Paulas Törnberichte | ||||||
Der Gedanke kommt aus dem Nichts und führt nirgendwohin: Im
morgendlichen Halbschlaf, nicht mehr richtig schlafend, aber auch noch
nicht vollkommen wach, denke ich an Nachnamen, die eigentlich
Berufsbezeichnungen sind. Völlig klar: "Der Schröter
macht den Schrot klar, und der Müller den Müll." So
beginnt der Tag mit selbstironischem Lachen, während das
Saisonende näherrückt.
Oktober 2020
Der September war sensationell gut gebucht, aber zerstückelt
von unzählbaren Kurztörns. Ich bin sehr froh, dass
sich all die Lücken zwischen den verlängerten
Wochenenden so schön gefüllt haben - aber kaum ein
Tag verging, ohne dass ein Boot zurückkam oder losfuhr.
Mehrfach dachte ich: "Was wollen die denn schon wieder hier? Wir haben
doch gerade erst Einweisung gemacht." Aber das war vorgestern, und sie
hatten eben nur drei Tage gebucht. Mehrmals täglich
konsultierte ich den Buchungsplan auf dem Rechner, um nachzuvollziehen,
wer wie was wo als nächstes. Oli erledigte unterdessen eine
Spezialauftrag: Sie assistierte, festlich mit Blumen geschmückt,
erfolgreich beim Heiratsantrag.
Immerhin blieb mir der scharfsinnige Blick für eine wichtige
Beobachtung: Wer eine ganze Woche segelt, macht einen wirklichen Urlaub
und möchte ausruhen und sich erholen. Wenn der Wind
ungünstig ist, heißt es dann: "Och, nee, dann
bleiben wir auf der Schlei. Hauptsache keinen Stress." Ein
verlängertes Wochenende bedeutet: Man hat einen Tag Urlaub
geopfert, um dem Samstag und Sonntag noch einen Freitag oder Montag
hinzuzufügen. Nun möchte man die kostbare Zeit bis
zur letzten Minute ausnutzen. Da gibt es einen Plan, Lyø,
Marstal, von dort zurück, und davon wird auch nicht
abgewichen, wenn der Wind nicht passt. Eines Sonntags kamen drei Boote
mit leeren Tanks zurück...
Das versuchen wir also in Zukunft anders zu machen. Eine andere Sache
werden wir beibehalten: Segeln gehen. Während sich die
Viruslage verschärft und die Charterboote nach vier Monaten
ununterbrochenen Einsatzes schonmal den einen oder anderen Tag Pause
genießen, unternehmen Paula und ich nämlich noch
drei unbeschwerte Ausflüge.
Der erste führt uns nach Schleimünde. In der
Seilfährenecke lagen Peter und sein Drachen, Stefan und sein
M25, sowie das eine oder andere Folkeboot. Louise kommt später
bei uns längsseits. Erik und Pommery weilen auf
Lyø. Nach zwei Jahren nur sporadischen und
schließlich gar nicht mehr Funktionierens hat Erik den
Außenborder repariert. Und sofort in der heimischen Garage
winterfest eingelagert. Nun ist ab Avernakø totale Flaute.
Pommery könnte also gar nicht nach Schleimünde,
selbst wenn sie wollte, doch die Gute hält es ohnehin
für besser, nach Lyø zurückzukehren.
Warum? Der Grund heißt Dana und fand sich beim Kaufmann.
*
Nächster Ausflug: Nur Schleimünde genügt uns
nicht, ich habe schließlich Geburtstag und von Montag bis
Freitag Zeit. Windbedingt wählen wir die
Charterer-Standardroute in extremer Konsequenz:
Arnis-Marstal-Lyø-Marstal-(Hafentag)-Arnis. Nun, statt
Lyø hätten wir Alternativen gehabt. Aber die Insel
ist außerhalb der Hauptsaison, also ganz besonders jetzt Ende
September, unbedingt einen Besuch wert. Und Erik hat gesagt, ich
müsse unbedingt Dana kennenlernen.
