Paulas Törnberichte | ||||||
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Ein ausgefallener Törn: So viel, so
weit, so lange und schön wie möglich
Beim Ablegen kam mir der absurde Gedanke, es
könne ein
Routinetag bevorstehen. Das war natürlich völliger
Blödsinn: Erstens kommt das beim Segeln so gut wie nie vor,
und zweitens starteten wir mit offenem Ziel - es konnte also nur eine
Überraschung geben. Besonders heute.
Juni 2018
Für gewöhnlich plane ich schon, wo ich abends sein
werde, auch wenn man das bisweilen an die Bedingungen anpassen muss.
Für gewöhnlich habe ich auch eine
Törnplanung für die gesamte Reise im Kopf. Doch
diesmal reduzierte sich das auf die Vereinbarung: Wir wollten so lange,
so weit, so viel und so schön wie möglich segeln.
Wenn es gut liefe: Fyn rund. Denn das ist weit, dauert lange und ist
bei passendem Wind ausgesprochen schön. Um es vorweg zu
nehmen: Daraus wurde nichts. Aber das spielte im Gesamtfazit gar keine
Rolle.
Sonntags hatte ich, anstatt schon auszulaufen bei dem schönen
West, noch Oli und Salty zurückgenommen und für die
nächsten Gäste vorbereitet. Was nicht mal eben
schnell erledigt war - Hantieren mit Benzinkanistern und Takelgarn,
Salty bekam ihren angestammten, auf Martha zwischengelagerten
Außenborder zurück und verlangte nach einer
gründlichen Reinigung, und Oli wies neben der kaputten Klampe
noch auf die gerissene Fock und die zu lockere Riggspannung hin. Statt
bei Maasholm zu ankern, blieben wir also in Arnis, aber das war nicht
entscheidend - am Ende fehlte uns ein Tag. Oder ein Wetterbericht, der
uns sagte, dass wir von Montag auf Dienstag gefahrlos in Musholm
übernachten konnten, weil der Wind erst im Laufe des
Vormittags auf Nordost drehte, anstatt mitten in der Nacht.
Es kommt selten vor, dass ein Flottillentörn
ausfällt. Doch dieses Mal blieben meine Antworten auf mehrere
sehr konkrete Anfragen mutmaßlich im Spamfilter
hängen, stellte eine bereits gebuchte Crew beim
Skippertraining unter Beweis, dass sie noch nicht reif war für
die Ostsee auf einem Folkeboot, kam schließlich der letzten
verbliebenen Crew ein Fahrradunfall dazwischen. Im Ergebnis fiel die
Reise aus, und in einer Woche mit Traumwetter hatten die Charterboote
nichts zu fahren - darauf werde ich in Zukunft jeden Gast energisch
hinweisen, der am Wetter herum mäkelt! Wir also freuten uns
auf den...
Auftakt eines
ausgefallenen Törns
Arnis - Nyborg (56 nm),
West 3 zunehmend 5-6
Wecker zu fünf, Kaffee, Brote schmieren für
unterwegs, Zähne putzen, ein kleiner Abwasch, segelklar
machen. Angesichts knapper Liegeplätze legte ich Salty noch in
Paulas Box, dann stießen wir uns von der Kranplatte ab, ich
setzte die Fock, und mit dem daraus resultierenden Speed gelang uns
eine Punktlandung an der Brücke. Allerdings erst um Viertel
vor acht, von „aller Frühe“ konnte nicht
mehr wirklich die Rede sein. Schleimünde erreichten wir gegen
neun. Und dann ging es eine Weile recht dödelig voran, die
ausgebaumte Fock war in der Dünung das einzige Segel, das
kontinuierlich stand.
Irgendwann hielt der Westwind dann aber doch, was die Vorhersage und
die heranrollende Dünung versprachen: Mit dichten Schoten
knallten wir durch die Rinne nach Marstal, kreuzten an der
Hafeneinfahrt vorbei und fielen nordwärts ab. Von
Strynø bis durchs Rudkøbing Løb
vergnügten wir uns mit einer strammen 6, und die
Strömung lief auch noch mit - Resultat waren knappe sieben
Knoten über Grund. Einmal - aber immerhin nur dieses eine Mal
- wurde ich in meiner leichten Montur gehörig nassgespritzt.
Nun galt es allmählich die Optionen zu sondieren: Musholm
wäre - auch im Nachhinein betrachtet - ausgezeichnet gewesen.
