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Nach der Sommerreise

Nach sechs Wochen Sommerreise schicken Paula und ich die Schwestern mit neuen Crews auf die Reise – und machen dann, so weit es das Wetter zulässt, unser Ding. Dreißig Meilen Segeln in dieser Woche, das mag bescheiden klingen, aber wir genießen es. Auf jeder Meile und jeden Tag passiert irgendwas – deshalb ist der Törnbericht auch so lang geraten.

Juli 2021

Der Svendborg Sund hat es in sich an diesem Tag: Furchtbar wenig Wind, Strömung gegen, dazu sind wir umzingelt von Dutzenden Traditionsseglern. Natürlich legt auch die Fähre pünktlich ab. Niemand außer Paula segelt. Im Hafen hat uns die Strömung schon fast auf den Schwimmsteg geschoben, jetzt muss ich mich tüchtig konzentrieren. Auf den alten Schiffen zeigt der Daumen nach oben.

Es ist der erste Segeltag nach der Sommerreise. Die Chartercrews sind eingewiesen, Paula und ich haben ein paar Tage frei. Das können wir auch gut gebrauchen – mich auf immer wieder neue Gruppen, Charektere und Segelneulinge einlassen, gelingt mir nur begrenzt häufig hintereinander. Dreimal zwei Wochen scheint ein gutes Maß zu sein, jetzt hören wir auf damit, rechtzezitig bevor mir die Lust und die Geduld vergehen.

Gleichzeitig mit Paula laufen nach und nach die Teilnehmer von „Fyn rundt für Traditionssegler“ aus. Die kleine Paula muss gut aufpassen, wo sie bleibt – ständig sind wir umgeben von Schwell, Motorenlärm und Segeln, die uns den Wind klauen. Kurz vor der Brücke überholt als so ziemlich Letzte auch Bonavista. Als nächstes sehe ich endlich auch mal diesen schottischen Monsterdelphin, der sich im Svendborg Sund eingenistet hat. Und dann tuckert uns Folkeboot Lotte entgegen. Björn und Robert wollen Lotte nach all den Jahrzehnten verkaufen und ihr Segelvergnügen auf einem ketschgetakelten 90qm-Spitzgatter aus dem Hause Ebbe Andersen neu erfinden. Was wir uns gegenseitig an Fragen und Antworten zurufen, geht unter im Motorengedröhn und Plätschern.

Die Bonavista hat mich die ersten Jahre meines Seglerlebens fast ständig begleitet – zuerst wurde sie in Marstal von Grund auf restauriert, dann kam das unvergessliche Fest anläslich ihres Stapellaufs. Schließlich wartete sie lange Jahre auf Rigg, Diesel und Segel. Damit versorgt, verabschiedete sie sich nach Kopenhagen. Nun sehe ich sie zum ersten Mal in Fahrt. Später sehe ich sie sogar segeln, allerdings von Weitem – bis zur Startlinie bei Skarø sind die Tradis alle motort, während wir anfangs froh über den gelegentlichen Zweitknoten über Grund waren. Jetzt mit dem hübschen Brischen holen wir nur die zweite Startgruppe noch ein, bevor wir Richtung Gamle Havn abbiegen.

Angesichts der gewittrigen Wetterlage nehmen wir uns nicht allzu viel vor: Wir sind auf Drejø verabredet mit ehemaligen Charterern, die mich gerne in ihrem Ferienhaus verköstigen wollen. In den Gamle Havn würden wir gerne reinsegeln. Bei Wind aus Ostsüdost ist das knapp, Kurs in der Rinne ist 165 Grad. Zunächst klappt es. Dann beschert eine Schauerwolke über Aerø uns einen winzigen Winddreher – wir stehen im Wind. Abfallen und wieder raussegeln ist keine Option: Die Rinne ist zehn Meter breit und schon ganz schön knapp mir der Wassertiefe. Daneben kommen wir sofort fest. Zum Abfallen aus dem Stand brauchen wir bei vier Windstärken aber erheblich mehr Platz. Groß runter? Anker klar? Dauert alles viel zu lange, und vor allem: Was dann? Wir sind ja auf Drejø verabredet. Ach so, wir haben ja auch einen schönen Motor...

