Paulas Törnberichte | ||||||
Kreuzfahrt
im Smålands Fahrwasser
Die große, weinrote Lovis liegt in der Hafeneinfahrt. Amazone
an der Spundwand. Und dahinter: Bonavista. Marstals alter Stadthafen
ist heute voll mit alten Freunden. Auf dem Weg in den um diese Uhrzeit,
abends nach acht, garantiert vollen Yachthafen, können wir
nicht widerstehen: Wenn wir schön dicht heranrücken
an Bonavistas Heckspiegel, blockieren wir nur ein kleines
Stück der Bunkerpier. Frieda kreuzt noch mit
mäßigem Erfolg draußen rum. Als sie zu
später Stunde ins Päckchen kommt, haben wir Jannis
und Sönke zu Besuch. Traditionsseglerkapitäne sitzen
nicht allzu oft in Paulas Cockpit, der Abend ist toll, und die Reise
kann schon gar nicht mehr blöd werden.
Juli 2022
Das
gibt mir freie Hand für einen spannenden Urlaub. Heutzutage
nennt
man es ja eine bucket list, wenn man noch etwas vorhat. Das ist nicht
unbedingt meine Ausdrucksweise, und ich finde ja auch, man muss nicht
jeden Quatsch mitmachen. Aber ich habe durchaus noch etwas vor:
Sönke und Jannis zumindet einmal während der Saison
zu
begegnen, ist ein absolutes Muss - da kann nun ein Häkchen
ran.
Dann war ich schon seit Jahren nicht mehr in Albuen, weil der Wind
nicht passte und die Zeit nicht reichte. Das holen wir jetzt nach. Und
wenn wir schonmal dort sind, gilt es auch noch eine Rechnung mit dem
Smålands Fahrwasser zu begleichen.
In
die Gewässer östlich Langelands, zwischen
Sjælland im
Norden und Lolland, Falster, Møn im Süden, sind wir
in den
ersten Jahren häufig gesegelt: Die allererste Sommerreise mit
Paula führte hierhin, es folgten ein
Frühjahrstörn nach
Møn und eine Sommertour nach Kopenhagen.
Schließlich
wählten wir 2011 sogar diese Route, um die Göteborger
Schären zu erreichen - totaler Blödsinn, ein
Riesenumweg,
aber wir kamen sogar dort an. Danach hatte ich genug von dem Revier.
Das lag aber nicht am Revier, sondern meiner Auswahl der
Übernachtungshäfen: Stege, Kalvehave, Vordingborg,
Karrebæksminde, Stubbekøbing: Absolut langweilige
Provinznester. Die Inseln: Femø überlaufen und
überbewertet, Askø wirklich nix Dolles,
Vejrø
überteuert und reizlos. Sämtliche Häfen
waren insoweit
ok, dass man hier ein Boot sicher anbinden und ungestört
übernachten konnte, doch das geht andernorts auch, und dort
mit
Charme und eigenem Charakter.
Inzwischen weiß ich: Wir lagen einfach in den falschen
Häfen. Also nehme ich Paula, die Teddys, Frieda, Wiebke und
Jörg mit zu einem touristischen Erkundungsprogamm, in dessen
Verlauf wir etliche bewährte, zwei mir bisher fremde
Häfen
und einen perfekten Ankerplatz erfolgreich anlaufen.
*
Samstag: Pustig und Anreisetag. Thurø als neue
temporäre Charterbasis erweist sich als guter
Griff. Wir liegen ruhig und geschützt, das Partygewusel in
Svendborg ist weit weg, und niemand vermisst es. Ich freunde mich mit
einem alten Fischer so weit an, dass er verspricht, ein Auge auf Oli
und Martha zu werfen, die zwei Wochen nichts zu fahren haben.
Sonntag: Pustig, spätnachmittags nachlassend - der
Dämmertörn nach Marstal ist die logische Konsequenz.
Von dort
haben wir einen guten Ausgangspunkt für
fünfundzwanzig
Seemeilen nach Albuen. Die bgeinnen locker-flockig. Durch die Flaute an
der Südspitze Langelands kommt Paula besser durch als Frieda.
