Paulas Törnberichte | ||||||
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Zuhause, Zitronenkuchen und Zauberei
Paula kann zaubern. Überrascht euch das? Nein,
den Zitronenkuchen hat sie nicht gezaubert, den habe ich beim
Bäcker in Ærøskøbing
käuflich erworben. Aber sie hat zum Beispiel die Idee zu dem
Zwischenstopp dort in meinen Kopf gezaubert. Und vor allem hat sie
für eine Woche gesorgt, in der wirklich alles perfekt gelang -
und das, obwohl ich mir überhaupt nichts Konkretes vorgenommen
hatte. Aber der Reihe nach - begonnen hat unser Ausflug in Marstal, wo
wir auf die Schnelle einen inoffiziellen Museumshafen
gründeten, und wo ich feststellte, dass ich mich hier am
allerdollsten zu Hause fühle. Und dann gab es auch noch
phantastische Neuigkeiten...
Juni 2018
Der
Hafenmeister grinst von der Pier herunter. „Wo bist du
gewesen?“, fragt er. Ich sage: „Im Lindelse Noor,
in der
Helnæs Bugt....“ Er hat natürlich Recht:
Wenn Paula
Marstal erreichte, fand ich in letzter Zeit immer, der Segeltag solle
jetzt und hier noch nicht zu Ende sein. Doch die alte Seefahrerstadt
ist untrennbar verbunden mit meiner eigenen Seglerkarriere. Auch heute
hätten sowohl wir als auch der Wind problemlos zwei, drei
Stunden
länger durchgehalten. Aber wir wollten endlich mal wieder nach
Marstal. Mein Gefühl dazu ist schwer zu beschreiben, ohne eine
Steigerung von „Zuhause“ in die deutsche Sprache
einzuführen. Zuhause fühle ich mich in Paulas
Cockpit. Am
meisten an der Pinne, aber noch viel meistiger, wenn wir in einem
wunderbaren, mit Leidenschaft, Können und Teamwork ersegelten
Hafen liegen. Oder besser fast noch vor Anker. Zuhause ist unterwegs.
Wer jetzt denkt, dass ich ja auch eine schöne Wohnung habe und
Paula einen Heimathafen, kennt uns nicht gut genug - womit ich nichts
Negatives über Wohnung und Heimathafen sagen möchte.
Dort ist
es okay.
Aber
jetzt hier in Marstal spüre ich, dass es einen Unterschied
macht,
ob wir in einem wahnwitzig tollen Hafen oder an einem
superromantischen, perfekt geschützten Ankerplatz liegen -
oder ob
wir uns mal wieder am zuhausigsten Ort der Welt blicken lassen. Wir
liegen am inzwischen weitgehend abgetragenen Sandhaufen, zwischen Samka
vor uns und Bonavista sowie dem Smakkejollen-Hafen nebst Folkeboot
hinter uns. Gerade habe ich Schoner Bonavista, in der Hoffnung, sie
könne offene, ehrliche Worte ertragen, gesagt, sie sehe
inzwischen
- sechs Jahre nach ihrem zweiten Stapellauf - scheußlich und
abgerockt aus. Dabei war damals schon absehbar, dass für den
weiteren Ausbau des Rumpfes zu einem segelklaren Schiff die Mittel
fehlten. Und die Sonne tat inzwischen ihr Übriges, um
Nähte
aufgehen zu lassen und Lack mürbe zu machen.
Dann kommt der Hafenmeister. Er kassiert 130 Kronen - und bringt
außer seiner unerschütterlichen guten Laune eine
grandiose,
unübertreffliche, wundervolle Nachricht mit: Bonavista wird
weitergebaut! Ich stürme gleich mal rüber zur alten
Dame. An
Deck finde ich nun reichlich frisches Eichenholz und
Sägespäne. Unter Deck bleibt mir fast die Luft weg,
obwohl
der Innenraum prima durchlüftet ist. Ich entdecke die ersten
Teile
eines Innenausbaus mit Maschinenraum und Kabinen. Einen
Fäkalientank. Einen Riss mit den Originalplänen und
einen
zweiten mit dem, wie es jetzt werden soll. Und als Prunkstück
stand auf einer Europalette, den Hubwagen noch untergeschoben: Ein
nagelneuer Yanmar-Diesel!
