Paulas Törnberichte | ||||||
Per
Kraftakt zurück zur Erde
Oliese
muss mächtig schuften. Ich werde nass und salzig, Ralf und
Jörg reißen
verblüfft an den Schoten und erleben ihre erste Stunde in den
Schären als
extrem schnell geschnittenen Actionfilm. Immerhin bekommen sie einen
guten
Eindruck, worum es hier navigatorisch geht, und was ein Folkeboot so
alles
aushält. Süd 5 Böen 6-7 sind nicht die
Bedingungen für den ersten Schlag südwärts.
Aber diese Eingewöhnungsrunde für
Schärenneulinge muss schon sein, und sie wird
sich im Laufe der zwei Wochen mehrfach bewähren. Abends soll
der Wind
nachlassen, rechtzeitig zu einem kurzen Dämmertörn an
einen persönlichen Wunschort.
Juli 2022
Diese
Reise ist unter Anderem eine Zeitreise ins Jahr 2012. Damals
besaß ich noch kein Smartphone, und den Seewetterbericht gab
es zu festgelegten Zeiten morgens und abends im Radio oder
über Funk: „Skagerak West 4 bis 5, zunehmend 5-6,
südwestdrehend“ oder so ähnlich. Damit
musste man etwas machen und kam immer ans Ziel. Vor zehn Jahren
jedenfalls segelten Paula und ich relativ blauäugig von Arnis
zu den Kosterinseln kurz vor der norwegischen Grenze und wieder
zurück - in dreieinhalb Wochen. Nach diesem Urlaub kamen die
Charterboote in meine Obhut. In die Schären kann ich nur
gemeinsam
mit ihnen. Bisher mussten wir immer rechtzeitig umkehren, um den
Crewwechsel in Marstrand einzuhalten. Hunnebostrand ist unser
nördlichster Punkt seit zehn Jahren.
Damit müsste sich doch etwas anfangen lassen...
Samstag:
Sechs Segler entsteigen dem Bus, begegnen den
sonnengebräunten, versonnen lächelnden Abreisenden,
schlendern mit ihrem Gepäck den Berg hinunter zum Hafen und
fühlen sich sofort behaglich im schmucken
Astrid-Lindgren-Land: Der Wind pustet frisch und riecht nach
Kiefernharz und Abenteuer.
Im rundum geschützten Hafen dümpeln als
unübersehbarer Blickfang die vier tapferen Folkeboote vor
einer Kulisse aus roten Holzhäusern.. Ich
freue mich, liebgewonnene Stammgäste wiederzusehen.
Hunnebostrand
hat aber auch deutliche Nachteile: Für das
horrende Hafengeld von 45 Euro sind die Sanitärräume
erstaunlich schraddelig und knapp, der Steg hat Schlagseite, da
könnte mal wieder ein bisschen investiert werden. Das
Restaurant gleich im Hafen ist exzellent, aber selbst für
schwedische Verhältnisse ausgesprochen teuer, und die
Portionen sind ungeeignet zum Sattwerden.
Sonntag
kurz nach sieben, die Haare sind nach der spritzigen
Einführungsrunde gerichtet, laufen wir mit allen Booten aus.
Ich rechne weiterhin mit fünfer Böen und
rätsele, wie wir in die enge Bucht vor Alvö
reinsegeln
und heil an den Felsen kommen sollen. Friedas Crew ist zum dritten Mal
dabei, versteht meine Sorgen und steht als Unterstützung
bereit, falls es auf freies Ankern und anschließendes
Ausbringen von Landleinen per Schlauchboot hinauslaufen sollte. Doch
beinahe von einer Sekunde zur nächsten haben wir stetige drei
Beaufort. Reinsegeln und Aufschießer sind total gechillt.
Weniger
gechillt bin ich, als die Boote vertäut und die Segel
gepackt sind. Alvö ist nicht irgendeine Schäre. Seit
dem
Besuch vor zehn Jahren ist es neben
Hjärterö meine absolute Lieblingsschäre,
seitdem war sie unerreichbar - jetzt stehe ich mit gefülltem
Weinglas auf ihr, gebe
mich meiner Euphorie hin und bin ein glücklicher Mensch. Die
Gäste gesellen sich dazu, jeder auf seine
Weise begeistert
von der unglaublichen Landschaft, in die sie
hineingeraten sind.
