Paulas Törnberichte | ||||||
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Paula segelt Regatta
Die erste Kreuz lief gut. Bewusst zurückhaltend
gestartet, lagen wir an der Wendetonne zurück, aber in
Reichweite. Raumschots sauste Paula unvermittelt los.
„Wie machst du das?“ fragte Eric rüber,
als wir Pommery ein bisschen den Wind klauten und plötzlich
neben ihr auftauchten. Gemeinsam saßen wir Lovis im Nacken.
Hinter uns war Jane, bereits dicht gefolgt von den fünf
Minuten nach uns gestarteten Knarrs. „Was machst du
denn?“ fragte ich Paula, die uns an der zweiten Wendetonne
mitten ins Gewühl gesegelt hatte, das wir doch eigentlich
vermeiden wollten. Endlich verstand ich, was sie mir die ganze Zeit
hatte mitteilen wollen.
August 2017
Eingebettet in einen wundervollen Törn
in Begleitung wechselnder Chartercrews nahmen Paula und ich am Sophus
Weber Race der Svendborg Classic Regatta teil. Das ist eine kleine,
gemütliche Veranstaltung, reibungslos organisiert, aber ohne
Ellenbogen und übertriebenen Ehrgeiz, genau richtig
für die erste Regatta meines Lebens. Aber das konnte ich
vorher ja nur hoffen, nicht wissen. Während der Anreise schlug
meine Vorfreude allmählich
in Zweifel um, ob das eine gute Idee war. Und dann stellte Paula mir
ein Bein.
Barfuß, mit blutendem Zeh und
schmerzverzerrtem Gesicht humpelte ich über den Steg in
Faaborg, Vor- und Achterleine in den Händen, und musste Paula
erstmal festbinden, bevor ich mich verarzten konnte. Dass sie zwei Tage
vor der Regatta zu so drastischen Mitteln griff, konnte nur bedeuten,
dass sie mir etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Ich vermutete, dass
auch sie überhaupt keine Lust auf eine ernsthafte
Regattateilnahme hatte. Dass sie um ihre Gesundheit fürchtete
und auch nicht gerade erfreut war, dass mir der Spaß des
Fahrtensegelns nicht mehr genügte und ich ihn für
zwei Tage gegen den puren Stress auf der Regattabahn eintauschen
wollte. Zusätzliche Crew hatten wir auch nicht, ich musste
mich allein mit Paula ins Getümmel
zu stürzen. Und genau das, so interpretierte ich nun den Grund
meiner Blessur, sollte ich besser bleiben lassen. Es wunderte mich zwar
gehörig, dass meine bisher immer furchtlose,
souveräne Gefährtin nun Angst haben sollte. Aber ich
respektierte das. Ich beruhigte sie, dass wir schön hinterher
segeln und allenfalls ein paar hübsche Fotos knipsen
würden. Außenborder, Schlauchboot und
Gepäck blieben an Bord, die neue Fock ließ ich unter
Deck - bloß keinen Riesenaufriss machen, wenn wir trotzdem -
beinahe planmäßig - Letzte wurden?
Ich hatte gehofft, aus dem Kreis der Charterer
einen Vorschoter anheuern zu können. Beide Crews hatten vorher
deutlich gemacht, dass sie zwar gerne die Atmosphäre
genießen und Zugucken wollten, aktive Teilnahme jedoch
ausgeschlossen. Nun war davon keine Rede mehr - sie hatten sich
genügend mit Martha bzw. Frieda vertraut gemacht und wollten
sich die neue Erfahrung auf keinen Fall entgehen lassen. Mir war es
fast lieber so - besser als eingespieltes Team segeln, dem hin und
wieder eine Hand fehlt, als mit einem Mitsegler, der es mir nicht recht
machen kann und den ich nur für den Fockausbaumer wirklich
brauche.