Zurück
an Deck unterhalte ich mich in unbeholfenem Dänisch mit einem
durchaus deutschkundigen, aber meine Versuche respektvoll
wertschätzenden Bootsbauer über das, was sich hier
abzeichnet: Bis zum nächsten Frühjahr wird Bonavista
segelklar sein, mit Motor, Mannschaftsräumen, Rigg und Segeln.
Nach sechs Jahren der Ungewissheit hat sich ein Sponsor gefunden - und
in Dänemark gibt es nur einen einzigen potenziellen Sponsor,
nämlich A.P. Møller. Wann das nächste
Großevent
nach dem Stapellauf - und ein Großevent wird es sein -
stattfindet, darüber höre ich
widersprüchliche Aussagen,
die zwischen dem 17. Mai und Himmelfahrt variieren. Das lässt
sich
sicherlich noch beizeiten recherchieren, aber egal wann, Paula wird
dabei sein. Wenn möglich in Begleitung ihrer
Charterschwestern.
Und am liebsten mit so vielen Holzfolkes, wie sich nur irgendwie
mobilisieren lassen. „Vi glader os“, versichere ich
der
alten Dame.
Derart euphorisch erwarte ich Martha - sie wollte so gerne vor der
Schwedenreise noch einen Ausflug machen, und Björn
erklärte
sich bereit, in Begleitung seiner zum ersten Mal in ihrem Leben
segelnden Cousine diesen Ausflug möglich zu machen,
während
seine Jane in der Werft der Anprobe des neuen Achterstevens vornehmen
ließ. Was ich zunächst rotrümpfiges
über die
berühmte Steinmole hinweg erblicke, ist eindeutig nicht
Martha.
Die Segelnummer erinnert mich an unser Ersatz-Groß, das
derzeit
unter Saltys Persenning schlummert. Und richtig: Das sind Holger und
Louise. Und eine halbe Meile dahinter Martha, Björn und
Carina.
Wir
improvisieren also ein spontanes, kleines Folkeboot-Treffen: Martha
serviert nach Tortellini mit Pesto für die Crew leckere
Käsehäppchen mit Feigensenf für die
Gäste. Holger
greift zu und entschuldigt sich dafür, dass es bei Louise an
Bord
kein Getränk gebe außer Champagner - doch der
Schampus wird
auch geleert, und zum Nachtisch gibt es eine Geschichte, bei der dann
außerdem noch Gammeldansk eine Rolle spielt. Holger ist
nämlich auch ein Zauberkünstler, und vor allen Dingen
kann er
sagenhaft Geschichten aus dem Hut zaubern, die er unnachahmlich lebhaft
vorträgt. Einen wie ihn hat man also gerne auf der Ruderbank
lümmeln, auch wenn es böse am Käsevorrat
für die
Reise zehrt.
Das hat morgens beim Aufwachen aber niemand mehr präsent.
Carina
schläft noch. Björn hat zwar schon Kaffee
geschlubbert, ist
also halbwegs wach, hat aber noch keine Tagesplanung zurecht. Louise
ist klar zum Auslaufen. Ich habe immerhin schon einige Bleistiftstriche
und Koordinaten in die Seekarte eingetragen - denn wir wollen
zunächst nach Birkholm kreuzen, dann über den Claus
Grund
nördlich an Birkholm und Strynø vorbei und
schließlich mit der Strömung durch den Svendborg
Sund
segeln. Wo wir dann anlegen werden, wird sich zeigen. Über das
unbetonnte Fahrwasser sagt Holger abwinkend: „Nichts
für
mich. Ich will nicht festkommen.“ Dem neuen Konzept folgend,
benutze ich die längst eingegebenen Wegpunkte nicht, sondern
suchte unseren Weg ausschließlich nach der Seekarte. Nach
Landmarken, Echolot und gelegentlich GPS-Koordinaten.
