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Sechs Richtige

Sechs Folkeboote mit lauter phantastischen Menschen an Bord sind beste Voraussetzungen für meinen ganz persönlichen Lottogewinn. Den Jackpot knackt Paula: Nach dreißig Meilen, in deren Verlauf Paula keinen Meter aufgeholt hat, begreife ich, warum sie sich heute so zurückhält - sie hat einen ganz großen Auftritt geplant, und zumindest Frieda ist eingeweiht. Vorfreudig reibe ich mir die Hände, denn ich ahne, dass es gleich verblüffte Gesichter gibt und wir anschließend beweisen werden: Nur weil eine Sache unmöglich ist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht klappt.

Juni 2022

Die Teddys haben sich während der Reise erstmals auf offenem Wasser aus dem Cockpit gewagt. Der kleine hat fürs Foto sogar mutig einige Minuten auf dem Baum in einer Falte des Großsegels ausgeharrt. Relativ früh morgens sind wir in Stagodde ausgangs des Haderslev Fjords gestartet. Paula wie üblich als Letzte der sechsbötigen Flottille, die Gäste nehmen gerne ein bisschen Händchenhalten an der Vorleine und einen rübergerufenen schlauen Tipp in Anspruch. In den letzten sechser Böen des nächtlichen Gepustes lassen wir uns dann mit Ablegen und Segelsetzen Zeit: Erstmal entlang der Sorgleine aus der Box, dann Segel hoch, Großschot passig belegt. Schließlich sage ich: „Ich fange an, dann bist du dran, Paulchen“. Ich löse die Vorleine und laufe ich mit dem Heckpfahl im Arm ein paar Meter los, bevor ich uns seitlich wegstoße. Das Segel kriegt Druck, Paula saust los, und ich ziehe schnell noch die Fock hinterher. Es ist immer wieder ein wunderbares Erlebnis, wenn das Boot einfach so lossegelt, und der Eigner, der die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, erledigt jetzt eben den Rest, bevor er es sich in der Sicherheit des tiefen Cockpits gemütlich macht.

In Aarøsund bremsen Abdeckung und gegenläufige Strömung uns ein bisschen aus, zu Beginn der fünfzehn Meilen offenen Wassers läuft es phantastisch, später nicht mehr so gut, schließlich wieder besser, wenngleich nicht ideal, bevor wir zwischen Hornenæs und Lyø in die Inselwelt eintauchen. Zweimal haben wir Oliese überholt, zweimal sind wir wieder zurückgefallen - ich ahne schon: Paula hat heute entweder keine Lust oder etwas Besonders vor. 

An Lyø und Avernakø vorbei, wo es immer etwas zu gucken gibt, keine Welle ist und eine anständige Brise weht, vergeht die Zeit wie im Fluge - "huch, schon vor Korshavn?", wundere ich mich, aber Hornenaes ist auch schon eineinhalb Stunden her. Wir bleiben hintenan - bis wir auf Ostkurs nach dreißig Seemeilen die grüne Tonne östlich von Nakkeodde erreichen.

Diese wunderbare Gruppe hat sich auf jeden Fall den schönsten Hafen der Welt verdient,  den Gamle Havn auf Drejø. Dafür würde ich sogar den verpönten Außenborder starten, allerdings äußerst ungern. Der anfängliche Südwest hat erwartungsgemäß auf Süd gedreht und wird laut Prognose auf Südost weiterdrehen - der Kurs in der superengen Rinne zum Hafen, in der Kreuzen unmöglich und Umkehren ein Wagnis ist, ist 160 Grad. Ich gehe davon aus, dass Paula und ich das ergebnisoffen mal probieren.

Von besagter grüner Tonne geht es mit 145 Grad zur Ansteuerungstonne. Paula und ich hecheln halbwinds hinterher, als die Anderen, Frieda vorneweg, die Tonne erreichen und anluven - allerdings höchstens zehn oder fünfzehn Grad. Entweder dreht da vorne der Wind ganz massiv, oder die verschenken massiv Höhe. Oder sie haben die Orientierung verloren. Oder Paula hat einen Plan, und zumindest Frieda ist involviert und öffnet den Weg für unseren Auftritt. Denn wir werden unter Segeln den Gamle Havn schaffen mittels eines Zaubertricks. Und ich sehe auch kommen... aber der Reihe nach - zuerst erreichen wir die Tonne und luven an. Maximale Höhe 150 Grad, solider Kurs Richtung Ansteuerungstonne, die sich drei Meilen voraus vor der farbenfrohen Insel versteckt und erst spät zu sehen sein wird.