Lange Zeit haben wir wenig Wind, aber kräftig mitlaufende
Strömung, bevor wir mit fünfeinhalb Knoten die
Nehrung runden
und in die Bucht segeln. Albuen haben wir heute für uns. Der
Steg
sieht übel mitgenommen und verwahrlost aus, hängt an
manchen Stellen durch. Schon jetzt
ist das Betreten auf eigene Gefahr, ich fürchte, in einigen
Jahren
wird man hier nur noch ankern können. Aber es ist sooooo
schön hier! Und wunderbar, endlich mal wieder hier zu sein.
Ich
klare auf, mache Landgang, koche und esse zu Abend. Frieda kommt drei
Stunden nach uns an - wenn sie dieses Boot auch nicht gewesen
wäre, hätte ich die Seenotrettung gerufen. Wiebke und
Jörg sind müde, aber glücklich. Dass sie
langsamer
segeln, als erfahrenere Crews, kennen sie schon.
Am
nächsten Tag sind sie ganz begeistert von meiner
Törnplanung. Dabei lassen wir die schöne Morgenbrise
vergehen, um Albuen in Ruhe zu erkunden, und segeln am frühen
Nachmittag nur die drei Meilen nach Langø. Eine
Spaßrunde
durch den Nakskov Fjord wäre zwar nett gewesen, aber wir
verwerfen
den Plan, weil es dort absolut nicht nach Wind aussieht. Wiebkes
Freundin ist parallel dazu im Rahmen ihres
SKS-Ausbildungstörns
von Bagenkop nach Marstal komplett motort.
Langø ist bestenfalls ok, definitiv kein sehenswerter Ort.
Ich
hatte auch gar nichts Anderes erwartet. Immerhin gibt es Hot Dog und
saubere Duschen, und es war das Beste, das wir aus dem Flautentag
machen konnten. Für Bisserup ist meine Erwartungshaltung
erheblich
größer: Es soll toll sein. Das Hafenhandbuch
rät ab:
Die Rinne neigt zur Versandung (wie jede Rinne), die Ansteuerung sei
nur Ortskundigen empfohlen, starke Strömung, kaum
Liegeplätze. Wir laufen früh aus, denn es sind gut
dreißig Meilen bei einem Südost, der mittags auf
sechs
auffrischen soll. Ich erkundige mich bei Erik, ob er da schommal war.
Feedback: Schön da, mächtig Strömung vorm
Hafen und auch
innen drin, Aufschießer in den Hafen geht, aber kein
go-around,
es muss im ersten Versuch klappen.
Die Rinne ist dann schonmal überhaupt kein Problem. Ein
riesiger
rot-weiß gestreifter Ball weist den Weg, hier berge ich die
Fock,
und dann geht es mit eindeutiger grüner und roter Betonnung
geradeaus ins Noor. Wir haben den Wind mit und den Tidenstrom gegenan,
das könnte spannend werden. Wird es aber nicht: Vorm Hafen ist
Platz für etliche Erkundungstouren. Rote Bälle
markieren
zuverlässig, wo es flach wird. Der rüstige
Hafenmeister
vergibt an der Einfahrt freie Liegeplätze. Wir warten erstmal
ab,
bis eine große Motoryacht fertig verholt hat, und gehen vorm
Hafen auf Erkundungstour. Dann schippern wir rein, finden fast keine
Strömung mehr vor, ignorieren den Hafenmeister, sondern fahren
erstmal einen Aufschießer und legen dann frech da, wo wir
gelandet sind, auch an. Den zweiten noch freien Platz bekommt
fünf
Minuten später Frieda.
Kleiner, gemütlicher, serviceorientierter Hafen mit allem, was
man
braucht, und hier und da noch ein bisschen mehr. Strand, Gastronomie,
Gemütlichkeit. Kostenlose Leihfahrräder und ein
Schloss mit
zugehörigem Park in Reichweite. Bisserup ist herauragend und
unbedingt einen Besuch wert, ich bin begeistert. Es droht der
heißeste Tag in der Geschichte Dänemarks zu werden.
Vormittags war davon wenig zu spüren, ich habe
refröstelt und
immer noch mehr Klamotten übergezogen. Jetzt ist es wirklich
heiß, und eine kurze Radtour in einen waldähnlichen
Park
verspricht Abkühlung.
Über Holsteinborg Slot kann ich berichten, dass es riesig ist.
Vor
allem, wenn man das Stall-/Scheinengebeude zum Maßstab macht.
