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Flottillentörn Westschweden 2.-29. Juli 2016 - Die Relativität der Zeit

Beim Segeln, jedenfalls auf einer Reise wie dieser, geht das gewohnte Zeitgefühl sofort den Bach runter. Zeit wird gleichzeitig unendlich gedehnt und maximal komprimiert. Am ersten Abend schon schleicht sich das Gefühl ein, bereits seit einer Ewigkeit gemeinsam unterwegs zu sein. Und dabei war jeder Tag so kurzweilig, dass er auch für drei Tage genügend Erlebnisse bereithielt. So viele lehrreiche Erfahrungen, so viele sinnliche Eindrücke, so viel Neues und so viel Miteinander - vorläufig fehlte die Zeit, dies alles angemessen zu verarbeiten, doch es stellte sich auch eine Sucht danach ein, so dass wir jeden Tag mehr davon wollten.

Juli 2016

Es war als besondere Reise angekündigt, als unvergessliches Abenteuer, das „der Urlaub Eures Lebens“ sein könne. Hatte ich zu viel versprochen? Rückblickend war wohl eher das Gegenteil der Fall: Die Schwedenreise übertraf noch die hohen, wenngleich diffusen, Erwartungen. Dazu folgte sie einem Spannungsbogen, der besser gar nicht hätte sein können: Die navigatorischen Aufgaben wurden von Tag zu Tag anspruchsvoller, bis ein Starkwindtag im engsten, verwinkeltsten, verwirrendsten Teil der Schärenwelt, gefolgt von einer extrem kniffligen kollektiven Anlegeprozedur den unübertrefflichen Höhepunkt darstellte. Ich kannte das ja schon, hatte die Göteborger Schären schon mehrfach einhand ersegelt. Doch in der Gruppe war es dann noch einmal etwas ganz Anderes. Die eigene Begeisterung von den Gesichtern der Anderen ablesen zu können, war nur einer der positiven Aspekte.

Nach dem Höhepunkt ging es also bergab? Zunächst galt es, im mondänen Marstrand den Crewwechsel zu erledigen. Die bisherigen Gäste reisten, auf einer Wolke der Euphorie schwebend, zurück in den Alltag. Es kam eine neue Gruppe, ein geschlossener Freundeskreis diesmal, und mit ihnen andere Aufgaben. Der Rückweg war kein Selbstläufer wie der Hinweg. Der günstige Wind, bisher ein treuer Begleiter, ließ uns nun im Stich. Es wurde, man kann es nicht leugnen, bisweilen zäh - mit drei Knoten und etlichen Flautenphasen dauert ein harmloser Dreißigmeilenschlag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dafür hatten wir zwei Wochen lang nicht einen Tropfen Regen. Und wir schafften es pünktlich zurück in die Schlei - eine Leistung, auf die man durchaus stolz sein darf.

Das Fazit aus dem Verlauf der Reise: Sie wird - ausreichende Nachfrage vorausgesetzt - wieder stattfinden, aber mit Modifikationen. Der zweiwöchige Rückweg wird nicht in Arnis enden. Statt dessen werden die folgenden Crews Gelegenheit erhalten, ihren Törn an der Nordseite Fünens zu beginnen und sich ein Revier zu erschließen, dass sie in einer Woche von der Schlei aus nicht zu sehen bekämen. Das Pflichtprogramm der Schwedenrückkehrer wird um gut hundert Meilen verkürzt, mit entsprechend mehr Zeit in den Schären und der Möglichkeit, ein bisschen länger auf passigen Wind zu warten.





DER HINWEG

Vermutlich wird der Sommer 2016 als kalt, verregnet und miserabel in die Geschichte eingehen. Im Juli lange Unterwäsche, dicke Socken und eine Wollmütze zu tragen, ist nicht wirklich prickelnd. Und doch hatten wir insgesamt Glück mit günstigem Wind, Gewittern die rechtzeitig vor uns abzogen und immer wieder wunderbarer Sonne - es war eben wechselhaft. Es gab nur zwei Sorten von Tagen: Hafentage und Segeltage. An den Segeltagen kamen wir in einem Affentempo voran. Wir hätten wohl auch mal einen Tag gemütlichen Schönwettersegelns genommen, aber was wir bekamen und was wir damit bei wachsender Begeisterung anfingen, ließ eher den Schluss zu: Unter fünf Beaufort laufen wir gar nicht erst aus.

Die Hafentage waren durchaus willkommene Unterbrechungen unserer Rauschefahrt. Füßehochlegen, Einkaufen, Sightseeing und crewübergreifende Gespräche sollen ja nicht zu kurz kommen. Bilanz der ersten Hälfte: Jede Einzelne der 318 Meilen durfte auf keinen Fall versäumt werden - und das ist eine wirklich bemerkenswerte Feststellung!





Die Gruppe

Wir erreichen nach fünfzehn Stunden auf offenem Wasser Mönster, den südlichsten Felsen, an dem man ein Schiff heil anbinden kann. Wir haben Glück: Es gibt einen Steg mit freien Plätzen. Einen hilfsbereiten Schweden, der die Leinen annimmt. Eine Mooringtonne, die zumindest einem Teil von uns besseren Halt bietet als ein Heckanker. Nach und nach treffen die "Wildgänse" ein und machen fest, bis als Letzte "Oliese" auf uns zu tuckert. Sie soll ohne Heckanker längsseits gehen, das ist simpel und unkompliziert, und helfende Hände stehen bereit. Der Skipper nimmt den Gang raus. Das Boot verhungert in einer Bö, der Bug beginnt wegzuklappen - Gang wieder rein, gefühlvoll etwas Gas geben, schon wird die Crew uns eine Vorleine werfen, damit wir den Rest erledigen.

Doch der Motor heult unheilverkündend auf, "Oliese" nimmt mit Vollausschlag an der Motorpinne Fahrt auf. Saust in einem Affentempo auf Steg und Schiffe zu, dreht in einer dramatischen Kurve ab, das ausschwenkende Heck verfehlt die Ankerlieger nur um Zentimeter. Die wilde Fahrt droht in ein ungewisses Ende zu führen, das Wort "Haftpflichtschaden" schießt mir durch den Kopf.

Dann ist schlagartig Ruhe im Schiff. "Olieses" Außenborder hat eine Achterleine aufgesammelt und geht aus, der Rumpf verfängt sich in weiteren Leinen. Wir nehmen Festmacher entgegen, befreien "Oliese" aus ihrem Netz, verholen sie sachte an ihren Liegeplatz. Schweigend und im Bewusstsein: Wir haben ein Problem.

***

Mit einer Ausnahme kannten sich die Teilnehmer schon vom Vorbereitungstreffen im Januar. Da waren noch unsere allseits beliebten Schweizer dabei, die dann aufgrund eines Arbeitsunfalls ausfielen. Ihnen sei versichert: Wir haben sie vermisst, und dennoch den Törn auch ohne sie genossen. Als Ersatz sprang mein Freund Björn ein, der uns eigentlich mit seinem eigenen Boot begleiten wollte, "Jane" dann aber im Hafen zurückließ und sich auf "Martha" einquartierte. Seinem Freund Götz schenkte er die Reise zum Geburtstag. "Frieda" und "Salty" waren mit segelerfahrenen, folkebooterprobten Crews besetzt. Thomas auf der „Oliese“ kannte ich von mehreren gemeinsamen Törns in die Dänische Südsee. Lange Schläge, die Querung des Kattegats und nun die Schären waren für alle Teilnehmer Neuland und eine naheliegende Erweiterung ihres Aktionsradius. Sie stellten sich der Herausforderung mit Begeisterung, Gelassenheit und Vertrauen in die Gruppe und meine Törnplanung.

Thomas und der Rest seiner Crew, Marrit und Lars, waren eher flüchtig miteinander bekannt. Die erprobten Jollen- und Regattasegler waren planmäßig nur in der ersten Woche dabei. Die danach vorgesehene Mitseglerin fiel kurzfristig aus - Götz erklärte sich bereit, die „Oliese“-Crew dann zu komplettieren. Auch auf „Salty“ war ein zusätzlicher Crewwechsel eingeplant: Ernst blieb, Sabine stieg nach der Kattegatquerung ab, Sohn Christoph bereits in Grenaa auf. Die Logistik dieses Wechsels gelang fabelhaft und ohne, dass die Flottille in irgendeiner Form vom Kurs abweichen musste. Von Mönster aus war lediglich ein kleiner Abstecher ins fünf Meilen entfernte Gottskär nötig, um die Abreisenden auf den Weg zu bringen.

Schon zuvor hatte aber sich angedeutet: Das war nicht der Thomas, den ich kannte. Bei Hafenmanövern war er angespannt und nervös, jegliches Gefühl für Pinne und Gasgriff fehlte. Je mehr er sich auf das besann, was er eigentlich passabel konnte, desto unkontrollierter wurde das Ergebnis. In besonders engen Häfen sprang ich helfend an Bord, ansonsten war bisher alles gut gegangen. Dann geschah der katastrophale Anleger in Mönster. Thomas wusste von uns allen am besten, dass er in dieser Form nicht fit für die Schären war. Jemand drücke ihm ein Bier in die Hand, ich redete motivierend auf ihn ein, ohne wirklich Rat zu wissen. Lag es an der ungewohnten Crewkonstellation? Hatte sich Thomas in der Absicht bestmöglicher Törnvorbereitung in jede Menge „Was ist, wenn...?“-Szenarien hineingesteigert, die er nun nicht mehr aus dem Kopf bekam? Hätten wir früher eine andere Rollenverteilung versuchen sollen, bei der nicht zwangsweise Thomas die Anleger fuhr und die anderen beiden segelten? Dafür war es nun zu spät, aber wie sollte es weitergehen? Würden Thomas und Götz als Team funktionieren? Morgens zuvor in Grenaa warben auch Götz und Björn auf der „Martha“ nicht gerade um Vertrauen, als ich früh um vier lauthals durch den Hafen grölen musste: „Guckt mal, wo ihr hinfaaaaahrt!!!!“

Es gelang uns schließlich doch, das Drama beiseite zu schieben, den grandiosen Tag angemessen Revue passieren zu lassen und die Ankunft im Seglerparadies zu feiern. Und dann geschah ein kleines Wunder.

