Paulas Törnberichte nicolas thon: fotografie -schreiben - segeln
home fotos
texte
segeln über mich kontakt & impressum

zurück zur Übersicht

Der Gedanke kommt aus dem Nichts und führt nirgendwohin: Im morgendlichen Halbschlaf, nicht mehr richtig schlafend, aber auch noch nicht vollkommen wach, denke ich an Nachnamen, die eigentlich Berufsbezeichnungen sind. Völlig klar: "Der Schröter macht den Schrot klar, und der Müller den Müll." So beginnt der Tag mit selbstironischem Lachen, während das Saisonende näherrückt.

Oktober 2020


Der September war sensationell gut gebucht, aber zerstückelt von unzählbaren Kurztörns. Ich bin sehr froh, dass sich all die Lücken zwischen den verlängerten Wochenenden so schön gefüllt haben - aber kaum ein Tag verging, ohne dass ein Boot zurückkam oder losfuhr. Mehrfach dachte ich: "Was wollen die denn schon wieder hier? Wir haben doch gerade erst Einweisung gemacht." Aber das war vorgestern, und sie hatten eben nur drei Tage gebucht. Mehrmals täglich konsultierte ich den Buchungsplan auf dem Rechner, um nachzuvollziehen, wer wie was wo als nächstes. Oli erledigte unterdessen eine Spezialauftrag: Sie assistierte, festlich mit Blumen geschmückt, erfolgreich beim Heiratsantrag.

Immerhin blieb mir der scharfsinnige Blick für eine wichtige Beobachtung: Wer eine ganze Woche segelt, macht einen wirklichen Urlaub und möchte ausruhen und sich erholen. Wenn der Wind ungünstig ist, heißt es dann: "Och, nee, dann bleiben wir auf der Schlei. Hauptsache keinen Stress." Ein verlängertes Wochenende bedeutet: Man hat einen Tag Urlaub geopfert, um dem Samstag und Sonntag noch einen Freitag oder Montag hinzuzufügen. Nun möchte man die kostbare Zeit bis zur letzten Minute ausnutzen. Da gibt es einen Plan, Lyø, Marstal, von dort zurück, und davon wird auch nicht abgewichen, wenn der Wind nicht passt. Eines Sonntags kamen drei Boote mit leeren Tanks zurück...

Das versuchen wir also in Zukunft anders zu machen. Eine andere Sache werden wir beibehalten: Segeln gehen. Während sich die Viruslage verschärft und die Charterboote nach vier Monaten ununterbrochenen Einsatzes schonmal den einen oder anderen Tag Pause genießen, unternehmen Paula und ich nämlich noch drei unbeschwerte Ausflüge.

Der erste führt uns nach Schleimünde. In der Seilfährenecke lagen Peter und sein Drachen, Stefan und sein M25, sowie das eine oder andere Folkeboot. Louise kommt später bei uns längsseits. Erik und Pommery weilen auf Lyø. Nach zwei Jahren nur sporadischen und schließlich gar nicht mehr Funktionierens hat Erik den Außenborder repariert. Und sofort in der heimischen Garage winterfest eingelagert. Nun ist ab Avernakø totale Flaute. Pommery könnte also gar nicht nach Schleimünde, selbst wenn sie wollte, doch die Gute hält es ohnehin für besser, nach Lyø zurückzukehren. Warum? Der Grund heißt Dana und fand sich beim Kaufmann.


*


Nächster Ausflug: Nur Schleimünde genügt uns nicht, ich habe schließlich Geburtstag und von Montag bis Freitag Zeit. Windbedingt wählen wir die Charterer-Standardroute in extremer Konsequenz: Arnis-Marstal-Lyø-Marstal-(Hafentag)-Arnis. Nun, statt Lyø hätten wir Alternativen gehabt. Aber die Insel ist außerhalb der Hauptsaison, also ganz besonders jetzt Ende September, unbedingt einen Besuch wert. Und Erik hat gesagt, ich müsse unbedingt Dana kennenlernen.