Bis es so weit ist, haben wir zunächst Louise vor uns, doch
die
nimmt die Querfeldein-Abkürzung Richtung Mørkedyb
südlicher als wir, so dass wir bei der Kreuz durchs Fahrwasser
vorne liegen. Wir halten wacker unseren Vorsprung, obwohl mir dreimal
die Großschot ausrauscht, weil ich in der Wende mit dem Knie
an
die Schotklemme komme. Verkehr ist außer Louise und Paula
kaum.
An Birkholm vorbei fallen wir ab - und Louise folgt uns. Holger hat
zweifellos Blut geleckt, will aber mangels eigener Vorbereitung die
Navigation des Hinterherfahrens betreiben. Dazu ist jedoch der Abstand
zu groß - er findet den Punkt nicht, an dem wir unsere Halse
nördlich der Untiefe fuhren. Louise scheut, dreht ab und
segelt
zurück, garantiert auch einem schönen Ziel entgegen.
Und
Paula? Auch sie hat sich etwas vorgenommen: Sie findet, nun sei es an
der Zeit, ihre Karriere als Zauberlehrerin und Akrobatin zu vertiefen.
Nachdem wir mit sechs Knoten durch das unbetonnte Terrain gesaust sind,
fädelt sie sich ins Rudkøbing Løb ein,
nähert
sich über die Lunke Bugt dem Svendborg Sund. Wir treffen ein
armseliges Etwas, wie wir es selten gesehen haben: Eine kleine, klobige
Yacht, die mit raushängenden Fendern unter ständig
schlagender, weil hoch am Wind partout nicht dichtgeholter, Genua
Richtung hoppelt. Wir überholen solch miserable Seemannschaft
eilig, denn wir haben Besseres zu tun: Im Svendborg Sund mit der
Strömung zu spielen.
Die läuft die ganze Zeit mit, während der Wind von
Nordwest
auf Südwest und zurück auf West variiert. Und das
heißt: Wir können mit schlagenden Segeln an den
Tonnen
vorbei treiben - ein Riesenspaß! Zuvor vergnügen wir
uns mit
„Wo ist das Folkeboot?“: Wir täuschen
links an, dann
rechts, dann wieder links, tasten uns im Lauf der Strömung
dicht
an das Monster heran, das wir schließlich durch
entschlossenes
Ruderlegen gezielt auswandern lassen und passierten - don't try this at
home kids! Nach Jahren sparsamer Blicke und leichter Panik drehen Paula
und Nicolas nun den Spieß um und machen sich ein
Vergnügen
daraus - Zauberei und Akrobatik eben. Der Wind dreht ganz und gar nicht
passig, eher gesagt haben wir von Troense bis Skarø gegenan,
aber das macht es erst interessant. Wenn es den Svendborg Sund noch
nicht gäbe, müsste er dringend erfunden werden.
Weil
es ja nunmal kein Nordwest mehr ist, wagen wir uns als Tagesziel nach
Ommel (wo man bei Nordwest unruhig läge). Der Anleger gelingt
nicht elegant, aber dennoch souverän: Eine Platzrunde unter
Fock,
um die Bedingungen abzuchecken. Dann eine Punktlandung unter Topp und
Takel. Bei auflandig vier Windstärken kann ich das noch nicht
allzu oft gemacht haben, es wirkt jedenfalls neu und aufregend. Wir
liegen büschn kappelig, aber im Laufe der Nacht wird der Wind
ja
vielleicht nachlassen. Und es ist allemal ruhiger als in Marstal, wo
gegen drei Uhr dreißig ein sportlicher Nordwind seinen
Schwell an
den Liegeplatz warf. Das Licht der Abendsonne ist ein Traum, ein Angler
sucht den Platz, wo der Fisch steht, und stört sich nicht
daran,
dass in voller Lautstärke der Soundtrack der Saison
läuft,
während Paula die Nudelsoße mit Lachs und Gorgonzola
gart -
Holger wäre dahingeschmolzen wie der Käse. Das Leben
kann
sehr schön sein - aber es muss sich an magischen Abenden wie
diesem messen.
