Paulas Törnberichte | ||||||
Segeln
ist Musik
Segeln ist Musik: Schlecht getrimmte Segel, eine verstimmte Gitarre:
Ja, Man erkennt das Stück, das Boot bewegt sich, das
schon.
Doch es ist schwer auszuhalten. Das meine ich aber nicht.
Längsseits An- und Ablegen, oft auch Rudergehen,
erinnert an
gekonntes
Klavierspielen: Gefühlvoll mit den Fingerkuppen, Spannung und
Entspannung. Aber jetzt geht es um etwas Anderes. Segeln ist kein
Wunschkonzert. Die See gibt am Schlagzeug den
Rhythmus vor. Paula und ich können uns überlegen, ob
wir schrill und gewagt improvisieren, unsere Standards runterspielen
oder diesmal auf den Auftritt verzichten. Heute zum Beispiel rechne ich
mit fetzigem Rock’n’Roll. Es könnte
auch Death Metal sein, und ich bin nicht sicher, ob ich darauf Lust
habe.
September 2021
Die
Prognose lautet: Südost 5-6.
Schleimünde
könnte ein Spektakel werden. Oder ein Desaster. Den neuen
Chartercrews rate ich am ersten Tag davon ab. Paula und ich gucken uns
das ergebnisoffen mal an. Schon in Rabelsund ist gehörige
Welle. Aber am Leuchtturm ist sie kaum doller. Death Metal? Nein. Eher
eine
Ska-Version des dritten Satzes der Mondscheinsonate, flott, fetzig,
mitreißend und tanzbar. Wir sind erst um zwölf Uhr
überhaupt ausgelaufen. Ein Uhr Brücke, zwei Uhr
Schleimünde, um acht wird es dunkel – die
Helnæs Bugt ist ein ambitioniertes Ziel. Aber bei konstant
sieben Knoten kann man die 35 Meilen mal eben aufm Nachmittag leicht
schaffen. Mir gefällt das heutige Stück. Vor allem,
weil nach dem fröhlich-frechen Allegrissimo kurz vorm
Ankerplatz der Wind allmählich einschläft. Also doch
ein
Wunschkonzert?
Ankern
vor Vigø bei Südost, die verlockende Insel
mit dem Schlauchboot erkunden – das hatte ich mir letztes
Jahr schon vorgenommen. Der abendliche Dreher auf Nordost ist nicht
eingeplant, aber bei Flaute ist die Windrichtung ziemlich egal. Paula
schwoit dicht ans Ufer, ich muss am Vormittag nur ein kleines
Stück rudern.
Vigø entpuppt sich als undurchdringliches Dickicht: Eine
bröckelige Steilküste, Eichen, Erlen, Brombeerranken
und kein Durchkommen. Auf der Südseite finde ich eine Schneise
durch die Wildnis. Sie führt zum einzigen Haus auf der Insel.
Das Internet verrät: Das Anwesen gehört dem Betreiber
des Faldsled Kro und wird als Sommerhaus vermietet. Es scheint niemand
da zu sein, trotzdem traue ich mich nicht aufs Grundstück
– ich will ja niemandem auf die Nerven gehen. Paula von oben
an der Steilküste zu fotografieren, klappt so aber nicht
– undurchdringliches Dickicht. Ich betrete doch kurz das
Grundstück – es gibt zwar keinen freien Blick auf
Paula, die liegt ein Stück weiter westlich, aber immerhin
einen Pfad zurück zum Strand. Wie soll man sagen? Es ist
eigentümlich schön hier. Die kratzbürstige
Wildnis ist wie der Rhythmus der See: Unberechenbar, nicht unbedingt
so, wie ich es mir wünsche, dadurch aber immer spannend.
Im
Rest der Woche stehen ruhige Folksongs auf dem Programm. Wenn so gar
kein Wind, kein Beat, kein Garnichts los ist, komme ich manchmal in
Versuchung, tatsächlich unterwegs Musik zu hören. Ich
weiß, dass Erik das häufig macht – wenn
Pommery überholt, läuft meistens Speed King von Deep
Purple, auch bei zwei Knoten. Timo hat sogar in der Regatta Musik
laufen. Für mich ist das nichts – es fühlt
sich nicht stimmig an. Ich höre lieber die
Segelgeräusche – Plätschern, Rauschen,
Klatschen, Hoppeln – oder eben das Nichts, das bei Windstille
davon bleibt. Eine Flaute muss schon sehr hartnäckig sein,
bevor ich zu diesem Mittel gegen die Langeweile greife.
Die zehn Meilen nach Agernæs schaffen wir auch ohne,
beharrlich und geduldig und bis zum späten Nachmittag. Leider
sind der Hafen und seine nähere Umgebung kein bisschen
schön – ich hatte einen echten Geheimtipp erhofft.
Übernachten kann man hier, doch die Klos stinken und der
Rest ist lieblos und freudlos und reizlos – wir werden wohl
nicht wiederkommen, wenn es sich vermeiden lässt. Lieber mal
ganz in den untiefenreichen Nordzipfel der Helnæs Bugt
segeln.
Dienstag: In der Nachmittagssonne kreuzen wir in den Haderslev Fjord,
schaffen immerhin die Hälfte. Dort kann man an
Mooringpfählen festmachen, der Anker bleibt sauber.