Eine
innere Stimme mahnt jedoch - vergeblich - zu früher Koje,
denn ich habe Auslaufen um vier Uhr früh verordnet. Ziel
Gullholmen, wo wir uns bis Mittwoch früh die Zeit vertreiben
müssen. Flaute wird nicht unser Problem sein, wir bekommen es
mit Tiefs und Trögen und reichlich Gepuste zu tun und wollen
dennoch so viel wie möglich von den Schären und ihrer
Umgebung mitbekommen. Irgendwann müssen wir aber auch mal nach
Süden vorankommen.
Um
drei Uhr weckt mich vor dem Handy schon das Donnergrummeln.
Während Paula sich ums Kaffeewasser kümmert, erhellen
Blitze die unter den Wolken noch triste Szenerie. Das Gewitter
produziert sein eigenes schwaches Windfeld. Als die Wolke
über uns
durch ist, lässt der Regen nach, und der Wind dreht auf den
angekündigten West. Ich werfe das Ölzeug
über und mache Paula startklar. Die Gäste stecken
vorsichtig die Nase aus den Niedergängen, bald treten auch sie
in Aktion. Mit entspanntem Ablegen ohne Motor beginnt der erste einer
Reihe von Segeltagen, über deren Kurzweil und
Abwechlungsreichtum ich zehn Seiten oder ein ganzes Buch schreiben
könnte.
Wir
hangeln uns mit drei Knoten aus der Bucht. Treiben eine Stunde in
der Dünung. Personmalmangel auch beim Wind? Scheinbar ist die
zuständige Abteilung nicht durchgängig besetzt, immer
wieder
mal gibt es diese Unterbrechungen. Als wieder Wind
aufkommt, sind
sind es gleich fünf Beaufort, und wir sausen blitzschnell an
Smögen vorbei. Nach einer guten Stunde offenen Wassers gilt es
sich wieder zwischen den Felsen einzufädeln. Oh je - welcher
ist welcher, und wo ist die Durchfahrt? Paula ist das Lotsenboot,
die Anderen sind uns dicht auf den Fersen, vertrauen darauf, dass wir
den Weg kennen. Doch in dieser Richtung bin ich hier noch nie
durchgefahren. Wir haben alle das gleiche Problem: Erst aus der
Nähe zeigt sich, dass ein zusammenhängender Streifen
Granit durchaus aus mehreren getrennten Schären bestehen kann,
und irgendwo gibt es dort auch Durchfahrten. Eine davon ist die
richtige.
Mir hat mal jemand gesagt, ohne elektronische Seekarte könne
man hier nicht segeln. Jahrhunderte ging es ohne. Inzwischen
könnte man meinen, sie
wäre zumindest eine Hilfe. Eine Erleichterung. Nur habe ich
Christian letzte Woche
dabei beobachtet, wie er stundenlang Wegpunkte in die Software
eingegeben hat und sich beim Abgleich mit der Papierseekarte immer
wieder verzettelte. Mich schreckt das ab. Lieber benutze ich
gelegentlich für zwanzig Sekunden den Zirkel für eine
exakte Positionsbestimmung - ach so, hier geht es durch und dann da
weiter, alles klar. Auf der letzten Meile müssen wir bei
reichlich Seegang richtig Höhe laufen. Dann bietet Gullholmen
die perfekte Abdeckung, und das frühe Auslaufen hat jetzt
einen entscheidenden Vorteil: Um zehn Uhr legen Andere gerade ab, freie
Liegeplätze sind kein Problem. Aufschießer an den
Schwimmsteg, Groß runter, Grundleine aufsammeln - fertig.
Der Liegetag in Gullholmen ist gewiss kein Verlust, man soll sich ruhig
auch mal die größeren, bewohnten Schären
ansehen. Die Interessengruppe Landgang begibt sich zum
Naturschutzgebiet im Süden der Insel und füllt sich
den ganzen Tag lang mit Eindrücken. Ich begutache vorwiegend
den einzigartigen Ort, der vor dem ersten Weltkrieg einmal fast 900
Einwohner hatte, die vom Fischfang lebten. Heute wohnen nur noch 90
Menschen und keine Berufsfischer mehr ganzjährig auf der
Insel, aber man kann es auch anders rechnen, denn die Häuser
werden nie verkauft, sondern immer vererbt, und all die
Erbengemeinschaften sorgen dafür, dass etwa 3000 Personen,
überwiegend aus dem Raum Göteborg, ein Haus in
Gullholmen besitzen und es zumindest an den Wochenenden bis in den
November hinein regelmäßig nutzen. Einen
Bebauungsplan hat es hier nicht gegeben, sondern überall, wo
der Grund halbwegs eben ist, steht ein Haus. Wer das Glück
hat, einen weiteren flachen Felsen auf dem Grundstück zu
haben, verfügt über Veranda oder Gartenhaus. Man
wohnt dicht an dicht,
aber die Schweden sind ja bekannt für ihre Toleranz.