Drin war ich nicht, habe mich auf den romantischen Garten
beschränkt. Der ist latent unspektakulär, weil er
sich an
englischen Vorbildern orientiert. Aus meiner Sicht versuchte man hier
genau wie in den französischen Parks des Barock (man denke an
Verssailles oder Sanssouci) die Natur zu domestizieren, indem man sie
der bedrohlichen Wildnis entriss und sie menschlichen Regeln unterwarf.
Die englische Idee ging offenbar stark in die Richtung, den Pflanzen
freie Entfaltung zu ermöglichen: Bäume stehen
einzeln, damit
ihr üppiger Wuchs nicht durch die Abschattung und Konkurrenz
der
Nachbarbäume gehemmt wird. In Holsteinborg stehen jedenfalls
einige prächtige Eichen, die seit 250 diese Freiheit zu
genießen scheinen. Man könnte da Hunderte
Folkebootvorsteven
raus schnitzen, aber ich habe zuviel Respekt vor diesen Senioren, um
das ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Außerdem
braucht der
Bootsbau Krummholz. Und das Noor ist gut geschützt, die
Bäume
wachsen gerade.
Die Südseite Sjællands lässt sich
zutreffend als
ertrunkene Grundmoränenlandschaft beschreiben, wie der
größte Teil des übrigen Dänemarks
auch. Hier haben
wir aber die Besonderheit einer Boddenküste analog zu
Mecklenburg-Vorpommern: Der eigentlichen Küste vorgelagert
sind
flache Inseln, dazwischen liegt ein flaches Gewässer im Stil
einer
Lagune. Während man die Boddengewässer an der
deutschen
Küste durchaus noch befahren kann, geht das an der
Doppelküste Südseelands nur mit Kanu oder diesem
Standup-Kram. Die hiesigen Noore sind zwar flach, aber ausgedehnt, und
sie unterliegen der Tide - deswegen die erheblichen Strömungen
in
den wenigen Durchlässen. Weil der Tidenhub so gering ist, gibt
es
in Dänemark keinen landesweit gültigen Tidenkalender
- es
bleibt dem Zufall überlassen, ob man in Bisserup bei
einlaufendem
oder auslaufendem Wasser ankommt.
Vor dem nächsten touristischen Begleitprogramm sollen wir aber
mal
wieder ein Ründchen segeln. Der Tag verspricht lang und
spannend
zu werden, doch er beginnt ein wenig schleppend: Aus dem Hafen zu
treiben und dabei die Segel zu setzen, ist in der schwachen Morgenbrise
kein Problem, doch dann halten wir gegen die Strömung nur
für
kurze Zeit die Position, bevor wir rückwärts ins
flache Noor
treiben. Vor Anker mit gesetzten Segeln auf Wind warten, wäre
eine
Option - aber wer weiß, wann der angesichts der Abdeckung
ausreicht? Und wenn er dann aus Südwest kommt, haben wir
nichts
gewonnen. Zehn Minuten Tuckern reichen, um für den Rest der
Rinne
genügend Wind zu haben und aus der Strömung zu
kommen. Am
Ansteuerungsball ist es beinahe windstill, doch das Gekräusel
ist
schon unterwegs zu uns.
Bis kontinuierlich eine stetige Brise eine solide Zeitplanung
ermöglicht, dauert es noch eine Weile. An der
Storstøm Bro
geht es bei W4-5 gut voran, wir haben aber schon eine Stunde
Verspätung. Nun beginnt einerseits der kurzweilige Teil des
Segeltages, indem wir im Ulvsund die ganze Zeit Tonnen suchen, die uns
den
kurvenreichen Weg zwischen lieblichen Inseln weisen. Andererseits hat
DMI angekündigt, dass es nachmittags vorübergehend
mit
Böen bis zu 15 m/s pusten wird - da wollen wir
möglichst gar
nicht unterwegs sein, sondern eine Mittagspause vor Anker machen. Das
Fahrwasser ist aber so gut geschützt und die Strömung
gegenan, so dass es lange gar nicht auffällt, wie windig es
ist.
