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Dämmertörn zum Mond

Sie sind gut getarnt, die scheuen Teddys. Deshalb trauen sie sich von Bord, um die Mondlandschaft zu erkunden, in der wir gelandet sind. Es war nicht meine Idee, das geliebte Felsenparadies so zu nennen - aber ich finde, Christian hat nicht Unrecht: Die schroffen, kahlen Felsen sehen wirklich so aus, wie ich mir den Mond vorstelle, nur dass es dort nicht in jeder Ritze ein Mini-Biotop geben dürfte. Paula hat unterwegs so viele Kunststücke vollbracht, dass ich es ihr durchaus zutraue, eines Tages wirklich zum Mond zu segeln. Höhepunkt der großartigen Reise von Arnis nach Hunnebostrand: Dreißig Meilen Dämmertörn mit perfekter Landung auf meiner Lieblingsschäre.

Juni 2022

Wir sind erst nachmittags aus Donsö ausgelaufen, damit sich nicht nur hier, sondern auch nördlich entlang der Strecke die Böigkeit beruhigt hat, bevor wir Hjärterö erreichen. Damit rechne ich zwischen acht und zehn Uhr abends. Paula ist das nicht gut genug: Sonnenuntergang ist erst um 22 Uhr 20, dieses präzise Timing muss schon sein. Sie hält sich mal wieder eigentümlich zurück, bis ich schon zweifele, ob wir überhaupt ans Ziel kommen. Rechtzeitig saust sie los, ihren Schwestern ein Stück davon, und wir finden Hjärterö einsam vor. Als hätte er uns erwartet, bietet der Felsen freie Liegeplatzwahl und perfekte Abdeckung gegenüber der tollen Abendbrise, mit der wir eben noch mit fünf Knoten gesegelt sind. Im gleichen Moment gehen Sonne und Großsegel (r)unter, wir treiben an den Felsen und gehen längsseits, was so ziemlich die coolste Art ist, Boote anzubinden. Es erfordert viel Gefühl und reichlich Kletterei. Als Paula sicher fest ist, habe ich große Mühe, meine überschäumende Euphorie unter Kontrolle zu halten. Ich greife zur Funke, rufe Frieda und sage: „Angedockt.“



Wir sind nicht gerade überbesetzt: Vier Boote, sechs Menschen. Unser Einhandsegler Gerhard ist mit an die Siebzig nicht mehr ganz so flink, doch er gleicht es aus mit Ruhe und reichlich Erfahrung. Die anderen Crews kenne ich schon und weiß, was ich ihnen zutrauen kann. Und das sind am ersten Tag 48 Seemeilen nach Lundeborg. Wir sind uns einig: Wann immer der Wind günstig ist, müssen wir vorankommen. Alle vier Boote bleiben eng zusammen, überladene Paula hat Mühe, hinterherzukommen - segeln können die alle, Hafenkino gibt es auch keines, weder in Lundeborg noch später. „Was für ein geiler Segeltag!“ bekomme ich von zwei Booten zu hören. Gerhard würde sich nicht so ausdrücken, doch auch er wirkt hochzufrieden.  Auf diversen Mitsegeltörns hat er sich einen guten Teil der Zeit gelangweilt - jetzt hat er ständig ausreichend zu tun.

Der Sonntag beginnt mit Regen und Flaute und endet bei Sonne und Gegenan - wir bleiben da. Montag wird ein wenig zäh, der versprochene Wind verspätet sich um drei Stunden, die wir im Wesentlichen treibend südlich der Brücke verbringen. Im Ergebnis brauchen wir für die 23 Meilen nach Kerteminde länger als vorgestern für die doppelte Strecke. Ich bin trotzdem happy: Paula und ich hangeln uns erfolgreich von Windfeld zu Windfeld durch die Flaute - man darf hier nicht glauben, bei unter einem Knoten komme es auf zweihundert Meter Vorsprung nicht an. Paula und Oliese sind die Einzigen, die plötzlich stetigen Wind bekommen und durch die Store Belt Bro huschen. In der nächsten Flaute wählen wir auch gegenüber Oli den besseren Weg und gewinnen die interne Regatta mit Bravour.

Viel wichtiger ist aber, dass wir eine gute Ausgangsposition haben, um Dienstag bei Nordwest nach Sejerø zu segeln. Und am Mittwoch von dort nach Anholt. Wir werden Sejerø nicht gerecht, es ist wirklich schön dort, doch bei bedecktem Himmel wirkt der auffällig leere Hafen ein bisschen trostlos, und ein längerer Aufenthalt ist nicht geplant. Wir berichten das einem lokalen Fernsehteam.