Aber dort liegt man bei Nordost ungeschützt, und eine solche
Winddrehung war für die Nacht angekündigt.
Reersø gleich nördlich davon entpuppte sich beim
Blick ins Hafenhandbuch als unwesentlich besser. Etwas weiter
südlich bieten sich Lundeborg bei Westwind oder Lohals bei
Ostwind als geschützte Häfen ab - aber mit der
Drehung? Beim aktuellen Gepuste wollte ich nicht nach Lohals einlaufen,
weder unter Segeln im engen Hafen noch unter Motor angesichts der vor
der Einfahrt zu erwartenden See.
Wir konnten aber nicht ewig so weitersegeln, irgendwann mussten meine
Müdigkeit einsetzen und der Westwind sich schlafen legen, und
genau genommen gab es im Lundeborg Belt unter Land erste Anzeichen
davon. Also fragte ich Paula, was sie von Nyborg hielte, und es fiel
leicht, uns darauf zu einigen: Wir segelten problemlos an einen
Liegeplatz, an dem wir morgens den Nordost genau von vorne haben
würden. Und wir hatten mit 56 Seemeilen gut vorgelegt
für unser Projekt. Meine Sorge war zu dem Zeitpunkt, dass er
zu Beginn zu doll blasen würde - zumindest im Kattegat und an
der Nordseite von Fyn war mit mindestens sechs Beaufort zu rechnen.
Unser Streichresultat
Nyborg - Lohals mit Abstecher in den
Großen Belt (25 nm), schwachwindig aus Nord
Wir legten ab. Bei schwachem Westwind. Waren froh, uns von dem, was
sonst so im Hafen lag, weitmöglichst zu entfernen. Der Nordost
verspätete sich. Gemächlich segelten aus dem Hafen,
aus der Bucht und auf die
Großer-Belt-Brücke zu. Es folgte eine Brise aus
Nordost, gefolgt von, nein, keiner totalen Flaute, aber einem
Lüftchen, das in keinem Verhältnis zur beachtlichen
Strömung stand, die uns entgegen lief. Auf Ostkurs wurden wir
um vierzig Grad versetzt, nach der Wende erwartete ich, dass es schon
eine grandiose Leistung sein würde, die Position zu halten.
Doch Paula fuhr unaufhaltsam Richtung Brücke, was nicht
leichter wurde durch ein Sammelsurium von Angelbooten und Stellnetzen
im Fahrwasser. Wir entschieden uns für ein
Brückensegment weiter rechts. Der Wind drehte
östlich, dadurch konnten wir mit einem halben Knoten Fahrt
über Grund zwischen den mächtigen Pfeilern hindurch
segeln, voll konzentriert, um durch die Strömung nicht
ruckartig versetzt zu werden, und dann erst erreichten wir, was ich
für die Abdeckung der Brückenpfeiler hielt.
Die Bugspitze zeigte nordwärts, die Segel standen weiterhin,
das GPS sagte etwas von 220 Grad - und dort stand der
Brückenpfeiler, den wir gerade passiert hatten.
Südlich der Brücke machte ein Fischkutter den
Eindruck größerer Probleme, er schaukelte und
driftete und kam dem Beton ungewöhnlich nahe, aber ich hatte
jetzt Anderes zu tun, als ihn länger zu beobachten: Ich musste
den Motor starten.
Der brachte uns erstmal aus der Gefahrenzone, bevor es
überhaupt gefährlich wurde, aber statt
außerhalb der Abdeckung wieder Wind zu bekommen, mussten wir
einsehen, dass es insgesamt ziemlich flautig war. Wir motorten weitere
fünf Minuten. Dann ließen wir uns in der
Strömung seitlich treiben in der Hoffnung, irgendwann in den
nächsten Stunden den Neerstrom an der Küste Fyns zu
erreichen, der uns helfen würde.
Wir schafften vier Meilen Richtung Kerteminde. Der Neerstrom war ein
Scherz, der Wind zwischenzeitlich gar nicht so schlecht, wenn uns die
Strömung nicht so doll gebremst hätte, aber von den
4-5 oder mehr Windstärken, mit denen wir locker vorangekommen
wären, gab es keine Spur. Außerdem kam die
Beinaheflaute aus Nord, damit hatte ich überhaupt nicht
kalkuliert. Paula gab zu verstehen, nicht nach Kerteminde zu wollen -
egal was ich tat, wann immer der entsprechende Kurs anlag und ich nicht
aufpasste, luvte sie an, bis die Segel schlugen.