Das Wetter, die Kuchenbude steht schon, hat sich zu einem lauschigen Abend berappelt. Die Ferienunterkunft ist hübsch, gepflegt, alles neu und funktionabel, mitten im Grünen mit Blick über die Wiesen, aufs Wasser, auf Aerø. Ein bisschen irritiert mich die deutsche Vermieterin: Drinnen ist das Tragen von Schuhen strengstens verboten, draußen bringt sie ungefragt Gemüse aus ihrem Gewächshaus vorbei, macht nebenbei die Onlinebuchung der Fähre für die Abreise klar, und verzieht bei alldem keine Miene. Wenn ich dort Gast wäre, wäre mir ein Lächeln wichtiger als ein Napf voll Rucola. Aber das ist ja zum Glück nicht mein Thema.

Vor vier Jahren war die Familie nach zwei Tagen Training mit mir an Bord zwei Wochen mit Frieda unterwegs. Wir trafen uns in Faaborg wieder, wo Paula und ich Ersatz für die gerissene Fock anlieferten. Neben dem köstlichen Grillgut, zu dem ich eingeladen wurde, erinnere ich mich vor allem gerne an den lustigen Abend mit den Kindern auf dem Spielplatz – wir spielten „Wahrheit oder Pflicht“, aber „nix Ekliges mit Küssen und so!“ Ich war der Held, der sich die besten Aufgaben ausdachte – zum Beispiel, über das Klettergerüst zu steigen und dabei so tun, als sei man ein Rockstar. Carl und Frida sind natürlich gewachsen. Aus Kindern sind Teenager geworden, die sich hartnäckig und bissig aneinander abarbeiten und dann wieder friedlich nebeneinander sitzen und gute Bücher lesen. Auch sie erinnern sich aber noch gerne an den damaligen Segelurlaub. Die Eltern lauern eher darauf, dass die beiden ohne sie Urlaub machen. Zu zweit wird dann auch mal wieder ein Folkeboottörn möglich sein.

Pappsatt zurück im Hafen, stelle ich zunächst fest: Warm, Flaute, Mücken, Wolken ziehen auf. Ich sitze unter der Kuchenbude, nippe gelegentlich am Rotwein, und komme zur Ruhe. Nach einer halben Stunde ist es richtig irre: Der Cockpittisch und ich duften zitronig nach Dschungeldeo, das vertreibt die Mücken und erinnert mich an Uganda. Ringsum blitzt und donnert es alle paar Sekunden. Und nebenan auf der kleinen Motoryacht gibt sich das ältere Ehepaar sexuellen Freuden hin, sie stöhnt und quietscht recht erbärmlich. Das Liebesspiel wirkt eher routinemäßig als romantisch, zumindest ist es schneller vorbei als das weiterziehende Gewitter. Vorhin haben die noch geknobelt, das schien mir für im Hafen angemessener...

Morgens puzzele ich Paula von ihrem improvisierten Liegeplatz, bis sie genug Raum hat zum Drehen. Rückwärts entlang der Außenlieger in den Päckchen, das ist wie Klavierspielen. SChließlich wriggen wir los, in der Einfahrt setze ich die Segel, wir treiben zum Gekräusel. Hinter uns staunende Blicke – wie fährt man denn sonst aus einem winzigen, zugeparkten Hafen? Mit Vollgas?

Weiterhin Gewitterwarnung, volle Häfen – ausgiebiges Segeln wäre unvernünftig. Korshavn ist unser nächstes Ziel, nur zwei Stunden, aber die genießen wir. Gerade laufen Oli, Martha und Salty aus – ein freier Platz für Paula ist also garantiert. Den schnappen wir uns, dann frühstücke ich, der Rest ist bei drückender Schwüle Mittagsstunde, bis endlich ein nachmittäglicher Schauer für Abkühlung und einen Vorwand zum Aufbau der Kuchenbude sorgt.