Mittwoch also zurück nach Marstal. Ebbes Nachfolgerin versucht mich winkend in den Werfthafen zu locken, und auf das charmante Angebot komme ich bestimmt eines Tages zurück, aber diesmal ahne ich den donnerstäglichen Liegetag und brauche Strom und WiFi, um ihn produktiv zu nutzen. Also wählen wir die Kreuz bis in den Yachthafen.

Donnerstag 6-7, Freitag 6-7, aber vormittags ein Zeitfenster mit Südost 4-5 zwischen dem nächtlichen Regen und dem mittäglichen Aufbrisen, das wir nutzen wollten. Als der Wecker klingelt, ist es noch dunkel, es regnet in Strömen, und es pustet gewaltig - ich bin ein bisschen nervös. Dazu besteht kein Grund: Pünktlich mit dem allerersten Licht zieht das Wolkenband nach Langeland weiter, bei drei Windstärken laufen wir entspannt aus, in der Rinne ist es mir gegen die Strömung fast zu wenig Wind. Dann wird es eine zügige, stressfreie Überfahrt. Als es wieder ruppig wird, sind wir längst in Arnis. "Woher? Aus Marstal?", erkundigt sich ein Stegnachbar, "da hast du ja schön auf die Mütze gekriegt, oder?" Nö.


*


Schließlich sammeln wir das letzte fehlende Puzzlestückchen ein. Michael und Havfruen haben wir die ganze Saison nicht gesehen, aber jetzt verabreden wir uns in Hørup Hav. Auf unübertreffliches Glücksgefühl müssen wir lange warten: Bis Falshöft geht es langsam, dann treiben wir eine Stunde lang. Zwei Zehntel Knoten, Kurs Strand. Havrfruen müsste ich angeblich inzwischen sehen, aber da sind mehrere weiße Flecken südlich von Kegnæs, die sich auch nicht wahrnehmbar von der Stelle bewegen.

Die angekündigte Brise kommt schließlich wirklich. Ein paar Holeschläge, prächtige Abendsonne über der Förde, schließlich mit fünfeinhalb Knoten in die Bucht. Mit dem allerletzten Licht legen wir im weitgehend leeren Hafen ruhig, beinahe majestätisch, an.

Das Gelächter vom Grillplatz lässt mich schlimmes befürchten: Da sind drei Boote aus Arnis, die neulich dort im Hafen schon bis tief in die Nacht gefeiert haben. Nun tragen menschliche Stimmen bei Windstille und ohne Hindernisse wie Booten erstaunlich weit, besonders nach reichlichem Alkoholgenuss. Es stellt sich allerdings heraus, dass die Herren sich bereits verausgabt haben. Michael packt noch die Segel, als sie sich an Bord zurückziehen. Wir hingegen haben eine ganze Saison aufzuarbeiten, das bedeutet Klönschnack und Rotwein bis nach drei. Zum Ausgleich werde ich an Silvester früh zu Bett gehen, aber das weiß ich jetzt noch nicht.

Es folgt ein Liegetag mit viel Trägheit und Nachmittagssonne. Ich verlasse das Hafengelände nicht, bin aber abends wieder ausreichend erholt für die unwiderruflich letzte Rückreise des Jahres. Paula segelt davon. Bis Kalkgrund wundere ich mich,  dann kommt mir ein plausibler Grund in den Sinn.

Mein sinnfreier Gedanke jenes Septembermorgens hatte nichts mit Michael zu tun. Er trägt zwar diesen Nachnamen, kümmert sich beruflich aber weder um Getreide noch um Müll. Nach dem Kranen seines Bootes allerdings durchaus um Entsorgung: Auf dem Foto, das er schickt, ist zwischen all den miesen Muscheln wenig von Havfruens Unterwasserschiff zu sehen - da bin ich eher enttäuscht darüber, dass sie bis Schleimünde trotzdem in Sichtweite blieb.

weiter: Aus dem Käfig