Den Ausflug nach Gottskär nutzte ich für ein Skippertraining mit der neuen „Oliese“-Crew. Thomas, Götz und ich legten unsere Rettungswesten an. Verbannten die Passagiere unter Deck. Legten ab, setzten Segel. Dann mussten wir uns aus der Bucht ins betonnte Fahrwasser einfädeln. Die erste Lektion bestand darin, ständig Seekarte und Realität in Einklang zu bringen. Symbole aus der Karte in der felsigen Umgebung wiederzufinden. Beobachtetem einen Karteneintrag zuzuweisen. Jederzeit zu wissen, wo wir sind, und wie es weitergeht, und vor allem: wo es flach und gefährlich wird. Zehn Minuten lang rauften sich Götz und Thomas die Haare.

Dann entwickelten sie den Blick dafür. Für die Schären. Für die Tonnen, Baken, Spieren, Felsen und Steine, die in den nächsten Tagen unser täglich Brot sein würden. „Oliese“ sauste los, ins Fahrwasser und sicher um eine Landzunge herum, hinter der der Weg nach Gottskär lag. Die beiden begannen sich zu verständigen: Nannten diesen Felsen die Schildkröte und jenen den Frosch, um sie auseinander zu halten. Und siehe da - Thomas konnte Bootfahren. Er fasste Vertrauen zu seinem in allen Lebenssituationen stoischen Mitsegler, und vor allem in seine eigenen Fähigkeiten. Die nächsten drei Anlegemanöver fuhr er gefühlvoll und souverän.

Es bestand kein Zweifel, dass die beiden den Rest der Reise ohne Weiteres bewältigen und genießen konnten. Und so kam es dann auch. Für mich gehört es zu den schönsten Erlebnissen der gesamten Veranstaltung, dass jemand, dessen Selbstbewusstsein dermaßen im Keller war, so über sich hinaus wachsen konnte. Das durfte Thomas dann noch auf ganz andere Weise: Am nördlichsten Punkt unseres Törns, in Vasholmarna, slippte zunächst „Olieses“ Heckanker, bevor er sich doch noch sicher und solide verfing. Allerdings in „Marthas“ Heckanker. Beim Ablegen musste Thomas beide Anker aufholen - schweißübertrömt zwanzig Kilo Eisen aus dem Wasser zerren. Götz stand staunend am Ruder, der Rest der Gruppe an Bord oder auf dem Felsen, und beobachtete das Schauspiel. Thomas nahm auch diese Hürde. 

Diese Schilderung hätte ich auch weglassen können. Sie scheint mir jedoch angebracht, damit deutlich wird, welche Höhen und Tiefen, welche persönlichen Krisen bei einer solchen Reise auftreten können - in der einen oder anderen Form hatte sie jeder von uns. Und damit ebenfalls deutlich wird, dass die Gruppe Vieles auffangen kann, was auf sich allein gestellt ein unmögliches Unterfangen wäre.  





Erste Etappe: Arnis-Grenaa, 150 Meilen in vier Tagen

Dankenswerterweise waren alle Teilnehmer schon am Freitag angereist. Das gemeinsame Abendessen bei „Godewind“ erwies sich als gute Idee. Gesprächsthema Nummer: die Vollsperrung der A7, der daraus resultierende Stau und ähnliche Beschwerlichkeiten.

Nachdem die Einweisungen abgeschlossen und alle Boote seeklar waren, wurde es auch höchste Zeit zum Ablegen, um die angepeilte Ein-Uhr-Brücke (spät genug für einen Dreißigmeilenschlag) gerade noch zu schaffen. In der Schlei gab es Regen, aber kaum Wind, und mir schwante schon Böses, aber dann fegten wir doch mit reichlich Speed in die Flensburger Förde.


Die Entscheidung für den Kleinen Belt anstelle des Großen traf ich im Stillen. Aus dem Gefühl heraus: Ich mag ihn lieber, er ist landschaftlich reizvoller, auch wenn er uns einige Meilen mehr Strecke einbrachte. Wir hätten mir dem gleichen Wind auch nach Marstal gehen können, aber es wurde - nein, nicht Sønderborg, sondern Sottrupskov: ein kleiner Anleger im Als Sund, wo ein Nachbau des Nydambootes liegt und man außer von wenigen Häusern ausschließlich von Natur und Idylle umgeben ist.

In Sønderborg wäre es eine Punktlandung für die 17h30-Brücke geworden, doch die machte gar nicht auf, also fuhr ich einen miserablen Aufschießer an die Boxen im Fischerhafen, stoppte zwei Knoten Fahrt von Hand am Pfahl auf und band uns dort fest. Die Punktlandung schaffte dann „Martha“ für die Achtzehnuhrbrücke - zum Segelbergen war keine Zeit, einfach Motor an und Hebel auf den Tisch, und schon waren wir alle fünf durch.

Zur Belohnung für den doch recht harten Tag gab es nun noch eine gute Stunde beschaulichen Segelns ohne Welle, dafür mit sattem Grün zu beiden Seiten, bevor wir uns an besagtem Steg zur ersten Ruhe betteten. Durch den Als Sund zu segeln, ist immer ein besonderes Erlebnis. Und das anfangs noch graue Wetter spielte mit und verwöhnte uns mit wunderbarer Abendstimmung. Zum Begrüßungskommittee gehörten prompt "Renate" und "Drossel", zwei weitere Folkeboote.

*

Es lag ein Missverständnis vor. Nach drei Tagen auf Samsø sein zu wollen, meinte ich ernst, doch als ich erklärte, dass wir die achtzig Meilen in einmal fünfzig und einmal dreißig aufsplitten müssten, wollte ich keineswegs darauf beharren, zuerst die fünfzig zurückzulegen. So kam es bei der Gruppe jedoch an, und weil der Wind es hergab, erwies sich das als gute Entscheidung. Wir segelten also mit gerefften Großsegeln am Alternativziel Middelfart vorbei ganz bis Bogense.

Es war Wetter live. Alles dabei. Beginnend in totaler Abdeckung, so dass Ablegen unter Segeln am fehlenden Wind scheiterte. Einen Schauer mit sechser Bö bekamen wir voll ab, die Gewitter zogen sämtlich vor uns durch, und danach klarte es auf, ohne dass der Wind nachließe. Speed ohne Ende, reichlich Ruderdruck bis zum Muskelkater, abwechselnd offenes Wasser und eng betonnte Passagen, das alles zunehmend unter Sommersonne und entsprechender Wärme, während uns bisweilen die Gischt um die Ohren klatschte - natürlich hatten wir in Middelfart noch nicht genug und gönnten uns die weiteren fünfzehn Meilen.

*

Nach dem Abklingen der morgendlichen Schauer gab es Entspannung mit T-Shirt-Wetter und dödeligen zweieinhalb Knoten. Aber Kopp nich innen Sand stecken: Es kam dann doch wieder eine frische Brise auf und steigerte sich zu einer wackeren vier, so dass wir mit sechs Knoten südlich um Samsø herum und nach Langør hinein segelten. Die Kombination aus meditativem Dümpeln, entspannten Füßehochlegen und anschließend zügigem Zurücklegen der Strecke sorgte für einen grandiosen Gesamteindruck, zumal es nach dem Abziehen der letzten Schauer richtig warm und sommerlich wurde.

Besonderes Bonbon: Die Kreuz in die Bucht, zwischen Untiefen, wie es sie sonst kaum zu sehen gibt. Mit diesem Speed, der einem wenig Reaktionszeit lässt, wenn der Kieshaufen näher kommt, war das aufregend, vor allem für diejenigen, die zum ersten Mal hier einliefen. Ernst (am Ruder, von Sabine mit Ausguck und Kartenlesen unterstützt): „Ist das spannend! Ist das spannend!“ Ich habe mich fast ein bisschen geärgert, schon in der Ankerbucht die Segel geborgen zu haben, wo man doch durchaus direkt am Hafen dazu genügend Platz hatte.

Einem trüben Morgen folgte Dauerregen. Aber wir hatten es dabei ganz gut: Es war ein schwacher Wind angekündigt, statt dessen gab eine vier aus Ost, und wir erwischten eine mitlaufende Strömung von gut eineinhalb Knoten. Mit deren sieben sausten wir durch den Regen und erreichten Grenaa gerade, als der Wind abflaute, um dann auf Nordost zu drehen. Einzig „Martha“, die den Start verschlafen hatte, musste zum Schluss noch zwei Holeschläge fahren, und die Crew machte lange Gesichter, als sie zwei Stunden nach den Ersten eintraf.





Liegetage in Grenaa und die große Überfahrt

Nun hieß es: Auf passenden Wind für die Überfahrt warten. Der Ort war mit Grund ausgewählt - von Grenaa ist die Passage übers Kattegat am kürzesten, und es gibt weit und breit keine praktische Alternative. Vom Ambiente her fällt die moderne, kommerzielle Marina deutlich ab z.B. gegenüber Langør, aber wir ließen es uns gutgehen in den zwei Hafentagen. Wir konnten sie auch durchaus brauchen - bisher hatten wir wenig getan außer zu segeln, und nun fanden wir einen allgemein nutzbaren Clubraum und einen Grillplatz - klassischerweise der Aufhänger zu einem gemeinsamen Gruppenabend, der die einzelnen Crews endgültig zu einem Ganzen verbindet. Ruhe, Ausspannen, kein Zeitdruck - es waren Urlaubstage in einem allgemeineren Sinne, als wenn es ausschließlich ums Meilenfressen geht. Es war zu windig zum Segeln, aber sonnig genug, um im Cockpit die Füße hochzulegen und die Umgebung zu erkunden - und dabei eine Weile allein zu sein und das bisher Erlebte zu verarbeiten. Die Abwrackwerft gefiel, der Ort ebenfalls, und die Möglichkeiten der Proviantierung waren ideal. Außerdem konnte „Marthas“ defekter Wasserkocher ersetzt werden, während ich die Zeit für einige kleine Reparaturen nutzte - „Paulas“ Vorpiekwerft trat in Aktion.