Nachmittags ein Anruf von Frieda: Sie hätten da, ich begreife nicht so ganz wie, jemandes Heckspiegel beschädigt. Und zwar in Aarøsund. „Wieso seid ihr da ganz hingesegelt?“ – „Ja – weil so schönes Wetter ist.“ Ich schärfe dem Kerl ein, husch-husch mit den Geschädigten zu sprechen, den Schaden zu fotografieren, seine und meine Adresse und Telefonnummer auszuhändigen. Und außerdem schleunigst zuzusehen, dass sie wieder in Reichweite kommen: Morgen grenzwertig, Donnerstag Hafentag, Freitag nur morgens ein Zeitfenster bei insgesamt instablier, gewittriger Wetterlage. Schönes Wetter? Ich ahnte ja schön Böses, als die auslaufen wollten, ohne vorher die Segel auszupacken und die Fallen anzuschlagen. Weil die Gattin überhaupt noch nie gesegelt ist, hieß das zunächst, bei vier Windstärken würde schon nicht mehr ausgelaufen. Allerdings hat er dann immer Knoten und Meter pro Sekunde verwechselt und dachte, es sei gerade mal Windstärke drei, wo es doch selbst Samstagmittag schon ein bisschen ruppig war. Bisher sind solche Himmelfahrtskommandos erstaunlicherweise meistens gut ausgegangen. Diesmal ist meine Laune vorläufig getrübt.

Nebenbei werfe ich gelegentlich einen Blick auf die Webcam der WSG Arnis. Ich sorge mich nämlich um die Folkeboote, deren Eigner sie bei Licht betrachtet nicht brauchen können angesichts ihres Lebenswandels. Bilgepumpenlose Heidi hätte diesen Monat Besuch von ihren Eignern bekommen sollen, aber da rührt sich genauso wenig wie nebenan bei Tzefix. Auf Jane wechselte kürzlich die Hafenpersenning zur Kuchenbude. Heute früh nun, es ist kaum zu glauben, hat sie ihren Liegeplatz verlassen. Später schickt Björn eine SMS aus Marstal. Ein Gefühl sagt mir, dass wir uns morgen in Troense treffen.

Aber nichts da: Paula weckt mich um fünf und hetzt mich an den Laptop. Verheerende Neuigkeiten: Ab kommender Nacht durchgehend 6-7 – die Charterboote müssen schleunigst zurück nach Svendborg, und wir müssen dort einen Längsseitsplatz für unser Päckchen ergattern. Kurz vor sechs laufen wir aus. Es ist schönstes Segeln, aber es fällt auf, dass so früh am Morgen schon unglaublich viele Boote unterwegs sind – da gehen noch mehr Leute mit den überfüllten Häfen so um wie ich. Es wird darauf hinauslaufen, dass man nur noch nachts segeln kann, wenn man einen Liegeplatz im Hafen braucht. Die einschlägigen Ankerplätze sind ebenso überfüllt wie die Häfen, aber in Anbetracht der Wetterverschlechterung suchen jetzt alle einen Hafen.

Über Stunden geht es zu wie in Kastrup am Flughafen: Landungen im Minutentakt. Wir jedenfalls liegen gut und sicher an Jessens Mole und warten auf alle, die zu uns ins Päckchen kommen. Als Erste ist das eine X-79 mit drei Studenten. Dann Jane. Dann Martha, Oli und Salty. Zuletzt Frieda, die treibt aber vorbei und ans nächste Päckchen heran, wo sie sowieso hingemusst hätte, wenn das Gesamtwerk bei Starkwind halten soll. Die Päckchen untereinander zu verbinden, kommt nicht gerade allen im Hafen in den Sinn – wir schwoien wie eine Ziehharmonika, aber dank einiger Landleinen bleibt es unter Kontrolle. Der Abend ist noch ganz nett. Donnerstag kommen der große Regen und die ruppigen Böen. Nach dem Regen läuft gewaltiger Schwell durch den Hafen, verursacht von was auch immer, und wenn es gerade mal ruhig ist, trampelt irgendjemand über Paulas sandiges Vordeck. Ist so mitteltoll hier momentan. Aber man soll das ja nehmen, wie das kommt: Die Schlaumeier, die lieber im Außenhafen liegen als im Päckchen, werden jetzt ordentlich durchgeschüttelt.