Zwischen Gullholmen und Marstrand befinden sich im Wesentlichen zwei
Dinge: Der abwechlungsreichste, kniffligste, schönste Teil des
Schärenfahrwassers. Und meine Lieblingsinsel
Hjärterö. Dort legen wir nach frühem
Auslaufen noch am Vormittag an. Es ist ein Tag, der vermuten
lässt, man könne doch alles haben:
Segeln. Baden.
Klettern. Sommer und Herbst. Kinoprogramm mit vorbeifahrenden Booten,
in dem die Zuschauer plötzlich akltiv mitspielen
dürfen, weil Schwell und Winddreher vorübergehend
für unsicheres Liegen sorgen und weitere Leinen gefragt sind.
Beim abendlichen Briefing ist es empfindlich kühl, bald darauf
setzt der Regen ein, aber das ist auch gut so, damit es hier so
schön grün bleibt.
Am nächsten Tag behalten wir Bewährtes bei, zum
Beispiel Ablegen um sieben Uhr. Bei der Wetterentwicklung
wählen wir die umgekehrte Reihenfolge: Zuerst den Regen, dann
die Sonne. Und statt nur fünfzehn Meilen gestern werden es
letztlich 46. Unter tiefen Wolken kurven wir um die Steine, erreichen
den Fjord nördlich von Marstrand, wo die Dünung ein
bisschen nervig ist, aber auch erste Sonnenstrahlen die Stimmung heben.
Marstrand ist ein erstes touristisches und seglerisches Highlight, der
megaenge Kanal nach Südosten gleich das nächste. Wir
segeln das
Ding. An einer Stelle, wo der Kanal mit fast senkrechten
Wänden durch den Fels gesprengt
wurde, steht
für einen Moment der obere Teil des Großsegels
perfekt im Gradientwind, unterhalb der twistenden S-Kurve steht der
untere Teil genauso perfekt in der Relexion. Anschließend
arbeitet das komplette Segel mit der Reflexion. Schließlich
bleiben wir doch noch beinahe stehen, treiben aus der Abdeckung und
nehmen die Verfolgung von Frieda auf, die mit irgendeiner hilfreichen
Bö erheblich besser durchgekommen ist.
Der Tag hält weitere Highlights bereit: Wir queren das
Fahrwasser vor Göteborg, nähern uns im Pulk der
angepeilten Schäre, doch eine rasche Erkundungstour
lässt erkennen: Vorläufig läuft ordentlich
Schwell in die Bucht. Das wird sich geben, wenn der Nordnordost wieder
auf Nordwest dreht, doch wann wir das sein? Dann erst werden wir
gefahrlos an den Felsen gehen können und Landzugang bekommen.
Der Wind ist aber doch so schön, wir müssen dringend
südwärts, und es gibt ja noch einen Joker sechzehn
Meilen weiter in der richtigen Richtung. Statt Kungsö - gerne
wäre ich mal wieder dagewesen - wird es also Mönster
eingangs des Kungsbackafjords.
Auf dem Weg sehen wir ein kleines Segelboot, das auf Legerwall
gestrandet ist. Kann nicht lange her sein, das zefetzte Vorsegel wedelt
noch in den Böen, aber in der Nähe
wird in Ruhe geangelt, Hilfeleistung ist also nicht mehr erforderlich.
Wir surfen lieber in die Bucht. Es hat kräftig aufgebrist, ich
habe alle Mühe, den Fockausbaumer loszuwerden.
Anschließend kann ich nicht mehr wenden, weil die Parten der
Fockschot hundertfach verdrillt sind. Paula kreuzt nur mit dem
Großsegel in die Abdeckung. Wir werfen wieder mal zu
früh den Anker, legen aber so gechillt an wie selten.