Am zweiten Tag bereiteten wir uns navigatorisch und emotional auf die anstehende Nachtfahrt vor, die für Viele die erste ihres Lebens hätte sein sollen. Schade nur, dass sie gar nicht stattfand: Sah es zunächst so aus, als sei die Nacht zwischen einem pustigen Donnerstag und einem verregneten, schwachwindigen Freitag ideal für den langen Schlag, so lautete die Prognose am Nachmittag: Südwest fünf, vorübergehend sechs, und eineinhalb Meter Welle. Platt vorm Laken bei Hack ist nun alles andere als günstig, und so vertagten wir das Auslaufen auf das erste Licht des Freitags und hofften, dass der Wind uns nicht allzu früh im Stich lassen würde.

Der Hafen war auffällig leer, obwohl auch in Dänemark die Sommerferien begonnen hatten. Da haben wohl viele Dänen den Segelurlaub angesichts des durchwachsenen Wetters hinausgezögert, und viele Deutsche dürften sich erinnert haben, dass Fehmarn auch reizvoll ist. Sogar vom chronisch überfüllten Anholt wurde berichtet, dass es dort noch nie so leer gewesen sei im Juli. Uns war das gerade recht - wir bekamen in Grenaa fünf beinahe zusammenhängende, wunderbar geschützte Liegeplätze, was Kommunikation und Gruppendynamik erheblich erleichterte.

Statt abends starteten wir zum Sonnenaufgang zur großen, langen Reise über siebzig Meilen offenes Wasser. Zu Beginn raufte ich mir die Haare: Zuerst dümpelten wir mit drei Knoten in der Landabdeckung herum, dann würfelte uns eine hässliche Dünung durcheinander. Mit der nordgehenden Strömung machten wir dann aber auch mit wenig Wind gute Fahrt, und als die Ursache der erheblichen Welle auch uns erreichte, ging es dann gut los. Da hatten wir allerdings schon die zwanzig Meilen zur Nordecke des Windparks Anholt zurückgelegt und dann eine Stunde vorm Wind gegeigt und gewackelt, bevor ich mich als Erster aufs Vorschiff traute, um die Fock auszubaumen. Es war ein Seeeeeeeegen! Sofort lag die zuvor zappelnde, schwankende „Paula“ sagenhaft ruhig auf dem Ruder und sauste los. Die anderen Crews folgten dem Beispiel.

Es hatte sich bereits eine Reihenfolge etabliert, wonach sich „Paula“ und „Frieda“ ein ausgeglichenes Rennen lieferten, gefolgt von „Martha“, dann „Oliese“, während „Salty“ nicht so recht durchstarten wollte. „Martha“ hatte diesmal einen wesentlichen Vorteil - sie legte als Erste ab, segelte entsprechend früher aus der Abdeckung und in die Strömung, nahm also immer ein Weilchen früher zusätzliche Fahrt auf. Das half aber alles nichts, denn wir hatten drei Meilen vor dem Tiefwasserweg einen Treffpunkt vereinbart, um auf die Nachzügler zu warten und es in voller Gruppenstärke mit den großen Dampfern aufzunehmen.
Während „Martha“ und „Frieda“, später auch „Oliese“, auf der Stelle hin und her segelten, bedienten sich „Paula“ und ich aller verfügbaren Tricks, um vorm Wind Fahrt rauszunehmen, bis die aus unerfindlichen Gründen behäbige „Salty“ endlich aufkam: Großschot dicht, Achterstag dicht, Fockschot gefiert, bis der Ausbaumer träge herumschlabberte, dann noch durch die Halse, um weiteren Druck aus dem Vorsegel zu nehmen. Ergebnis: Immer noch fast drei Knoten Fahrt. Als ich dann auch noch die Pütz als Treibanker benutzte, waren wir endlich langsam genug, um uns punktgenau zusammenzufinden.

Bis hierhin hätte es kaum besser laufen können, nun ging das Eine oder Andere schief: Der Wind ließ nach und drehte ungünstig, als sei er beleidigt, dass wir Fahrt rausnahmen, anstatt uns seiner uneingeschränkt zu erfreuen, und auf „Martha“ verabschiedete sich ein Beschlag des Fockausbaumers. Durchgeschüttelt von Wellen und Dampferschwell hoppelten wir mit drei Knoten zum Tiefwasserweg. Je einem Schiff in südlicher und nördlicher Richtung wichen wir mustergültig und kollektiv aus, kämpften uns wacker durch ihr Kielwasser, dann konnten wir zurück auf Kurs gehen, wobei „Marthas“ Crew am Funk ein bisschen unglücklich klang. Es war dann wohl „Paula“, ständig im Hintergrund um das Wohl ihrer Schwestern und der Chartergäste bemüht, die für neuen Wind sorgte: Unerwartet kam eine frische Brise aus Südost auf, die uns in der Windeseile von fünfeinhalb Knoten durch die letzten zwanzig Meilen spülte.

Auf den letzten Metern ließ "Paula" - wie ich beflügelt von der Aussicht, nach fünzehn Stunden auf offenem Wasser die ersten Schären zu erreichen - die teuflisch schnelle "Frieda" doch noch ein paar Bootslängen hinter sich. "Hallo, Steine! Wir haben Euch vermisst", rief ich in unsere felsige Umgebung. Dann konzentrierte ich mich auf die letzten Meile vor dem Anlegen. Zu lange waren wir nicht mehr hier, mussten uns an das geliebte Revier erst wieder gewöhnen.

Die fünf Boote nacheinander vorsichtig und sorgfältig mit Heckanker oder Mooring sowie untereinander und am Steg zu vertäuen, dauerte eine Stunde - inklusive des Dramas um "Oliese". Dann endlich konnten wir anstoßen auf das, was wir geschafft hatten, und ich riet allen, ruhig ein bisschen stolz auf diese siebzig Meilen zu sein. Dies als Gruppe eigenverantwortlicher Crews bewältigt zu haben, miteinander regattiert und aufeinander geachtet und gewartet zu haben, sich über die Ankunft jedes Bootes freuen zu dürfen, war ein bemerkenswertes Erlebnis.





Schärensegeln

Nach dem Skippertraining und Crewwechsel wollten wir eigentlich noch zwanzig Meilen nach Norden schaffen. Nach einer kurzen Besprechung bereiteten sich alle darauf vor, indem sie wahlweise endlich den Abwasch erledigten oder einen Haufen Wegpunkte ins GPS eingaben, obwohl die vor uns liegende Strecke eigentlich so simpel war wie eine Querung der Dänischen Südsee. Ich vertrieb mir die Zeit mit dem Einholen des aktuellen Seewetterberichtes. Und hätte das Tagesprogramm beinahe komplett gecancelt. West sechs, nördlich von Göteborg gar sieben, war nicht ideal, doch ich wollte nicht erneut als Spielverderber auftreten. Also empfahl ich vor dem gewagten Auslaufen lediglich zu reffen.

Die Wellenhöhe, die uns ausgangs des Fjordes packte, hatte ich so nicht erwartet. Segeln ließ sich das an und für sich ausgezeichnet - kaum Ruderdruck und eine harmonische, gut ausgeprägte See, die man bequem aussteuern konnte. Es war dann ein Defekt auf „Martha“, der uns zum Umkehren zwang: Björn, inzwischen einhand unterwegs, fragte über Funk, ob in der Werkzeugkiste ein Schäkel sei. „Was suchst du? Nen Schäkel?“ fragte ich. „Nen Schäkel“, bestätigte Björn. „Äh, worum gehts denn?“ verlangte ich nun zu wissen und erfuhr, dass das Problem ein kaputter Fockholepunkt war. Das war allemal Vorwand genug, die Sache abzubrechen und das Malheur in Ruhe im Hafen zu reparieren, anstatt Björn das einhand bei zwei Meter See zu überlassen. Ich denke, insgeheim waren Alle gleichzeitig erleichtert, dass sie umkehren durften, und dankbar für die wertvolle Erfahrung, die der kurze Schlag bedeutete: Die Einen erkannten ihre (derzeitigen) Grenzen, die Anderen merkten, was sie und ihr Boot abkönnen, und die Dritten stellten fest, dass sie zwar auf dem „Kotzkurs“ mit achterlicher Welle unter Deck seekrank werden, bei Hack von vorn als Rudergänger aber nicht zu stoppen sind. Das Experiment sollte sich später noch auszahlen.

Es war schon ruppig, und Götz, der ja nun auf „Oliese“ segelte, aber weiterhin auf „Martha“ wohnte und schlief, fragte entsetzt: „Was hast du denn mit unserer schönen, ordentlichen Kajüte gemacht?“ Björns Antwort: „Ich hab das Schapp leergesegelt.“

Am inzwischen komplett leeren Steg konnten wir noch einmal in Ruhe Anlegen Schären-style üben und danach einen Rundgang unter dem Aspekt Brandung vornehmen, dann krochen die Ersten in die Koje und freuten sich auf das nächste Abenteuer. Sie versäumten nicht nur den Sonnenuntergang: So weit im Norden wird es im Juli nie richtig dunkel, doch der Himmel verfärbt sich von leuchtend Rot über Zitronengelb und Froschgrün zu einer erdigen Mischung aus Rostbraun und Ocker, diesmal akzentuiert durch lange, parallele Zirren, die zwar Regen ankündigten, aber auch ein sagenhaftes Naturschauspiel darstellten, das man erlebt haben muss, um es glauben zu können. „Paula“, ihre unermüdlichen Schwestern und ich jedenfalls genossen das Spektakel.

Wir segelten also mit eintägiger Verspätung nach Fjordholmen. Seglerisch war es noch nicht das eigentliche Ding: Relativ offenes Wasser mit wenigen Tonnen, Baken, Felsen und Kursänderungen. Dafür gab es zum ersten Mal richtiges Schärenankern: Vorleinen zum Stein, an vorhandenen Ringen oder unseren mitgebrachten Schärenhaken belegt, dazu der Heckanker. Als zusätzliche Schwierigkeit blockierte eine schwedische Yacht nicht nur den einzigen wirklich idealen Platz, sondern hatte mit langen Querleinen im Prinzip die gesamte Bucht abgesperrt. Da musste ich erst einige Kreise drehen, bis die Crew uns den Zugang gewährte - der Rest der Flottille beäugte das Treiben aus sicherer Entfernung geduldig, ohne sich einen Reim darauf machen zu können. Es war dann gerade genug Platz für uns, allerdings konnte nur „Paula“ die Schäre erreichen, die Anderen hatten ein Hindernis aus Granit vor dem Steven.

