Paulas Törnberichte | ||||||
|
Halber Wind reicht: Sommerreise 2019,
Teil 2
Prächtige Abendsonne hüllt den
idyllischen Naturhafen in romantisches Licht. Ein perfekter Segeltag
geht nahtlos in einen unbeschwerten Abend über. Die
Gewittrigkeit der letzten Woche ist schönstem Sommerwetter
gewichen, die 25 Meilen nach Langør waren bei stetigen vier
Windstärken ein Genuss, und in ähnlichem Stil werden
wir an der Nordküste Seelands entlang nach Kopenhagen segeln.
Das Motto: Halber Wind reicht.
Juni 2019
Jürgen
bleibt Frieda noch eine Woche erhalten. Oli und Martha beherbergen nun
eine lustige Truppe aus dem Bergischen Land. Morgens um sechs hockten
die fünf Männer schon im Hafen, ziemlich platt nach
einer
Nacht im Zug, und mussten doch noch warten, bis die
Vorgängercrews
ausgeschlafen hatten und abreisten. Nachdem sich drei mit wenig
eingängigen Spitznamen vorgestellt hatten, sagte ich: "Die
Namen
müsst ihr mir noch häufiger sagen, die kann ich mir
so
schnell nicht merken." Die anderen beiden hießen dann beide
schlicht Uli...
Die Einweisung war unvergesslich: Einem nach dem Anderen fielen die
Augen zu, einer machte es sich schnarchend auf Paulas
Kajütdach
bequem, den Kopf aufs Schlauchboot gebettet. Ich merkte aber gleich:
Eigentlich brauchen die keine Einweisung. Sie können segeln.
Waren
auch schon häufig mit Folkebooten unterwegs. Sie sind
hochmotiviert und begeisterungsfähig. Am liebsten
wären sie
sofort ausgelaufen, aber angesichts von Flaute und Dauerregen,
abgelöst von siebener Böen am Nachmittag, habe ich
sie doch
lieber erstmal in die frisch bezogenen Kojen geschickt.
Heute hat sich der erste Eindruck bestätigt: Da blieb kein
Boot
Stunden zurück, dass Paula und ich als Erste anlegten, war
keine
Selbstverständlichkeit. Wir mussten uns Mühe geben.
Auf der
letzten Meile haben wir Oli und Martha dann doch überholt,
drei
Boote knatterten unter Vollzeug in den Hafen. Husch! gehen die Segel
runter unter die Außenborder an, zack! sind die Boote fest.
Eingespielte Crews sind durch nichts zu ersetzen. Finde ich toll - auch
wenn ich darauf hinweisen muss, dass wir das in volleren und engeren
Häfen so nicht machen dürfen.
Jetzt wird drüben auf der Martha die Klampfe ausgepackt, der
ganze
Hafen lauscht und freut sich. Irgendwann zieht es mich in die Koje.
"Aber macht ruhig noch ein bisschen so weiter", sage ich den
Gästen. Machen sie aber nicht. Die Blue Tooth Box kommt zum
Einsatz. Deep Purple in voller
Lautstärke, begleitet von alkoholisiertem Mitgrölen -
das ist
nicht unbedingt der richtige Soundtrack für einen lauschigen
Naturhafen. Ich bin es auch nicht gewohnt, von den eigenen
Gästen
am Schlafen gehindert zu werden. Aber das sind ja erwachsene
Männer, keine Sechzehnjährigen - ich bleibe
optimistisch.
Der erste Nachbar beschwert sich: "Könnt ihr euch mal leiser
unterhalten? Wir wollen hier schlafen." Die Gruppe reagiert prompt:
Gespräche werden eingestellt. Die Musik noch lauter
aufgedreht. Es
ist dreiundzwanzig Uhr. Eine halbe Stunde höre ich mir das
noch
an, dann rappele ich mich auf und gehe rüber. "Macht die Musik
aus", sage ich. Fünf glasige Augenpaare starren mich an.
"Musik
aus", wiederhole ich mehrfach. Einer lallt: "Ja, gleich."
Es ist - ich möchte sagen: leider - eine bewährte
Strategie,
eine eskalierende Situation zuende zu eskalieren. "Nee, jetzt sofort",
beharre ich. Aber es tut sich nichts. Die Box
hängt an einem Karabiner. Ich finde, drastische
Maßnahmen
sind jetzt gefordert. Der Karabiner ist leicht zu öffnen.