Wir kehrten um. Bis kurz vor der Brücke war das beinahe
richtiges Segeln mit über vier Knoten. Dann: Totale Flaute.
Komplett mit drehendem Verklicker, schlagendem Tuch und Tauwerk,
schaukelnder Paula. Im Großen Belt läuft ja auch ein
beharrlicher Dampferschwell, und man soll sich nicht der Illusion
hingeben, das sei ein Anzeichen eines nahenden Windfeldes. Ich warf den
treuen Außenborder an. Er brachte uns, wohin wir gestern noch
nicht wollten: Nach Lohals.
In der Brückendurchfahrt, also der bezeichneten, lag der
Kutter von vorher notdürftig an einen Pfeiler vertäut
und mit diversen Ankern gesichert. Die hatten also wirklich ein ernstes
Problem bekommen, eigentlich kann es nur ein Motorschaden gewesen sein
- dieses Monster von Brücke, das die Wind- und
Strömungsverhältnisse gehörig
durcheinanderbringt, soll man nicht unterschätzen. In
früheren Jahren hatte ich beinahe Angst davor, dann wieder
verhielt ich mich beinahe naiv und hatte reines Glück, dass es
passte. Diesmal war ich auf Stand-by für alles, was passieren
konnte - bei einem Versagen des Außenborders bei der ersten
Passage wäre reichlich Platz zum Abfallen und
Zurücksegeln gewesen. Und so muss das auch sein.
In Lohals gönnte ich mir eine dringend benötigte
Mittagsstunde. Als ich aufstand, war die Abendbrise wunderbar - aber
aus Nord, das hätte uns vermutlich auch nicht sehr geholfen,
wenn wir vor Kerteminde vier Stunden gedümpelt wären.
Und so stand erneut ein Tag bevor, dessen Ziel anfangs völlig
egal war - Hauptsache schönes Segeln und abends ein
schöner und geschützter Hafen.
Mittwochsregatta
Lohals - Vigø (40 nm), Südost 3
zunehmend 4-5
Morgens - gut ausgeschlafen nach früher Koje und voller
Tatendrang - besann ich mich darauf, warum wir unterwegs waren: Ich
wollte segeln! Ich wollte keinen Landgang, keine Gesellschaft, keinen
Komfort, wie ein moderner Yachthafen ihn bietet. Ich wollte den ganzen
Tag segeln und abends einen vollen Magen und mit Paula die Ruhe
genießen. Wem wir bisher begegnet waren, waren total uncoole
Typen mit charakterlosen Großserienyachten und dubiose
Gestalten, die trotz allem Kommandogeschrei nicht Bootfahren konnten -
suchten wir das? Reizte uns das? Brauchten wir das?
Vor dem Ablegen besprachen Paula und ich also in Frage kommende
Ankerplätze, und die mussten möglichst weit entfernt
liegen und bei Südost gut geschützt sein. Unsere Wahl
fiel auf Vigø in der Helnæs Bugt.
Die Kardinaltonne am Thurø Rev wurde hoch am Wind bei um
zwanzig Grad variierender Windrichtung eine kurzweilige Punktlandung.
In den Svendborg Sund durften wir noch mit der Strömung
einlaufen, bevor der Strom kenterte und es eine Herausforderung wurde:
Direkt gegenan auf eine Fahrwassertonne zuzuhalten bedeutet, dass eine
winzige Ruderbewegung dazu führt, dass die Tonne megaschnell
zur einen oder anderen Seite auswandert. Sich unter diesen Bedingungen
dicht an die Tonne heranzuhangeln und sie dann wie gewollt zu
passieren, ohne mit ihr zu kollidieren, ist eine Herausforderung an die
Konzentration - und mit ein bisschen Übung ein
Riesenspaß, den wir, der wunderschönen, gut
vertrauten und heißgeliebten Landschaft im vorbeifahren
unseren stillen, schwärmerischen Tribut zollend, aufs Tiefste
genossen. Nebenbei überzeugten wir uns davon, dass das
Trockendock aus Marstal wirklich in Svendborg seinen Platz gefunden
hatte und tatsächlich in Betrieb war.