Wir legten uns ins Päckchen, „Paula“ diente als Ausstieg. Der ganze Vorgang dauerte über eine Stunde, wollte er doch ruhig und sorgfältig durchgeführt werden. Da bestand auch noch Raum für Verbesserungen, warfen wir doch unsere Heckanker ein bisschen durcheinander und vor allem konsequent genau auf die Ankerleine eines norwegischen Nachbarn. Während wir so unsere Boote sicher vertäuten, legten die Schweden ab, so dass der Premiumplatz schließlich „Oliese“ zur Verfügung stand. Es war schön auf Fjordholmen - und wir trafen auf eine der typischen Komposttoiletten, die wirklich durchdacht sind und nach zwei Nächten ganz ohne Klo überaus luxuriös wirken.

Es bestand dann Bedarf danach, uns mal wieder in einem richtigen Hafen blicken zu lassen, mit Strom, Wasser, Dusche und vor allem Kaufmannsladen. Die Wahl fiel auf Aastol, eine über und über von Häusern bedeckte Schäre mit einem gemütlichen Hafen in der Mitte. Der Segelschlag dorthin führte uns dreißig Meilen nordwärts, wobei wir das Fahrwasser nach Göteborg queren mussten. Ansonsten wechselten enge und weitläufige Passagen in schneller Folge ab.

Dass es ein bemerkenswerter Tag sein würde, ein Teilnehmer beschrieb ihn als „das waren mindestens drei Tage in einem“, dafür sorgte neben der Landschaft und dem immer weiteren Vordringen in die Besonderheiten der Schärenwelt vor allem der Wind. Ich drängelte schon abends auf einen frühen Aufbruch, morgens um sieben drängelte ich noch mehr, war doch für den Nachmittag mit dem Durchgang eines Trogs zu rechnen, begleitet von Wind bis sechs Beaufort sowie von Schauern und Gewittern. Ich empfahl auch morgens schon zu reffen, denn die fröhliche Brise, die über die Insel wehte, war mir nicht uneingeschränkt geheuer.

Das Ablegen war großartig - konzentriert und bedächtig bekamen wir alle Schiffe vom Felsen weg und die Heckanker frei. Beim Segelsetzen merkte ich sofort, dass das Reffen eine gute Idee war: „Paula“ sauste nur unter Fock schon los wie der Teufel, und ich durfte mich in Ruhe damit beschäftigen, das Knäuel zu entheddern, das in Sekundenschnelle aus den beiden Parten der Fockschot sowie dem Fockfall entstanden war. Endlich konnte auch das Groß hoch, und wir sausten mit über sieben Knoten über Grund durch die steinige Inselwelt.

Ein Erlebnis war die Querung des Göteborg-Fahrwassers. Hoch am Wind bei strammen sechs Windstärken zwischen Felsen und gigantischen Seezeichen hindurch zu schießen, macht man nicht alle Tage. Den ganzen Tag hätte der stramme Ritt für meinen Geschmack nicht dauern müssen, doch nördlich des Fahrwassers verkrochen wir uns ja wieder in den Schutz der Schären und konnten ein paar Grad abfallen. Als wir vorübergehend wieder offenes Wasser erreichten, hatte der Wind erheblich abgenommen, und die Sonne zeigte sich dann und wann. Bei der Kreuz im Marstrands Fjord wurde es höchste Zeit zum Ausreffen. Und dank des frühen Aufbruchs und der Rauschefahrt erreichten wir Aastol deutlich rechtzeitig vor den nachmittäglichen Schauern.

Aastol erwies sich als lohnenswertes Ziel. Ein einzigartiger Ort voller Charme und Schönheiten, mit einem Park, einem Kaufmann, einem gemütlichen Café und einem tollen, kleinen Hafen. Durchaus auch einem vollen, kleinen Hafen, doch wir waren ja früh dran und setzten gleich mal unseren eigenen, chaotischen Folkeboot-Kopf durch: Wo man eigentlich mit Mooringleinen anlegt, gingen wir ins Fünferpäckchen, was uns nur ausnahmsweise gestattet wurde: Wir sparten dadurch einen Liegeplatz. Und wir fielen natürlich auf, wurden immer wieder angesprochen, wo wir herkämen und was wir für ein Verein seien.





Das Meisterstück

Acht Uhr morgens. Draußen regnet es. Roland, Jochen und ich hocken auf Frieda unter Deck, Thomas gesellt sich zu uns. Der Tee ist aufgebrüht, nun machen wir Tagesplanung. Es pustet mit fünf bis sechs, und so ist auch die Prognose bis ungefähr sonst wann, zumindest die nächsten zwei Tage. „Wir haben drei Möglichkeiten“, skizziere ich, um ein erstes Meinungsbild zu erstellen, „hier bleiben, das Innenfahrwasser um Tjörn und Orust fahren oder uns der Sache stellen.“

Roland ist derjenige, der für Segeln durch die Außenschären plädiert. Vasholmarna ist unser Ziel, das südlichste Vorkommen des wunderschönen, roten, gerundeten Granits, das den Norden von Bohuslän prägt und an dem man bisweilen längsseits anlegen kann. Was die Anderen allenfalls ahnen, als wir unsere Nasen in die Seekarten stecken und die Tagesetappe navigatorisch durchgehen: Das ist jetzt das eigentliche Ding. Seit wir in Schweden angekommen sind, haben wir uns langsam ans Schärensegeln herangetastet. Was uns heute erwartet - bei ordentlich Wind und einem Speed von konstant sechs Knoten, der den schnellen Schnitten des Actionfilms zusätzlich einen Zeitraffer verpasst - ist Segeln pur: Tonnen, Baken, Felsen, kaum eine Minute ohne Kursänderung. Wir können uns meistens auf nördlichem Kurs hinter solidem Fels verstecken, immer wieder erwartet uns aber offenes Wasser mit gewaltiger Brandung, gerne auch mit einer kleinen Kreuz, und die Engstellen sind wirklich eng, so eng, dass man hier und da eine Warteschleife drehen muss, wenn Gegenverkehr kommt.

Zunächst verordnete ich uns Ablegen unter Segeln, Neuland für die Meisten. Zwei Meter Welle umströmten Aastol, da musste das Tuch auf jeden Fall im Hafen hoch, und wo ginge das einfacher als fest vertäut am Liegeplatz? Unsere Situation verbesserte sich dramatisch, als unsere Nachbarn ausliefen - wir hatten vorn und achtern genug Platz um Fahrt aufzunehmen, uns freizusegeln und Richtung Hafenausfahrt abzufallen. Gemeinsam - es hielt immer jemand die Vorleine und die Achterspring, warf sie im richtigen Augenblick los, konnte bei Bedarf noch ein bisschen abstoßen - gelang das Manöver einwandrei - und bildete den Auftakt zum unübertrefflichen Höhepunkt der Reise.

Zu Beginn der Tagesetappe erwartete uns eine kleine Kreuz. Wir hoppeln über die aufgewühlte See, bis wir unser Schlupfloch erreicht haben. Was dann passiert, lässt sich mit Worten wie „krass“, „geil“ oder Ähnlichem kaum zutreffend beschreiben. Wer die neunzehn Meilen zwischen Aastol und Gullhomen nicht kennt, wird unmöglich nachvollziehen können, wie unser Tag verlief. Abenteuer pur - und es war eine Freude zu sehen, wie alle das genossen, wie auch die unerfahrenste Crew super mit den Bedingungen klarkam, wie Björn und ich einander angrinsten, als wir das letzte Stück nebeneinander her segelten, bevor es dann wieder hoch am Wind über zwei Meilen offenes Wasser, zwei Meter See und alles, unserem Ziel entgegenging.

Wer bei Segeln an entspanntes Dümpeln unter blauem Himmel denkt, liegt hier völlig falsch. Wer stundenlanges Starren auf den Kompass im Sinn hat, ebenfalls. Es ging ständig darum, sich in der Seekarte die drei Seezeichen und Landmarken einzuprägen, die hinter der nächsten Biegung zu erwarten waren, sowie ob sie an Steuerbord oder Backbord bleiben. War das abgearbeitet, musste erneut die Karte auf den Schoß. Wer vom Thema abwich, nämlich der Navigation, verlor augenblicklich die Orientierung. Und wer nicht dabei war, hat das beeindruckende Bild versäumt, das "Martha" neben uns abgab: Wie eine Ballerina tänzelte sie auf gewaltigen Wellenbergen, während eine spektakuläre Brandung auf die nächsten Felsen einprügelte.

Vasholmarna ist eine wunderschöne und überaus beliebte Felsengruppe, mit zahlreichen Liegemöglichkeiten, die bei ruhigem Sommerwetter auch meistens alle belegt sind. Ich kannte den Ort pickepackevoll. Heute hingegen waren wir außer einer ziemlich großen Yacht, die längsseits an der mittleren Schäre lag, die Einzigen, die sich hier her wagten. Dadurch war die einzige Stelle, bei der man bei einem strammen Südwest einigermaßen geschützt und sicher liegen kann, noch frei - aber es gab auch niemanden, der mir eine Vorleine angenommen hätte. Die „Frieda“-Crew musste also zunächst Roland auf dem Felsen absetzen, bevor wir die Boote nach und nach heranwinken konnten.

Aller modernen Technik zum Trotz überraschte uns das Wetter: Kaum waren wir alle fest und hatten unserer Euphorie Ausdruck verliehen, schon briste es auf. Hatte der dänische Seewetterbericht vormittags noch von fünf, strichweise sechs, gesprochen, so roch es jetzt nach einer soliden sieben genau in dem Gebiet, in dem wir uns aufhielten. Die Starkwindwarnung wurde erst herausgegeben, als wir bereits unterwegs waren. Es wurde eine unruhige Nacht, bei zeitweise acht Beaufort aus Südwest ist Vashomen nicht mehr ganz so geschützt wie bei ruhigem Wetter. Auch wenn es schaukelig war: Im Vergleich zu dem, was da draußen los war, wo die See kochte und die Brandung dramatisch an die Felsen klatschte, hatten wir es erstaunlich gemütlich. Vor allem mussten wir Einiges richtig gemacht haben beim Vertäuen der treuen Boote, denn es gab nicht einen Kratzer.