Morgens
kehrt der Sommer im großen Stil zurück. Die
Wollmütze
bleibt unter Deck, und wir wechseln die Strategie: Gestern noch sind
wir 38 Meilen gesegelt und in fußläufiger Entfernung
vom
Ausgangspunkt angelangt - aber so lange, so weit, so viel und so
schön wie möglich gesegelt. Nun lautet die Vorhersage
„schwach umlaufend“, und wir lassen uns etwas Neues
einfallen: Ich denke, wir segeln nur ein relativ kurzes Stück.
Paula zaubert eine bessere Idee in meinen Kopf: Wir segeln zwei kurze
Stücke. Und dazwischen kaufe ich in
Ærøskøbing
diesen prächtigen Kuchen.
Ein Zwischenstopp - das machen wir zu selten. In
Ærøskøbing zum Beispiel ist der Hafen
oft zu voll
für meinen Geschmack, aber die Stadt zu schön und
liebenswert, um sich hier niemals blicken zu lassen. Paula
schlägt
vor, nach dem viel zu leichten Anleger nun tiefer in die Trickkiste zu
greifen und beim Ablegen ein Stück rückwärts
zu segeln,
damit sie Platz für ihre Drehung erhielte. Ich nehme zur
Kenntnis,
dass ihr Heck bei diesem Manöver in die Richtung tendiert, in
die
ich den Großbaum drücke. Wir werden das
demnächst ein
bisschen verfeinern - wenn die Schot nicht klemmt und der Baum komplett
rausgeht, muss es doch auch möglich sein, geradeaus
rückwärts zu fahren...
Wie ein Vollmond schmückt nun dieser saftige, leuchtend gelbe,
überaus köstliche Zitronenkuchen das Cockpit. Vor dem
Hochgenuss freuen wir uns zunächst über den
unerwarteten
Speed von vier bis fünf Knoten und nähern uns von
Westen her
der Nordseite Drejøs. Ich fände es schick, eine
kleine
Runde zu drehen und auf Bjørnø nachzusehen, ob
Björn
wie angekündigt „seine“ Insel endlich mal
erkundet.
Dann würde ich sogar zu Kaffee und Kuchen einladen. Paula ist
dagegen - nicht aus Geiz, sondern weil man es nicht überreizen
darf. Wir wollen in den Gamle Havn, und wenn während der zehn
Meilen extra plus Kaffeepause der Wind ausgeht, ist der Tag nicht mehr
perfekt. Also fahren wir den direkten Kurs um die Untiefen herum.
Das
Anlegen ist der nächste Zaubertrick: sportlich, aber
kontrolliert.
Ich könnte das Groß vorzeitig runternehmen und die
Pütz
zum Bremsen raushängen, um es eleganter zu machen, doch in der
Pütz steckt die halbgefüllte
Mülltüte, und das
Groß schlägt und flattert und bremst uns immerhin
von vier
auf eineinhalb Knoten runter, nur kann ich in dem winzigen Hafen mit
dem gesetzten Segel keine Platzrunde einschließlich Halse
fahren,
um noch mehr Auslauf zu haben. So muss es also Muskelkraft am Heckpfahl
schaffen, und das klappt problemlos. Es ist recht früh am
Nachmittag, also kann ich nicht nur den herrlichen Kuchen ausgiebig
genießen, sondern auch noch sowohl Landgang als auch
Mittagsstunde. Ein überaus gelungener Tag also, der noch
versüßt wird durch allerlei Kommentare mit dem
Tenor, Paula
„ser flott ud.“
Am
Mittwoch - wieder soll es schwachwindig sein und wird überaus
kurzweilig - nehmen wir uns nicht mehr als den kurzen Schlag nach
Lyø vor. Ziemlicher Kulturschock, in einem
„richtigen“ Yachthafen zu liegen nach der magischen
Abgeschiedenheit der letzten Tage. In engen der Hafeneinfahrt fahren
wir eine Wende, die mal wieder an Zauberei zumindest grenzt. Dann ist
erneut Zeit für Landgang. Wieder ist es kulinarisch wertvoll -
der
Hafenmeister verkauft in seiner Eigenschaft als Kaufmann diese
köstlichen Blätterteigsachen. Wieder Mittagsstunde -
es ist
nachtmittags auch viel zu heiß, um etwas Anderes zu tun, als
träge in der Koje zu liegen. Der Liveticker der BBC informiert
mich nebenher über das jämmerliche Ausscheiden des
Titelträgers bei der Fußball-WM - und ich freue
mich. Vor
vier Jahren gönnte ich der Mannschaft ihren Erfolg vorwiegend
aufgrund der Tatsache, dass sie den besten Fußball spielte.