Als es dann wirklich ruppig ist, sind wir schon an der letzten Biegung
vor Kalvehave, und ich habe keine Idee, wo man sich hier jetzt noch
gechillt verkriechen könnte - überall ist es entweder
flach
oder komplett ungeschützt. Den Hafen anzulaufen, scheint mir
auch
realistische Option. Vier Meilen bis Nyord - es bleiben drei
Alternativen: Ankern an der Ostseite Sjællands. Das machen
einige. Oder das Groß bergen, damit wir nicht mehr so schnell
sind, in der Hoffnung, das Ziel erst zu erreichen, wenn der Wind sich
beruhigt. Oder aber - und das machen wir schließlich - wir
segeln
erstmal hin, gucken uns das Ganze an und liegen notfalls ein Weilchen
bei. Eine Spur weniger Wind ist ja immerhin schon.
Der Hafen von Nyord ist klein. Die letzten hundert Meter muss man sich
in einer engen Rinne halten - und es gibt keinerlei Betonnung, kein
Richtfeuer, nichts. Nichtmal der Beginn der Rinne ist markiert, und sie
folgt auch nicht dem Verlauf der Hafenmolen. Zehn Grad ist die Peilung,
das ist alles, was ich weiß. Und die ist nicht eben leicht zu
bekommen, denn der Strom versetzt uns ostwärts, wir
müssen
also vorhalten, um zehn Grad über Grund zu laufen. Der Kompass
zeigt dann aber irgendetwas Anderes, die Bugspitze auch nicht auf die
Einfahrt. Ich sage mir: Besser in Luv festkommen als auf Legerwall. Wir
halten uns also eher weiter links.
Halber Wind und enger Hafen - im Gamle Havn erliege ich häufig
der
Versuchung, mit dem Groß reinzusegeln anstatt mit der schnell
und
einfach zu bergenden Fock. Dort ist die Rinne aber eine halbe Meile
lang, mit der Fock würde das ewig dauern, und wir begeben uns
in
die Abdeckung. Hier gibt es keine Abdeckung, keinen zweiten Versuch und
definitiv keinen Platz für einen Aufschießer. Wir
machen das
also mit der Fock. Huiuiui, mit vier Knoten durch die Einfahrt, schnell
das Tuch runter, und dann müssen wir Fahrt abbauen und uns
irgendwo anbinden.
Fahrt abbauen klappt gut. Anbinden eher nicht - die Boxen sind so kurz,
dass viele Hecks zwischen den Pfählen rausgucken.
Dafür hat
ein kleiner Hafen den Vorzug, dass man zumindest irgendwo antreibt, wo
man sich festhalten kann. Praktischerweise will eine Familie aus
Kalvehave gleich ablegen, die Box wird frei, wir müssen uns
nur
ein bisschen um Hecks herum an Achterleinen und Pfählen
verhangeln, damit die rauskönnen. Frieda findet
gegenüber
einen Platz, wo sie notgedrungen hintreibt und erstmal quer vor den
Pfählen zu liegen kommt - das ist kontrolliert und sicher und
das
beste Manöver, das Wiebke und Jörg hätten
fahren
können. Nach einer Stunde auf dem Rollfeld ist Paulas Gate
frei,
und wir legen endgültig an. Es ist ziemliches Gezerre: Statt
nachzulassen, hat der Wind nochmal ordentlich zugelegt - wie gut, dass
wir nicht draußen abgewartet haben. Denn kaum hat sich das
Gepuste tatsächlich etwas beruhigt, zieht auch schon die Front
auf, komplett mit Böenkragen und kräftigem Schauer.
Freitag ist Hafentag. Wiebke und Jörg fahren mit dem Bus nach
Stege, ich widme mich der liegengebliebenen Büroarbeit. Nyord
ist
sehenswert, der Hafen klein und von der Art, wo jeder jedem hilft -
jederzeit komme ich gerne wieder her, denn viel gesehen habe ich
diesmal nicht. Der Samstag beginnt seltsam. Kurz vor sechs lasse ich
unausgeschlafen und in einem merkwürdigen Schwebezustand Paula
von
ihrem Liegeplatz gleiten. Gestern Abend hat sich noch jemand hinter uns
längsseits an die Pier gelegt, ich hätte protstieren
und
achteraus Verholen empfehlen können, aber ich wollte entspannt
und
freundlich sein. Jetzt bereuhe ich das und brauche eine Viertelstunde,
bis ich Paulas Bug an irgendjemandes Boot drei Boxen weiter festhalte,
ohne dass ihr Heck bisher Schäden angerichtet hätte.