Mittwoch also zurück nach Marstal. Ebbes Nachfolgerin versucht
mich winkend in den Werfthafen zu locken, und auf das charmante Angebot
komme ich bestimmt eines Tages zurück, aber diesmal ahne ich
den donnerstäglichen Liegetag und brauche Strom und WiFi, um
ihn produktiv zu nutzen. Also wählen wir die Kreuz bis in den
Yachthafen.
Donnerstag 6-7, Freitag 6-7, aber vormittags ein Zeitfenster mit
Südost 4-5 zwischen dem nächtlichen Regen und dem
mittäglichen Aufbrisen, das wir nutzen wollten. Als der Wecker
klingelt, ist es noch dunkel, es regnet in Strömen, und es
pustet gewaltig - ich bin ein bisschen nervös. Dazu besteht
kein Grund: Pünktlich mit dem allerersten Licht zieht das
Wolkenband nach Langeland weiter, bei drei Windstärken laufen
wir entspannt aus, in der Rinne ist es mir gegen die Strömung
fast zu wenig Wind. Dann wird es eine zügige, stressfreie
Überfahrt. Als es wieder ruppig wird, sind wir längst
in Arnis. "Woher? Aus Marstal?", erkundigt sich ein Stegnachbar, "da
hast du ja schön auf die Mütze gekriegt, oder?"
Nö.
*
Schließlich sammeln wir das letzte
fehlende Puzzlestückchen ein. Michael und Havfruen haben wir die ganze
Saison nicht gesehen, aber jetzt verabreden wir uns in Hørup
Hav. Auf unübertreffliches Glücksgefühl
müssen wir lange warten: Bis Falshöft geht es
langsam, dann treiben wir eine Stunde lang. Zwei Zehntel Knoten, Kurs
Strand. Havrfruen müsste ich angeblich inzwischen sehen, aber
da sind mehrere weiße Flecken südlich von
Kegnæs, die sich auch nicht wahrnehmbar von der Stelle
bewegen.
Die angekündigte Brise kommt schließlich wirklich.
Ein paar Holeschläge, prächtige Abendsonne
über der Förde, schließlich mit
fünfeinhalb Knoten in die Bucht. Mit dem allerletzten Licht
legen wir im weitgehend leeren Hafen ruhig, beinahe
majestätisch, an.
Das Gelächter vom Grillplatz lässt mich schlimmes
befürchten: Da sind drei Boote aus Arnis, die neulich dort im
Hafen schon bis tief in die Nacht gefeiert haben. Nun tragen
menschliche Stimmen bei Windstille und ohne Hindernisse wie Booten
erstaunlich weit, besonders nach reichlichem Alkoholgenuss. Es stellt
sich allerdings heraus, dass die Herren sich bereits verausgabt haben.
Michael packt noch die Segel, als sie sich an Bord
zurückziehen. Wir hingegen haben eine ganze Saison
aufzuarbeiten, das bedeutet Klönschnack und Rotwein bis nach
drei. Zum Ausgleich werde ich an Silvester früh zu Bett gehen,
aber das weiß ich jetzt noch nicht.
Es folgt ein Liegetag mit viel Trägheit und Nachmittagssonne.
Ich verlasse das Hafengelände nicht, bin aber abends wieder
ausreichend erholt für die unwiderruflich letzte
Rückreise des Jahres. Paula segelt davon. Bis Kalkgrund wundere ich mich, dann kommt mir ein plausibler Grund
in den Sinn.
Mein
sinnfreier Gedanke jenes Septembermorgens hatte nichts mit Michael zu
tun. Er trägt zwar diesen Nachnamen, kümmert sich beruflich aber weder um Getreide noch um
Müll. Nach dem Kranen seines Bootes allerdings durchaus um
Entsorgung: Auf dem Foto, das er schickt, ist zwischen all den miesen
Muscheln wenig von Havfruens Unterwasserschiff zu sehen - da bin ich
eher enttäuscht darüber, dass sie bis
Schleimünde trotzdem in Sichtweite blieb.
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