Diese
Jahr bin ich der Meinung, dass diesem Land ein den Nationalstolz
beflügelnder Erfolg nicht gut täte.
Abends gibt es ein Bierchen auf Folkeboot Red Bull und phantastisches
Licht mit satten Farben, bevor untergehende Sonne und aufgehender
Vollmond das flautige Meer in dieses unübertreffliche,
goldgelbe
Tiefblau hüllten, wegen dem allein schon sich eine Reise hier
hin
allemal lohnt. Morgens hat der Wind erwartungsgemäß
gedreht
und steht auf Paulas Heck. Ich muss sie also drehen, das
heißt,
aus- und rückwärts wieder einparken. Wir machen das
mit
Leinen und Fingerkuppen. Ein freundlicher Segler schlägt vor:
„Soll ich dich abstoßen?“ Ich sage:
„Nee nee,
vielen Dank, ich will ja erst noch die Segel setzen.“ Als wir
dann lautlos und majestätisch in der Morgenbrise durch den
Hafen
schweben, ruft jemand „Bravo“ und ein Anderer
wünsche
mir „einen schönen Tag mit Paula.“
„Danke,
den machen wir uns“; antworte ich. Und weiß noch
gar nicht,
was kommen wird. Möglichkeiten haben wir üppig, aber
im
Grunde ist erneut schwachwindig angesagt wie in den letzten Tagen. Da
haben wir aber eine Menge Wind liegen lassen, also traue ich uns nun
einen längeren Schlag zu. Die Überlegung, die
kommende Nacht
- Nordwest drei zunehmend vier, wolkenlos, heller Nordhimmel und
Vollmond - zum Segeln zu nutzen, verlockt mich, aber ich entscheide
mich dann doch dagegen. Und es zieht mich in die Dyvig - da waren wir
dieses Jahr noch nicht und würden wohl auch sonst nicht mehr
hinkommen. Was folgt, hätte mich in früheren Zeiten
wahnsinnig genervt und enttäuscht und geärgert und
schließlich zu stundenlangem Gebrauch des
Außenborders
veranlasst, um zumindest irgendein Ziel zu erreichen. Nicht so dieses
Mal: Diesmal hat Paula gezaubert. Und zwar hat sie zwar keine stetige
mäßige Backstagsbrise gezaubert, aber eine
phantastische
Stimmung, in der mit die Zeit nicht lang wird, auch nicht mit einem
halben Knoten. Wir brauchen satte elf Stunden für gerade mal
dreiundzwanzig Seemeilen - obwohl es zu Beginn durchaus
vielversprechend vorangeht. Nördlich von Als schläft
der Wind
kurz ein, dann flirten wir wieder mit dem Drittknoten. Statt eines
Rendez-vous kommt....die nächste Flaute. Den
süßen
Schweinswal, der um uns rum schlawenzelte, finde ich überhaupt
nicht toll: „Euch sieht man immer nur bei Flaute“,
rufe ich
ihm vorwurfsvoll zu.
