den Ochseninseln vorbei,
die bisher das Weiteste war, zu dem Paula und ich in dieser Gegend
gekommen sind.
Dann
Flensburg: Historie und Industrieromantik sind außer der
Abendsonne die ersten Vorposten. Am Ende der Innenförde
erwarten uns neben Verkehrslärm - gerade läuft ein
Feuerwehreinsatz - wunderbar-friedliche Abdeckung und der Museumshafen.
Es wird ein bisschen knapp - ich zähle gerade vier freie
Boxen. Eine davon liegt inmitten von lauter Folkebooten - die Frage, ob
wir hier überhaupt erwünscht sind, ist damit wohl
beantwortet. An Bord eines Restaurierungsobjektes treffe ich ein
hilfsbereites junges Pärchen, das mich und Paula in Ruhe Segel
bergen und anlegen lässt und sich dann rührend um
einen Schlüssel für uns kümmert, damit wir
den Steg verlassen und wieder betreten können. Am Ende leihen
sie uns ihren für den Abend - allerherzlichsten Dank
dafür!
Okko
kennt eine Tapas-Bar in der Fußgängerzone
gleich über die Straße, wo wir unseren letzten Abend
in der bisherigen Konstellation verbringen. Björn reist abends
noch an, ich muss Paulas Gästekoje mal wieder
freiräumen. Vorher zelebrieren wir aber das überaus
leckere Essen (mich überfordert nur, mir vier Gerichte merken
zu müssen, die ich bestellt habe, und mache mich als Erstes
gleich mal über Martins Garnelen her). Und wir tauschen uns
aus über erschöpfte Körper und müde
Arme - mir ist zweimal die Schot ausgerauscht, zweimal sind wir
abgefallen und ein Stück zurückgesegelt, um auf die
Anderen zu warten, und das Groß wieder dicht zu holen ist bei
solchem Gepuste effektiver als jede Muckibude. Martin fasst als
persönliches Fazit den bisherigen Törnverlauf
treffend zusammen: Dies sei das intensivste Segeln seines Lebens
gewesen. Und intensiv ist auf jeden Fall das richtige Wort.
Mit
Übernachtungsgast Björn wird es mal wieder
spät, denn Paula hat Rotwein an Bord. Morgens wird kein
Hafenmeister uns fragen „Na - habt ihr wieder
gesündigt?“, denn der Hafenmeister ist segeln. Ich
habe schon verstanden, dass der Flensburger Museumshafen nur bedingt
auf Gastlieger eingestellt ist, und dass wenn überhaupt nur
Klassiker willkommen sind. Also wir. Ich habe auch gelernt, dass der
Hafenkapitän nicht der Hafenmeister ist und beleidigt
wäre, wenn ich ihn aufs Liegegeld anspräche. Gegen
Mitternacht kommt zwei Plätze weiter aber noch der Kassenwart,
um nach seinem Boot zu sehen, und sagt: „Ist ja die reinste
Folkeboot-Invasion hier.“ Ich erkläre ihm die
Umstände, werde endlich meine fünfzig Euro los, und
es ergibt sich ein supernettes Gespräch, das mich in meinem
Bestreben bestärkt, überhaupt nur noch in
Häfen dieses Kalibers liegen zu wollen. Und derer gibt es
viele.
Everybody goes surfin'...
Ein
bisschen befürchte ich nun, die Spannung, den Genuss und
auch die Anforderung nun nicht mehr aufrecht erhalten zu
können: Am Mittwoch müssen wir schlicht
zurück aus der Förde, und die letzten beiden Tage
drohen in Sturm und Regen unterzugehen. Das Wort Antiklimax kommt mir
in den Sinn - aber es fügt sich ganz anders. Mehrstenteils
vorm Wind nach Mommark zu segeln, ist nämlich der Kracher. Es
sind wieder fünf bis sechs, aber eine richtig stramme sechs,
in einigen Drückern vielleicht sogar etwas mehr. Paula legt
traditionsbewusst als Letzte ab, und bis Holnis ist auch kaum
Aufkommen, weil wir alle mit Rumpfgeschwindigkeit unterwegs sind. Ab
der Schwiegermutter gibt es ein kurzes Stück Südkurs
mit dichten Schoten - zwar lasse ich mich von meiner Kompetenz beirren
und verzichte auf das Ölzeug, die eine oder andere kalte
Dusche kommt aber im großen Stil vom Bug her angeflogen,
zunächst zu meinem Entsetzen, bevor ich kaum noch
aufhören kann zu lachen. Währenddessen
überholt Paula Martha und kommt mächtig auf die
zuerst gestartete Salty auf.