Hinter der Kamerateriet auf der Open Air-Bühne ist heute Rock’n’Roll. Es spielen D.A.D., auch bekannt als Disneyland after Dark. Die waren Ende der 80er richtig bekannt, unter Anderem weil Disney sie wegen des Bandnamens verklagte. Heute fällt mir ein, dass ich von denen mal eine Flexisingle hatte, die dem Metal Hammer beilag. Wer mit all diesen Informationen nichts anfangen kann, darf sich damit trösten, dass der nächste Schauer das Vergnügen trübt und mich zurück unter die Kuchenbude scheucht. Die Nacht wird unruhig, bei Südwest ist der Hafen doch erstaunlich schlecht geschützt.

Über Friedas Malheur war inzwischen zu erfahren: Mit überhöhter Geschwindigkeit in die enge Boxengasse gefahren, keinen freien Platz gefunden, beim Umdrehen in eine Box und ins Heck der dort liegenden Yacht gesemmelt. Eigentlich wollte ich den Schuldigen sagen: „Leute wie ihr haben auf dem Wasser nichts zu suchen.“ Aber ich bin ja immer so nett. Ich sagte: „Naja, ist halt passiert, jetzt müssen wir damit umgehen.“ Als sie dann meinte: „War einfach nur Pech“, musste ich aber doch vehement widersprechen.

Freitag morgen um acht laufen die Jungs mit der X aus. Wir ziehen Martha, Oli und Salty im Pulk vor an Friedas Seite. Jane legt komplett ab und dreht Kreise im Hafen. Die Jungs staunen, wie schnell das alles geht, dann verabschieden sie sich. Nun zerren wir den Trimaran an Paulas Seite. Wir haben eine Landleine, an der ich gefühlvoll ziehe, mal von Marthas Bug, dann von Olis, mal von Saltys, je nachdem, welchen Zugwinkel ich gerade brauche. Als das erledigt ist, lassen wir Frieda an Olis Seite sacken, bevor Jane dann auch wieder anlegt. Sieht schon viel ordentlicher aus im Hafen: Sechs Folkeboote in einem Päckchen, der Plastikkleinkram separat davor. Als die beiden verbliebenen Nachbarn sich trotz ruppigster Böen verdrücken, spielen Björn, Antonia und ich noch ein bisschen weiter mit den Leinen: Alle fünf außer Paula einmal nach vorne an die freien neun Meter Pier. Dann Jane zurück an Paulas Seite. Ist ne schöne Beschäftigung für den Nachmittag. Die nächsten Gäste können kommen.

Es bleibt pustig, und man muss sagen: Sowohl der Schwell, der in den Hafen läuft, als auch die tägliche Livemusik beginnen allmählich zu nerven. Das gilt auch für die viel zu wenigen Klos, das nur für hochbordige Yachten erreichbare WiFi, die nicht regulierbare Wassertemparatur der Duschen und etliches mehr. Trotzdem mag ich Svendborg. Das Wochenende vergeht mit Einweisungen. Montag wird es nach fünf Tagen Svendborger Woche für Jane und Paula aber mal wieder Zeit für einen Ortswechsel. West 5-6, den Chartergästen habe ich einen gemütlichen Hafentag verordnet. Wir hingegen stürzen uns in die Fluten. Die Dänische Südsee ist toll: Im Kattegat setzen Erik und Pommery ihre Varberger Woche tatenlos fort, anstatt bei brachialem Seegang auszulaufen – hier kann man bei 5-6 gegenan jede Menge Spaß haben.

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