Über Funk höre ich: „Wo fahren wir eigentlich hin?“ - „Bestimmt kann man da reinsegeln, vielleicht dreht der Wind ja sogar noch, wir probieren das.“ Frieda vorneweg ins Nirvana, Salty, Martha und Louise folgen, Oli ist unmittelbar vor uns und dreht bei, um uns vorbeizulassen und uns zu folgen. Paula saust ihr weg, mein Grinsen wird breiter. Ich muss es ein bisschen dämpfen, als Frieda auf ihrem Holeschlag angesegelt kommt und hinter uns durchgeht. Ich zucke die Schultern. Sören, der uns zuletzt beim Ablegen gesehen hat und seitdem nicht mehr, fragt: „Wo kommst du denn jetzt her?“ Ich zeige zurück zur grünen Tonne und sage: „Von da.“

Wir erreichen das Fahrwasser. Also die Rinne: Eine halbe Seemeile lang, zehn Meter schmal, betonnt durch Besenstiele mit Plastikeimerchen als Toppzeichen. An ihren Rändern wird es schon, nein, nicht flach, sondern seicht. Sie führt zu einem Hafen, dessen Solltiefe unserem Tiefgang entspricht. Der Gamle Havn ist leer und für heute unser! Wenn wir denn heil reinkommen. Fock runter. Traveller komplett nach Luv, Großschot maximal dicht, das Groß steht beinahe back. In dieser Konfiguration hat selbst ein Folkeboot gehörige Abdrift, ein bisschen Strömung spielt vielleicht auch eine Rolle, beides versetzt uns nach Lee, also segeln wir mit entsprechendem Vorhaltewinkel. Feingefühl ist gefragt - wenn ich es überreiße mit dem Höhelaufen und die Strömung abreißt, ist sofort der Schwung weg, und wir fallen ab und laufen auf. Wir segeln hier zwanzig Grad am Wind! Und das mit knapp unter zwei Knoten gar nicht mal so langsam. Es kann aber noch viel schiefgehen, zumal wir irgenwann in die Abdeckung des Wäldchens kommen.

Ich gestatte mir einen Blick über die Schulter. Auf Martha, Louise und Oli wurden sicher vor der Rinne die Segel geborgen und die Außenborder gestartet. Inzwischen sind auch auf Salty und Frieda die Segel unten, beide Boote sitzen außerhalb des Fahrwassers auf Grund. Das war absehbar, sowohl der optimistische Versuch als auch sein Scheitern, aber ich freue mich über den Elan und weiß, dass diese sanfte Grundberührung kein Problem sein wird. Paula und ich segeln unbeirrt und hochkonzentriert weiter.

Mit 1,7 Knoten in die Abdeckung - Schot auf, Paula wird nicht langsamer, das Aufstoppen am Pfahl gerät tatsächlich noch ein bisschen quietschig. Groß runter, dann wriggen wir in die hinterste Hafenecke, Paula dreht sich nochmal um, damit wir morgen bequem starten können. Die Gäste treffen in loser Folge ein und sind völlig geflasht von dem tollen Segeltag, dem unbeschreiblich idyllischen Hafen und dem grandiosen Segelmanöver, das sie soeben beobachtet haben, ohne es imitieren zu können.

Ich bin mir sehr bewusst, dass uns etwas Besonderes gelungen ist. Ich würdige es mit einigen Küsschen fürs unübertreffliche Boot, bevor ich eine Runde Bier spendiere - aus dem Kühlschrank des schuppenartigen Klubraums, fünf Kronen pro Flasche, preisstabil seit zwanzig Jahren. Willkommen auf Drejø.