Einholen
können wir sie erst, als bei Kalkgrund der Wind
vorübergehend ein wenig nachlässt. Dann surfen sie
nebeneinander in der typisch dort bei Westwind stehenden See.
Großer Spaß: Den nächsten Lachkrampf
bekomme ich, als das GPS einen Surf von über drei Sekunden
gemittelten 8,4 Knoten meldete. Soweit ich mich erinnere, hatten wir im
Großen Belt einmal 8,5 Knoten, wir liegen also dicht an
unserer historischen Höchstgeschwindigkeit. Im Schnitt geht es
über einen längeren Zeitraum mit sieben Knoten, und
am Ende haben wir 34 Seemeilen in fünfeinhalb extrem
unterhaltsamen Stunden zurückgelegt. Wie langweilig und
langatmig Segeln doch sein kann bei trägen drei Beaufort...
Dieser
Törn wäre auch bei einer Windstärke
weniger ausgesprochen gelungen gewesen, aber Boote und Skipper kommen
ausgezeichnet mit den Bedingungen zurecht. Inzwischen auch besser mit
der Navigation. Nun muss bloß noch das Anlegen gelingen. Denn
Mommark liegt zwar an der Leeseite von Als, aber von Abdeckung ist
mangels Wald oder hoher Gebäude keine Spur. Es pfeift wie
Hulle durch den Hafen. Ich finde für Paula einen
Längsseitsplatz an einem Fingersteg. Auf seiner Luvseite ist
Platz für die anderen drei - ich winke sie nacheinander zu uns
heran, halte eine Vorleine, während sie die Fender passend
für den Schwimmsteg hängen, dann ziehen wir mit
vereinten Kräften die Boote in Position. Bei Oli sind wir so
gut eingespielt, dass Rolf gar nichts weiter tun muss, als staunen. Es
brist wieder auf - gut dass wir fest sind. Das Groß
unfallfrei aufzutuchen, scheint mir bei diesem Seitenwind von
vornherein zwecklos, also probiere ich etwas, gegen das ich mich bisher
beharrlich gesträubt habe: Das Segel wird gerollt! Morgens
wird sich zeigen, dass das Auspacken, um das Fall anzuschlagen, viel
einfacher ist, als ich immer befürchtete. Da haben wir wohl
die neue Packtechnik gefunden. Leider verpassen wir darüber
die Küchenöffnungszeiten des Hafenbistros, und somit
den prächtigen Mommark-Burger, auf den Okko sich so gefreut
hat, aber immerhin Hot Dogs kann man uns noch anbieten. Und Mommark,
eigentlich mein Nothafen, weil sich nichts Anderes anbot für
diesen Tag, und gewiss nicht mein Favorit, entpuppt sich als ziemlich
charmant. Der Blick auf den Belt ist phantastisch, das Ambiente
mindestens okay, und in einer Hochdrucklage wäre auch der
Sandstrand verlockend. Warum auf dem Parkplatz ein Folkebootwrack in
die Wiese eingegraben wurde, wo es jetzt entsetzlich anschaulich
komplett verrottet und verfällt, wird mir aber ein
Rätsel bleiben. Ich kenne das gruselige Mahnmal bereits, aber
letztes Mal habe ich noch nicht gesehen, dass die Reste von
Hauptschott, Schwalbennestern, Kojen und Backskisten als
Trümmerhaufen in der Bilge liegen.
Donnerstag
machen wir den Early Bird: Gegen Mittag ist mit 5-6 und
heftigen Schauerböen zu rechnen. Wir legen kurz nach sieben
bei vier Beaufort ab und erreichen um halb elf Schleimünde.