Jetzt, umringt von Booten an Tonne
zwei, erschienen Paulas Signale in ganz
anderem Licht. Die Lektüre der Regattaregeln,
Skipperbesprechung, Startvorbereitung, dann der Beginn des Rennens -
mir wurde klar - selten zuvor habe ich mich auf See so
hilflos gefühlt. Ich versuchte gar nicht erst, die Unterlagen
über Nacht auswändig zu lernen. Das Briefing enthielt
außer missverständlichen Wetterinformationen - es
blieb unklar, ob von Knoten oder Metern pro Sekunde die Rede war -
einen einzigen Satz: „Wir machen es so wie immer.“
Immerhin hatte ich im letzten Moment noch erfahren, dass es drei
Startgruppen gab: zuerst die Spitzgatter und Juniorboote, zuletzt die
schnellen Großen, also der M30, der 10mR und die vier Knarrs.
Dazwischen die elf Folkeboote.
Irgendjemand hatte mir auch erklärt,
dass ich die Startnummer vor dem ersten Start einmal beim Startschiff
zeigen und später bei jedem Zieleinlauf hochhalten musste.
Schließlich hatte ich auch mitbekommen, dass der Kurs zur
ersten Wendetonne am Startschiff angeschlagen war. Doch der Rest war
Verwirrung. Flaggensignale? Ich versuchte gar nicht erst, aus ihnen
schlau zu werden. Zur zeitlichen Orientierung blieben die kurzen und
langen Töne. Und zur räumlichen? Wir segelten in
sicherem Abstand hinter Havfruen, Pommery oder Lovis her, von denen ich
wusste, dass sie hier regelmäßig teilnahmen.
Und darin bestand Paulas Botschaft: Sie hatte meine Hilflosigkeit
kommen sehen. Wollte mir sagen: Halte dich zurück, guck dir
erstmal an, wo es langgeht, den Rest macht die schnelle, furchtlose
Paula dann schon klar.
Jetzt in der ersten Wettfahrt schien es ihr
notwendig, ein bisschen Elan aufblitzen zu lassen. Nachdem die Halse
gelungen war, hielt sie sich wieder betont zurück,
ließ
sogar Jane vorbeiziehen, gefolgt von den Knarrs. Vorher sauste noch der
10mR an allen vorbei - die konnten einem
ein bisschen leidtun, waren extra aus Schweden angereist und hatten
überhaupt keine vergleichbare Konkurrenz. Sie rissen an ihren
Dutzende
von Metern langen Schoten wie blöde, kamen jedes Mal deutlich
als Erste ins Ziel - und gewannen nach der Yardstick-Verrechnung doch
nicht das Rennen.
Kaum sahen wir die Schnellen von hinten, standen plötzlich die
Kleinen vor uns herum. Bei der zweiten Wettfahrt war das ein ziemliches
Deja-vu-Erlebnis: Immer an der gleichen Tonne kamen die Knarrs, an der
nächsten zog der Plattgatter vorbei, dann musste der 26er
Spitzgatter mühsam überholt werden. Danach gab es ein
bisschen mehr Übersicht, doch meine Lernphase war noch lange
nicht zu Ende.
Ich hatte keine Ahnung, wie oft in welcher Reihenfolge die Tonnen zu
runden waren. Kreuz zu Tonne 1, raumschots zu 2, raumschots zu 3, dann
die lange Kreuz am Startschiff vorbei zurück zu 1 - so weit
hatte ich es mir korrekt zusammengereimt. Aber dann staunte ich, dass
die Vorausfahrenden hinter dem Ziel weiter Schmetterling fuhren - es
ging nämlich noch einmal zu 3, und von dort mit einer weiteren
Kreuz ins Ziel.
Von den gewerteten Folkebooten wurden wir Letzte. Martha, Frieda und
Fairplay wurden allerdings disqualifiziert - die Information mit den
drei Startgruppen war zu ihnen nicht durchgedrungen, sie starteten
fünf Minuten zu früh.