Hinter der Brücke überholten uns unter Motor zwei
Scalar-Yachten, beide nicht nur mit Produktionsort, sondern auch
Liegeplatz in Grauhöft. Kurz darauf setzten sie die Segel, die
eine aber nur das Groß. So zogen wir wieder vorbei, und
jemand rief herüber, ob er eine bescheidene Frage stellen
dürfe: Ob dieses das berühmte Folkeboot Paula sei.
„Du meinst die Schriftstellerin?“ vergewisserte ich
mich und nickte - woraufhin der begeisterte Leser des schönen
Buches ein paar Fotos knipste und ich fröhlich in die Kamera
winkte.
Wir segelten und segelten und manövrierten uns ohne eine
einzige Halse mit ausgebaumter Fock an Avernakø,
Lyø und Hornenæs vorbei. Dann mussten wir doch
Halsen und auf Nordkurs gehen, und der Ausbaumer war für die
letzten paar Meilen nicht mehr nötig. Vor Illum an einer der
Moorings lag Folkeboot Scherzo: Der alte Herr an Bord hatte mich vor
Jahren, damals noch von einem Mitsegler unterstützt, tief
beeindruckt mit seinem Anleger unter Segeln in Falsled, wo ich schon
mit Motor erheblich zu kämpfen hatte. Das war eine wesentliche
Motivation, mich da selbst heranzutasten, und schließlich
einzusehen, dass der Außenborder manchmal gar nicht hilft,
sondern die Dinge unnötig kompliziert macht. Letztes Jahr in
Michael Müllers Fotoausstellung traf ich Scherzos Eigner
sozusagen virtuell wieder und erinnerte mich seiner kleinen Rolle in
meinem Werdegang. Und nun war es gut zu sehen, dass es der Oldie immer
noch konnte, auch wenn der Weg wirklich nicht weit gewesen war.
Wir segelten fröhlich in die Abdeckung der kleinen, hohen
Insel. Ich barg das Groß. Barg die Fock. Paula trieb dichter
unter Land, der Anker lag im Cockpit bereit, wir machten immer noch
Fahrt, und das Wasser war immer noch zu tief. Wir trieben in eine
Bö, die uns vertrieb und zeigte, dass dieser Ankerplatz zwar
gut, aber nicht perfekt war. Ich zog die Fock wieder hoch, Paula nahm
Fahrt auf, wir segelten ein paar Meter weiter, bis es wirklich optimal
wirkte. Fock runter, Anker außenbords - ich verzichtete auf
Ankerpeilung und sonstige Kontrollen - wir lagen schlicht und einfach
gut und behütet. Und mir war so, als sei ich noch nie so
gelassen und entspannt und gleichzeitig gründlich und
zielstrebig auf einen Ankerplatz zugesegelt.
Zwischen Segelpacken und Kochen schickte ich Michael eine SMS
hinsichtlich der Scherzo, die inzwischen an uns vorbei Richtung Falsled
segelte. Seine Antwort: „Hm. Dann ist die Mittwochsregatta
wohl ausgefallen.“ Ein paar Minuten später konnte
ich antworten: „Nee, die läuft gerade.“
Scherzo war mittenmang dabei, und wir hatten einen Logenplatz zum
Zugucken. Die Helnæs Bugt ist phantastisch, ein riesiger
Binnensee mit Zugang zum offenen Wasser, nirgendwo volle Welle, und
immer an irgendeinem Ufer ein geschützter Ankerplatz. Wir
hatten den besten von allen.
Die Regatta war schön anzusehen, aber zum Zugucken doch
relativ unspektakulär: Es wirkte wie ein
Känguruhstart, dann ging es um weit auseinander liegende Bojen
herum, und Paulas Schwester startete als Erste und näherte
sich als Letzte dem Ziel. Dort an Bord spielte dieser Verlauf
vermutlich überhaupt keine Rolle, und ich machte mir eine
gedankliche Notiz, dass wir, sollten wir mal wieder an einem Mittwoch
in dieser Gegend auftauchen, freundlich fragen werden, ob wir
teilnehmen dürfen. Als die Regatta beendet und mein
köstliches Nudelgericht genossen war, brauchte ich eine ganze
Weile, um die Schönheit des abends so richtig fassen zu
können. Da wurde es aber auch höchste Zeit
für die Koje, denn am Morgen wartete ein neuer Tag.