Einige
Sekunden halte ich das Teil außenbords. Keine Reaktion. "Wenn
ihr
das so wollt", sage ich schulterzuckend und lasse los.
Einer zieht sich aus, schwimmt hinterher und rettet, was nach
mehrminütigem Betrieb im Salzwasser garantiert nicht mehr zu
retten ist. Ein zweiter wankt zur Toilette und fällt auf dem
Rückweg ins Hafenbecken. Der Eigner der Box textet mich eine
halbe
Stunde lang zu, dass das echt nicht in Ordnung sei. Irgendwann
kehrt wahrhaftig Ruhe ein. Am nächsten Morgen redet der
Reiseleiter von Disziplin. Er hat verstanden, worum es mir ging.
Pünktlich laufen wir aus. Und wieder wird es ein grandioser
Segeltag mit viel Sonne und einer schnellen Reise nach Odden. Paula
läuft mit einer halben Minute Vorsprung als Erste ein.
Abends begeben Jürgen und ich uns auf Landgang. Eine Gruppe
innerhalb der Gruppe ist allgemein etwas unglücklich, diesmal
können wir, die beiden Einhandsegler, uns ganz gut damit
arrangieren. Meine Begeisterung hat dennoch einen Dämpfer
erlitten. Ansonsten ist es eine phantastische Woche. Der Wind bleibt
prächtig, Gilleleje ist der nächste
Höhepunkt:
Werftbetrieb, lebhafte Fischerei, deren Fang an Ort und Stelle frisch
gekauft und verzehrt werden kann. Segelschule, Ruderregatta,
spektakulärer Sonnenuntergang, alles direkt vor unserem
Liegeplatz. Nur das Feuerwerk fehlt.
Wir haben noch Zeit für einen Schlag nach Svanshall in der
Skälderviken, der großen Bucht nördlich des
Kullen. Im
Lee des Felsmassivs schläft der Wind ein. Das
Gekräusel
verrät, dass der meiste Wind, völlig antiintuitiv,
dicht
unter Land ist - das müssen Fallböen sein. Weiter
draußen ist die Wasseroberfläche glatt und
ungestört.
Paula kreuzt im Gekräusel vor dem Granit. Olieses Crew
durchschaut
den Trick und folgt uns. Die Crew ist auf zack. Und ich viel zu sehr
mit Fotografieren beschäftigt, um zu hundert Prozent bei der
Sache
zu sein. Oli zieht vorbei. Die Crew freut sich - ich habe
längst
verstanden, dass meine Autorität davon abhängt, wie
gut wir
segeln. Dass Oli im Gegensatz zu Paula oder Martha generell auf jeden
Windstoß sofort anspringt und lossaust, wollen die
Gäste
nicht wissen - sie sind siegessicher. Doch als wir am Berg vorbei sind
und der Südost stetig wird und zunimmt, werden die Karten neu
gemischt. Paula zieht triumphierend vorbei.
In Svanshall liegen wir miserabel in der Einfahrt, durch die
tüchtiger Schwell läuft. Dennoch isst es
großartig: Der
halbe Ort nutzt die Pier als Sprungbrett für ein schnelles
Bad,
zuerst die Jugendlichen, dann die Kinder, schließlich die
Erwachsenen und dann erneut die Jugendlichen. Gegen Abend kehrt Ruhe
ein, der Wind legt sich, der Schwell isst weg, und wir können
ruhig schlafen. Es kommen selten Gastlieger hierher. So selten, dass
uns fast jeder einen Besuch abstattet, außer dem
Hafenmeister.
Hafengeld verlangt niemand.
Um nach Helsingør zu kommen, nutzen wir
hauptsächlich die
Schauerböen, ansonsten ist es eher schwachwindig.
Helsingør
- dort wurde Salty gebaut, die jetzt leider nicht bei uns ist. Obwohl -
wenn es ihr wie Paula geht, möchte sie gar nicht an ihren
Ursprung
zurückkehren. Boote schwelgen nicht in der Vergangenheit. Hier
hat
auch Björn seine Jane gekauft, die dann auf dem
Überführungstörn beinahe abgesoffen
wäre. Mit Paula
war ich vor zehn Jahren hier - ich wollte aber unbedingt nach Ven und
verstand die Zeichen nicht: Gegen Wind und Strömung kreuzten
wir
auf der Stelle hin und her, immer wieder kehrten wir zur Hafeneinfahrt
von Helsingør zurück, "Hallo, hier bin ich, ein
schöner Hafen!" rief der Hafen - und ich startete den
Außenborder und quälte Paula noch zwei Stunden, um
meinen
Dickkopf durchzusetzen. Diesmal legen wir also endlich an im Schatten
von Schloss Kronborg. Prädikat: Lohnt sich! Und dann geht es
weiter nach Kopenhagen.