Mönster ist die letzte Schäre der Reise, und sie ist
eine der acht schönsten. Diesmal geht es ziemlich steil
bergauf, deshalb die gute Abdeckung, und dort stehen wir zwischen
Kiefern und Birken zweifellos im Wald. Die Gäste gucken sich
das später an, zunächst steht Badespaß auf
dem Programm.
Wir
verlassen die Mondlandschaft leicht wehmütig,
werden sie in guter Erinnerung behalten und ein baldiges Wiedersehen
planen. Warum jetzt nicht das
größtmögliche Kontrastprogramm? Eine
schnelle Raumschotsrutsche spült uns
nach Falkenberg. Dort betreibt ein rühriger Verein mitten im
Industriehafen eine gepflegte Steganlage, wo wir bisher noch immer
unkompliziert Plätze gefunden haben. So auch diesmal,
längsseits im Päckchen, doch ich wundere mich: An den
Schären hätten die Gäste wundervoll in die
Abdeckung segeln, die Schot aufmachen und mir eine Leine zuwerfen
können. Das wäre einfach gewesen, doch es kam stets
der Außenborder ins Spiel. Hier ist es mit böigem
Wind und
turbulenter Strömung aus nicht ganz entgegengesetzten
Richtungen enorm knifflig, den Stegkopf zu treffen - und alle
Charterboote machen es unter Segeln. Wir drehen die Boote auch gleich
noch um, damit sie den Wind von vorne haben, es im Cockpit
windgeschützt ist und das Ablegen erleichtert wird.
Hilfsbereite Schweden schütteln den Kopf, als sie unser
Hafenkino zu deuten versuchen.
Crewwechsel - auf Frieda wird Ernsts Sohn von dessen Tante
abgelöst - und Hafentag bei Böen sieben: Als wir
genau im einzigen Schauer des Tages den Grill anheizen, halten uns die
Schweden endgültig für verrückt. Ich
rücke das wieder gerade, indem ich der abendlichen Einladung
ins Clubheim folge. Im Hintergrund läuft die
Frauen-Fußball-WM, im Vordergrund gibt es Wein und Irish
Coffee, und alle wollen wissen, war wir für eine Truppe sind.
Ergebnis: Wir sollen gerne wieder kommen. Nebenbei berichtet jemand vom
größten Frachter, der jemals Falkenberg angelaufen
hat. Er kommt regelmäßig mit Teilen für
Windkraftanlagen, und er liegt draußen vor Anker.
Der Rückweg ab Falkenberg beginnt schleppend.
Frühmorgens machen wir so weiter, wie wir beim Anlegen
aufgehört haben: Ohne Motor. Oli als Erste - als sich das
Groß mit Wind füllt, lasse ich die Leinen sausen,
sehe mich um und sage: „Oha!“ Hier wird richtig was
geboten, jetzt sogar noch das Anlegemanöver eines riesigen
Frachters.
Dadurch sitzen wir aber für mindestens eine halbe Stunde fest.
„Falsche Richtung“, rufe ich, als Oli Kurs auf die
Hafenausfahrt nimmt. Jörg und Annette legen nochmal an einem
Pfahl an und
warten geduldig ab.
Am
Frachter liegt es nicht, dass wir diesmal das Rennen gegen die
sechste Windstärke verlieren. Zu lange klaut bei 2-3
die
erhebliche Dünung den Segeln den Druck. Inge flucht,
schimpft, wird seekrank und
beschließt, der Sache morgen noch eine letzte Chance zu
geben,
bevor
sie womöglich gleich wieder abreist. Kurz vorm Ziel frischt es
gewaltig auf, der
Hafen bietet kaum Abdeckung, das Anlegen wird notgedrungen sportlich,
zumal wir nur Martha zu Paula ins Päckchen nehmen
können, wenn wir nicht die Slipbahn und den Retter zuparken
wollen. Oli und Frieda müssen in diese doofen
Schlängel, die in Schweden recht beliebt sind, aber bei
kräftigem Seitenwind eine Menge Übung erfordern.
Meine Gäste erwarten, wie meistens bei den Anderen
längsseits zu gehen, und gucken irritiert. Es gelingt nicht
völlig ohne Hektik, aber jedenfalls geht nichts zu Bruch, und
alle haben ihren Liegeplatz.