*

Es ist ein besonderer Flottillentörn: Mein persönliches Wunschkonzert. Die Gäste sind handverlesene Stammgäste. Zum Teil kennen sie sich schon untereinander, zum Teil auch nicht, aber ich weiß genau, dass das eine harmonische Gruppe sein wird, in deren Begleitung ich mich völlig entspannen und allein aufs Segeln konzentrieren kann. Feuerwehrmann Joe hat diesmal statt eines seiner Söhne seinen in den Ruhestand verabschiedeten Kollegen Fred dabei, den Oliese total aufs Segeln anfixt. Sören weicht dieses Mal auf Frieda aus und ist total begeistert von dem schnellen Boot - und das schnelle Boot von seinem ambitionierten Einhandsegler. Bernd hat in den letzten Jahren jeweils drei bis viermal gebucht, nun bringen er und Salty Mitsegler Till die nötigen Handgriffe bei. Folkeboot Louise, die wir vorwiegend aus dem Winterlager kennen, begleitet uns - die beiden Susannes waren bisher sehr vorsichtig, sind lieber zwischen Arnis und Schleimünde hin und her gesegelt als ins große Abenteuer, und möchten mit unserer Unterstützung ihren Aktionsradius erweitern. Zuletzt kommen der Eigner-Susanne Bedenken: Sie will mit ihren alten Segeln und ihrer geringen Erfahrung kein Hemmschuh sein. Okko segelt seit 2016 jedes Jahr eine Woche einhand mit Martha, ansonsten segelt er überhaupt nicht - er ist mein Kronzeuge, um Susanne zu überzeugen, dass ihre Erfahrung unseren Ansprüchen genügt. Die Gruppe ist vorsichtig, lernwillig, bereit für ein Abenteuer, und im Hafen wirkt sie wie eine eingeschworene Gemeinschaft.

Dazu muss man sagen, dass Susanne, Bernd und Sören sich von Jugendtagen auf dem Wanderkutter kennen, aber das spielt für die Gesamtkonstellation gar keine Rolle. Man muss auch sagen, dass die Saison bisher bitterkalt und latent pustig war, und diese Woche wirkt in der Prognose besser, aber nicht unbedingt einfach für denjenigen, der die Törnplanung macht. Ich habe mal wieer optimistisch an Albuen gedacht, aber da war noch von reichlich Ostenwind die Rede, den die Wetterdienste inzwischen gestrichen haben. Bei West und West und Südwest und West riecht es nach dem Lille Belt, vielleicht schaffen wir ja Middelfart.

Wir sind also sechs Boote. Hätte ich Lotto gespielt und diesen Preis, diese sechs Boote und ihre Crews gewonnen, müsste ich unmissverständlich sagen: Sechs Richtige!! Am Samstag ist wenig Wind zu erwarten. Eventuell könnten wir nachmittags mit der Seebrise Sønderborg schaffen, doch der ganze Vormittag ist bedeckt und lässt keine Thermik erwarten. Nun denn - wir laufen um sieben Uhr aus, brauchen gediegene viereinhalb Stunden bis Schleimünde, und bleiben einfach da. Drei Boote längs, drei Boote quer in der Folkebootecke, sowie ein gemeinsames Mahl in der Giftbude, sorgen für den Beat, der uns zusammenschweißt. Sonntag puzzeln wir uns um zehn Uhr aus der Ecke, kreuzen bei leichtem Südost aus der Schlei und gehen auf Nordkurs.

Wir bleiben wunderbar eng zusammen, nur mit Mühe gelingt es der auf Halbwindkurs traditionell unterlegenen Paula, die Anderen zu überholen. Im Stadthafen von Sønderborg üben wir uns im Halten der Position, bis die Brücke öffnet und uns fünfzig oder sechzig Yachten entgegenkommen. Es ist Pfingsten, die Dyvig muss überfüllt gewesen sein. Wir segeln unbeirrt weiter, gar nicht unbedingt rasant, aber bester Laune, bis der Wind am frühen Abend schwächelt und wir uns gegen Kalvø in der Genner Bugt und für das nähere Barsø entscheiden. Ich versuche mich zurückzuerinnern, an welchem Tag wir in Schleimünde gelegen haben. Was? Das war heute Morgen? Aber es fühlt sich doch so an, als wären wir schon Wochen gemeinsam unterwegs! Den zweiten Abend in Folge geht es nach Mitternacht in die Koje, und so wird es ja auch bleiben, weil die Geselligkeit viel zu angenehm ist, um sie aus reinen Vernunftgründen vorzeitig zu verlassen.