Zuvor konsultierte ich den Wetterbericht und bat Paula um eine
nächtliche Entscheidung: Angekündigt waren
für Donnerstag Südost 3-4, für Freitag
Südost schwachwindig. Zur Wahl standen: Mjels Vig (sehr
schön, aber am Freitag eine lange Strecke gegenan bei
potenzieller Flaute), Sottrupskov (auch recht schön, aber
für Freitag galt das Gleiche), Sønderborg (nicht
schön, aber kürzeste Strecke, falls wir nur motoren
würden) sowie eine Kreuz doch lieber bei
Windverhältnissen, bei denen das Spaß bringt, mit
Ziel Lindelse Noor - 39 Meilen gegenan durch all die
Schönheiten der Dänischen Südsee, und wir
wollten ja ankern und ankern und unbedingt ankern, und wo ginge das
besser als da, wo Paula mir eben dieses Ankern letztes Jahr zum
Geburtstag geschenkt hatte? Für den Freitag sah ich eine
gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir uns durch den kurzweiligen Teil
der Strecke würden segeln können, und wenn wir das
Stück über offenes Wasser komplett motoren musste,
war mir das einigermaßen gleichgültig.
Ölzeugwetter bei
wolkenlosem Himmel
Vigø-Lindelse
Noor (39 Meilen), Südost um 4
Morgens gab es: Sonne. Tollen Wind. Unruhigen Tatendrang.
Aber erstmal ein wunderbares Rührei, dessen Genuss ich
allerdings für nach dem Ablegen aufschob - ich bin und bleibe
ein Frühstücksmuffel, weigere mich beharrlich, kurz
nach dem Aufstehen feste Nahrung zu mir zu nehmen, erst recht, wenn
diese Tätigkeit meinem Drang zu sofortigem Lossegeln
widerspricht. Aber gegen fertig geschmierte, üppig belegte
Brote, die ich bei Bedarf und Hunger unterwegs unter
Gischtfontänen unter dem Achterdeck hervorkramen und
genussvoll verspeisen kann, habe ich überhaupt nichts
einzuwenden. Also zwinge ich mich immerhin zu diesen wenigen Momenten
der Besinnung, die es braucht, um Eier aufzuschlagen, eine Zwiebel zu
schneiden und die Butter aus der Bilge zu kramen.
Nach verlassen der Helnæs Bugt hoppelten wir unter
wolkenlosem Himmel mit wunderbarem Wind gegen eine
beträchtliche Welle an. Paula begann sich mit einer Salzkruste
zu umgeben, ich hüllte mich ins Ölzeug. Es war
phantastisch: Wenn wir nicht rasend schnell unterwegs waren,
fühlte es sich zumindest so an. Zwischen den Inseln und
Inselchen liefen wir oft den normalen, küstenparallelen Kurs,
so dass es nicht wie eine Kreuz wirkte. Im Mørkedyb waren es
dann kurze Schläge und zackige Wenden, sobald das Echolot die
steile Kante des Trogtales meldete - doch wir mussten uns um keinerlei
Verkehr kümmern, denn obwohl es bei schönstem Wetter
und langen Tagen gerade erst siebzehn Uhr war, war weit und breit kaum
noch ein Boot unterwegs.
Das Lindelse Noor hatte ich im Herbst noch unter Motor erstmals
erkundet. Diesmal segelten wir langsam und geschmeidig in die Bucht,
gestützt auf GPS und Echolot, und ich fand sogar noch die
Zeit, eine landmarkenbasierte Wegbeschreibung ins Logbuch zu schreiben,
damit wir nächstes Mal ohne elektronische Hilfsmittel
einlaufen können. Am Ende dieser Bemühungen gab es
zur Belohnung ein Küsschen für die salzige Paula -
und für mich einen wunderbaren Blick in die flache Weite der
Dänischen Südsee, T-Shirt-Wetter bis spät in
die Nacht und die zweite ruhige, ungestörte Ankernacht in
Folge. Dass wir am nächsten Tag mit hoher Wahrscheinlichkeit
stundenlang motoren mussten, irritierte mich kein Stück: Tank
und Kanister waren voll, und irgendwie gehörte es sich ja auch
so, dass der notgedrungene Rückweg in die Schlei
mühsam verlief und nur widerwillig angetreten wurde.
Kreidefelsen und
Stechpaddel
Lindelse Noor - Maasholm (29 nm), Nordost
3 abnehmend 0-2.