Das
Tier taucht ab, das Wasser kräuselt sich, und wir fahren
wieder
mit akzeptablem Speed weiter. Dann ist wieder Ententeich. Doch Paula
verzaubert das Meer, verzaubert mich, verschafft mir die Geduld, die
innere Ruhe und den Blick, den ich brauche, um es schlicht zu
genießen, ungestört mit ihr hier draußen
zu sein, ein
paar Kabellängen vom Ufer, auf unbestimmte Zeit und ohne
jegliche
Not, diesen Zustand schnell zu ändern. Ein einziges Mal
treiben
wir mit der Strömung aufs Ufer zu - das ist neben aufkommendem
Gewitter der einzige handfeste Grund, den Motor zu starten - doch wir
wenden einfach, und Paula segelt sich in Sicherheit. Es wird
später und später - und mich, bestens mit Proviant
versorgt,
stört das überhaupt nicht. Im Gegenteil beobachtete
ich
fasziniert die Spielchen, die der einschlafende und wieder aufkommende
Wind treibt und habe überhaupt nicht das Bedürfnis,
alsbald
anzukommen. Schon gar nicht ärgere ich mich, wie es eigentlich
nahe läge, darüber, nicht einfach in der
Helnæs Bugt
verschwunden zu sein, als die noch in Reichweite lag und eine
freundliche Brise wehte.
Eine Stunde oder länger kreuzen wir tapfer in einem schmalen
Streifen Landbrise. Als das Gekräusel unverkennbar zu Ende
geht,
Wind und Strömung entschieden gegen uns stehen und wirklich
niemand in Sichtweite mehr Tuch oben hat, finde ich, dass wir uns durch
so viel Tapferkeit und Geduld das moralische Recht auf eine Belohnung,
einen guten Ausgang, womöglich gar glücklichen Wind
erworben
haben. Es sind ja nur noch sechs Meilen. „Aber“,
murmele
ich, „ich weiß ja selbst, dass das so nicht
läuft.“
Im nächsten Moment wird irgendwo an Bord ein Zauberstab
geschwungen, und es kommt aus dem Nichts der Nordwest. Paula rennt mit
fünf Knoten los und in die Dyvig hinein. Tief zufrieden und
breit
grinsend werfe ich den Anker ins trübe Wasser. Folkeboot Lara
liegt ein Stück weiter - da hängt aber noch der
Außenborder ins Wasser, während ich es keine Sekunde
bereut
habe, darauf zu verzichten. Es war nämlich wirklich
schön,
bis zum Schluss da draußen auf dem Wasser gewesen zu sein.
Und
noch schöner, tatsächlich belohnt worden zu sein.
Pure Magie
war da am Werk, und wenn ich etwas bedauere, dann war es die Tatsache,
dass auch ich früher oft genug entnervt den Motor angeworfen
habe,
wenn Paula mir eigentlich noch etwas zeigen wollte, das ich dann in
meiner menschlichen Betriebsamkeit versäumte.
Am
nächsten Tag müssen wir zurück nach Arnis.
Er soll ganz
anders werden. Und das wird er auch. Oder gerade nicht - wieder gibt es
eine Spur Magie. Und eine noch viel größere Spur von
„Paula hat alles im Griff.“ Sie weckt mich vor
sechs. Zwar
fühle ich mich unausgeschlafen, verstehe aber sofort, dass wir
uns
für 45 Seemeilen ein bisschen ranhalten müssen, auch
wenn ja
ein passiger Wind angesagt ist: Nordwest, nordostdrehend, drei bis
vier, zunehmend fünf. Ich gehe nicht Anker auf, ohne vorher
das
Deck zu schrubben und auch sonst ein bisschen aufzuklaren. Dann segeln
wir aus der Bucht. Lara folgt uns, aber Paula scheint schneller zu
sein. Lara läuft dann auch einen anderen Kurs, offenbar mit
Ziel
Assens.
Als wir Fyns Hav in Sicht haben, wird es richtig nervig. Ich meine: so
richtig furchtbar nervig. Der Wind ist erschreckend schwach,
abwechselnd aus Nordwest und Nordost. Aus Nord läuft eine
gehörige See und bringt Paula in ruppiges, unangenehmes
Rollen.