Ich würde so gerne die Pinne mittig fixieren, die
Großschot
öffnen und die Baumschere rausnehmen, damit das Groß
klar
zum Setzen ist, und außerdem die Fockschot ein bisschen
fieren,
damit wir beim ersten Lossegeln nicht so leegierig sind. Aber ich kann
nicht weg von der Bugspitze: Die aus den Boxen ragenden Boote
verhinden, dass wir uns an einem Pfahl sichern. Bei diesem hier ist die
achterliche Klampe vom Rettungskragen blockiert, und das achteraus
geschleppte Gummiboot hindert Paula und mich am Weiterhangeln. Mit
einer Hand halte ich uns an der Schlauchbootvorleine fest, mit der
anderen stopfe ich das blöde Ding zwischen dem Heck der Yacht
und
Paulas Vorsteven durch, damit wir jedenfalls halbwegs freie Bahn haben.
Als ich endlich so weit bin, legen gegenüber Frieda sowie eine
Motoryacht ab. Scheiß drauf, wir fahren jetzt. Das
heißt:
Ich lasse die Schlauchbootleine los und setze die Fock. Wrigge wie
blöde gegen Paulas Leegirigkeit an - mit dichter Fock und null
Fahrt ist die keine Überraschung. Als wir einen halben Knoten
Fahrt haben, sehe ich ein, dass wir mit dieser Beseglung zwar aus dem
Hafen kommen, dann aber auflaufen. Zehn Meter vor der engen Ausfahrt
beginne ich am Großfall zu zerren. Drei Meter vor der
Ausfahrt
steht das Segel.
Es nieselt im Størstrøm. In der wolkenverhangenen
Landschaft ist immer nur die nächste Fahrwassertonne zu
erkennen.
Ich mag melancholische Stimmungen, doch diese hier ist eher
düster. Erstmal Ölzeug an, Seekarte raus, Fender
rein, Fallen
aufschießen - ich habe alle Hände voll zu tun, und
dann
lässt der Niesel auch schon nach, der Fahrwasserverlauf ist
klarer
erkennbar. Man muss hier bereit sein, zwei Meter Wassertiefe als tiefes
Wasser zu akzeptieren, und darf keine Tonne übersehen und
auslassen. Der Wind aus Westsüdwest beginnt mit 3-4, brist auf
auf
4-5, die Strömung läuft scheinbar zuerst mit, dann
kentert
sie wohl, das ist so dicht unter Land schwer zu sagen ohne
verlässliches Seegangsbild und somit
Windeinschätzung. Ich
mutmaße anhand des Ruderdrucks.
Als wir das mäandrierende, kurzweilige Fahrwasser verlassen,
läuft die Strömung definitiv mit, und der Wind
variiert um
die fünf Beaufort. Es ist gerade mal acht Uhr morgens,
allmählich wache ich konmplett auf und bin voll bei der Sache.
Wir
sausen - die Strömung läuft nun zweifelsfrei mit -
mit bis zu
sieben Knoten südostwärts, dem nächsten
touristischen
Highlight entgegen. Die Kreidefelsen von Møns Klint habe ich
vor
über zehn Jahren von Klintholm aus zu Fuß erkundet.
Noch nie
bin ich an ihnen vorbeigesegelt und möchte auch den
Gästen
dieses Spektakel auf keinen Fall vorenthalten - im beschaulichen
Dänemark gibt es viel Schönes zu entdecken, doch dies
hier
ist wirklich herausragend.
Ideal
wäre eine Passage in der Morgensonne. Bei bedecktem Himmel
sind die Klippen weniger fotogen, doch genauso spektakulär und
sehenswert. Absolutes Pflichtprogramm, würde ich sagen,
für
jeden Ostseesegler.In Lee einer solchen Steilküste ist es
nämlich auch seglerisch interessant, das kenne ich allenfalls
von
der Nordseite des Kullen bei Südwind: Nichts los, gar nichts
los,
überhaupt nichts los - Fallbö!! Nichts los, kein
Wind, nur
Treiben - Gekräusel voraus und nächste
Fallbö!!!! Drei
Seemeilen geht das so, dann haben wir kurzzeitig Südwest 6 und
danach bei Westsüdwest 4-5 die Welle des Südwest 6,
was die
Holeschläge ziemlich spritzig und holperig macht. Wir laufen
trotzdem volles Rohr Höhe, ohne dass Paula krachend ins
Wellental
eintaucht, also alles recht moderat. Finden wir. Irgendwo hinter uns
quält sich Frieda ab, Kreuzen im Seegang ist für
Wiebke und
Jörg eine neue Disziplin, und ich rechne mit später
Ankunft
und erschöpften, unglücklichen Gesichtern. Wir sind
hauptsächlich so früh ausgelaufen, um diesem Szenario
zu
entgehen, aber das hat ja nunmal nicht geklappt.