Früher Morgen, hübsche Brise aus Nordost - yahoo!
Anker auf und los - man darf den Wind nicht vergeuden, vor allem, wenn
er spärlich ist. Aus dem Noor segelten wir langsam und
majestätisch, wie es sich in flachem, steinigen Terrain
gehört. Bis Strynø freuten wir uns diebisch
über den Drittknoten, dann briste es ernsthaft und
spürbar auf, und wir sausten mit über vier Knoten
geradezu los. Zu sehen war nichts und niemand - und dann erblickte ich
drüben vor Ærøskøbing etwas,
das wie ein Eisberg oder ein Kreidefelsen aussah. Der hier allerdings
nicht zu suchen hatte und dort auch noch nie gewesen war. Es war auch
nicht ganz zu leugnen, dass das merkwürdige Ding im Groben die
Gestalt eines sehr großen Fahrgastschiffes hatte. Aber auch
das gehörte nicht an diesen Ort.
Shipspotting.com
wusste Rat: Vor Ærøskøbing
lag das Kreuzfahrtschiff Amadea vor Anker. Auf dem Funk entpuppte sich
das schnell als Sensation: Dreimast-Marstalschoner Fylla, eines der
größeren Schiffe im Revier, bat um
Verständnis, das sie auslaufend aus
Ærøskøbing den seltenen Gast einmal
umrunden würden. Die Fähre, neben der wir winzig
wirken, schob sich als mickriger Schuhkarton daran vorbei. Das
unterwegs konsultierte Internet wusste allerdings auch, dass die Amadea
einen Tiefgang von 7,50 hat - und das ist in dieser Gegend eine
bemerkenswerte Einschränkung.
Für uns war es schönstes Segeln bis Vejsnæs
Nakke, wo pünktlich um zwölf die Mittagsflaute
einsetzte. Nach einer halben Stunde Treiben und einer weiteren halben
Stunde Motorgetucker kräuselte sich das Wasser wieder, und
fortan
wurde entgegen meiner bescheidenen Erwartung nur noch gesegelt.
Meistens mit um die drei Knoten, auf Schleimünde hin wurde es
dann richtig zäh, weil es immer bei konstantem Speed noch
knapp zwei Stunden waren, egal wie nahe wir dem Leuchtturm kamen.
Irgendwann erreichten wir ihn tatsächlich und hofften
vergeblich, dass es in der Schlei nochmal großen
Segelspaß gäbe.
Wir hatten es aber wirklich nicht eilig, wollten nur nach Maasholm ins
Wormshöfter Noor, und das erreichten wir pünktlich
zum Abendessen auf der Nubia, an der uns Mike zum
Längsseitsgehen einlud. Er hatte noch ein Landstromkabel eines
seiner Charterboote zu reparieren, Katja rührte unter Deck
schon in den Nudeln, Niklas lümmelte sich gelangweilt im
Cockpit, während wir feststellten, dass aus dem Noor eine
unter anderen Umständen kaum merkliche Strömung lief,
gegen die Paula allerdings jetzt bei erneut einschlafendem Wind kaum
noch ankam: Sie bewegte sich mit irrwitzen 0,3 Knoten
luvwärts, und wir mussten deutlich dorthin, um nach der Wende
unser Ziel nicht zu verfehlen. Nachdem wir bisher mit so angenehm wenig
Motor ausgekommen waren, entwickelte ich für die letzten
fünfzig Meter natürlich einen gewissen Ehrgeiz - und
erinnerte mich des seit zehn Jahren ungenutzt in der Vorpiek liegenden
Steckpaddels.
Es war eine Offenbarung: Nachdem die Segel geborgen waren, trieb uns
die Strömung auf die Nubia zu, und mit gelegentlichen
Paddelstrichen sorgte ich dafür, dass wir sie nicht noch
verfehlten. Das schien mir erheblich kontrollierter, als mit dem
Außenborder zu hantieren, der uns schon im Standgas viel zu
schnell gemacht hätte für dieses punktgenaue
Manöver. Das größte Hindernis war eine
Gruppe Kanufahrer, von denen einer es für schlau hielt,
zwischen Paula und Nubia hindurchzurudern, woraufhin ich eifrig
protestierte: „Wir legen da gerade an!“ Was wir
fünf Minuten später ja auch wirklich taten. Es gab
dann zuerst Pasta auf Nubia und später Rotwein/Saft auf Paula
und insgesamt einen gelungenen Abend nach tagelanger, wohltuender
Einsamkeit.