Man soll auf solchen Reisen ja immer etwas lernen. Gerhard, Martha und ich widmen uns beim Auslaufen einem Experiment: Martha liegt längsseits mit leicht achterlichem Wind. Gerhard setzt trotzdem das Großsegel. Wir beide erwarten, dass Marthas Bug abklappt, wenn ich die Vorleine löse und die Achterleine noch dranlasse. Weit gefehlt: Sie dampft ein und schmiegt sich wie angenagelt an die Pier - der Segeldruckpunkt ist für ein Abklappen zu weit achtern. Habe ich noch nie ausprobiert, ist aber sehr anschaulich und aufschlussreich. Ein freundlicher Stegnachbar tritt Marthas Bug weg, ich lasse ein Stück Achterleine kommen - Martha fährt an und lehnt sich an Paula. Der Helfer krabbelt auf Paulas Vorschiff, und jetzt kann Martha endlich ohne Ramming losfahren. Der längste Schlag der Reise beginnt.

Ich kann mich nicht erinnern, schonmal 56 Meilen am Stück so stressfrei erlebt zu haben. Halber Wind 3-4 und mitlaufende Strömung sind perfekte Bedingungen. Am Ziel angekommen, brechen wir einen Fluch: Bisher ging immer im großen Stil etwas zu Bruch, wenn wir auf Anholt waren. Einzige Ausnahme war ein Übernachtungsstopp im Vorhafen vor sechs Jahren. Jetzt verzichte ich nicht nur erfolgreich auf den Außenborder, finde (nach einigem Wriggen und erneutem Setzen der Fock) zusammenhängende Liegeplätze am hintersten Steg, lasse Paula an die Heckboje und von dort in die Box treiben.

Nebenbei verstehe ich beim Einlaufen endlich, wie eine Hafeneinfahrt funktioniert. Manche Häfen (zum Beispiel Sønderborg oder Kerteminde) haben ja davor einen mächtigen Wellenbrecher liegen, den man beim Einlaufen umkurven muss, und der sorgt dafür, dass bei keiner Windrichtung irgendwelcher Schwell in den Hafen gelangen kann. Bei den meisten Häfen fehlt aber diese Barriere, und ich erwarte dann, dass man bei auflandigem Wind unruhig liegt. Bei Starkwind oder Sturm ist das sicher auch so, aber es fällt auf, dass die Hafeneinfahrt auf Anholt genau in Hauptwindrichtung Südwest ausgerichtet ist. Klar gibt es da noch die Zwischenmole, und ich habe hier auch schon eine extrem unruhige Sturmnacht verbracht, doch jetzt wackeln wir bei nachlassendem Wind und tüchtig Welle auf die Molenköpfe zu, die See wird kabbelig ohne Ende, und gleich darauf im Vorhafen ist die Welle weg uns das Wasser spiegelglatt.  

Ich denke an Schleimünde bei Ostwind: Typischerweise Monsterwelle und krasses Gekabbel direkt vor den Molenköpfen, abrupt glatte See dahinter. Das bedarf einer Erklärung, und ich finde sie in der Tatsache, dass Molenköpfe immer rund sind. Egal ob gemauert oder mit Holzpfählen umgeben, immer sind sie rund - und das ist der Trick: Die Art, wie runde Molenköpfe die auftreffende Welle reflektieren, produziert Interferenzen, die dafür sorgen, dass das Wasser kurzzeitig enorm kabbelig wird, die Welle dabei aber alle ihre Energie einbüßt und nicht in den Hafen läuft.

Die Charterer lernen auch etwas, zum Beispiel Anlegen an einer Heckmooring, nachdem wir bisher nur längsseits oder Boxen mit Heckpfählen erlebt haben. Stressfrei dank wenig Wind und gutem Zureden per Funk - beim Briefing habe ich noch gewarnt, dass das Anlegen in Anholt bei reichlich Wind aus ungünstiger Richtung durchaus sportlich werden kann. Wir gönnen uns einen Hafentag - Erholung von Strapazen und Erkundung der phantasischen Insel, die an sich schon eine Reise wert ist.

In Varberg kommen die schwedischen Gastlandflaggen zum Einsatz. Am vorerst vielleicht letzten Tag in der Zivilisation kämpfen wir mit einer ihrer Schattenseiten, und damit meine ich nicht das Mittsommerfest, das ja durchaus auch mal laut und störend sein kann, wenn man am nächsten Tag recht früh aufbrechen will und vorher noch ein bisschen Schlaf braucht. Eine Möwe klaut Matthias seine Portion Fish’n’Chips, und eine Artgenossin verteilt in der Nacht die Reste meiner Nudelsauce im ganzen Cockpit. Der Wind scheint günstig, wir sehen zu, dass wir wegkommen. Alle unter Segeln, alle vorfreudig und gespannt auf die erste Schäre.