Gröttvik ist ein zum Bootshafen umgebauter ehemaliger
Steinbruch und Naherholungsgebiet vor den Toren Halmstads. Zumindet auf
einem Sonntagnachmittag herrscht eine moderate Campingplatzatmo. Es ist
durchaus hübsch hier, doch statt Landgang
machen alle Mittagsstunde. Überhaupt sind touristische
Highlights jetzt nicht unser Thema - ich zerbreche mir den Kopf, wie
wir trotzt ungünstiger Prognose rechtzeitig nach Svendborg
kommen, ohne die Boote zu schinden und die Gäste zu
überforden.
Wir
beginnen dieses Projekt mit einem ordentlich langen Schlag von 53
Seemeilen nach Hundested. Auslaufen um vier, Fahrt konstant
über fünf Knoten, es ist beinahe kurzweilig: Der
Sonnenaufgang, Hallands Väderö, dann der
Tiefwasserweg,
schließlich das kleine Sperrgebiet sorgen für
visuelle
Reize, teilen die lange Strecke und kleine Etappen, bevor am
frühen Nachmittag die Einfahrt in den
Isefjord und der Hafen in Sicht kommen. Leider ist Hundested ein voller
Erlebnishafen voller Erlebnisgastronomie. Die Charterboote
flüchten sich in den schraddeligen Südhafen, zwischen
Abrissbirne, Sandhaufen und den Resten der Fischereiflotte. Paula
treibt vor Topp und Takel in die hinterste Ecke des Innenhafens, wo ein
verrottendes Folkeboot als fragwürdige Dekoration eingebuddelt
ist. Wir liegen
weit voneinander entfernt. Briefing machen wir in Etappen, wann immer
jemand an Paulas Liegeplatz vorbeischlendert. Immerhin können
wir
in Ruhe übernachten und Kraft sammeln für den
nächsten
Tag.
Ich
bin mir bewusst, dass es ein Kraftakt wird: 125 Seemeilen
(Gröttvik-Kerteminde) in drei Tagen. Knapp die Hälfte
haben
wir schon, Sejerø
müssen wir heute schaffen, doch bis zum Snekkeløb
ist Westnordwest, genau gegenan, und ab da Südwest, auch genau
gegenan auf der direktesten Strecke zum Hafen. Wir könnten die
Insel südlich runden, dann wird es etwas weiter, doch ohne
Kreuz.
Ernst zeigt auf die Nachbarinsel:
„Warum nehmen wir nicht die?“ So machen wir das:
Geradeaus weitersegeln nach Nekselø. Schlimmer als in
Hundested kann es ja nicht sein. Es sieht nach perfekter Abdeckung und
entspanntem Anlegen aus. Es könnte sogar total nett sein. Es
könnte auch total voll sein, oder die Information aus dem
Hafenhandbuch, Gäste seien auf der Privatinsel
erwünscht, könnte sich als falsch erweisen - ohnehin
klingt die Formulierung danach, dass man nicht sofort wieder
weggeschickt
wird. Das wird sich herausstellen, wenn wir erstmal da sind. Notfalls
können wir neben dem Hafen ankern.
Auf dem Weg dahin liegen: Eine Kreuz über nur mal eben
zwanzig Seemeilen. Und das Snekkeløb, die riskante
Durchfahrt durch das gefürchtete Sjællands Rev.
Steine Steine Steine, anders als in den Schären
verstecken sich alle
unter Wasser und lauern darauf, Schiffe zu schreddern.
Mordsmäßige Strömung und kabbelige See
gehören hier zum Standardprogramm, und die Betonnung ist
spärlich. Die Seekarte empfielt die Passage nur bei ruhigem
Wetter. Der Leuchtturm an der Nordspitze des Riffs wäre aber
ein Umweg von sechs Seemeilen, und ich finde, dass 36 Meilen mit der
Hälfte als Kreuz als Tagesprogramm durchaus genügen.
Wir gehen es also an.
Auslaufen kurz vor acht (Paula um sieben, wir brauchen zwanzig Minuten,
um aus dem Innenhafen zu segeln, drehen dann noch einige Warteschleifen
im
Südhafen. Wir kreuzen bei 3-4
Windstärken, erreichen niemals den Fünftknoten - so
sind sieben Stunden eine sehr gute Zeit. Oli
hält mit Paula locker mit, die beiden Anderen haben
beträchtlichen Rückstand - doch plötzlich
sind sie wieder bei uns, weil am Snekkelob kaum Wind ist und wir
erhebliche
Mühe haben, gegen die Strömung anzukommen. Ich
zähle nicht mit, ob es fünf, zehn oder zwanzig
Holeschläge zwischen den Steinen werden. Immer kurz vor der
grünen Tonne wenden wir, vertreiben in der Strömung
Richtung roter Tonne, wenden erneut - und schaffen wieder nicht die
Durchfahrt. Ich fahre die Schläge länger und
länger und noch etwas länger, und endlich passieren
wir die Tonne an der richtigen Seite und sind frei von den Steinen
nördlich der Durchfahrt. Den Schlag gilt es aber weit
auszufahren, damit wir
nicht sofort auf die südlichen Steine vertrieben werden. Puh.
