Paulas Törnberichte | ||||||
Flottille
light ins Schlaraffenland
Rückkehr zur Schlei. „Flottille light.“
Schönwettersegeln. Eine wunderschöne Insel. Und dann
wieder
Abenteuermodus, wie nur wir ihn können – in dieser
Woche ist
alles dabei.
August 2021
In
endlosen Hecken genießen die Brombeeren zu Tausenden die
Nachmittagssonne. Ein skeptischer Griff nach den ungewöhnlich
kleinen, unscheinbaren Früchten fördert ihr Geheimnis
zu
Tage: Sie sind köstlich! Beinahe unübertrefflich
köstlich! Der Hochgenuss ist unkompliziert wie im
Schlaraffenland:
Entlang des Weges kann man sich in einer Tour bedienen.
Mit den Mirabellen verhält es sich anders: Goldgelb und
verführerisch hängen sie weit oben an ihrem Baum. Wir
finden
einen toten Ast, mit dem sie sich – prassel prassel
–
herunterschütteln lassen. Auch dieser Aufwand lohnt, denn sie
sind
erwartungsgemäß köstlich.
Über diese Gaumenfreuden hinaus ist Barsø eine
tolle Insel,
die man unbedingt gesehen haben muss. Paula und ich waren schonmal
hier, allerdings Anfang Oktober bei Regen. Jetzt hole ich bei perfektem
Spätsommerwetter den Landgang nach. Barsø ist
spärlich
besiedelt, baumreich und ungewöhnlich hügelig
– die
höchste Erhebung ist immerhin 38 Meter hoch. Nicht nur, aber
vor
allem, von dort hat man eine großartige Aussicht: Auf ganz
Barsø, die Genner Bugt, den Kleinen Belt, Als. Eine
neugierige
Kuhherde leistet mir Gesellschaft und findet Gefallen am Geschmack
meiner Schuhsohlen.
Wir sind in Begleitung von Martha und Salty. Eigentlich aus traurigem
Anlass: Ende der Woche müssen wir zurück an die
Schlei.
Nachdem wir eine ganze Woche im wuseligen Svendborg eingeweht waren,
haben wir uns vorgenommen, bei dem nun wieder ruhigeren Wetter nicht
nur schöne Segelerlebnisse zu genießen, sondern vor
allem
auch die idyllischsten Orte, die wir finden können. Andreas
ist
das gerade recht: Er hatte im Frühjahr Flottille gebucht, um
sich
vorzubereiten auf den ersten Einhandtörn mit Salty. Die
Flottille
fiel Corona zum Opfer, also segeln machen wir jetzt
„Flottille
light“ – mit zunächst nur zwei Booten,
Martha
schließt sich nach zwei Tagen an, Oliese wird auch gesichtet,
segelt aber kommentarlos woandershin. Gråsten im Thurø
Bund war am
flautigen Samstagabend schonmal ein guter Start: Ankern am Steg mitten
im Wald. Dass auf die Svendborger Technoparty das Sommerfest am
Nachbarsteg folgte, war gar kein Problem - Musik aus den Sechzigern in
moderater Lautstärke und mit leidlich frühem Ende war ok.
Gestern
auf Lyø begann ich gerade die Ruhe zu
genießen:
Die See plätscherte gegen die Mole, ansonsten machten alle
Stillarbeit – bis dann doch auf irgendeinem Boot Musik
aufgedreht
wurde. Als anschließend eine Drohne über uns sauste,
habe
ich ihren Eigner recht unmissverständlich darauf hingewiesen,
er
solle woanders spielen. Es war ein Vater in Begleitung seines
halbwüchsigen Sohnes, und ich frage mich, was bei dieser
Erziehung
und derartigen Vorbildern aus der Generation werden soll: Ich beschwere
mich bzw. gebe zu Protokoll, dass ich mich gestört
fühle, und
anstelle von Respekt bekomme ich Gegenargumente. Und die Kamera mache
ja auch nur Landschaftsaufnahmen. Liebe LeserInnen: Falls wir uns
irgendwo treffen, lasst die Drohne in der Vorpiek, dann können wir
uns unterhalten und womöglich anfreunden. Unter der fliegenden
Drohne eher nicht.
