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In Gesellschaft 2

Wir kreuzen westwärts aus dem Svendborg Sund, was diesmal unkompliziert ist - Strömung läuft mit, mäßiger Wind, wenig Verkehr, vor allem keine Dutzende von Traditionsseglern. Immerhin einer, der mit Südostkurs an Skarø entlangsegelt. Allmählich, es ist ja schon später Nachmittag, sollten wir uns mal entscheiden, wo wir noch hinsegeln. Der Tradi ist zu weit weg und latent im Gegenlicht, Details erkenne ich keine. Ich sehe vor allem, wer und was es alles nicht ist: Zu Beispiel kein Schoner. Hat auch nicht das typische Marstal-Heck, ist also kein Däne. Es fehlt auch das Riesen-Deckshaus und was die Holländer sonst alles für nötig halten. Der Großmast steht kerzengerade, der Besanmast kippt deutlich nach achtern – dieses Schiff hat keine Genickstagen. Das ist typisch für See-Ewer. Ich nehme das Fernglas.

August 2021

Die anderen Regattateilnehmer sind nach und nach abgereist, als Letzte Jane heute morgen. Björns Familie ist beinahe wieder komplett mit Moritz und Antonia. Die letzten beiden Tage habe ich zweischen Schauern und Mordsböen mit Einweisungen und einem Training verbracht, außerdem brauchte Friedas Großbaum etwas Leim, Olis Windex musste geradegeborgen werden, und eine Baumschere verlangte nach mehr Stabilität.

Das Training ist bemerkenswert: Vater und Sohn, wovon der Jüngere überhaupt noch nie gesegelt ist, und der Ältere kaum den Überblick über das große Ganze hat. In meinen Augen ein Grenzfall – ich kann, will und darf nicht jeden lossegeln lassen, sondern bin verpflichtet, mich davon zu überzeugen, dass die das ausreichend gut können. Sympathie und stetes Bemühen allein sind dabei nicht genug. Wir segeln aus dem Sund, begegnen dabei Michael, Malte und Havfruen, die gerade in Troense ausgelaufen sind. In der Lunkebugt spielen wir bei sechs Windstärken ein bisschen mit dem Trimm, fahren zunehmend fluffigere Wenden und eine desaströse Halse, bevor wir in Troense An- und Ablegen üben. Es sind schwierige Bedingungen mit all der Strömung mitten im Hafen und den fiesen Drückern. Als beide verstanden haben, wie ich mir das Manöver vorstelle, gebe ich mich zufrieden – in den nächsten Tagen ist deutlich weniger Wind, dann werden sie klarkommen. Björn und Robert von Folkeboot Lotte beobachten interessiert unsere Bemühungen.

Ich freue mich, Björn und Robert nochmal zu sehen. Lotte ist nach 26 Jahren so gut wie verkauft, das nächste Schiff wird sein: Ein 90qm-Spitzgatter aus dem Hause Ebbe Andersen. Die Noch-Lotte-Crew und ich sind nicht im engeren Sinne dicke Freunde, aber wir freuen uns immer, wenn wir uns treffen. Mir gegenüber müssen sie den Bootswechsel nicht begründen, das ist ja ihre Entscheidung. Ich höre aber heraus, dass sie von der „Folkeboot-Community“ im Allgemeinen etwas genervt sind, und das letzte Beispiel war offenbar Michael, der über ein brummeliges „Moin“ für keinen Klönschnack zu haben war.  Zum Glück ist das nicht mein Problem. Als wir gerade wieder loswollen, zieht ein Schauer auf. Ich komme auf den von Lotte bereits angebotenen Kaffe zurück, wir setzen uns vors Clubhaus.