Zweite Wettfahrt - immerhin kannte ich nun den
richtigen Weg. Es galt mir Gedanken zu machen, wie wir uns beim Start
Platz verschaffen und und aus engen Tonnenmanövern
heraushalten konnten, ohne den Anschluss völlig zu verlieren.
Nebenbei merkte ich, was mir beim Fahrtensegeln nicht aufgefallen war:
Bei dem Wind um drei Beaufort lief Paula auf Steuerbordbug fast einen
Knoten langsamer als auf Backbordbug. Da galt es bei Gelegenheit mal
die Wantenspannung zu überprüfen, aber für
das Wochenende in Svendborg hatte die schnelle Paula ein
beträchtliches
Handycap. Trotzdem ließen wir Frieda und Martha hinter uns,
und wir schafften einen spannenden Zieleinlauf sechs Sekunden nach
Jane. Die dritte Wertung bestand in einer Kreuz zur ersten Wendetonne
und von dort zurück in den Svendborgsund zum Anleger Vindeby.
Das war erheblich näher an dem, was wir beim Fahrtensegeln
ständig machen. Das konnten wir.
Die Folkeboote: Es gab die unantastbaren vier.
Reliance (hinterher Gesamtsieger) und POS als locals, dazu Frida aus
Arnis und Havfruen mit Fotograf Michael Müller und seinem
Neffen. Der Rest war eher unsere Kragenweite: Pommery aus
Eckernförde, die sich seit ihrem Bau in Familienbesitz
befindet. Lovis mit Familiencrew - die Kinder sind da wohl irgendwie
reingewachsen, die Eltern segeln das Boot seit siebzehn Jahren. Henry
ist im Grundschulalter, Paula elf. Es gab Jane mit meinem Freund
Björn und seinem Standardvorschoter Gerd, die sich trotz
gelegentlich ausrauschenden Fallen hinterher bewusst machen durften,
welche Fortschritte sie seit ihrem ersten gemeinsamen Tag auf Jane
gemacht haben - da war Gerd nach einer Kreuz bei fünf
Windstärken in der Kööge Bugt stundenlang
nicht ansprechbar. Dann gab es noch Fair Play mit Timo, Bootsbauer aus
Kappeln, und einem piratenmäßigen Stoffpapagei
anstelle eines Vereinswimpels. Es fühlte sich an wie eine
große, großherzige Familie -
einschließlich der kleinen Disharmonien - mit den
Dänen kamen wir vorerst nicht ins Gespräch,
dafür aber mit locals auf anderen Booten. Björn und
Timo kamen sich gleich zweimal bei Manövern ins Gehege und
mussten sich erstmal anraunzen, bevor der Versuch, gemeinsam ein Bier
zu trinken, allein daran scheiterte, dass sie
beide bereits ein Glas Wein in der Hand hielten. Beim
Frühstück am ersten Regattatag fragte Michael, wie
viele
Paulas ich denn als Crew bräuchte - außer Folkeboot
Lovis
hatte auch der M30 Lucky eine jugendliche Namensschwester an Bord. Mit
den beiden Zusatz-Paulas stellte ich mir das durchaus lustig vor, aber
es wurde natürlich nichts daraus. Außer einer
Steigerung des
Zusammengehörigkeitsgefühls.
Am
zweiten Tag gab es neben Dauerregen, der dies
zu einem ziemlichen Nichtrauchertag machte, ganz anderen Wind: Paulas
Wind. Wir segelten bei Beinahe-Flaute aus dem Hafen, doch in der
Lunkebugt vor Valdemar's Slot briste es auf. Ich wagte das
Experiment mit dem
Fockausbaumer, hatte aber echt zu kämpfen, weil
Paula nicht
lange genug Kurs halten konnte, während ich auf dem Vorschiff
herumturnte. Das Gehampel kostete uns insgesamt bestimmt eine Minute.