Der Montag beginnt mit Südsüdwest 5-6. Schwell läuft in den Hafen, seit wir aufgewacht sind (vorher aber nicht, die Nacht war angenehm ruhig). Okko und Martha legen als Erste ab und hangeln sich mit meiner Hilfe an die Heckpfähle - dann setzt mit Mordsgepuste der Schauer ein. Wir bleiben vorerst, wo wir sind - Martha an den Pfählen, die anderen Boote in ihren Boxen, die Crews auf dem Steg. Als die Wolke sich endlich verzieht, saust Martha los, und wir schicken die weiteren Boote auf die Reise.

Zu erwarten sind baldiges Aufklaren, nach kurzer Flaute ein Winddreher auf Südost und am Nachmittag weitere Schauer. Middelfart haben wir uns bei dieser Prognose nicht vorgenommen, stattdessen wollen wir nach Haderslev. Also ich möchte das. Bei Südost ist es kein Problem, aber ein Gefühl sagt mir, dass es auch ein Südwind sein könnte, bei dem wir zwei Schenkel des mäandrierenden Fjords aufkreuzen müssten. Susanne erwähnt den Außenborder. Ich sage: „Niemand ist euch böse, wenn ihr letztlich motort. Aber versucht es einfach, das zu segeln.“

Ein bisschen Flaute. Ein bisschen Winddreher. Auf Südost und zurück auf Südwest und schließlich auf Süd. Damit sausen wir in den Fjord, vier Boote in Rufweite zusammen, lächelnde Menschen an Bord, es macht tierisch Laune. Ich schwitze im Ölzeug, bereit für den Schauer, der uns den schönen Wind beschert und hinter uns durchzieht.

Wir kreuzen. Sofort zieht Paula etliche Bootslängen davon. Doch als ich zu fotografieren beginne, kommt Frieda auf. Als ich mit der Kamera vorm Gesicht einen Winddreher verpasse, ist sie vorbei. Ich lege die Kamera unter Deck zu den Teddys und konzentriere mich wieder aufs Segeln. Mir wird klar, dass das Folkeboot nicht 1942, sondern schon während der letzten Eiszeit erfunden wurde. Zumindest haben die damals gedacht, dass es später mal so etwas Tolles geben würde, und dass sie schonmal Spielplätze dafür anlegen müssten. Der Haderslev Fjord mit seinem engen Fahrwasser, seinen Mäandern, seiner Abdeckung, seinen Düsen und seiner phantastischen Landschaft ist für uns optimal. Sören sagt: „Ich segle im Wald.“ Warum eigentlich nicht? Wer neben dem Segeln gerne Waldspaziergänge unternimmt, bekommt hier beides in Einem. Und bis Frieda und Paula, dicht gefolgt von Martha, Haderslev erreichen (und zum Schluss nochmal kreuzen müssen, weil der Wind dreht), hat niemand auch nur in Erwägung gezogen, den Außenborder anzureißen.

Dienstag wäre die letzte Gelegenheit, das erklärte Ziel Middelfart zu erreichen und auch rechtzeitig den Rückweg zu schaffen. Wind ist aber Südwest 4-5 Böen 6-7. Niemand erwartet uns in Middelfart, wir müssen da gar nicht hin, und keiner von uns würde bei diesen Bedingungen freiwillig auf den Belt rausfahren. Es gibt aber einen gemütlichen, geschützten Vereinshafen am Südufer kurz vorm Ausgang des Fjordes: Stagodde. Da wollen wir hin, bevor es richtig loskachelt. Großes Abenteuer: Null Welle, überwiegend Abdeckung hinter den Bäumen, gelegentliche Düsen, und auf der letzten halben Meile das volle, böige Programm. In einer Bö würde ich sonst anluven, aber diesem Fahrwasser muss man folgen, um nicht aufzulaufen, also fiere ich tatsächlich kurz vor Hafen die Großschot, damit das Wasser nicht ins Cockpit schwappt. Anlegen hinter den Bäumen ist kein Problem, für Frieda und Paula auch unter Segeln nicht. Knapp zwei Stunden Segeln sind für heute genug, liefern Gesprächsstoff und Anlass für Begeisterung.