Bis Öckerö sind es 23 Seemeilen. Kann man in weniger als neun Stunden schaffen, aber nicht wir, nicht auf dieser Reise. Schon von Lundeborg nach Kerteminde, ebenfalls 23 Meilen, war das so - ein neuer Fluch? Zuerst läuft es super, dann fast gar nicht mehr, und als ich denke, es sei doch eine Spur zu weit, um nur in der Strömung zu treiben, lässt auch die uns im Stich. Paulas Gespür für jede noch so spärliche Brise bewährt sich, der Motor bleibt aus. Am frühen Abend erreichen wir den Nordwest 3, der nördlich des Flautenloches womöglich den ganzen Tag geweht hat, und er gestaltet den Rest der Fahrt geradezu kurzweilig. Wir scheuchen einen Trupp Graugänse auf, finden die Bucht, laufen vor Topp und Takel zum Ankerplatz. Mit dem Wind von hinten an eine Schäre zu treiben, ist grundsätzlich unüblich und kann riskant sein, aber ich weiß ja: Der jetzt schon schwache Wind schläft bald komplett ein, morgen kommt die Brise von vorne, wie es sich gehört. Es ist supereinfach: Heckanker weg, Leine geben, einrucken, dann lassen wir uns sacken, bis ich mit den Vorleinen an Land steigen kann.

Die Gäste haben keine echte Vorstellung davon, wie es ist, an einer Schäre anzulegen. Wir man das macht, wie die Boote nachher liegen...und wie es dort aussieht. Christian spricht zum ersten Mal von einer Mondlandschaft. Zwar hinkt sein Vergleich mit dem Cover von Led Zeppelins „Houses of the Holy“, denn das wurde am Giant’s Causeway in Nordirland aufgenommen, und der besteht aus Basaltsäulen und nicht Granit. Auch krabbeln hier keine nackten Kinder herum wie damals bei den Aufnahmen, doch die Farben auf dem Cover sind so wild verfremdet, der Kontrast so überzogen, dass eine Ähnlichkeit nicht zu leugnen ist.

Spät angekommen und früh weiter - wir werden Öckerö nicht gerecht, es ist nämlich schön dort, aber wir möchten ja zur nächsten Schäre segeln. Tunlichst keine 23 Meilen, sondern am liebsten 30 Meilen bis nördlich von Göteborg. Wenn der Wind hält. Der tut das aber nur eine Stunde, in der wir in jedem Schauer zügig segeln und danach stehenbleiben. Als die Sonne rauskommt, warten wir noch eine Weile auf die Seebrise, dann geben wir auf und motoren das kurze Stück nach Tistlarna. Eine gute Wahl, so ein Außenposten, den wir sonst ausgelassen hätten.

Nach Tistlarna waren es immerhin elf Meilen, nun werden es sieben: Frühmorgens raus aus dem engen Naturhafen, die schöne Morgenbrise nutzend und die Angst vor einem weiteren Flautentag im Nacken. Die von keinem Wetterbericht angekündigten 5 Böen 6, die uns dann erwischen, sind mir nicht geheuer - wir flüchten in den Gästehafen von Donsö. In verschiedener Hinsicht passt das gut: In der folgenden Gewitternacht möchte ich sowieso nicht unbedingt an einer Schäre liegen. Und Matthias laboriert seit Tagen an einer entzündeten Schnittverletzung am Finger. Eine Apotheke findet er zwar nicht. Dafür trifft er zufällig einen Arzt, der kurz vorm Auslaufen, der Diesel läuft schon, die Wunde anguckt und das passende Antibiotikum aus der Tasche zieht.

Auf zurückliegenden Törns haben wir durchaus einstecken müssen: Stundenlanges Gestampfe in kolossaler See, Blitz und Donner, geschundene Boote und überforderte Crews am Ende ihrer Kräfte. Ich stelle fest: Ich bin vorsichtig geworden. Vielleicht ist es das Alter, das sich auch darin auswirkt, dass ich neuerdings ohne Brille in der Seekarte nichts mehr erkenne, was beim Einhandsegeln durchaus misslich ist und mächtig Gewöhnung erfordert. Es spielt aber auch mein Vorhaben, weitgehend auf den Motor zu verzichten, eine Rolle: Beim An- und Ablegen an der Schäre kann ich keinen Hack gebrauchen, und die sorgfältige Planung kommt auch den Gästen zugute.

