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Die doppelte Paula - Svendborg Classic Regatta

Wir legen ab. Schweigend und routiniert wie eine eingespielte Crew. Im Schutz von Frederiksø und des musealen Eisbrechers setze ich die Segel. Selbstvertändlich setzt sich Paula an die Pinne und hält uns auf Kurs. Abgeklärt stellt sie fest, sie könne durchaus Ruder gehen oder die Fockschoten bedienen, „aber bei dem Wind fehlt mir wohl ein bisschen die Kraft.“ Alles klar, dann übernehme ich das. Die Zwölfjährige macht es sich auf der Backskiste gemütlich.

Achtung: Die Fotos sind nicht von mir! Für das erste gilt der Dank Michael Müller, die weiteren stammen von Anders Lund, offiziellem Regattafotograf auf dem Startschiff

August
2018

Die Geschichte der doppelten Paula begann vor einem Jahr. Mit einem Witz: Michael wusste, dass Paula und ich keine Crew hatten, und beim Frühstück saß er mit den Familiencrews von Folkeboot Lovis und Mälarkreuzer Lucky am gleichen Tisch. Jeweils mit an Bord: Eine Tochter mit dem gleichen Vornamen wie mein geliebtes Boot. Sein augenzwinkernder Vorschlag: Ob nicht eine der beiden Paulas als Paulas Vorschoterin anheuern wolle. Natürlich war das nicht ernst gemeint. Aber es veranlasste mich, zutiefst wählerisch, wenn es um Mitsegler geht, zu der Aussage, diese beiden würden wir wohl mitnehmen.

Donnerstag Abend vor der diesjährigen Svendborg Classic Regatta. Paula und unsere Charterflotte liegen schon seit Stunden im Hafen – wir kamen von Osten und hatten mitlaufenden Strom. Lovis, Lucky und Pommery sind, gemeinsam von Korshavn kommend, eben eingetroffen. Die beiden Paulas stehen auf dem Steg und begrüßen ihre schwimmende Namensschwester. Ich steige auf Lovis, um die neue Kuchenbude, handgefertigt vom Persenningmacher meines Vertrauens, zu bestaunen. Anja berichtet, dass die Kinder die letzten Tage auf Pommery mitgesegelt sind. „Ach so“, sage ich, „dann kann Paula die Regatta ja auch bei uns mitfahren.“

„Frag sie doch mal“, schlägt Anja vor. Ich schüttele den Kopf: „Nee, bin zu schüchtern.“ Abgesehen davon gehe ich nicht davon aus, dass das für Paula auch nur ansatzweise eine Option sein könnte. Und ich möchte niemandes eingespielte Crew auseinanderreißen. Paula kehrt zurück an Bord. Mama stellt die Frage. Und Paula lächelt und antwortet: „Ja, gerne.“

Irgendwer sagt etwas von „Nummerngirl.“ Na klar wird Paulas Hauptaufgabe darin bestehen, an der Ziellinie fröhlich und enthusiastisch unsere Startnummer in die Kamera zu halten. Das kenne ich von den Fotos vom letzten Jahr. Ich freue mich riesig. Und rechne doch weiterhin nicht damit, dass es letztlich dazu kommen wird. Zunächst beschäftigt uns ein ganz anderes Problem: Sturmtief Johanna. Es ist äußerst fraglich, ob auch nur eine einzige Wettfahrt wird stattfinden können. Beim Briefing wird der Start zunächst um zwei Stunden verschoben, dann nochmal um zwei. Schließlich verspricht uns die Regattaleitung ein Zeitfenster mit moderatem Wind am späten Nachmittag. Das Abendessen wird verschoben, um zumindest einmal starten zu können. Ich treffe Paula. „Und – fährste mit?“ erkundige ich mich. Und sie lächelt nur und holt Ölzeug und Rettungsweste.

Der „moderate Wind“ ist immer noch eine fünf mit sechser Böen. Höchstens die Hälfte der Boote läuft aus. Von den zwanzig gemeldeten Folkebooten sind es acht: Die fünf regattaerprobten Dänen, die um den Sieg ringen werden. Oliese mit einer kombinierten Chartercrew. Drossel. Und wir: Die beiden furchtlosen Paulas, deren Tatendrang ich mich bestimmt nicht entziehen werde.

Es fasziniert mich, seit ich – spät, mühsam, aber intensiv – mit Segeln begonnen habe, wie das sein muss, als Kind ganz natürlich und selbstverständlich damit aufzuwachsen. Jetzt steigt ein leibhaftiges Beispiel an Bord: Die Eltern hatten Lovis schon, als die Kinder geboren wurden. Und Paula und ihr kleiner Bruder Henri fahren nicht nur irgendwie so und ein bisschen widerwillig mit – sie sind bei der Winterarbeit und beim Segeln mit Eifer dabei. Das Ergebnis bestaune ich schon beim Ablegen: Paula und ich sind zwar kein eingespieltes Team, wir kennen uns ja kaum, aber wenn zwei Profis gemeinsam losfahren, sind keine langatmigen Erklärungen und Absprachen nötig – es wissen ja beide, wie man ein Boot fährt.