Das
aber nur nebenbei, irgendwann gab die Drohne dann doch Ruhe, und
außerdem lag Amazone im Hafen – die fehlten noch in
der
Sammlung derjenigen, die es im Laufe der Saison zumindest einmal zu
treffen gilt. Sönke kam morgens auf nen Kaffee ins Cockpit,
danach
liefen Salty und Paula aus. Eigentlich wollten wir Martha abpassen, die
in Dyreborg startete und sich ab Hafenausfahrt zu uns gesellen wollte.
Die
Ankunft der Fähre hielt uns auf und gab ihr einen uneinholbaren
Vorsprung.
Allerdings kamen wir allmählich auf, sparten Zeit, indem wir erst
im Hafen Segel bargen und auf den Außenborder verzichteten, und
legten nur eine Minute nach ihr an. Viel wichtiger als
das: Es war ein toller Segeltag, die meiste Zeit stessfrei mit um die
fünfeinhalb Knoten. Erst kurz vorm Ziel schwächelte
die
Brise, das war mir dann gerade recht.
Barsø,
zumindest an diesem prächtigen Spätsommertag,
dürfte schwer zu toppen sein. Wir versuchen es mit Mjels Vig
– eigentlich immer eine Garantie für Kommentare wie
„Du führst uns hier ins Paradies.“ Nun
kann sich
Britta abends immerhin dazu durchringen zu sagen: „Wirklich
schön hier.“ Und am nächsten Tag
unternehmen sie und
Martin eine dreistündige Wanderung. Dass die Begeisterung
nicht
überschäumt, hat wohl auch mit der
Schönwettersegelei zu
tun: Von Barsø zur Mjels Vig sind es acht Seemeilen, und wir
brauchen dafür über sechs Stunden.
Ich finde den Tag durchaus gelungen: Leinen los, aus dem Hafen wriggen,
Segel hoch und lostreiben, ein Boot nach dem anderen, und dann erstmal
den Sand von den Decks schrubben. Wir treiben zweieinhalb medidative
Stunden, die Boote freunden sich mit einer ganzen Gruppe Schweinswale
an. Über Mittag, mit einer hübschen Seebrise, segeln
wir drei
Viertel der Strecke mal eben in knapp zwei Stunden. Auf dem Weg durch
Stegsvig und Dyvig zur Mjels Vig spielt uns die Thermik üble
Streiche, der Wind kommt von überall und nirgends:
Für die
zwei Meilen brauchen wir nochmal zwei Stunden, diverse
Fockausbaumermanöver, Halsen und Wenden inklusive. Ich finde
das
unterhaltsam und entspannend. Bemerkenswert ist auch, dass alle drei
Boote gleichzeitig ankommen. Und in Wirklichkeit hat niemand etwas
gegen einen chilligen Leichtwindtag einzuwenden, wenn er uns in einen
so idyllischen, familiären, angenehmen Hafen führt.
Nun schalten wir aber wieder um in den Abenteuer-Modus: Mittwoch 6-7
und Hafentag, das war abzusehen. Aktualisierte Prognose für Donnerstag: Auch 6-7, das
hätte
unser Rückreisetag werden sollen. Freitag: Nicht viel besser,
dafür mit Regen oder Schauern. Es gibt trotzdem ein exakt
passendes Zeitfenster, das uns gut und sicher nach Schleimünde
bringt. Noch am Dienstagabend wende ich mich an die Charterer:
„Ich hab ne Überraschung für
euch.“
Ich mache mir dann schon einen Kopf. Wir verbringen den Tag mit
Schlafen, Ausruhen, Spaziergang, Aufklaren. Um siebzehn Uhr stecken wir
die Köpfe über der Seekarte zusammen und besprechen
die
Strecke: Jedes relevante Sektorenfeuer, jede unbefeuerte Tonne, jede
Kursänderung, und auch, was uns in Schleimünde an
Strömungs-, Licht- und Platzverhältnissen erwarten
könnte.