Der Abendtörn nach Hjärterö ist natürlich nicht zu toppen. Wir ergänzen das Erlebnis um weitere Unvergesslichkeiten: Ein gemütlicher Tag Innenfahrwasser mit einer hübschen Seebrise. Die Strömung spült uns vor den Küchen- und Wohnzimmerfenstern der Bewohner durch Kyrkesund.  Im Süden von Härmanö finden wir eine hübsche Schäre mit einzelnen Bäumen und Sträuchern vor, und wir entdecken sogar die weißen Markierungen, die uns um die Steine herum in die Bucht lotsen - die sind nicht überall gut erkennbar. Auf dem Weg zur letzten Schäre vor dem Crewwechsel müssen wir den Sund östlich von Härmanö bis Gullholmen kreuzen, und er ist erheblich enger, als ich ihn in Erinnerung hatte. Es ist superspannend und erfordert volle Konzentration. Zur Belohnung passt die Windrichtung für die weitere Strecke nach Vasholmen erheblich besser als gedacht und dreht erst kurz vorm Ziel auf den schwachen Nordwest, den wir zum Anlegen brauchen.

Das Anlegen auf Härmanö habe ich ein bisschen vermasselt: Viel zu früh die Segel geborgen, viel zu früh den Anker geworfen, dann verhindern Brischen und Strömung, dass Paula sich wriggend dem Felsen nähert. Ich versuche es mit Verwarpen: Lasse sie hinter den Anker treiben und nehme mit der Ankerleine Fahrt auf. Das klappt fast, nur spannt sich kurz vorm Übersteigen die Ankerleine, und dann treffen wir auch noch eine Stelle, vor der es zu flach ist. Ich könnte das Groß nochmal setzen für einen neuen Anlauf. Ich könnte, und dann würde es gelingen. Damit die Gäste nicht noch länger warten müssen, werfe ich kurz den Außenborder an.

Ich habe aber daraus wieder einmal gelernt, was ich mir schon so oft gut einprägen wollte: Zuerst eine Platzrunde segeln, die Bedingungen auskundschaften und mit diesen Informationen wieder abdrehen für den eigentlichen Approach. In Vasholmen - das Becken ist recht eng, gut gefüllt und quirlig mit an- und ablegenden Yachten - mache ich alles richtig: Wir segeln erstmal von Nord nach Süd hindurch, entscheiden uns für eine Stelle zum Anlegen, und das klappt auf den Punkt. Die schwedischen Nachbarn lassen mich in Ruhe machen, offenbar beeindruck mein konzentrierte Gesichtsausdruck. Erst später werden wir angesprochen auf die schönen Boote und die erstaunliche Leistung, mit ihnen ganz von Zuhause hierher gesegelt zu sein.

Vasholmen ist Mondlandschaft pur. Christian dreht auch gleich richtig auf: Marthas Heckanker hat nicht gehalten, steht wieder auf dem Achterdeck und möchte neu ausgebracht werden. Per Schlauchboot? Christian badet sowieso so gerne, und die Feuerquallendichte lässt es zu. Wie oft er mit einem Gewicht von zehn Kilo in der Hand geübt hat, frage ich lieber nicht. Seine Technik ist exzellent: Rückenschwimmen, Antrieb nur mit den Füßen, schnell erreicht er die richtige Stelle. „Lass fallen“, sage ich, doch mit den Ohren voll Wasser hört er es nicht und vertreibt über Friedas Ankerleine. „Zu weit!“, rufe ich. „Ihr Schweine“, schimpft er und kämpft sich gegen die Strömung zurück an den alten Platz. Nun brülle ich sicherheitshalber mit voller Kraft.

Letzte Runde vor dem Crewwechsel: Mit der Morgenbrise raus aus der Schäre und durch ein weiteres enges Fahrwasser (in dem ein Felsen mitten im Fahrwasser allenfalls am Seegangsbild zu erkennen ist - ich warne die Anderen über Funk, das hier kann böse schiefgehen). Treiben in der Flaute mit Whalewatching. Als Wind kommt, ist er - diesmal erwarte ich so etwas - gleich ordentliche 5 Böen 6. Gefühlte zehn Minuten später sind wir an Smögen vorbei und unaufhaltsam auf dem Weg nach Hunnebostrand, wo die Etappe endet und die Gäste abreisen. 

Spätestens während des Dämmertörns dämmerte es mir: Die Boote hecken dauernd irgendwelche Pläne aus, in die ich nicht involviert bin. Sie manipulieren den Wind, sie manipulieren ihr Tempo, sie sorgen für gute Stimmung, sie gestalten überhaupt alles ein bisschen mit. Vor allem deshalb wird es eine der gelungensten Reisen, seit ich so etwas veranstalte. Für den Rückweg werden wir die Hilfe der Boote brauchen: Das Traumwetter macht Pause, und zwischen lauter siebener Böen wird der Start nicht einfach.

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