Wir segeln durch den Sund Richtung Lunkebugt. Ein Boot kehrt um. Drossel bindet das Reff ein. Wir halten Kurs und wackeln uns durch die Böen. Ich betrachtete meine Mitseglerin. Sie hat Recht – für ihr Alter ist sie relativ groß, aber vor allem ist sie zierlich. Auf der Backskiste wäre genug Platz für drei von ihrer Sorte. Beinahe würde ich denken, sie wirkt geradezu verwundbar – gingen nicht mitreißende Begeisterung, unerschütterliche Furchtlosigkeit und riesiger Tatendrang von ihr aus. Der Platz im Cockpit, den ihr Körper nicht einnimmt, füllt sich spürbar mit ihrer Persönlichkeit. „Hui, das sind aber ordentliche Drücker“, sage ich, als das Boot sich mal wieder auf die Seite wirft.

Als Nächstes stellt sich heraus, dass Paula keineswegs als niedliches Nummerngirl an Bord ist. Ihrem Kommando, den Baumniederholer durchzusetzen, bin ich schon nachgekommen. Nun erklärt sie mir die Starttaktik ihres Vaters, anschließend lerne ich alles Nötige über die Flaggensignale, die ich letztes Jahr noch mangels irgendeiner Ahnung von ihrer Bedeutung der Einfachheit halber komplett ignoriert habe. Ich sehe auch sofort ein, dass wir unbedingt eine Stoppuhr brauchen, damit das vorherige Absegeln des Weges zur Startlinie einen Sinn haben soll.

Schon bevor es wirklich losgeht, wird es erstmals aufregend. Wir segeln hinter Drossel her weg vom Start. Gerade findet Paula, dass wir allmählich umkehren sollten. Drossel hat bereits gewendet. Das können wir aber hinter den Segeln nicht sehen. Und auch Drossel hat Segel...

Es geht zu schnell, um mich zu erschrecken. Für einen Sekundenbruchteil sehe ich ein Folkeboot in voller Größe und Wucht, dazu das Entsetzen in Patricks Gesicht. Ich erinnere mich an ein Erlebnis während einer Busfahrt von Kampala über Nairobi nach Daressalam. Im Morgengrauen kurz hinter der tansanischen Grenze schlage ich die Augen auf, weil der Fahrer auf die Bremse tritt – und sehe durch die Windschutzscheibe für den Bruchteil einer Sekunde eine Giraffe in voller Lebensgröße. Im nächsten Moment ist die Windschutzscheibe in Scherben, die Giraffe mausetot, und der Bus schlingert heftig auf der Schotterpiste. Ich rechne nicht damit, der übernächtigte Fahrer könne das Fahrzeug noch einfangen.

Genug Zeit, diese Erinnerung zu Ende zu denken, ist nicht. Patrick reißt die Pinne rum. Die Boote rutschen aneinander vorbei. Ich kann kaum glauben, was ein skeptischer Blick über die Kante offenbart: Rotes Antifouling an Paulas Scheuerleiste ist die einzige Spur. Wenn Paula geschockt ist, lässt sie sich jedenfalls nichts anmerken. Drossel dreht bei, doch auch die können keinen Schaden finden. Patrick entschuldigt sich mehrfach, aber wofür? Klar, Wegerecht hatten wir, aber gepennt haben wir alle.

Die Dänen starten, während ich noch eine Wende vermassele – wir sind vom Start weg hintenan. Drossel allerdings noch mehr. Und Oliese schippert noch ums Startschiff herum. Unseren sechsten Platz verteidigen wir bis ins Ziel. Paula gibt nun doch das „Nummerngirl.“ Man spürte schon den ganzen Tag, dass es den Organisatoren sehr viel bedeutet, uns zumindest einmal aufs Wasser zu kriegen. Und nun saust eine Zwölfjährige vor der Kamera durch und hält voller Begeisterung die Startnummer in die Höhe – das muss für die da oben mindestens so ein unwiderstehlicher Augenblick sein wie für mich hier im Cockpit. Mehr als zufrieden liefere ich eine gut gelaunte Paula wohlbehalten bei ihren Eltern ab.

Am Samstag ist Paula schon um sechs Uhr in Gang: „Papa, los, raus aus der Koje, Kuchenbude abbauen!“ Mir scheint das so, als wolle sie mit Lovis richtig in Aktion treten. Briefing und Start sind eine Stunde vorverlegt, um vor dem erneuten Aufbrisen des Sturmes mindestens eine, besser mehrere Wettfahrten durchführen zu können. Ich bin einigermaßen unausgeschlafen – Olieses Crew ist um vier Uhr früh abgereist, und zuvor musste ich noch im Licht der Taschenlampe das Boot inspizieren. Heute Frieda mit einer kombinierten Frieda-Martha-Crew an der Regatta teilnehmen.