Nun zeigt die Erfahrung, dass auf einen Rausch ein gehöriger Kater folgt - und tatsächlich roch es nach Katerstimmung, als es morgens weiter pustete und erst für die folgende Nacht Besserung zu erwarten war. Ich besprach mit der „Frieda“-Crew die Optionen, und wir verständigten uns darauf, gegen dreizehn Uhr abzulegen für einen ernstgemeinten Versuch, mit der Fock zurück nach Gullholmem zu segeln, auf die Gefahr hin, statt dessen in den nächsten nördlich gelegenen Hafen ablaufen zu müssen. Während ich noch unter Deck herumklambüsterte und hin und herüberlegte, ob das die richtige Entscheidung war, wurde „Frieda“ segelklar gemacht, während die Anderen noch gar nicht informiert oder gehört waren. Entsprechend sparsam guckten sie und wirkten durchaus vorwurfsvoll in ihrem Gebahren. Das Gute daran war, dass nun Einzelne klar und deutlich sagten, sie wollten unter diesen Bedingungen nicht ablegen, und damit war das entschieden: Wir blieben und wappneten uns für eine mögliche Winddrehung in der kommenden Sturmnacht, indem wir einen zusätzlichen Anker ausbrachten. Danach bauten wir eine Schlauchboot-Seilfähre von unserem kleinen Felsen zur Hauptinsel, und damit war der Tag gerettet. Dort war es nämlich wirklich sehenswert, und man konnte sich auch einmal für zwei Stunden ganz allein die Füße vertreten und dabei das wahnsinnige große Ganze, aber auch die winzigen Details der in Klüften und Spalten ihr tapferes Dasein fristenden Blümchen auf sich wirken lassen.

Morgens hatte der Wind dann endlich genug mit uns gespielt und beruhigte sich so, dass wir weiter konnten. Das Ablegen nebst Aufsammeln der diversen Heckanker klappte absolut fluffig, und es folgte ein schöner Segeltag, südwärts bei Südwind mit einem Stück Motoren, aber auch diversen Wenden und einer spannenden Kreuz. Unseren Ankerplatz hatten wir im Hinblick auf den zu erwartenden Nordwind konzipiert - es gelang schon wieder eine perfekte Punktlandung: Mit dem letzten Schluck Südwind segelten wir in die Bucht, in der abendlichen Flaute hatten die Heckanker dann nicht mehr viel zu halten. „Paulas“ slippte beim ersten Versuch - ich hatte ihn genau auf eine Plastikplane geworfen.

Inzwischen hatten sich auch sämtliche Wolken verzogen, und so bekamen wir, was im Programm noch gefehlt hatte: Eine wirklich lauschige Schärennacht, mit Zusammensitzen im Cockpit bis weit nach Sonnenuntergang. Kaum ein Geräusch war zu hören, abgesehen vom Schnattern der Wildgänse. Morgens legten wir dann alle standesgemäß unter Segeln ab zur letzten Etappe vor dem Gruppenwechsel: Neun Meilen bis Marstrand bei Sonne, Wärme und einem mäßigen Westnordwest - Sommersegeln in den Schären, auch das war bisher zu kurz gekommen. Der Kontrast hätte nicht markanter sein könnten: Aus der lauschigsten aller lauschigen Buchten kamen wir ins trubelige, turbulente Seglermekka der Westküste. Der Ort mit der wechselvollen Geschichte bietet das Ambiente eines ehrwürdigen Seebades, in den Laden und an den Stegen wird alles gezeigt, was in den letzten Jahren von führenden Yachtzeitschriften getestet und für gut befunden wurde. Zwischen all den Touristen herumzuschlendern, endlich mal in T-Shirt und Sandalen, war genau das Richtige.

Fünf Folkeboote auf einem Haufen fielen hier natürlich genauso auf wie an einer Schäre - es dauerte keine halbe Stunde, bis wir bereits mehrfach fotografiert und angesprochen wurden. Es wurde uns sogar ein Folke angeboten, das dringend und gratis einen neuen Besitzer suchte. Bei oberflächlicher Betrachtung war das arme Würstchen, das seit Jahren ungenutzt und ungepflegt im Wasser schwamm, allerdings nicht mehr zu retten, jedenfalls nicht mit kalkulierbarem Aufwand. Wir gingen dann doch lieber zum Konditor und besorgten für das Abschieds-Kaffeekränzchen auf dem Steg eine große Tüte mit süßen Köstlichkeiten.

Die Tour wäre nicht komplett gewesen ohne einen Besuch hier, und für den Crewwechsel erwies sich Marstrand als ideal. Die Ersten reisten am frühen Nachmittag gleich ab - mit der Fähre über den Sund, per Bus nach Göteborg, dann mit der Fähre nach Kiel und von dort zurück zum an der Schlei geparkten Wagen. Für diejenigen, die blieben, stand ein bisschen Füße hochlegen und etwas Bootspflege auf dem Programm, während wir die neue Gruppe erwarteten.





ZWEITER TEIL

Die neue Gruppe traf ein mit den gleichen hohen Erwartungen, aber auch der Hypothek, sich den Aufenthalt in der Wunderwelt der Schären nicht selbst ersegelt zu haben, sondern ohne eigenes Zutun mit der Bahn angereist zu sein. Vor ihnen stand im Wesentlichen die Aufgabe, meine Boote pünktlich nach Hause zu bringen, doch zuvor winkten auch ihnen einmalige Erlebnisse in einem der anspruchsvollsten Segelreviere, bis zu dem unvermeidlichen Morgen, an dem wir uns auf den Weg übers Kattegat machten.

Die Gruppenkonstellation war nun eine völlig andere: Nach und nach, erwartungsvoll, aber erschöpft von der langen Bahnfahrt und einem einstimmenden Bustrip durch die Schären, traf im Laufe des Samstags ein Freundeskreis am Steg in Marstrand ein, der die komplette Flotte für die zweite Etappe gebucht hatte. Die Teilnehmer kamen aus allen Teilen der Republik, verbindendes Element waren Pfadfinderei und Traditionsschiffahrt - Erfahrung im Fahrtensegeln auf Yachten brachten nur Einzelne mit. Die Boote waren so besetzt, dass jedes ausreichend mit Kenntnissen besetzt war - auch wenn da im Einzelfall noch erheblicher Lernbedarf bestand. „Oliese“ zum Beispiel segelte am Anfang dramatisch hinerher, doch nach einer Woche war sie nicht mehr einzuholen, und ich durfte fragen: „Warum habt ihr so getan, als ob Ihr überhaupt nicht segeln könntet?“

Das Seglerische stand insgesamt weniger im Vordergrund. Dafür gab es keine Mahlzeit ohne vorheriges gemeinsames Singen. Kochen und Essen auf Steg, Pier oder Felsen war ein kleines Happening. Es dauerte einige Tage, bis ich die Gruppe und dann auch die Individuen ein bisschen kannte - und bis diese im Bordalltag angekommen waren. "Das war richtig geil!" war ein Satz, den ich anfangs vermisste, zuletzt aber häufig zu hören bekam.

Auch auf „Paula“ hatte sich etwas getan, hatten wir doch jetzt Björn an Bord. Das musste sich einspielen, war aber extrem vorteilhaft: Auf den zähen, langen Schlägen konnten wir abwechselnd reichlich Zeit in der Koje verbringen, beim Anlegen an den Schären war ich nicht auf eine andere Crew angewiesen, und Björn nahm mir auch im Umgang mit den Gästen, bei der Verproviantierung und bei der Schiffspflege eine Menge Arbeit ab. Aus zwei Skippern wurde allmählich auch eine handlungsfähige Crew - doch erst, nachdem wir begriffen hatten, wie sehr "Paula" auf Einhandsegeln und auf mich ausgerichtet ist, und wie sehr auch ich daran gewöhnt bin, mit ihr zusammen zu segeln. Der Versuch beispielsweise, Wenden in der klassischen Arbeitsteilung von Rudergänger und Vorschoter zu fahren, ging schief. Auf "Paula" fährt der Rudergänger allein die Wenden. Und es kommt auch vor, dass der Vorschoter - Björn - mit dem Bergen der Fock beschäftigt ist und ich plötzlich neben ihm stehe und das Groß runterzerre, weil mir in den Sinn kam, dass dies ein günstiger Augenblick dafür sei.

Bei trockenem, warmem Wetter gelangen noch drei tolle, aufregende, lehrreiche Segel-, sowie zwei schöne, entspannte Liegetage in den Schären. Dann nistete sich eine sommerliche, windarme Wetterlage ein - mit viel schwachbrüstigem Südost, der Richtung, die wir am schlechtesten nutzen konnten. Es drohte der Eindruck zu entstehen, es ginge jetzt nur noch darum, mir meine Boote nach Hause zu bringen. So konnte der weite Weg in die Schlei nur eines werden: zäh. Endlich mal wieder auf dreieinhalb Knoten zu kommen, bot Anlass zur Freude, die Außenborder versahen fleißig und über Stunden ihren Dienst, und es war eine schwierige Aufgabe, unter diesen Umständen Spaß und Pflicht in Einklang zu bringen. Wir hatten nicht die Wahl, uns die schönsten Liegeplätze auszusuchen, sondern mussten zum Übernachten nehmen, was gerade vor uns lag.

Und dennoch: Die Lektion, dass Durchhaltevermögen unweigerlich dazugehört, wurde gerne aufgenommen. Gemeinsam gelang es uns, die beträchtliche Strecke zurückzulegen, erholsame Hafentage einzubauen und die Segelstunden, in denen es gut lief, ausgiebig zu genießen. Gerade rechtzeitig, bevor die pünktliche Rückkehr in Zweifel geriet, hatten wir wieder einen begeisternden, rasanten Segeltag, der uns tüchtig voranbrachte und die Stimmung dorthin hob, wohin sie gehörte: In schwindelerregende Höhen.