Weil der Hafen weitgehend leer ist und es gerade so schön
passt, verzichten Paula und ich mal wieder auf den
Außenborder. Sie fährt mit der Fock so zielstrebig
auf die Einfahrt zu, dass mir für einen Zeising ums
Groß fehlt. Ich raffe das Tuch ins Cockpit, nehme irgendwann
noch die Fock weg und muss mich kräftig um den Pfahl klammern,
um die Restfahrt wegzukriegen, aber wenn das Manöver
vielleicht nicht elegant aussah, war es doch immerhin kontrolliert,
sicher und planmäßig. Bei Martha, Salty und Oli
machen wir wieder Teamwork, bis alle sicher fest sind und ich merke,
dass wir zu viert wirklich alles hinkriegen.
Unsere
Ankunft ist eine absolute Punktlandung: Kaum ist das letzte
Segel gepackt, schon setzt der Regen ein, begleitet von der ersten
heftigen Bö - Zeit für die Mittagsstunde. Was mich
mehr als nur ein bisschen irritiert: Als wir ankommen, laufen drei
Yachten gerade aus der Schlei. Was eine Stunde später kommt,
ist von allen Seewetterdiensten bestens angekündigt. Ich
meine, von Sonnenaufgang bis es mit Eintreffen des Trogs ruppig wurde,
hätte man acht Stunden sicher und zügig segeln
können. Muss man da gemütlich
frühstücken und sich dann auf die Ostsee begeben? Ich
bin wenig überrascht, als ich nachmittags aus der Koje
krieche, den Niedergang öffne und als Erstes das Tochterboot
des Retters vorbeituckern sehe, im Schlepp eine Yacht mit zerfetztem
Großsegel. Auch morgen, wenn wir bei 5-6 und mit einer
Starkwind- und Gewitterwarnung im Nacken eben noch die letzten sechs
Meilen motoren, wird es mich irritieren, dass da irrwitzige Crews im
T-Shirt und unter Vollzeug auslaufen. Genau eine der zahlreichen
Yachten wird da den Eindruck erwecken, die Crew wisse, was sie da
draußen erwartet: Groß im dritten Reff,
Ölzeug, Rettungswesten und Lifebelts sind angemessen. Die
Anderen haben ganz offenbar im windgeschützten und sonnigen
Kappeln den Eindruck bekommen, ein schöner Segeltag stehe
bevor. Verstehe ich nicht.
Nun
denn - wir verbringen Mittsommer also fröstelnd in
Schleimünde und hocken einzeln unter Deck, weil es
für die Kuchenbuden zu pustig wäre, aber eben haben
wir gemeinsam im Windschatten der (derzeit geschlossenen) Giftbude zu
Abend gegessen und die Woche Revue passieren lassen. Eine einsame
Graugans schwimmt am Fenster vorbei, die Schauer und der Wind lassen
nach. Morgen steht noch eine gute Stunde Motorbootfahren auf dem
Programm, dann hat Arnis uns wieder. Und die Kieler Woche geht zu Ende,
weswegen Paula und ich am Sonntag die Rückkehr des Sommers
gebührend feiern wollen. Am liebsten in Marstal und Umgebung.
Dank an Rolf, Martin und Okko für eine tolle Woche!
Zum Abschluss wollen wir aber doch die phantastischen
Hauptdarstellerinnen loben, die sich ihre Streicheleinheiten wieder
einmal mehr als verdient haben. Martha, Salty und Oli - und
natürlich Paula - stürzten sich mit
mitreißender Begeisterung in die zeitweise
aufgewühlte See, flößten ihren Seglern
grenzenloses Vertrauen ein und brachten sie zuverlässig und
sicher ans Ziel. Ich konnte sie unterwegs gar nicht angemessen knuddeln
(sie waren schließlich verchartert), aber meine Euphorie
haben sie wohl mitbekommen. Und sie machen ihren Job mit der gleichen
Freude wie ich.
weiter: Zuhause,
Zitronenkuchen und Zauberei