Beinahe sogar den Ausbaumer: Ich rutschte auf der nassen Backskiste
aus,
schlug mir die Lippe blutig und konnte die lange Spiere gerade noch
rechtzeitig wieder schnappen, bevor sie ins Wasser fiel. Bei der
zweiten Wettfahrt waren es eher sechs als fünf Beaufort. Der
Ausbaumer blieb unter Deck. Und Paula hielt die Zeit für
gekommen, richtig loszulegen.
Vorm Wind konnte ich nicht viel kaputtmachen:
Alle segelten mit Rumpfgeschwindigkeit, da machte niemand etwas gut,
solange ich nur schnell die Schoten und das Achterstag bediente. Die
Fock stand auch so ganz gut Schmetterling. Auf der Kreuz aber entfiel
jetzt sämtliches Frickeln am Feintrimm. Statt dessen: alles
dichtracken und das Feingefühl für die Pinne
aufsparen.
Wir hielten mit. Wir hielten sogar richtig gut mit. Weit voraus
segelten nur die vier Unantastbaren, die den Sieg untereinander
ausmachten. Dahinter war alles offen. Natürlich
wünschte ich mir, dass sich unser Fortschritt auch in der
Platzierung ausdrücken würde. Paula
enttäuschte mich nicht: Auf der letzten Kreuz liefen wir eine
Spur mehr Höhe als neben uns die gleichschnelle Lovis. Waren
eine Spur schneller als die in unserem Kielwasser folgende Pommery.
Eine Wende später sausten wir in voller Fahrt aufs Ziel zu. In
Lee tauchte Jane auf, doch die musste mächtig kneifen, um
einen weiteren Holeschlag zu vermeiden. Ergebnis: Fünfter
Platz! Zwei Sekunden vor Jane, neun vor Lovis!
Natürlich geht es mir nicht ernsthaft um die Sekunden. Es geht
um die Erkenntnis, dass Regattasegeln auf den hinteren Plätzen
nicht frustrierend ist, sondern enorm spannend sein kann. Dass es
außer dem unvermeidlichen Stress, den eine ganz neue
Erfahrung mit sich bringt, jede Menge Spaß bereitet. Dass
Paula und ich auch in dieser Situation eingespielt und voller
Begeisterung durchs Wasser pflügen. Wenn es irgendwie geht,
sind wir nächstes Jahr wieder mit dabei.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: In der -
recht
komplizierten - Gesamtwertung belegten wir den 19. Platz von 26 Booten
(kompliziert deshalb, weil es getrennte Wertungen für Holz-
und
GFK-Schiffe gab, wir aber zusammen segelten, und weil die distance
seijladser zurück nach Svendborg, bei denen wir als 15.
vergleichsweise gut waren, nicht in die Gesamtwertung eingingen).
Bei der Siegerehrung wurde neben vielen anderen Auszeichnungen auch das
„Boot des Jahres“ gekürt. Ich
wählte Lovis wegen
ihrer konstant und souverän segelnden, wirklich
entzückenden
Familiencrew - auch bei sechs
Windsstärken sah man die kleinen Feststoffwesten auf dem
Vorschiff. Lucky-Paula wählte Paula-Paula, vermutlich wegen
des
Namens. Ihr gebührte der leider nicht ausgeschriebene
Sonderpreis
für das schönste Lächeln, während
sie die
Startnummer in die Kamera hielt. Das taten alle drei Paulas, bei uns
musste allerdings ich dazu lächeln, und das gelang mir
längst
nicht so überzeugend, obwohl ich bestimmt genau so
fröhlich
war. Seit der Regatta bin ich zweimal am Stegkopf in Vindeby
vorbeigesegelt, musste jeweils den Impuls unterdrücken, die
Startnummer zu suchen, und hatte das Foto der lächelnden Paula
vor
meinem geistigen Auge. Den Trostpreis gewann übrigens der
10er.
weiter: Die
kurze Anna