„That was mustergültig“, oder: Das Glück verlässt uns (?)

Unsere erste Aufgabe bestand am Sonntag in dem Spagat, den neuen Crews ein Minimum an Einweisung und einen Einblick ins Schärensegeln zu geben, aber auch noch mit einem kurzen Schlag den Absprung aus dem teuren und auf Dauer nicht gerade gemütlichen Hafen zu schaffen. Das gelang vorzüglich: Mit zwei Booten liefen wir zu einer kleinen Übungsrunde rund Klaaverön aus - bei fünf bis sechs aus West und mit Björn bzw. mir sowie jeweils drei der neuen Gäste besetzt. Das lief gut und war hilfreich, um Boot und Felsenlandschaft ausreichend gut kennenzulernen, damit wir anschließend noch zu einem Sechsmeilenschlag ins wunderschöne Hjärterö auslaufen konnten.

Die Gruppe machte nahtlos weiter, wie sie auf dem Steg in Marstrand begonnen hatte: Gemeinsames Kochen über vier Boote ("Welches Boot macht das Nudelwasser heiß?"), Essen auf dem Felsen, nicht ohne vorher die Gitarre auszupacken und ein Pfadfinderlied zum Besten zu geben. Björn und ich hatten Anderes im Sinn: Über den höchsten Punkt der Insel kletterten wir zur Westseite, staunend und aus dem Grinsen nicht herauskommend, und wurden verwöhnt mit der einzigartigen Kombination aus pittoreskem Sonnenuntergang und spektakulärer Brandung.

Am Montag war immer noch ordentlich Westenwind. Wir verordneten den Charterbooten Reff, „Paula“ legte gemütlich ab und überholte unter Vollzeug. Die Reise ging nach Brandskär, das der nördlichste Punkt der Reise werden sollte. Es gab also noch einmal feinstes Schärensegeln in den engsten Engen und Sunden, nördlich von Gullholmen offeneres Terrain und schließlich eine sagenhaft schöne Bucht, in der „Paula“ nach einigem Hin und Her - nicht haltende Heckanker und schwedischen Yachten, die im Angesicht der einfallenden Verrückten mit den Folkebooten noch einmal verholten - längsseits an den Felsen ging und die anderen Vier ins Päckchen nahm. Wir lagen zunächst nicht ideal, hatten einen kleinen Vorsprung übersehen, der am Wasserpass kratzte. Ganz ohne Spuren gelang das große Abenteuer also nicht.

Bei mäßigem Südwind galt nun: Wir müssen mal langsam an den Rückweg denken. Wir kreuzten also gute zwanzig Meilen, westlich an Härmanö vorbei und bei Mollösund wieder ins Innenfahrwasser. In Smögholmarna fanden wir den idealen Platz: Alle fünf Boote hatten statt Heckanker (hielt auch hier nicht) eine Achterleine zur anderen Seite der winzigen Bucht. Übereinstimmende Aussage der Gäste: Das ist bisher der schönste Platz! Zu diesem Eindruck trug auch der hohe, steile Felsen bei, von dem aus man auf vorbeifahrende Schiffe fast senkrecht von oben blicken konnte.

Hier verließ uns das sagenhafte Glück mit dem Wind, der uns bisher so verlässlich vorangetrieben hatte. Wir mussten südwärts, doch am Mittwoch wehte ein schwacher Südost. Es hatte weder Sinn, damit durch die Schären zu dümpeln, noch den langen Schlag nach Jütland anzugehen - also blieben wir vor Ort und machten einen Wellnesstag. Lediglich „Frieda“ legte zweimal ab und besorgte aus den naheliegenden Häfen zunächst Wasser, dann Grillgut. Letzteres besorgten wir in Mollösund - eine dreiköpfige Delegation erlebte die schwedische Version eines pickepackevollen Hafens, und es gab keine andere Möglichkeit, als dass „Frieda“ und ich sie an einer der Tankstellen absetzten und später wieder abholten. Dazwischen segelten wir den Sund auf und ab und fühlten uns prächtig dabei, zumal es statt Flaute eine hübsche Seebrise gab. Als die Drei wieder an der Pier auftauchten, legte ich trotz Strömung, engem Raum und wuseligem Verkehr routiniert und gelungen dort an, woraufhin sich ein deutscher Tourist berufen fühlte, dem schwedischen Tankwart zu erklären: „He's a very experienced sailor. That was mustergültig!“

Damit hatten wir zwar einen running gag gefunden, doch auf derlei Lob aus zweifelhafter Quelle sollte man tunlichst nicht zu viel geben. Als wir morgens ausliefen, um die Schären endgültig hinter uns zu lassen, setzte ich „Paula“ in einem Anflug von Sorglosigkeit - rumms! - auf einen mir eigentlich bekannten Unterwasserfelsen. Zum Glück fuhren wir nur mit zwei Knoten und kamen gleich wieder frei. But it wasn't mustergültig at all. 

Zuvor genossen wir einen perfekten Sommerabend mit Grillen. Björn und ich mischten uns ein bisschen mehr unters Volk, als wir es bisher getan hatten - wobei der Eindruck einer hermetischen Trennung falsch wäre, aber es handelte sich meistens um Einzelgespräche und dann wieder um die Ansage an die Gesamtgruppe, wohin die Tagesetappe uns führen sollte und was dabei navigatorisch zu beachten war.

Nach diesem Ruhetag war die Rutsche übers Kattegat nun, da wir entlang der schwedischen Küste nicht vorankamen, unaufschiebbar. Nach Skagen waren es immerhin nur vierzig Meilen offenes Wasser statt der siebzig auf dem Hinweg, aber der Wind - mit deutlich südlicherem Einschlag als der versprochene Südost - zwang uns, furchtbar viel Höhe zu laufen, und bei kaum mehr als drei Beaufort wurde es mehr als zäh. Wacker segelten wir uns durch Beinaheflauten und erreichten gegen 21 Uhr den Hafen. Wieder einmal war es ein beachtlicher Kontrast: Von der Schäre der letzten beiden Tage in einen riesigen Industrie- und Fischereihafen nebst Kreuzfahrtterminal (morgens erwachten wir im Schatten der „Mein Schiff 4“, die zweifellos die höchste Erhebung Nordjütlands darstellte). Im Yachthafen lagen die Boote in Siebenerpäckchen, beim Segelclub fanden wir neben der Slipbahn fast sensationellerweise noch einen Platz, an dem „Paula“ mal wieder längsseits gehen und ihre Schwestern erwarten konnte.

Dank Björn als Mitsegler war die Rutsche nicht so ermüdend, wie ich sie einhand empfunden hätte, aber die Stimmung an Bord war nicht gerade überschwänglich. Und es lief auch weiterhin nicht: Am nächsten Tag hatten wir keine andere Wahl, als bei Süd zwei bis drei Stunde um Stunde gegenan zu motoren, und der nordlaufende Strom machte das erneut ausgesprochen langwierig - drei Stunden für die ersten zehn der fast vierzig Meilen waren nicht gerade prickelnd, und der ungewohnt kleine Kartenmaßstab - in den Schären segelten wir in einer Stunde aufs nächste Blatt, nun lag zwischen zwei Wegpunkten eine halbe Tagesreise - verstärkte das Gefühl, kaum vom Fleck zu kommen. Über Funk kamen die ersten Meldungen knapp werdender Benzinvorräte, und auch „Paulas“ Tank fühlte sich inzwischen unangenehm leicht an.





„Fünf Holzfolkeboote in Asaa - das gibt's nur einmal!“

Südlich von Saeby rundeten wir eine grüne Tonne und konnten dreißig Grad abfallen - und hier fanden wir das Glück wieder: Wir konnten segeln, mit fast fünf Knoten sogar schneller als alles, was wir unter Motor den ganzen Tag geschafft hatten. In der Abendsonne liefen wir nach Asaa ein, einem kleinen Fischer- und Yachthafen zehn Meilen nördlich des Limfjords, den ich bei meinen zwei bisherigen Besuchen ausgesprochen liebgewonnen hatte. Man darf sich fragen, was die alle in Skagen wollen - der gemütliche Hafen war nicht einmal halb voll, mühelos fanden wir Platz im Fischerbecken, es lockte ein Sandstrand und eine wunderbar altertümliche Atmosphäre. Zur Krönung platzten wir mitten ins Hafenfest, eine Kapelle spielte von einem musealen LKW, der als Bühne diente, wir genossen kühles Bier vom Fass. Und wurden natürlich zur heimlichen Sensation.

Einer der „Locals“ fand unseren Auftritt so grandios, dass er dem Hafenmeister sagte: „Fünf Holzfolkeboote in Asaa - das gibt's nur einmal. Und du musst nett zu den Leuten sein, dann bleiben sie vielleicht noch eine Nacht.“ Endlich einmal machte es sich bezahlt, dass ich ein paar Brocken Dänisch gelernt habe, denn der Hafenmeister sprach keine andere Sprache. Nett zu uns war er aber allemal, statt dreißig Euro in Skagen zahlten wir hier nur sieben Euro pro Boot. Gratis-Fahrräder für den Einkaufsbummel in den Ort und zur Tankstelle wurden uns morgens auch hingestellt. Ich dankte es mit der wahrheitsgemäßen Aussage, dies sei der beste Hafen in Nordjütland. Vielleicht sogar darüber hinaus.

Während die Gruppe nach der Kapelle wieder Gitarren und Quetschen auspackte und unsere Boote wieder und wieder fotografiert wurden, erlebten Björn und ich auf dem Molenkopf einen rasanten Mondaufgang. Ich war ein bisschen stolz, nicht nur auf meine wunderbaren Boote, die dies alles möglich machten, sondern auch darauf, wieder einmal alles - oder doch das Meiste - richtig gemacht zu haben. Spontan beschloss ich in Absprache mit Björn, angesichts der samstäglichen Flaute die kraftraubende Fortsetzung der langen Schläge um einen Tag hinauszuzögern und tatsächlich bis Sonntag zu bleiben, zumal das beschauliche Hafenfest nun auch erst richtig in Schwung kommen würde. Dann aber gab es kein Zögern und Abwarten mehr - es blieben sechs Tage für immer noch gut zweihundert Seemeilen, und der allmählich wieder in Gang kommende Wind drohte beständig aus ungünstiger Richtung zu wehen.