Mittwoch laufen wir früh aus, mit den letzten sechser Drückern und Ziel Gamle Havn. Von Aarøsund bis Lyø sind knapp zwanzig Meilen offenes Wasser zu bewältigen, das mache ich lieber bei Südwest als gegenan, also drängele ich auf die frühe Stunde. Es läuft bisweilen phantastisch, später ein wenig holperig, aber als wir am späten Vormittag in die südfynsche Inselwelt eintauchen, haben wir alle fünf Meilen einen Alternativhafen.

Wir sausen an ihnen vorbei - im Schutz der Inseln ist die Hoppelwelle weg, wir können ein paar Grad abfallen, Winddreher sind uns fortan weitgehen egal - und Paula möchte in den Gamle Havn und nirgendwo andershin und holt trotzdem keinen Meter auf - um schließlich ihr großes Kunststück zu zelebrieren.

*

Logbucheintrag nach dem Ablegen auf Drejø: 10h00 G hoch. 10h25 Leinen los. 10h35 F hoch. Oliese ist schon los, Louise legt gerade ab, die vier anderen Boot scharren mit gesetzten Segeln mit den Hufen. Abends hat sich noch ein weiteres Folkeboot in eine der freien Boxen gelegt, ich plaudere unbefangen mit dem Eigner, während ich Paula an Vor- und Achterleine vom Liegeplatz zerre. „Paula? Bist du dann der, der diesen schönen Blog schreibt? Und hast du nicht auch....?“ Ich lasse die Vorleine sausen, zubbele nochmal an der Achterspring, die Großschot ist belegt, das Segel kriegt Druck, Paula segelt los, und ich hopse an Bord.

Wir wollen nach Fyns Hav und schaffen es bis Søby - beides gute Ausgangspunkte für den Rückweg bei West. Søby hat den Vorteil, dass Erik uns nach Feierabend einen Besuch abstattet. Und nicht nur er - da sind auch Folkeboot Maria aus Svendborg sowie Folkeboot Lilla Flicka. Bei uns bröckelt es ein bisschen: Till ist Samstagabend im Ruhrgebiet als Trauzeuge vorgesehen, muss noch seine Rede schreiben und sein Schapptüch in Lüneburg abbergen - er hat eingesehen, dass das sont ein bisschen knapp würde und steigt heute schon ab. Fähre Ellen hätte ihn schneller nach Fyns Hav gebracht als Salty bei schwachem Westwind - doch sie fährt heute nicht, sondern macht in Sønderborg irgendeine Promotion-Show. Also geht es für Till über Faaborg und Odense irgendwie zurück zu seinem Auto in Arnis. Okko macht die unangenehme Erfahrung, dass Anlegen unter Fock in der Regel nicht vorsichtig, sondern mühsam ist, und dass unvorbereitetes Anlegen unter Segeln generell mühsamer ist als gut durchdachtes: Als er Zeisinge ums Groß zu binden versucht, muss dringend die Fock runter. Als das Fockfall klemmt, müsste er Ruder legen. Irgendwie ist er immer ein paar Sekunden hintenan. Am Ende fangen die Feuerwehrleute Marthas Bugspitze auf, und alles ist gut.

Außer Okkos Knie, das irgendeine Bewegung in all dem Chaos nicht mochte. Morgens sind die Schmerzen eher schlimmer geworden. Ich schlage vor, die Feuerwehr um Hilfe zu bitten - Fred steigt zu Martha über, Joe segelt einhand, wie er sowieso in Erwägung gezogen hatte. Ist das nicht eine phantastische Gruppe?