Zweieinhalb Knoten, gute acht Stunden schon unterwegs und noch sechzehn
Meilen.
Ich greife zum Klönkassn und befrage das rührige DMI.
Angeblich sind hier gerade vier Windstärken aus West,
Böen fünf und zunehmend sechs. Man könnte
jetzt spotten, der Wind sei nicht im Internet, sondern hier
draußen. Aber es steht ja außer Frage, dass die
sehr gut und genau sind in ihren Prognosen - der Wind wird schon
kommen. Wenn nicht jetzt sofort, dann in ein paar Minuten. Oder eine
rViertelstunde. Oder.... Zack! - Rauschefahrt, mit sechs Knoten dem
Ziel
entgegen. Nach und nach konfiguriere ich Paula um vom Leichtwind- zum
Hacktrimm, habe das Ölzeug an, bevor mich die Gischt
durchnässt, und wir segeln vorneweg und bester Stimmung auf
Nekselø zu.
Nekselø
entpuppt sich als absoluter Traum. Winziger Hafen, spartanisch,
aber liebevoll. Jemand, der gar nicht der Hafenmeister ist, weist mir
gestenreich einen freien Platz. Als ich dann von insgesamt
vier
Booten spreche, gestikuliert
er weiter, mahnt die Tagesgäste zur Abreise, sorgt
dafür,
dass wir alle unterkommen. „Es war aber schon
ziemlich lang“, gibt Ernst berechtigterweise zu Bedenken -
doch das lässt sich mal nunmal nicht ändern. Er
weiß das. Die Insel hätte einen ausgiebigen Landgang
verdient, aber
Kerteminde ist das nächste Ziel, der Tag beginnt erneut mit
frühem Aufstehen und sechzehn Meilen Kreuz. Der
Westwüdwest
wird später auf West drehen und gehörig auffrischen.
Wir
vertrauen darauf, dass wir Landabdeckung haben, bevor es ruppig wird.
Frühmorgendlicher
West 5-6 hat
eine gehörige Welle aufgestapelt, die uns auf
ziemlich frontal entgegenläuft. Martha wendet. Wir spielen
mit.
Der andere Bug fährt sich
viel angenehmer. Außerdem möchte ich die Gruppe
zusammenhalten. Doch dann denke ich: Macht ja gar keinen
Sinn, mit
Südkurs auf ein dusseliges Ufer
zuzufahren und zu riskieren, bei einem verfrühten Dreher auf
West das Gleiche wieder zurückzusegeln. In eineinhalb Stunden
haben
wir gerade mal so Nekselø unmrundet und im Grunde
überhaupt noch nichts geschafft. Wir müssen
westwärts! Paula wendet. Frieda wendet. Martha wendet. Oli
versucht sich dicht unter Land. Ich blende alles aus, was mich
irritiert: Kompass, Geschwindigkeit, Uhrzeit, und auch, wie weit wir
nach Norden von der Ideallinie abkommen. Ich finde den richtigen Trimm:
Einer, der mich den richtigen Kurs segeln lässt, ohne
ständig
auf den Kompass zu gucken. Und der richtige Kurs ist einer, auf dem es
sich wie richtiges Segeln anfühlt, ohne Feststampfen oder
übermäßiges Höheverschenken,
zügig und
kommod. Im direkten Vergleich
sind wir gut unterwegs. Von all den Dingen, die die
Instrumente
anzeigen, beachte ich nur den Fortschritt nach Westen. Und Bogenminuten
in Ost-West-Richtung haben den großen Vorteil, erheblich
kürzer als eine Seemeile zu sein - eine nach der
anderen ticken sie weg.
Kurz vorm Tiefwasserweg wenden wir. Nach
Sicht auf Røsnæs zuhalden, gerate ich sofort
in Versuchung, die
Spitze der Halbinsel oder gar den vorgelagerten Leuchtturm anzulegen.