Friedas Charterer (also der Vater) erzählt hier und da Geschichten, wie das war, als er von den Färoer zu den Shetlands gesegelt ist und sonstwie. Das steht in markantem Kontrast zu seiner heutigen Performance. Wir können offen darüber reden, als uns nach gelungenem Ablegen und Segelsetzen im Sund der Wind ausgeht. Ich muss gar nicht zu Vorsicht und realistischer Selbsteinschätzung mahnen, denn das ist beiden bewusst – sie erleben den gewaltigen Unterschied zwischen Mitsegeln und Skippern. „Du wirst es nicht glauben“, bekomme ich zu hören, „aber ab nächste Woche bin ich Ausbilder bei DHH.“

*

Nun also Dienstag: Inzwischen sind auch die Charterer unterwegs. Ich widme mich Einkauf, Abwasch, Aufklaren, und dann ist auch schon das breite Wolkenband da, vor dem ich mich unter der Kuchenbude verkrieche. Um halb drei ist es durchgezogen – die Sonne kommt raus, Paula und ich können los. Westwärts aus dem Sund, aber wohin? Korshavn? Da liegen zwei Folkeboote in benachbarten Boxen, deren Crews ich jede für sich gerne mal wieder getroffen hätte, aber aus mir unbekannten Gründen reden die nicht mehr miteinander. Woher ich das weiß? Ich kenne Leute, die umfassend per Facebook und WhatsApp vernetzt sind und mir ungefragt Bericht erstatten. Den Booten dürfte es gleichgültig sein, aber ich bin heilfroh, nicht dazwischenzuhängen. Im Gamle Havn liegt Jane – die drei Tage mit Björn waren schön, aber an das Familienevent hänge ich mich lieber nicht an. Paula fährt heute ganz bewusst in einen andern Hafen. Nur welchen? Skarø? Oder gar Hjortø? Schaffen wir es noch bis Ommel?

Eine SMS von Elena vor ein paar Tagen fällt mir wieder ein: Sie ist mit einer Freundin unterwegs mit einem BM Family oder etwas in der Art. Also einem folkebootähnlichen Küstenkleinkreuzer mit identischem Rumpf, aber total anderem Rigg, Einbaudiesel und Sprayhood. Die Nachricht kam zwischen zwei Regattastarts, meine Antwort war entsprechend knapp. Nun melde ich mich entspannter. Elena habe ich kennengelernt, als sie als schüchterne Achtzehnjährige auf der Jonas als Bootsfrau fuhr. Inzwischen ist aus ihr eine selbstbewusste Bootsbauerin, exzellente Seglerin und gute Freundin geworden. Ich erfahre, dass sie heute auf Baagø geblieben sind und morgen nach Dyreborg wollen. Hurra, das ist eine exzellente Idee. Und nun greife ich zum Fernglas und gucke mir an, was da vor uns rumschippert.

Zuerst erwarte ich, Amazone zu sehen. Doch im Kieker erkenne ich deutlich die dunkelgrüne Schanz der – Jonas!! Das Schiff, auf dem ich angefangen habe zu segeln, haben wir schon ewig nicht mehr anderswo getroffen als in Kappeln im Vorbeifahren am Museumshafen. Solange die segeln, noch dazu nur mit Groß und zwei Vorsegeln, sind wir allemal schneller, und allzu weit werden die heute nicht mehr wollen – das gucken wir uns mal aus genauer an. Leider halten sie aufs Højestene Løb zu. Den Kurs im Fahrwasser können sie auf keinen Fall laufen, und aufkreuzen werden sie das auch nicht. Richtig: Das erste Segel wird geborgen, der Diesel gestartet, so wird das schwer, sie einzuholen.

Ein fröhlicher Winddreher auf West sorgt immerhin dafür, dass wir nicht kreuzen müssen. Die Jonas fährt auch nicht Vollgas. Ganz allmählich kommt Paula auf – bis der Wind kaputtgeht. Wir bleiben einfach stehen. Hjortø wäre der nächstgelegene Hafen, aber erstens habe ich nur ganz selten Lust auf diese Insel, und zweitens steht es sich bei Beinahe-Flaute platt vorm Laken noch langsamer und hilfloser als hoch am Wind. Hinzu kommt: Westlich von uns zieht ein ausgedehnter Schauer durch. Es ist leicht zu erraten, dass der von allen Seiten Luft ansaugt, uns also auf der Vorderseite den Wind klaut. Wenn er vorbei ist, kriegen wir vielleicht noch ein bisschen Regen, aber auch ein Brischen, das uns weiterbringt. Die Jonas fährt unverkennbar nach Drejø. Eine halbe Stunde später erreicht uns das Gekräusel, und wir machen das auch.