Geplant ist Auslaufen um acht – wir müssen im Hellen
aus der
Bucht kommen. Am liebsten würde ich auch im Hellen in
Schleimünde eintreffen, aber die höhere
Priorität liegt
darauf, es zu schaffen, bevor es zwischen vier und fünf wieder
aufbrist.
Zehn vor acht ist der Himmel wolkenlos, aber es fegen immer noch
siebener Böen durch die Bäume. „Wenn man
unbedingt
wollte, könnte man behaupten, ein Bisschen hat es
abgenommen“; murmele ich. Um acht sind die Boote klar zum
Auslaufen, die Rettungswesten angelegt, und wir stehen zu viert
unschlüssig auf dem Steg. Die erste Nachtfahrt soll ein
Abenteuer
werden, ein Erlebnis, aber möglichst kein
Himmelfahrtskommando.
Ich halte die Nase in den Wind und erkenne: „Aber da kann man
durchaus mit segeln.“ Wir gehen es an.
Salty und Paula legen unter Segeln ab und kreuzen aus den drei Buchten.
Es ist wirklich nichts los, nicht die Spur von alter Welle und moderate
4-5 aus Westnordwest. Im Als Fjord haben wir kurzzeitig die Welle genau
von vorne, das ist etwas unangenehm, und Paula mag es nicht leiden,
aber nach einer knappen Meile fallen wir ab. Die Dämmerung
weicht
der Dunkelheit, der fast noch volle Mond geht auf. Zunächst
halber
Wind, wir fliegen mit sieben (!) Knoten durch die Nacht. Hangeln uns
von Leuchtturm zu Leuchtturm, Sektor zu Sektor, Tonne zu Tonne. Ein
wenig sorgenvoll denke ich darüber nach, dass das ja die
moderaten
Bedingungen sind, und wie das wohl wird, wenn es tatsächlich
wieder aufbrist. Östlich von Als ist die Fahrt nicht mehr so
spektakulär, stetige vier Windstärken bringen uns
gechillt
südwärts.
Das Timing ist wie meistens: Punkt vier Uhr windet sich Paula durch die
Strudel der gewaltigen Strömung, die in die Schlei
läuft. Wir
fahren einen superchilligen Aufschießer, ich berge das
Groß, wir verholen uns in die Folkeboote-Ecke. Martha und
Salty
waren die ganze Zeit dicht hinter uns, Salty überholte
zwischendurch sogar – jetzt hängen die Boote an
irgendwelchen Pfählen, die Gäste sind ratlos: Sie
haben uns
die ganze Zeit nicht gesehen, finden uns auch jetzt nicht und fragen
sich, ob Paula überhaupt im Hafen ist. Nachdem das
geklärt
ist und alle fest sind, setzen wir uns vor die Giftbude:
Anlegegetränk, Abbau von Adrenalin und
Mitteilungsbedürfnis.
Nebenbei kriegen wir so auch noch den Sonnenaufgang mit. Nach ein paar
Stunden Schlaf kommt Leben in den Hafen und die Schlei –
überwiegend sieht man durchgewalkte Crews auf Yachten ohne
Vorsegel und mit Groß im zweiten Reff.
Tolle Reise! Den Rest nach Arnis werden wir Freitag schon irgendwie
schaffen. Und die Teilnehmer? Hätten im Traum nicht daran
gedacht,
ihren Lernprozess gleich mit einer achtstündigen,
einundvierzigmeiligen Nachtfahrt zu krönen, aber sie haben das
perfekt hinbekommen.
weiter: Segeln ist Musik