Kurz vor Klintholm überdenke ich die Möglichkeiten,
bei
latent auflandigem Wind heil in den Hafen zu kommen, und entscheide
mich für die beste, wenn nicht einzig richtige, Version: Fock
runter, mit dem Groß raumschots rein und erstmal in den
geräumigen Fischereihafen - wo wir, anders als im
Hafenhandbuch
behauptet, durchaus auch anlegen könnten. Ich nutze die
anschließende Kreuz zurück zum Yachthafen zum
Fahrtabbauen.
Kurzes Abfallen, den Liegeplatz schon in Sicht, dann ein sauberer
Aufschießer an den äußersten Pfahl - auf
der riesigen
Segelyacht, die dort in der Box liegt, schreit die Frau beinahe um, als
wir mit flatterndem Groß angeschossen kommen. Die ist
definitiv
noch nie einen Aufschießer gefahren und würde bei
Motorausfall sofort die Seenotrettung verständigen. Ich berge
das
Groß, vor Topp und Takel treiben wir zum im Augenwinkel schon
gesichteten Liegeplatz, und dort warten wir auf Frieda - für
die
neben uns noch Platz ist in der breiten Box.
Wiebke und Jörg treffen ein und sehen richtig fertig aus.
„Das war heute zu doll für uns“, berichten
sie. Sehe
ich ein. Und verschiebe den Hinweise, wie stark sie gerade von solchen
Erlebnissen mittel- und langfristig profitieren werden, auf
später, wenn sie wieder lachen können. Der
nächste Tag
ist wieder einmal zweigeteilt: Zunächst von Klintholm zum
Hestehoved Dyb, dem südlichen Teil des Fahrwassers zwischen
Møn und Falster. Bei Südsüdwest wird es
nicht die
befürchtete nervige Kreuz, sondern wir brauchen über
die elf
Seemeilen einen einzigen Holeschlag. Dann haben wir Wind mit und
Strömung lange gegenan, zu, Glück nicht allzu doll,
so dass
wir gemütlich unserem Ankerplatz entgegensegeln. An
Stubbekøbing vorbei, das ich seinerzeit als unfassbar
langweilig
empfunden habe - vom Wasser aus sieht die Stadt jetzt durchaus
hübsch und verlockend aus. Wir segeln durch die
Autobahnbrücken südlich und nördlich von
Bogø und
sind jetzt auf einem Weg, den wir neulich schon in gleicher Richtung
genommen haben. Allerdings nur ein kleines Stück, denn bis
Tærø ist es nicht mehr weit. Am Nordufer dieser
Insel
fällt wunderbar geschützt der Anker.
Wiebke huscht früh in die Koje. Jörg und ich nutzen
das zu
einem ausgiebigem Gespräch, im Wesentlichen über
unsere
Väter und deren Söhne, sowie die Schönheit
und die
Möglichkeiten der Ostsee, und betrachten dabei intensiv den
Himmel
und die Umgebung. Vor Anker ist es immer verlockend, bis Mitternacht im
Cockpit zu sitzen und zu genießen, aber es wird zum Bumerang,
wenn man um sechs Uhr auslaufen will, um dem
spätnachmittäglichen Unwetter zu entgegen und
trotzdem
ordentlich Strecke zurückzulegen. Diesmal reden wir von 35
Seemeilen, von denen ich erwarte und erhoffe, dass sie zügig
vorbeigehen. Heute, Montag, kommt eine gewittrige Kaltfront. Dienstag
und Mittwoch sind auf ihrer Rückseite bei pustigem Nordwest
als
Hafentage fest verplant. Wir müssen also irgendwohin, wo wir
es so
lange gut aushalten. Danach bleiben und Donnerstag und Freitag
für
den Rückweg nach Svendborg, und ich möchte mich nicht
darauf
verlassen. dass die aktuelle Prognose für diese Tage
tatsächlich stimmt und sogar noch günstiger wird. Wir
brauchen also einen wundervollen Ort maximal eine Tagesetappe von
Svendborg entfernt. Also Agersø.