Wie sich herausstellt, ist es nach Schulter-OP, Nachbesserungen fürs neue Sicherheitszeugnis und Corona der allererste Törn der Saison. Stefan ist überhaupt nur aufgrund von Crewmangel an Bord. Um so schöner, dass er nach dem Abendessen für zwei Stunden unter Paulas Kuchenbude sitzt! Mit Dyreborg kann auch er sich anfreunden, nur passt sein Schiff nicht in den Hafen, sondern wird davor ankern. Die Gäste sind eine Familiengruppe mit zehn Kindern und sieben Erwachsenen (!), die Organisatorin kenne ich noch aus der Zeit, als ich auf der Jonas gefahren bin.

Ich treffe sie in Begleitung von Bootsfrau Birgit und einer Bekannten, die gerade Landurlaub auf der Insel macht, in dem Häuschen mit dem Hafengeldautomat. Gesprächsthema ist der Unterschied zwischen Schiff und Boot. „Ein weites Feld“, beginne ich das Problem zu umreißen, dass die Begriffe nicht eindeutig definiert und voneinander abgegrenzt sind. Das wollen die gar nicht hören: „Wie sagst du denn zu deinem Wasserfahrzeug?“, werde ich gefragt. Das ist wiederum einfach – ich antworte: „Paula.“

*

Keine Ahnung, was es dabei so zu lachen gab. Am nächsten Tag jedenfalls gewährt mein Abwasch der Jonas eine halbe Stunde Vorsprung, von der die Hälfte fürs Segelsetzen draufgeht. Nach dreißig Minuten haben wir sie eingeholt, winken, wenden und segeln davon. Ich weiß, dass Stefan sowas immer ein bisschen ärgert, aber wir haben morgens schon darüber gesprochen: Ist doch klar, dass ein kleines, leichtes Boot weniger Wind braucht, um loszufahren, als ein 120 Tonnen schwerer ehemaliger Lastensegler. Der hat andere Vorzüge, brauchen wir gar nicht diskutieren. Für uns ist es unbeschwertes Schönwettersegeln mit anfänglich fünfeinhalb Knoten. Als es abflaut, die Jonas Badepause macht und dann den Diesel anwirft, während wir uns von zweieinhalb Knoten wieder auf vier heraufarbeiten und das Tegesziel dabei schon vor Augen haben, kommt mir ein Vergleich in den Sinn: Mücken fliegen bei Flaute exzellent. Schwäne können dann mangels Gegenwind gar nicht starten. Bei zwei, drei Windstärken verkriecht die Mücke sich an Land, der Schwan ist in seinem Element. Aus menschlicher Sicht könnte man beide für nervig und überflüssig halten, aber das wäre zu kurz gedacht: Im Sinne der Nahrungsketten und des ökologischen Gleichgewichts sind sie unverzichtbar.

Um zwei sind wir in Dyreborg. Kurz nach drei lässt Paula – nein, keine Mücke, sondern eine Fliege unter Deck, um mich zu wecken, denn sie findet, ich solle mal gucken, ob da nicht ein folkebootähnlicher Küstenkleinkreuzer im Landeanflug ist. Ich hänge die Fender raus und freue mich über Karla und Elena.

Hin und wieder geht noch ein drittes Boot ins Päckchen, findet einen besseren Platz und verholt, eines bleibt über Nacht dort liegen. Die Gästegruppe der Jonas mit all den Kindern wird nach und nach per Beiboot an Land geshuttlet, was ziemlich lustig ist, weil der Außenborder einen schlechten Tag hat, dauernd ausgeht und den Rückwärtsgang nicht mag. Insgesamt ist es quirlig und kurzweilig, und weil es ja ein kleiner Hafen ist, ist das nicht nervig, sondern ein nettes Miteinander. Als es auf der Jonas Abendessen gibt, kehrt Ruhe ein. Elena, Karla und ich machen einen Spaziergang durch den angrenzenden Wald.