Aber nein. Falsch. Kein Gestampfe. Paula laufen lassen,
schnell südwärts und in Reichweite kommen,
später noch einen Holeschlag fahren - das ist der bessere
Plan.
Hinter dem Leuchtturm sausen wir los. West 5-6, am Wind mit einem
Schrick auf den Schoten - ein Traum! Fyn und Romsø sind gut
erkennbar. Während wir in
spitzem Winkel Weg T passieren, ist freie Bahn. Die Schwestern sind
irgendwo hinter uns, haben sich auf ihren verschlungenen Wegen am
Leuchtturm mehr oder weniger getroffen und kommen klar. Der West dreht
rasch auf Nordwest, die schauer- und gewitterlose, beinahe wolkenfreie
Kaltfront ist durch. DMI hatte mal wieder Recht.
Im Romsø Sund sind wir mit der Strömung
und genüsslich surfend zwar gigantisch schnell, aber
Paula
fährt nicht mehr geradeaus, sondern luvt in jeder Welle an. An
der Ecke zur Kerteminde Bugt beraubt uns der Kapeffekt jeglichen
definierbaren Windes. Fühlt sich recht harmlos an, aber ich
ziehe lieber wieder Ölzeug über, gleich kommt die
Hoppelwelle. Ernst wollte nicht glauben, dass die siebener
Böen hauptsächlich an Land zu erwarten seien. Ich
sagte: „Thermik?“ Woran es auch immer liegt,
auf jeden Fall nähern wir uns dem Land und liegen
plötzlich total auf der Seite. Es sind aber nur wenige Meilen,
und wir können den direkten Kurs zum Hafen halten,
während andere Yachten Holeschläge segeln oder den
Diesel antreten. „Dolles Ding“, sind wir uns einig,
als eine halbe Stunde nach Paula die Charterboote eintreffen.
Der Kraftakt ist geschafft. Noch zweimal um die zwanzig Meilen, dann
sind wir am Ziel, dürfen uns aber jetzt schon stolz auf die
Schultern klopfen. Mittags laufen wir aus mit Ziel Nyborg. Hm. Ohne
Wind ist zwar das Ablegen einfacher, aber selbst das kurze
Stück könnte noch zäh werden. Wird es nicht:
Wir segeln im Wesentlichen in den Schauerböen, und zwar ohne
nass zu werden, weil die Dinger nördlich und südlich
vorbeziehen und uns prächtigen Wind, aber keinen Tropfen Regen
bringen. Die Strömung läuft mit, mit siebeneinhalbe
Knoten ballern wir durch die Store Belt Bro. Dahinter ist mal wieder
Kreuzen angesagt. Und wie immer ist südlich der
Brücke anderer Wind als nördlich, in diesem Fall
Südwest. Mir ist klar, dass das ein kurzzeitiges
Phänomen auf der Rückseite des abziehenden Schauers
ist - special move time- Paula wendet. Martha ist zehn
Bootslängen voraus und wie immer gut unterwegs, doch sie
vollzieht den gleichen move erst zwei Minuten später. Da ist
Paula schon am Anfang der Brücke und wendet erneut, inzwischen
bei Westwind.
Für mein Ego brauche ich das wirklich nicht, die Charterer zu
versegeln. Die sind durchaus angetan, lernen von Paula und mir, und sie
freuen sich über den Service, dass wir den Hafen
auskundschaften und beim Anlegen assistieren. Wenn wir
tatsächlich als Letzte auch mal endlich angehühnert
kommen und die Gäste sich mit Beiliegen und Whalewatching die
Zeit vertreiben müssen, sofern sie nicht mutig selbst den
Hafen erkunden, haben wir unseren Job gut, aber nicht vollkommen
perfekt erledigt. Weil Paula mit all unserer Ausrüstung
deutliche Nachteile hat, wir halbwinds einfach nicht gut sind und
raumschots wenig Möglichkeiten zum Aufholen haben, sollte eine
kleine Kreuz zwingend zu jeden Segeltag gehören. Denn das ist
unsere Stärke.
So auch am letzten Reisetag. Es ist böig.