Das Groß hat nur punktuell Druck, mehrfach muss ich Halsen,
also
in dem entsetzlichen Geschaukel den Fockausbaumer shiften, und der
indiskutable Speed, der daraus resultiert, lässt den
nächsten
Dämmertörn befürchten. Oder erhoffen?
Irgendwann
können sich die Winde darauf einigen, dass nun der Nordost
für uns zuständig sein soll, und damit läuft
es passabel
- wobei viereinhalb Knoten mich auch nicht in ungläubiges
Staunen
versetzen. Das kommt erst später. Auf den letzten Meilen vor
Schleimünde fallen mir einige Dinge auf: Es ist relativ wenig
Wind, drei bis vier aus Nord, mehr kann es nicht sein, denn ich halse
das Groß weiterhin aus der Hand, und bei fünf
Windstärken würde das ordentlich krachen. Selbst
für
diesen mäßigen Wind sind wir aber erheblich zu
langsam, aus
zeitweise fünfeinhalb Knoten sind knappe vier geworden, und
das
schaffen wir auch bei nur drei Beaufort höchstens mit
Treibanker.
Gleichzeitig ist die Welle im Verhältnis zum Wind mal wieder
erheblich zu hoch, aber nicht so, wie bei einer Dünung,
sondern
vorwiegend eigentümlich steil. Das alles kann nur bedeuten,
dass
uns eine Strömung entgegenläuft, während wir
platt vorm
Laken segeln.
Diese Bedingungen verhunzen mutmaßlich unser Timing
für die
Kappelner Brücke. In der Schlei rechne ich mit Flaute (die
meisten
Windräder stehen still) und auslaufendem Strom (irgendwo muss
das
Wasser, das uns entgegenlief, ja herkommen, und wer könnte
ahnen,
dass es das Baltikum ist). Den Leuchtturm erreichen wir Punkt
fünfzehn Uhr - sechs Knoten über Grund sind gefragt,
um jetzt
noch die nächste Brückenöffnung zu schaffen.
Naiv wie
ich bin, denke ich schon darüber nach, wie und wo wir die
Stunde
bis zur übernächsten Öffnung versegeln. Dann
fahre ich
an der Steinschüttung erstmal die Halse und fange an, die
Schoten
dichtzuholen.
Paula schlingert in wahnwitzigen Strudeln herum, legt sich auf die
Seite und nimmt gierig Fahrt auf. Ich meine: Sie legt sich so auf die
Seite, dass das schon saubere Deck nochmal gewaschen wird, und nimmt
richtig, richtig, richtig Fahrt auf. Bei siebeneinhalb Knoten
über
Grund mache ich mir über das rechtzeitige Erreichen der
Brücke keine Sorgen mehr. Und wenn ich eben noch gedacht habe,
wie
sehr mir die olle Schlei bisweilen auf die Nerven geht, dann begeistert
sie mich jetzt mit einem magischen Spektakel.
Erstmal
sausen wir wie der Teufel bis Rabelsund, wo es Abdeckung und Zeitplan
nahelegen, das Groß wegzunehmen. In den zwei Knoten
Strömung
fahren wir fast ohne Wind immer noch über vier Knoten
über
Grund, das reicht voll und ganz. Kurz vor Grauhöft an der
markanten, gut betonnten, eigentlich unmissverständlichen
Untiefe
liegt eine Segelyacht auf Grund. Aber nicht irgendwie auf Grund,
sondern so dicht unter Land, dass ich mich frage, wie man da
bloß
hinfahren kann - vielleicht wollten die Äpfel
pflücken, aber
die wären ja selbst dann noch lange nicht reif, wenn es
wirklich
ein Apfelbaum wäre, der da am Ufer steht. Vorm Wind mit
über
zehn Minuten nicht eingeholter Genua bedeut jeder Zentimeter
auflaufenden Wassers ein Festsitzen auf noch flacherem Grund - die Crew
erweckt lange nicht den Eindruck, ihr sei überhaupt bewusst,
dass
sie auf Schiet sitzen.