Ich rechnete kaum damit, dass wir die geplante Strecke - 32 Meilen bis Udbyhøj eingangs des Randers Fjordes - überhaupt schaffen würden. Dass wir sie auch noch komplett segeln konnten, war ein großes Glück; als Bonus erlebten wir zuerst die wunderbar-trübe Morgenstimmung und segelten als letzte Aktion auf einen traumhaften Sonnenuntergang zu. Damit ist schon gesagt, dass sich das Ganze ziemlich in die Länge zog, ein Schnitt von unter drei Knoten ist wirklich nicht toll. Der Hafen selbst ist, nun, eben ein Hafen. Ich fand es nicht schlimm, dass wir spät ankamen und morgens um acht gleich wieder ablegten.

Unter den Gästen regte sich aber die Sorge, dass der Rest der Reise so verlaufen würde: Dass wir die Tage auf dem Wasser und die Nächte in der Koje verbringen würden, ohne Gelegenheit, sich auch mal die schönen Ort, an denen wir anlegten, ansehen zu können. Wir besprachen das Thema vor dem Ablegen, und die Sorge schien unberechtigt, als wir mit gut fünf Knoten aus dem Fjord sausten. Der Zwischenstopp am Randers Fjord war wohlkalkuliert, hatten wir doch nun wieder Südwind und konnten bei einem zu laufenden Kurs von hundert Grad ausnahmsweise mal etwas damit anfangen.

Leider war der Spaß nach zwei Meilen zu Ende, die erste Flaute begann. Wenn sich später noch einmal etwas regte - zeitweise gab es mit vier Beaufort sogar richtiges Segeln - kam es aus Südost. Björn und ich wählten den Motor, wann immer es nicht voranging, und „Paula“ brauchte acht Stunden, davon fünf unter Segeln, für das eigentlich gar nicht so lange Stück nach, ja, wieder einmal Grenaa. Die Charterer, die eben noch auf früheres Ankommen am Tagesziel bestanden hatten, saßen, so weit wir erkennen konnten, jede zweite Flaute aus. Im diesigen Grau in Grau waren wir bald außer Sicht und Funkreichweite. Dafür schlüpfte „Paula“ in ihre von vor drei Wochen vertraute Box.

Wir verbrachten einen schönen Abend an den Grills vorm Clubhaus, wo wir in anderer Zusammensetzung vor gut zwei Wochen auf den Ritt übers Kattegat gewartet hatten. In aller Frühe brachen wir nun südwärts auf mit dem Ziel, gute fünfzig Meilen zurückzulegen. Es dauerte zwei Stunden, bis Wind aufkam, und mittags - gerade hatten wir Hjelm passiert - schlief er auch schon wieder ein. Meine Stimmung erreichte den tiefsten Tiefpunkt der letzten Jahre. Ich schrieb ins Logbuch, so einen Törn zu buchen könne man niemandem empfehlen. Verzweifelt sorgte ich mich um die Gäste - die allerdings, ohne dass ich es sehen konnte, einigermaßen fröhlich auf ihren Booten chillten - und darum, ob wir es überhaupt noch rechtzeitig für die nächsten Buchungen zurück schaffen würden. Björn wachte auf und übernahm das Ruder. Ich legte mich in die Koje, ohne dringend benötigten Schlaf auch zu finden. Was mich wieder an Deck rief, war die Tatsache, dass wir in der Strömung achteraus trieben.

Über Funk gab ich Anweisung, die Außenborder zu starten und das Alternativziel Langør anzusteuern. Da segelten die Meisten noch mit zufriedenstellendem Wind, doch der schlief dann um uns herum überall ein, kam in Form einer Schauerbö aus ungünstiger Richtung zurück und pegelte sich schließlich auf einen Südsüdost ein, der uns an dieses Ziel brachte, ohne für Ambitionierteres zu taugen. Ich kam mir so verarscht vor wie selten, als wir am frühen Nachmittag mit sechs Knoten auf den Hafen zuschossen, während wir Meilen dringender brauchten als alles Andere. Doch die Entscheidung erwies sich als richtig: Wir erwischten die fünf letzten freien Boxen. Hätten es zum nächsten Hafen Ballen nur mit Mühe geschafft und dort wahrscheinlich keinen Platz bekommen. Konnten den warmen, sonnigen Abend an einem wunderschönen, landschaftlich einzigartigen Ort zu ausgiebigem Landgang und geruhsamem Ausklang nutzen. Und uns motivieren für die nächste Episode des Abenteuers.





Special Move Time

„Paula“ legte als Letzte ab. Björn hatte sich längst stillschweigend damit abgefunden, dass „Paula“ nicht anders als einhand gesegelt werden kann, und dass ich derjenige bin, der die Entscheidungen trifft. Ich selbst hatte inzwischen begriffen, dass ich aus meiner Haut nicht herauskonnte. Das funktionierte bestens - Björn formulierte es später so: Hätten wir zusammen ein Boot gechartert, wären wir aneinandergeraten. Aber auf „Paula“, soviel war ihm schon vorher klar, ordnete er sich unter. Während die Charterboote aus der von Untiefen durchzogenen Bucht motorten, segelten wir mit eineinhalb Knoten durch die Morgenstimmung. Björn legte sich wieder schlafen. „Paula“ und ich warteten an der letzten Fahrwassertonne auf Wind. Begannen zu kreuzen. Jammerten über die gegenläufige Strömung, die uns die Laune verdarb. Ich startete den Motor und gab solange Gas, bis wir „Oliese“ eingeholt hatten und mit direktem Kurs auf die Südspitze von Samsø segeln konnten. Und nun begann der Spaß!

Mit Schrick auf den Schoten sausten wir mit fünfeinhalb Knoten „Oliese“ davon, näherten uns „Salty“ und dem Windpark, nahmen Kurs auf Aebelø. Ich war zufrieden - zum ersten Mal seit drei Tagen. Und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie erleichtert und begeistert die Gäste jetzt waren, als es sich endlich wieder wie richtiges Segeln anfühlte und die gut fünfzig Meilen wie ein Katzensprung erschienen. Hin und wieder spritzte Gischt ins Cockpit und rechtfertigte das Tragen des Ölzeugs. Irgendwann tauchte Björn wieder auf und übernahm. Mein dringend benötigter Schlaf litt unter der Schräglage und der Tatsache, dass nur die luvseitige Koje zur Verfügung stand - ich musste die Füße in die andere Koje stecken, um einigermaßen meine Position zu fixieren, und diese Haltung erinnerte mich an lange zurückliegende Bahnreisen mir Interrail, während derer ich zwischen und unter Sitzen schlief.

Hinter Aebelø ging ich wieder ans Ruder - der funktionale Name „Anne Pinne“ wurde geboren. Als wir uns Fredericia näherten und in den Trichter einliefen, musste ich Höhe verschenken und einem Kümo ausweichen, der seinen Platz auf Reede suchte und dabei beharrlich Schallsignale aussandte. Sich die Augen reibend krauchte Björn aus der Koje und fragte: „Haste mir n Wecker gestellt?“ Dann wurde unsere zügige Fahrt jäh gebremst. Strömung....! Sie lief uns mit zwei Knoten entgegen, und die nach Luftlinie kurze Reise in den Yachthafen von Middelfart drohte eine mühsames, langwieriges Unterfangen zu werden. Es wurde Zeit für das, was die Gäste später „special move“ nannten...

„Salty“ war querab in Lee, „Oliese“ eine halbe Meile achteraus. „Martha“ und „Frieda“ segelten außer Sicht irgendwo voraus, „Martha“ gab über Funk irgendwelche schlauen Tipps an die Flottille, die jedoch vollkommen unverständlich blieben. Wir amüsierten uns darüber und kämpften uns luvwärts, denn am südlichen Ufer erwartete ich eine schwächere Strömung. Als wir am Strand beim Leuchtfeuer Strib gar eine Gegenströmung erwischten und ohne großen Druck im Segel sechs Knoten über Grund liefen, war ich begeistert. Die Kante zwischen Strom und Gegenstrom war in der Folge gut zu erkennen, und es war klar, dass wir an der Biegung möglichst geradlinig ans gegenüberliegende Ufer gelangen mussten.

„Paula“ lief sagenhaft viel Höhe. „Salty“ hinter uns vertrieb beinahe in den Industriehafen von Fredericia. „Oliese“ staunte, „Martha“ schickte weitere schlaue Tipps. Am Ufer fanden wir eine ziemlich breite Zone mit mitlaufender Strömung und ausreichend Wind - gerade eben schlugen die Segel nicht, doch wir liefen fünfeinhalb Knoten. Zwei Holeschläge waren trotzdem nötig, dann sausten wir unter der Autobahnbrücke hindurch. Und sahen „Martha“, die gerade stadtseitig in der Abdeckung verhungerte. An der Eisenbahnbrücke hatten wir sie hinter uns.

Der Yachthafen von Middelfart ist seiner traumhaft schönen, romantischen Umgebung definitiv nicht würdig. Wir waren trotzdem froh über einen Liegeplatz nach diesem aufregenden Tag. Im Besonderen galt das für die „Oliese“-Crew, denn als im Faenø Sund der Wind einschlief, startete der abgesoffene Außenborder nicht. Björn, „Paula“ und ich liefen also noch einmal aus, um den Havaristen zu schleppen, was allerdings schon eine kleine Motoryacht tat.