Der Wind stellt uns für den Rückweg eine weitere anspruchsvolle Aufgabe: Den größten Teil von 26 Seemeilen aufzukreuzen. Die ganze Zeit war für den Freitag Westwind in Aussicht gestellt. Im Gamle Havn war das Netz so schlecht, dass mein Handy kein Update zuließ. Inzwischen ist klar, dass der nächtliche Nordwest rapide auf Südwest und im Laufe des Morgens auf Süd dreht - bei einem Sollkurs von 190 Grad eine ganz schlechte Nachricht.

Zehn vor fünf legt Paula ab in der Hoffnung auf wenigstens noch drei Stunden mäßigen Westwinds, der uns die halbe Strecke voranspülen würde. Wir hoppeln gegen die Dünung des nächtlichen Nordwests ans, und als wir Skjoldnæs runden, können wir nur noch eine Viertelstunde lang die 190 Grad laufen. Gerade gestern, als die Kreuz nach Søby in diversen frustrierenden Holeschlägen endete und nach der Wende immer noch nicht die Hafeneinfahrt vorauslag, habe ich davon berichtet, wie demoralisierend es ist, zwanzig Seemeilen aufkreuzen zu müssen: Man sieht Schleimünde, doch immer nur an der Seite, und fährt nach jeder Wende deutlich daran vorbei. Ich kenne mich darin, unter solchen Bedingungen auf Krampf zu versuchen, Höhe zu laufen - mit dem Ergebis, dass Paula sich in der Welle feststampft und überhaupt nicht mehr aus dem Quark kommt. In den letzten Jahren konnten wir derartige Rückfahrten vermeiden, aber heute ist es wieder so weit - und ich probiere etwas Anderes: Ich lasse Paula laufen.

Wir fallen ab. Mit über vier Knoten macht es Spaß, fühlt es sich gut an, geht es gut voran. Viel mehr Wind als erwartet, toll! Ich konzentriere mich darauf, achtzehn Seemeilen nach Süden zu kommen, irgendwo östlich von Schleimünde auf gleicher geographischer Breite, und interessiere mich überhaupt nicht dafür, wie weit östlich das sein wird. Als wir wenden, sind wir Aerø / Vejsnæs Nakke näher als Schleimünde, wohin es noch zehn Meilen sind, aber auch auf dem neuen Bug behalten wir unser Prinzip bei, obwohl uns nun die Strömung erheblich nach Norden versetzt. Die Anderen sind inzwischen kleine weiße Punkte am Horizont, bald nicht mehr von anderen Booten zu unterscheiden.

Zwei Meilen vor Schleimünde erreichen wir die Thermikbrise: Westsüdwest vier mit sechser Böen. Wusste ich, habe es nicht verraten, um die Gäste nicht zu verunsichern. Wir fallen entsprechend ab, segeln einen Holeschlag. Um zwanzig vor eins sausen wir mit sechs Knoten in die Schlei. Etlicher Holeschläge zum Trotz schaffen wir die Viertel-vor-zwei Brücke. Punktlandung: Kreuzen, Kreuzen, Kreuzen, Brücke hebt sich, Motor an und mit Vollgas durch, Motor aus und hoch, weiterkreuzen. Auf 135 Seemeilen haben wir ihn fünf Minuten betrieben, auf den vier Charterbooten fülle ich insgsamt sechs Liter nach - hier waren Segler am Werk und keine Honks.

Frieda, Salty und Louise schaffen eine Brücke später, Oli und Martha kommen mit zweistündiger Verspätung an. Doch sie haben es geschafft, bei bisweilen schwierigen Bedingungen, die uns jeden Tag eine neue, anspruchsvolle seglerische Aufgabe stellten. Untereinander haben die Gäste abgesprochen, dass sie gerne nächstes Jahr zum gleichen Termin in identischer Konstellation wieder buchen möchten. Auch Louise wird dann gerne dabeisein. Gibt es eine schönere Bestätigung für Paula und mich in Topform? Her mit der Schwedenreise - wir können sie kaum erwarten.

Der letzte Tag mit der langen, für die Gäste etwas demoralisierenden Kreuz wird sich dann als Glücksfall erweisen.

weiter: Dämmertörn zum Mond