Beim Briefing gehe ich noch davon aus, heute einhand unterwegs zu sein. Doch dann kommt Paula angelaufen und fragt: „Darf ich heute wieder mitsegeln?“ Ich bin sprachlos und glücklich und grinse nur. Dann renne ich in den Hafen, um die Segel auszupacken. Neben den fünf Dänen, Drossel sowie Frieda statt Oli wird heute auch Havfruen an den Start gehen – auch die sehen wir wie immer nur von hinten. Weitere Boote laufen aus, ohne zu starten, unter Anderem Lovis, doch Henry, Paulas neunjährigem Bruder, behagt der Seegang nicht.

Unser Start misslingt erneut, aber ich bin sicher, von Paula genug gelernt zu haben, um bei der nächsten Wettfahrt einen Traumstart hinzulegen. Unterwegs leiden wir unter ausrauschender Großschot – die Curryklemme muss neu – und nicht gut laufendem Traveller – der braucht ein Paar Stopper. Ich habe also eine Menge gelernt für die Zukunft, aber erstmal müssen wir unseren Platz verteidigen. Der liegt heute hinter den fünf Dänen und Havfruen, aber auch hinter Drossel, die ungerefft und mit funktionierenden Schoten nicht einzuholen ist. Frieda lassen wir mühelos hinter uns. Es kommt also zu keinen spannenden Positionskämfpfen – wir segeln einfach den Kurs ab. Mühsam genug bei diesem Seegang. Als mir einmal die Gischt ins Gesicht klatscht, sage ich: „Das war wie ein Sprung vom Dreimeterbrett.“ Bei der nächsten Dusche fragt Paula: „Wie viele Meter waren das?“ Ich verstehe zunächst gar nicht, was sie meint, und schüttele dann den nassen Kopf: „Nee, das war nur vom Ufer aus ins Wasser.“ Aber später erwischt uns eine Welle, die, wie ich finde, „mindestens vom Zehnmeterturm“ war.

Nach der Zielkreuz liegen wir bei und verspeisen in Ruhe die mitgebrachten Brötchen – Paula teilt brüderlich/schwesterlich ihr Lunchpaket mit mir. Als wir umkehren, fahren die Anderen bereits zurück Richtung Hafen – die ersten Schauerböen nahen, die weiteren Wettfahrten sind leider abgeblasen. Wo ich uns doch so sehr einen guten Start gewünscht hätte... In Svendborg ist beinahe alles gut. Doch Lovis ist nicht da. Dass sie nicht gestartet sind, haben wir gesehen. Doch nun hat Paula keine Ahnung, wo sie geblieben ist. Mit Hilfe der Lucky-Crew erfahren wir: Ist in Troense zum Eis essen, wartet den Schauer ab, kommt gleich. Und so wird es erneut ein wunderschöner Tag.

Ohne Paula hätte ich vermutlich gedacht, an dem ungünstigen Wind lässt sich nunmal nichts ändern, und wäre dennoch nach einem Jahr Vorfreude enttäuscht gewesen. So segelte ich mit den beiden furchtlosen, unerschütterlichen Paulas auf einen grandiosen sechsten Platz und hatte ein unvergessliches Wochenende. Würde Paula jederzeit wieder mitnehmen, vielleicht ja sogar bei weniger Wind, wo sie dann Ruder gehen und Schoten bedienen kann. Und wenn nicht, bin ich unendlich dankbar dafür, einmal ihr großer Bruder und Skipper gewesen zu sein.

Ein zwölfjähriges „Nummerngirl“ und Crewmitglied ist symptomatisch für den Charakter der Veranstaltung: Natürlich gibt es hier auch Teilnehmer, die vorher ihr Boot komplett leer räumen, beim Start auf engstem Raum, mit viel Gebrüll und allen erlaubten Tricks um eine günstige Position kämpfen und anschließend um den Sieg segeln. Aber genauso ist es auch eine Jedermann-Regatta, bei der Fahrtensegler wie ich eine Abwechslung vom Fahrtensegeln bekommen, Chartergäste wie meine ihr Boot in einer neuen Situation besser kennenlernen, und wo insgesamt die Botschaft lautet: Egal, wie gut oder unerfahren – schön, dass ihr dabei seid!

Um so besser, wenn sich daraus auch noch ein beherztes Rennen mit ähnlich Unbedarften um den siebten, achten oder neunten Platz ergibt. Das war diesmal nur eingeschränkt der Fall. Aber ich freue mich trotzdem aufs nächste Jahr: Dank Paulas Motivation landeten wir auf einem eigentlich sensationellen sechsten Platz unter den Folkebooten. Natürlich lag das daran, dass nur sieben zweimal in die Wertung kamen. Punktgleich mit Drossel, entschied darüber die beste Einzelplatzierung: Als Drossel am zweiten Tag vor uns ins Ziel ging, gab es mit Havfruen eine schnelle weitere Teilnehmerin, wir wurden also sechste und achte, Drossel zweimal siebte.

Diesen Platz wollen wir natürlich verteidigen. Am liebsten mit Vorschoterin Paula. Und die darf sich darauf freuen, dass ich nicht nur von ihr eine Menge gelernt habe – demnächst wird der Traveller besser traveln, und dank neuer Curryklemme rauscht jetzt schon die Großschot nicht mehr aus.


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