Während ich neben her tuckerte und darauf wartete, den Schlepp zu übernehmen, ahnte ich nicht, wie dramatisch es noch einmal werden sollte. Ich wusste nämlich nicht, dass die Motoryacht von einem Gebärdensprachler in Begleitung zweier Kinder gesteuert wurde. Ich wunderte mich also nur, dass zwischen "Oliese"-Crew und Motorboot offenbar keine Kommunikation stattfand. Dass der Mann sich überdies nicht im Klaren war, dass ein Folkeboot im Vergleich zu einem kleinen Motorboot unendlich lange ausläuft, wenn es einmal richtig in Fahrt ist, sah ich auch nicht kommen. Die Situation eskalierte, als der Schleppverband unvermittelt und in voller Fahrt die ersten freien Boxen im Hafen ansteuerte, ohne dass die Schleppleine gelöst wurde. "Oliese" dreht im letzten Moment ab, die Schleppleine kam steif, das Motorboot tat einen Satz. Dann war endlich Ruhe.

Der Außenborder startete problemlos, und wir blickten endlich mal wieder auf einen vollauf gelungenen Segeltag zurück, der uns so viel Strecke beschert hatte, dass die Schlei nun in Reichweite lag. Die fehlenden sechzig Meilen würden wir an den zwei restlichen Tagen auch noch schaffen.

Nach all der Aufregung beteiligten Björn und ich uns erstmals an der Anlegerzeremonie: Eine Buddel Rum machte die Runde, und dann wurde die Flottillenflagge weitergereicht. Sie wurde allabendlich an das Boot verliehen, das sie sich an diesem Tag besonders verdient hatte. Diesmal fiel diese Ehre "Paula" zu - für die heldenhafte Rettung "Olieses" und für den "Special Move" in der Neerströmung, der auf den anderen Booten offenbar mächtig Eindruck hinterlassen hatte.

Am nächsten Abend in Fyns Hav, es war ja der letzte Abend, hätte ich die entzückenden Gäste allesamt knuddeln und mit der Flottillenflagge auszeichnen wollen - unendliches Durchhaltevermögen, durchweg ruhige, bemerkenswert problemlose Anlegemanöver und die Tatsache, dass alle Boot heil geblieben waren, waren Grund genug. Doch ich konnte das Tuch ja nicht teilen. Also gab ich es der "Salty"-Crew, die das geliebte Schiffchen rehabilitiert hatte: Auf dem Hinweg segelte "Salty" beharrlich am langsamsten, ohne dass Trimmfehler erkennbar oder andere Erklärungen zu finden waren. Jetzt fuhr das gleiche Boot munter vorneweg, weder die chronisch schnelle "Frieda" noch die schwer beladene "Paula" hatten eine Chance.

Es wurden noch einmal die Musikinstrumente gestimmt, und wir trafen Folkeboot "Havfruen" mit Fotograf Michael Müller, unterwegs im Rahmen eines Fotoprojekts über Folkeboote und die Menschen an Bord. Nachdem er uns mit dem Auto noch einmal zur Tankstelle gefahren hatte, dümpelten wir in der morgendlichen Flaute mit schlaffen Segeln aus dem Hafen und ließen uns ablichten.

Der letzte Tag darf ja gerne zum Abgewöhnen sein, damit das Absteigen leichter fällt. Wir rechneten nicht mit Wind, hatten dank Michael genügend Benzin, um die ganze Strecke zu motoren. Doch kaum hatten wir Mommark passiert, kam eine wunderbare Brise auf, die bald auf Westsüdwest drehte und uns für manchen Flautentag entschädigte. "Special Move Time" war diesmal in Schleimünde, wo "Paula" und "Salty" sich, anstatt vorm Leuchtturm die Segel zu bergen und den Außenborder zu starten, bei fünf Beaufort mit drei Bootslängen Abstand auf eine spannende Kreuz machten. Ich bin ja schon manches Mal in die Schlei gekreuzt, aber noch nie unter Regattabedingungen. "Paula" gelang es tatsächlich, ihre Schwester zu überholen.

Und dann, pünktlich um 16 Uhr 15, waren alle Boote in Arnis fest. Drei Stunden später standen schon die ersten neuen Gäste auf dem Steg. Vor uns stand die schwierige Aufgabe, den Sprung zurück in den Alltag zu schaffen. Ein bisschen verändert hatten wir uns, kein Wunder bei so vielen intensiven Erlebnissen in kurzer Folge - und möge dieser Eindruck lange anhalten.





Persönliches Fazit

Mehrere Teilnehmer fragten während der Reise, wie das Ganze denn für mich sei - es entging ihnen nicht, dass das, was für sie Urlaub bedeutete, für mich nicht nur dem Namen nach eine Dienstreise war. Dabei war die Idee, in dieser Form eine Schwedenreise anzubieten, keineswegs ohne Eigennutz, und damit meine ich nicht in erster Linie die Chartergebühr.

Es war nach der Rückkehr von „Paulas“ und meiner letzten Schwedenreise 2012, als ich mich entschloss, meinen bisherigen Job aufzugeben und den Charterbetrieb zu übernehmen. Die Hoffnung, irgendwann wieder auf eine größere Reise gehen zu können, war von Anfang an im Spiel. Zunächst dachte ich daran, für zwei oder drei Wochenenden eine Vertretung zu organisieren - doch eine Person mit den entsprechenden menschlichen, bootsbauerischen, organisatorischen und seglerischen Kompetenzen zu finden, die gleichzeitig nur so sporadisch Geld verdient, ist einigermaßen utopisch. Einigermaßen spontan sprach ich also Charterer und Flottillenteilnehmer auf die Idee einer Schwedenreise an, und der Törn war relativ schnell ausgebucht.

Als leidenschaftlicher Segler war ich bisher sehr zufrieden damit, all die schönen Häfen, Ankerplätze und Orte abklappern zu können, die außerhalb der Reichweite eines Wochenendtörns liegen und bei längeren Reisen notgedrungen am Rande der Strecke bleiben. „Paula“ und ich haben ja immer mal wieder vier, fünf, sechs Tage Zeit, während die Charterboote unterwegs sind, und die einwöchigen Flottillentörns in die Dänische Südsee gewähren uns auch einen gewissen Auslauf. Vor zwei Jahren verwöhnte „Paula“ mich damit, dass sie eigenhändig das Kommando übernahm und mich zwang, mit ihr in sechs Tagen rund Fünen zu segeln, weil sie wusste, dass ich so gerne mal wieder nach Korshavn wollte.

Nun war es also amtlich, dass wir nach Göteborg sollten - dorthin hatte die Hinweggruppe gebucht, dort erwartete uns die Rückwegggruppe. „Paula“ lag seltsam im Wasser, vorne war ihr Wasserpass nicht zu sehen, war doch die Vorpiel mit Werkzeug und Ersatzteilen vollgestopft. Entsprechend gemächlich wühlte sie sich bisweilen durch die See. Und natürlich war eine gemeinsame Reise mit den Charterbooten nicht das Gleiche wie ein schöner Urlaub allein: Auf dem Hinweg war die „Oliese“-Crew nicht das einzige Problem, es musste hier und da eine Schraube angezogen, ein Teil repariert, ein Ausrüstungsgegenstand ersetzt werden. Auf dem Rückweg war längst nicht nur mein eigenes Durchhaltevermögen gefragt, sondern auch das der Gäste, denen ich dennoch so viel Schönes wie möglich zu bieten hatte, und obendrein hatten wir auch noch Björn an Bord, den ich als Mitsegler zu akzeptieren beabsichtigte, nicht als reinen Passagier und keinesfalls als Störfaktor - war er angesichts meines engen Verhältnisses zu meinem Boot durchaus hätte sein können.

Wenn ich nun sage, „ich mache das nochmal“, liegt es wesentlich an den mitreisenden Charterern, die - jede und jeder auf seine und ihre Weise - unersetzlicher Teil des Ganzen waren. Aber es gab auch ganz persönliche Gefühle, die einen Törn wie diesen unverzichtbar machten: Die Begeisterung, die mich umgab, die Dankbarkeit, dieses Erlebnis ermöglicht zu haben. Die Wertschätzung dafür, dass ich meine Erfahrung Allen zugute kommen ließ. Meine geliebten Charterboote in ihrem angestammten Habitat zu sehen, sich fröhlich in die See stürzend, anstatt einen gemütlichen Schleitörn zu segeln, war eine ganz besondere Freude.

Vor allem aber gab es Momente, in denen mir die Tränen in die Augen schossen: Als wir die Südspitze Samsøs umrundeten und vor uns erstmal die Weite des Kattegats sahen, die wir in den nächsten Tagen durchqueren sollten, musste ich wirklich weinen. Vier Jahre hatten wir darauf verzichtet, und erst hier, als mir das bewusst wurde, spürte ich, wie sehr wir es vermisst hatten. Als wir dann „Frieda“ im Kielwasser ließen und nach siebzig Meilen am Kungsbackafjord die ersten Schären erreichten, war das wieder so ein rührender Moment.

Ich sprang und tanzte über die Felsen, die ich bereits kannte. Erkundete vorsichtig die neuen. Freute mich darüber, auf Aastol und in Marstrand sein zu dürfen. Genoss es mit einem gewissen Stolz, dass meine fünf Boote hier lagen und glückliche Crews an Bord hatten. Verzweifelte tiefer als die Gäste an den Flautenphasen des Rückwegs. Atmete um so vernehmlicher auf, als es wieder voranging. Bedurfte immer wieder „Paulas“ Rückhalt, die nicht nur sagenhaft segelte, sondern auch ihre fabelhafte Selbstsicherheit ausstrahlte, egal wie es lief. Die mir ständig zu verstehen gab, dass meine Entscheidungen niemals absurd falsch, meistens goldrichtig waren. Ich hätte platzen mögen vor Genugtuung, als wir pünktlich in Arnis einliefen. Es war wirklich eine außergewöhnliche Reise, und bestimmt gefiel mir das besser, als endlich mal wieder das Gleiche zu tun, das ich bereits mehrfach gehabt hatte.

Eine neue Schwedenreise wird also sicher ihren Weg in den Törnplan finden, mit neuen Gästen und ganz anderen Erlebnissen und Herausforderungen. Sie kann und wird keine Wiederholung sein, sondern ein ganz eigenständiges Abenteuer, dessen Verlauf von den Teilnehmern und der Wetterlage viel mehr bestimmt sein werden als von meinem eigenen Geschick. Wer mich also fragt, wie es für mich gewesen ist, wird zu hören bekommen: „Ja, danke dafür, es war großartig, und nächstes Jahr will ich da wieder hin.“

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