Bei dir piept's wohl!
Maasholm-Arnis (4 nm), E 3 abnehmend 1
Von den verbleibenden vier der stolzen 185 Meilen unseres kurzen
Törns versprach ich mir nichts Bemerkenswertes - aber dann
passierte jede Meile etwas Neues: Wir legten ab, als Katja gerade beim
Bäcker einkaufte. Setzten die Segel. Sausten los in einer
hübschen Morgenbrise aus Ost. Vorm Wind im Fahrwasser segelten
wir langsam an der ankernden Petrine vorbei - die hat vor zwei Jahren
Saltys Scheuerleisten aus Stralsund antransportiert, und ich
hätte mich gerne ein weiteres Mal für diesen Service
bedankt, aber niemand war an Deck - die mussten aber auch wirklich
spät eingetroffen sein und brauchten ihren Schlaf. Das Timing
für die Brücke gelang mäßig, wir
hätten abkürzen sollen, anstatt das Fahrwasser
auszufahren, so war es ab Grauhöft mit Motor und beinahe
Vollgas.
Auf Höhe ASC segelten wir wieder. Hafenmeister Barny tobte auf
der Außenmole herum, gelockt von einem penetranten Alarmton -
das kannte ich aus Arnis, wo ein Rauchmelder vier Tage lang den halben
Steg genervt hatte, bevor der Eigner sich endlich herbeibequemte und
hauptsächlich darüber klagte, dass niemand diesen
Ideal-Standard-Bartschlüssel auftreiben konnte, der ihm Zugang
zur Kajüte gewährt hätte. „Bei dir
piept's wohl“, rief ich rüber. Barny klagte mir sein
Leid und wünschte uns einen schönen Segeltag.
„Wir sollen nur nach Arnis“, antwortete ich. Er:
„Das schafft ihr.“
Taten wir auch. Aber nicht ohne freudig festzustellen, dass die Jonas
im Museumshafen lag: Das Schiff, das mich zum Segeln gebracht hat. An
dessen Seitenschwert längsseites Paula viele Nächte
verbracht hat. Die wir die ganze Saison noch nicht gesehen hatten, weil
sie im Wattenmeer herumtrieb. Auf dem Poopdeck saß oben ohne
der Bootsmann. In Sprücheklopf-Laune sagte ich: „Na,
schön Sonnenbaden, oder was?“ Er schien sich nicht
gerade zu freuen, mich zu sehen. Oder überhaupt zu erkennen.
Schüttelte nur den Kopf und antwortete:
„Nee.“ Stand auf und ging auf Klo. Das roch nach
mieser Stimmung, wie der Mensch sie ja bisweilen hat - in Unkenntnis
der Gründe ging mein Mitgefühl leider vorerst ins
Leere. Landeinwärts sah eine fiese Wolke nach einem Gewitter
aus, das dann doch nicht kam, aber später gab es einige
Regentropfen, die für den Bauern und die Wälder doch
nicht den erhofften Segen brachten. Vielleicht immerhin für
den traurigen Bootsmann.
Arnis schafften wird, aber es dauerte eine Stunde. Ich legte Paula an
den Stegkopf, begrüßte Lisa von Folkeboot Tzefix,
schipperte Salty um den Steg herum, verholte Paula in ihre Box und
packte die Segel, holte die auf Martha hinterlegte Post ab und ging zum
Bäcker, um nach all der Aufregung ein Stück
Erdbeertorte und ein Schokocroissant schnabulieren zu können.
Als ich zurückkehrte, waren die ersten Charterer da, und der
Alltag hatte mich wieder: Es handelte sich um Stammgäste,
denen ich lediglich die Hand schütteln und kundtun musste,
welche Neuerungen ich Frieda eingebaut hatte. Als Bonus gab ich ihnen
einige Tipps für die Törnplanung, denn ihr grober
Plan für die zwei Wochen lautete: Fyn rund.
Der Vorschoter der zweiten anreisenden Crew hatte gerade eine
große Reise von Kiel nach St. Petersburg und zurück
hinter sich. Auf einem Kreuzfahrtschiff:
Nämlich der Amadea.
weiter: 4
+ 4 - Das intensivste Segeln überhaupt