Mittwoch lautet der Plan: Mit schwachem bis mäßigem
Westsüdwest so weit, wie wir kommen, nachmittags kriegen wir
einen schönen Südost, der uns in den Als Fjord
bringt. So es hat DMI bisher versprochen und tut es auch morgens noch.
Stevning Noor ist das Ziel, es soll da so idyllisch sein, und wir waren
noch nie dort. Während wir ablegen, gibt es ein neues Update.
Ich gucke es mir an, als wir gegen sechzehn Uhr vorm Als Fjord treiben
und nicht weiterkommen – der Südost
verspätet sich, kommt erst nachts. Wir landen in
Barsø. Es fehlen also gute zehn Meilen, die wir anderntags
drauf zu bekommen – 35 Meilen gegenan, das ist mehr als
ambitioniert.
Um sieben Uhr morgens legt Paula ab. Wir kommen ein Stückchen
weiter als gestern, sind aber immer noch nicht richtig im Als Fjord,
als die Flaute kommt. Eine gute Stunde Treiben, dann entfaltet sich
eine wunderbar kurzweilige Kreuz mit vier Knoten Fahrt und einer
45-Fuß-Dehler als Spielgefährtin. Vor
Hardeshøj segeln wir uns kurz ins Nirvana, die Dehler hat am
anderen Ufer besseren Wind und zieht vorbei. Doch sie kommt nicht weg.
Vor der Hochbrücke in Sønderborg fährt sie
einen überflüssigen Holeschlag, Paula holt sie ein.
Was so hinter uns unterwegs ist, macht keinen Meter gut. Wir treffen
uns aber vor der Klappbrücke, die jeden bestraft, der hier
tapfer kreuzt – wie immer verpassen wir knapp die
Öffnungszeit.
Es ist dann schon fünfzehn Uhr, als Paula am Schloss aus dem
Hafen hoppelt. Noch achtzehn Meilen gegenan, kaum Wind, reichlich Welle
– wir könnten Schleimünde in der
Dämmerung erreichen oder ein Stündchen
später. Aber was, wenn vor Falshöft der Wind komplett
einschläft? Eine kleine Nachtmusik? Paula hat eine bessere
Idee: Den Kurs nach Gelting können wir ohne Weiteres laufen,
das schaffen wir bis achtzehn Uhr. Freitag fahre ich mit dem Bus zur
Arbeit. Samstag betreten wir die Bühne für eine erste
Zugabe.
Stevning wird nichts, inzwischen ist Südwest, also
lägen wir dort unruhig. Es wird also Sottrupskov. Der
Landzugang
ist abmontiert, Pfähle und Schwimmsteg sind von kackenden
Möwen und Kormoranen okkupiert. Wir wriggen rüber zum
Nydamboot. Gern gesehen ist das nicht, aber das Nydamboot scheint
nichts dagegen zu haben, hält gerne still für ein
Foto, und es kommt auch kein Mensch, um uns wegzuschicken. Danke
für die Gastfreundschaft, liebes Nydamboot.
Übr Lyø und Schleimünde kehren wir
zurück nach Arnis. Jetzt sind erstmal Impfung,
Büroarbeit und Vorbereitungen fürs
Überwintern an der Reihe. Dann folgt die nächste
Zugabe: Wir besuchen, weil das Wetter nochmal so gut und die
Windprognose so passend ist, Erik und Pommery in Eckernförde.
Wir waren da noch nie zusammen, also machen wir es gleich ordentlich
– auf dem Hinweg ist Südwest statt Nordwest, auf dem
Rückweg Nordost statt Südost also beide Male kreuzen.
Beide Tage beginnen mit kaum Wind, zwischen Bocknis und
Schleimünde ist Freiflug – wir spielen zweimal
dasselbe Stück, nur in unterschiedlichen Arrangements.
Nebenbei fällt auf: Das Antifouling ist toll, den Bewuchs
haben höchstens die Anderen, wir sind nämlich
teuflisch schnell im Vergleich zu allem, was keine X-99 ist. Es ist gar
nicht so richtig spannend – wir suchen
Spielgefährten und finden nur Spielzeug. In
Eckernförde liegen wir neben einem
Brandt-Møller-Neubau aus 2021. GFK-Rumpf mit schickem
Holzaufbau und überwiegend Originalbeschlägen aus den
letzten Altbeständen – schöne Abwechslung
von all den abgerockten, verhunzten oder ungenutzt im Hafen
dümpelnden Folkebooten, die man ansonsten leider allzu
häufig sieht.
Schleimünde-Kappeln schaffen wir in exakt 55 Minuten. Das
müssen wir auch, um eine weitere einstündige Zugabe
zu vermeiden – die Brücke hebt sich, wir segeln an
allen vorbei, ich starte kurz den Motor, schon sind wir durch. Im Tank
ist immer noch die Füllung von Anfang April.
*
Ja dann... Ich habe Geburtstag, die Charterboote haben den ersten
freien Tag seit Saisonbeginn. Wir feiern das mit Verholen und
Kuchenbudentrocknung. Ich höre Musik (!) und denke
zurück an all die Häfen, die wir dieses Jahr
(zusätzlich zu diversen Ankerplätzen) erstmals
ausprobiert haben. Erstaunliche sieben, von denen nur zwei nicht
für einen weiteren Besuch in Frage kommen:
Eckernförde (SCE)
Agernæs
Gråsten (Thurø Bund)
Rosenvold
Kanaløen
Mou
Attrup
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