Fünf Minuten vor Brückenöffnung startet ich
den Motor -
die treue Seele springt nach fünf Tagen Missachtung klaglos
und
sofort an -, berge die Fock und mache die entgegenkommenden
Wasserschützer auf den Havaristen aufmerksam. Wir stellen uns
direkt an den Leitwerken in die Strömung, Heck zur
Brücke,
Nase im Wind. Ich muss mächtig Gas geben, um die Position zu
halten. Mangels Logge kann ich das nur schätzen, aber drei
Knoten
Strom gurgeln durch diese Engstelle ganz bestimmt. Mehr als
üblich
jedenfalls, und dabei ist ja überhaupt nicht viel Wind. Naja,
in
der Schlei sind es gute fünf Windstärken, und
mutmaßlich gilt das Gleiche für die zentrale Ostsee,
von
woher dieses ganze Wasser kommen muss. Der Motor darf uns jetzt nicht
im Stich lassen...
Die Brücke ist auf. Ich lege ganz leicht Ruder, ohne Gas
wegzunehmen. Paula wirbelt herum - es fühlt sich total
verrückt an. Drei Yachten kommen uns entgegen, von denen nur
eine
die Brücke noch schafft - die haben bestimmt alle zum
üblichen Zeitpunkt abgelegt, nur dass bei solchem Strom
gegenan
das gewohnte Timing vorne und hinten nicht passt. Wir segeln den Rest
mit der Fock und kommen schneller an, als sonst unter Motor.
Nun also wieder Arnis. Nicht Marstal, aber ein taugliches Zweit- oder
Drittzuhause. Unbeschreiblich viel erlebt: Zitronenkuchen und
Champagner, null komma ein bisschen Wind und stramme zwei Knoten Strom,
außerdem 165 Seemeilen totalen Wahnsinn. Zum ersten Mal istr
gelungen, was wir uns letztes Jahr schon mehrfach vergeblich
vorgenommen hatten: Von Kappeln bis Kappeln den Motor nicht benutzt.
Ich bin ein bisschen stolz. Zauberlehrerin Paula findet, sie
hätte
mich allmählich so weit...
Nachdem wir uns wieder in Arnis eingenistet haben, gelingt ihr ein
neuer Trick: Morgens um halb sechs, ich habe gerade einmal am Kaffee
genippt, bin also noch längst nicht vollständig
aufgewacht,
erhalte ich auf telepathischem Wege im selben Moment die richtigen
Antworten auf nicht etwa nur eine, sondern gleich drei aktuelle Fragen:
Erstens weiß ich, wie ich die verzogene Ruderbank neu
verschrauben werde. Zweitens ist mir schlagartig klar, dass wir die
wiedergenesene Jane, so schön das auch wäre, abends
nicht auf
der ersten, kleinen Etappe ihrer großen Reise begleiten
werden
(vor allem deswegen nicht, weil sie erst am nächsten Morgen
auslaufen wird, aber auch, weil auch wir vordringlich eine Reise
vorzubereiten haben). Und drittens löst Paula sekundenschnell
das
Rätsel, das mir beim meditativen Betrachten der Tasse
heißen
Kaffees in den Sinn kommt: Wie könnte es gelingen, unter
Segeln an
einer Schäre anzulegen, auf der zum Annehmen einer Vorleine
kein
freundlicher Nachbar bereitsteht, und zwar ohne Paulas verwundbaren
Vorsteven zu gefähren? Gar nicht? Oder mit einer noch zu
erfindenden Hilfskonstruktion?
Ich spüre es so intensiv und eindeutig, als würde ich
es
hören: „Leg mal einfach mal Stechpaddel und
Boothaken
bereit.“
weiter: "Ich
hab mich nicht eine Sekunde unsicher gefühlt!" - Ein wildes
Abenteuer, Teil 1