Dämmertörn? Wohin eigentlich? Samstagmorgen sollen
wir in Svendborg sein. Bisheriger Plan: Angesichts voller
Häfen Ankern im Thurø Bund, morgens Verholen in den
Stadthafen. Doch für die Nacht gilt eine Gewitterwarnung mit
Winddrehern, und morgens müssten wir gegen Wind und
Strömung das Zeitfenster zwischen 9 und 10 Uhr erwischen, wo
erfahrungsgemäß in Svendborg
Längsseitsplätze freiwerden. Die gebuchten
Züge der Gäste fahren um 9 Uhr 30 ab.
Doch es gibt da ja auch noch Steganlagen: Walsted Værft,
Thurø Marina, Thurø Sejlklub und zur Not
Gråsten. Statt Dämmertörn legen wir gegen
drei ab, schönes Gepuzzle aus der Sackgasse, in die wir uns
verkrochen haben, und erneut segeln wir vorwiegend in den 6er
Böen der Schauer, die nördlich und südlich
vorbeiziehen. Meine Kalkulation lautet: Neunzehn Uhr Thurø
Rev, dann die Lunke Bugt aufkreuzen, zwanzig Uhr im Thurø
Bund entweder irgendwo fest oder vor Anker. Logbucheintrag 1900:
„Waren schon bei 4-5, dann 6-7, inzwischen 5-6. Die Lunke
Bugt brodelt.“ Das Wasser prasselt aus allen
Richtungen auf
uns ein, und es ist ausschließlich Salzwasser, denn regnen
tut es keinen Tropfen.
Die merkwürdige blassblaue Wolke zieht ab. Der Wind
lässt
etwas nach, tiefer in der Bucht sind wir auch die Welle los. Die
tapferen Boote wühlen sich unaufhaltsam durch das Gekabbel
- ein letztes kleines Abenteuer für die bezaubernden
Gäste. Deren Mitgefühl gilt Ralf: Tim ist
abgestiegen, sein erster Einhandtag stellt gleich höchste
Ansprüche, doch das hier ist auch nicht anders als unsere
Einweisungsfahrt in Hunnebostrand, die sich jetzt erneut in all ihrer
Fulminanz bewährt. Paula fährt einen
souveränen Aufschießer an den Stegkopf. Ich
hüpfe an Land und finde stegeinwärts vier perfekte,
freie Liegeplätze, die Boote legen an. Ohne Hafenkino, ohne
Geschrei, ohne Panik. Und natürlich ohne Schäden. Auf
dem Schwimmsteg stehend mit den Booten gesichert fühlt es sich
eigentümlich problemlos an, wo es durchaus jemanden
hätte überforden können. Ralf sagt:
„War da was?“ Ich antworte: „Annettes
Handschuhe sind ganz nass geworden.“ Wir klaren auf und
widmen uns dem Anlegebier.
Mein Gefühl ist: Diesmal waren wir besonders gut. Also die
Boote, die Gäste und ich. Wir können immer nur mit
dem Wind segeln, der gerade weht, und in dieser Hinsicht hatten wir es
nicht durchgängig leicht, aber wir haben das Beste daraus
gemacht. Genauer gesagt: Wir haben auf den Punkt das Ziel erreicht,
zwischendurch schöne Erlebnisse mitgenommen, insbesondere
solange wir möglich die Schären ausgekostet, und uns
dem Starkwindgepuste nur punktuelll und unter Landabdekcung ausgesetzt.
Niemand war übefordert, alle reisen begeistert ab und haben
schöne und wertvolle Erfahrungen im Gepäck. Und dann
berichtet Ernst von Liegeplatznachbarn in Kerteminde, die mit ihrem
deutlich größeren Schiff tagelang dort verharrten
und sich nicht trauten auszulaufen. Ist dann kein so toller
Segelurlaub...
Martha und Oli haben jetzt zwei Wochen Pause. Es ist ein Skandal,
mitten in der Hauptsaison, während ich täglich
Absagen für den ausgebuchten August erteile, aber finanziell
können wir das ab. Und ich finde, die beiden haben sich nach
gut 600 Seemeilen in vier Wochen eine Pause hochverdient. Morgen werde
ich sie nochmal gut versorgen und betüdeln und sicher
anbinden, bevor sich Frieda und Paula gemeinsam den letzten zwei Wochen
Sommerreise widmen. Das Ziel ist unbestimmt, doch es könnte
östlich liegen...
weiter: Kreuzfahrt
im Smålands
Fahrwasser
zurück: Dämmertörn
zum Mond