Die Kleine Meerjungfrau hätte sich gewundert. Doch sie ist zu
beschäftigt, muss sie doch für Busladungen von
Touristen
posieren. Vier kleine Schiffchen fahren in die große Stadt -
ein
nicht alltägliches Erlebnis. Im Hafenhandbuch ist es
unmissverständlich beschrieben: Bis hierher darf man segeln.
Allerdings nur östlich der langen Reihe von
Sperrgebietstonnen.
Als wir eintreffen, sind keine anderen Sportboote unterwegs, die eine
Orientierung böten, und ich bin felsenfest überzeugt,
uns
westlich der Sperrgebietstonnen halten zu müssen. Beim
Segelbergen
in der kleinen Bucht bei der unscheinbaren Bronzestatue sind wir drei
Rundfahrtbarkassen im Weg. Doch wir sind in Dänemark: Niemand
hupt
oder regt sich auf, geduldig warten die Kapitäne, bis unser
Außenborder läuft und wir weiterfahren.
Urpsrünglich wollte ich auf keinen Fall mitten in die Stadt,
peilte einen der nördlichen Yachthäfen an. Jetzt ist
es gar
keine Frage: Wir versuchen im Christianshavns Kanal unser
Glück.
Eine neue Hürde liegt davor: Eine
Fußgänger-Klappbrücke, die sogenannte
Dreiwegebrücke. Wie kriegen wir die bloß auf? Wir
legen uns
an die Wartepier. Der Brückenwärter kommt und sagt,
er mache
genau jetzt auf. Immer zur vollen Stunde, es ist eine Punktlandung.
Dahinter finde ich eine leere, breite Box, in die Oli, Martha und
Frieda nebeneinander passen. Und fünfzig Meter weiter ein
schönes Plätzchen für Paula. Neben uns
wohnen auf
begrünten Motoryachten zur einen Seite ein lesbisches
Pärchen, zur anderen Seite ein schwules Pärchen.
Dazwischen
machen wir es uns gemütlich.
Kopenhagen strotzt vor Kreativität. Auf dem Dach des
Kraftwerks
eine Skipiste. Das Museum für moderne Kunst in
Humlebæk.
Christiania. Und die Dutzende von Lebenskünstlern, die auf
Hausbooten und Yachten im Christianshavns Kanal leben und wohnen. Und
wir sind zum Crewwechsel mittenmang dabei! Weil es auch mal wieder ein
bisschen Proviant zu beschaffen gilt, trifft es sich enorm gut, dass
ich noch nie einen so kurzen Weg zum nächsten Supermarkt hatte
-
knappe 100 Meter. Kürzer ginge nur, wenn der Laden einen
eigenen
Anlegesteg hätte...
Die beste Unterhaltung bietet zweifellos der Verkehr auf dem Kanal
selbst. Im Minutentakt fahren Rundfahrtbarkassen an uns vorbei.
Asiatische Touristengruppen hantieren, dem Klischee entsprechend,
unablässig mit Kameras und Selfie-Sticks. Dazwischen verkehren
kleine Bötchen mit Elektro-Außenborder, die
Landrattentouris
neuerdings scheinfrei mieten können. Das Fahrverhalten
schwankt
zwischen erratisch und chaotisch. Und dann kommen immer wieder die
Einheimischen auf ihren aus Europaletten und OSB-Platten
zusammengespaxten Flößen: Couchgarnituren, Grills
und
Zapfanlagen gehören notwendigerweise an Bord.
Die Gäste reisen ab. Jürgen mit seiner ruhigen Art
und dem
Kampfgeist, mit dem er sein Einhandabenteuer auf sich genommen und
erfolgreich bewältigt hat, werde ich ein bisschen vermissen.
Und
die Anderen? Ich habe bisher noch gar nicht ihre Schlagfertigkeit
gelobt. In Langør kam ein Ehepaar den Steg entlang,
betrachtete
unsere Boote, und die Frau sagte im patzigen Tonfall einer vorlauten
Sechsjährigen: "Wir haben auch keine Stehhöhe."
Antwort aus
der Gruppe: "Was willste denn die ganze Zeit stehen? Ist doch viel zu
anstrengend!"
weiter: Die
Flaute
und das Andere. Mit Grenåer Woche