Und der ist wirklich toll: Die tiefstehende Sonne schickt gebündelte Strahlen durchs Blattwerk. Es ist ruhig und atemberaubend schön. Mittendrin steht auf Stelzen ein traumhaftes Shelter für Fahrradfahrer. Als wir das Ufer wiederfinden, stehen wir gegenüber von Bjørnø, erkennen ein Stückchen Faaborg und in der Ferne Avernakø, und wir finden einen ufernahen Rückweg entlang an wunderschönen Häusern in unübertrefflicher Wohnlage. Als wir uns im Hafen dem Rotwein hingeben, kommt Stefan zu Besuch – als Fährmann musste er die älteren Kinder auch nochmal übersetzen, denen vorhin Badespaß, Dusche und Landgang wegen des Abendessens verwehrt geblieben war.


*

Schon Donnerstag. Die Anderen machen sich an den Rückweg an die Schlei. Wir entscheiden uns für Ommel, mit Einkaufsstop in Aerøskøbing. Der Segeltag ist phantastisch, ohne Pflichtprogramm im Sinn einer weiten Strecke, dafür mit genau dem passigen Wind: Wir brauchen einen einzigen Holeschlag kurz vorm Aerøskøbing-Fahrwasser. Die übrigen Yachten bergen lange vorm Fahrwasser die Segel und legen den Hebel auf den Tisch, als wollten sie uns den letzten Liegeplatz wegschnappen. Klappt aber nicht, Paula segelt stoisch auf den alten Handelshafen zu, und dort sind auch noch reichlich Längsseitsplätze frei. Souveräner Aufschießer, ich binde sie fest – naja, fast, denn dann kommt uns ein Kerl in die Quere, der auf dem Wasser nichts zu suchen hat: Er fährt seinen Anleger so, dass er kaum anders kann, als Paula zu rammen. Statt mich endlich um die Achterspring zu kümmern und dann mit dem Rotkäppchenkorb in die Stadt zu gehen, muss ich ständig sein blödes Boot von uns weghalten, während er seine Frau anpöbelt, die die Vorleine nicht festkriegt. Vielleicht sollte er ihr das mal in Ruhe verständlich erklären, dann hätte sie eine Chance.

Letztlich wird aus der Vorleine eine Mittelspring, der Vorwärtsgang ist noch drin, die hässliche Plastikkiste dampft permanent ein und will ihr Heck an Paulas Vorschiff drücken. Die Frau steht tatenlos im Cockpit und lächelt verlegen, der Mann schimpft. Ich ignoriere sie und fauche ihn an: „Kollege.“ Er: „Die Kollegin hat zwei linke Hände.“ Ich: „Du bist ja wohl der Zuständige hier. Das kann doch nicht sein, dass ich hier die ganze Zeit euren Dampfer abhalten muss.“ Der Kerl müht sich schweigend und letztlich tatsächlich erfolgreich weiter ab, sein Boot so anzubinden, dass es keine Schäden anrichtet. Und ich merke mal wieder, dass ich durchaus furchterregend wirken kann, wenn ich genervt bin. Wie gut trifft es sich da doch, dass wir in Ommel erwartungsgemäß die einzigen Gastlieger sind.

Ommel – das ist Ankern am Steg: Reinkreuzen in die Bucht mit immer kürzeren Schlägen, Wende bei zwei Metern Wassertiefe. Dann ist Paula sicher vertäut, der Anker bleibt sauber. Landstrom, Landgang, Dusche und Toilette. Eine Wiese zum Faulenzen und Barfußlaufen. Hafengeld 120 Kronen. Aber auch: Blick in die Weite, Sonnenuntergang, Sternenhimmel. Und niemand da. Niemand, der mich stört. Niemand, den ich störe, wenn ich abends Musik höre, während Paula das Curry bruzzelt. Danach gönnen wir uns noch eine Nacht in Troense, bevor wir uns in Svendborg wieder ins Chartergetümmel stürzen.



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