Gechillt Anker auf - hat gehalten wie Hulle, zwei Flunken waren unter
all dem Seegras megatief im Schlick eingegraben, ich muss eine Weile
schrubben, bis das Ding in die saubere Backskiste darf. Segel hoch,
Treiben aus der Abdeckiung. Wir nehmen Fahrt auf, Süd vier.
Frieda
segelt vor uns durch die erste Brücke und bleibt stehen. Im
betonnten Fahrwasser ist null Gekräusel. Paula segelt durch
die
Brücke und luvt an, Richtung mehr Wind und querfeldein
übers
Flach. Ich zirkele schnell noch die einzige ernstzunehmende Untiefe ab
und stelle fest, dass es passt. Zum Glück beobachten
Jörg und
Wiebke das und folgen uns. sonst hätten sie wahrscheinlich
eine
halbe Stunde verloren statt einer halben Seemeile.
An der nächsten Brücke: Kaum Wind, gewaltige
Strömung.
Mit schlaffen Segeln geraten wir nicht unter vier Knoten über
Grund - wie gut, dass wir das nicht gegenan haben. Schade aber auch,
dass nicht mehr Wind ist, ich hätte gerne mal eine
zweistellige
Geschwindigkeit geschafft, die hier offenbar durchaus möglich
wäre. Als wieder Wind aufkommt, sind wir aus der dollsten
Strömung raus. Jedenfalls bleiben wir souverän im
Zeitplan.
Entlang der langgestreckten, schmalen Halbinsel Knudshoved bekommt ich
ein bisschen Mitleid: Die letzte Eiszeit muss das Ding gebaut haben,
seitdem ist es Seegang und Stürmen ausgesetzt und macht einen
böse gerupften Eindruck. Es ist nicht leicht, eine Halbinsel
zu
sein.
Wir haben Omø, Agersø und das Tanklager auf
Seeland schon
gut in Sicht. Plötzlich verschwinden sie in irgendeinem Dunst.
Es
könnte auch Regen sein, Nebel, womöglich
Insektenschwärme. Gleichzeitig fallen die Segel ein, kaum noch
Wind, beträchtliche Dünung, Paula rollt und
schlingert. Der
Fockausbaumer könnte helfen, zumindest dem Vorsegel wieder
Druck
zu geben. Aber bei dem Geschaukel auf dem Vorschiff rumturnen? Und wenn
das Windfeld uns erreicht, das südlich von uns diese Welle
verursacht - wie kriege ich dann heil den Ausbaumer wieder weg?
Außerdem: Was ist da vorne mit der schlechten Sicht? Ach, und
dann auch noch diese unerträglich drückende Hitze.
Agersø kommt in Sicht. Die Segel füllen sich. Paula
hört auf zu rollen und nimmt Fahrt auf. Eben noch sah es nach
einer zähen Sache aus, plötzlich sind wir im
Endanflug. 35
Meilen in 7 Stunden ist genau wie geplant. Wir legen einfach mal an,
packen die Segel und trinken ein frisch gezapftes Anlegebier.
Jörgs und Wiebkes Ersteindruck: Toller Segeltag, und hier kann
man
es durchaus aushalten. Die anbgekündigte Front existiert
wirklich
und beschert uns ein Brischen und zwei Schauer, bevor sie Fahrt
aufnimmt und Rügen und Bornholm mit 9er Böen
eindeckt. Ich
fand, es war ein überaus komischer Tag, aber gewiss kein
schlechter.
Eine gelungene Tour endet unspektakulär: Zwei Liegetage auf
Agersø bei siebener Böen, gefolgt von zwei Tagen
latent
flautigen Schönwettersegelns, die uns mit Stop in Lohals
zurück nach Thurø bringen. Zum Schluss wird die
Sache rund, indem wir uns mitten in der
Abschlusswettfahrt von Fyn rundt für erhaltenswerte
Segelfahrzeuge
wiederfanden.
weiter: Viele
kleine Boote
zurück: Per Kraftakt zurück zur Erde