Paulas Törnberichte | ||||||
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Mehrere Erfolgserlebnisse: Sommerreise 2019, Teil
1
Nyborg, früher Abend. Ich sitze im Cockpit, denke
an eine frühe Koje und hoffe, dass morgen ausnahmsweise mal
alles glatt geht. Ein weißhaariger Däne
nähert sich. In exzellentem Deutsch fragt er nach Paulas
Segelnummer. Ich sage: "Vier vier drei." Er vergewissert sich:
"Dänische Nummer?" Ich bejahe. Seine Augen leuchten. Zu einem
Lächeln ist er zu ergriffen: "Das ist mein altes Boot!" Oh ja
- einundzwanzig Jahre hat Paula Frank aus Nyborg gehört,
als sie noch Elektra hieß. Aus der Datenbank der
dänischen Klassenvereinigung weiß ich das und kenne
sogar seinen Namen. Viel zu überrascht für
angemessenes Herzklopfen, verwerfe ich den Plan mit der frühen
Koje und winke ihn an Bord.
Juni 2019
Die
erste Etappe der Sommerreise verläuft nicht nach Plan. Nach
Plan
sollten fünf Folkeboote am Ende der Woche auf Anholt zum
Crewwechsel eintreffen. Doch es hat sich herausgestellt, dass genau an
dem Samstag keine Fähre geht. Wir müssen also nach
Grenaa.
Als nächstes hat sich herausgestellt, dass Salty nicht
mitkommt:
Als im Mai der einzige Charterer aus beruflichen Gründen
absagt,
beschließe ich, sie lieber in Arnis zu lassen, als dass es
für sie ab Kopenhagen nicht mehr weitergeht. Binnen zwei
Wochen
ist sie komplett ausgebucht mit Crews, die an der Sommerreise nicht
teilnehmen, aber Stephan von der Werft übernimmt zwei
Einweisungen, und Salty wird uns in Svendborg wiedertreffen.
Als
nächstes leidet die Reise ein bisschen unter der
Unerfahrenheit
der Crews - zwei sind zum ersten Mal auf der Ostsee, Friedas
Einhandsegler Jürgen ist nach dreißig Jahren
Segelerfahrung
zum ersten Mal einhand unterwegs - sowie dem ungünstigen
Wetter:
Samstag Sturm, wir bleiben in Arnis. Sonntag zunächst die
ruppigen
Böen des abziehenden Sturms, ab Mittag Flaute. Danach sind
nördliche Winde zu erwarten, die eine Reise nach Norden nicht
unbedingt begünstigen. Ich korrigiere unser Ziel auf Aalborg:
Weniger Strecke als Anholt oder Grenaa und verkehrstechnisch
günstig. Außerdem war ich da noch nicht. Das Motto
lautet:
"Wir wollen ja ein paar schöne Segeltage haben, anstatt uns zu
quälen."
Es
wird für alle eine Herausforderung. Erstes Opfer ist
Jürgen:
Am Sonntag fällt ihm beim ersten Versuch, das
Großsegel zu
setzen, das neue, glatte Tuch ins Wasser, und als er es wieder an Bord
hat, bemerkt er nicht, dass er es einmal um den Baum gewickelt hat.
Während Paula, Oli und Martha schon eine Meile weit
draußen
auf der Ostsee sind, scheitern Jürgens sämtliche
Versuche,
das Segel zu setzen. Auf seinen traurigen Funkspruch hin lassen wir die
Anderen sausen und kreuzen zurück. Wir legen uns in Rabelsund
halbwegs windgeschützt vor Anker und binden Frieda an unser
Heck.
Das
Segel ist schnell klariert. Jürgens angekratztes
Selbstbewusstsein
nicht. Am liebsten würde er nach Arnis zurückfahren
und
aufgeben. Für mich ein Horrorszenario: Er hat vierzehn Tage
gebucht und soll Frieda nach Kopenhagen segeln, wo die
nächsten Gäste sie erwarten. Die ganze Reise steht in
Frage.
Trotzdem hätte ich zugestimmt. Doch ich bin
überzeugt, dass
er es schaffen wird, wenn er nur jetzt in Gang kommt. Eine Stunde rede
ich auf ihn ein. Ich sage: "Alles, was du brauchst, ist ein
Erfolgserlebnis."
"Ich
brauche mehrere
Erfolgserlebnisse", klagt er, um schließlich einzusehen:
"Aber am
Anfang vielleicht erstmal eines...". Er setzt Segel. Ich lasse die
Vorleine los. Frieda segelt. Wir haben drei Stunden Rückstand
auf
die Anderen. Noch vor Marstal schläft der Wind ein, hinter
Marstal
war schon früher Flaute - mit reichlich Motoreinsatz erreichen
wir
schließlich Ristinge an der Westseite Langelands. Es ist ein
guter Ausgangspunkt für Montag. Und: Der schönste
Sonnenuntergang in der ganzen Dänischen Südsee!
Jürgen
ist nicht mehr der Jüngste und Schnellste, das ist ein
Nachteil,
insbesondere einhand, wo man schnell an den Punkt kommt, keine Reserven
mehr für auftretende Probleme zu haben. Ab jetzt
lässt sich
das gut auffangen: Ich wähle die Liegeplätze so aus,
dass er
möglichst im Hafen in aller Ruhe die Segel setzen kann. In
Ristinge klappt das tadellos, von der Pier aus kann ich ihn auf ein
unklares Schmeerreep hinweisen und auf alles, was er sonst noch
vergessen haben könnte. Beim Anlegen verhält er sich
stoisch
so, wie ich es ihm empfohlen habe: Vorleine um den Pfahl, Achterleine
drauf, Verholen zum anderen Pfahl, wieder Achterleine drauf, und dann
zerren wir Frieda mit vereinten Kräften an ihren Liegeplatz.
Vor
der Großer-Belt-Brücke muss ich ihn darauf
aufmerksam
machen, dass Frieda mit dem Heck voran in der Strömung auf die
Brücke zutreibt - solche kleinen Hinweise kann die Flottille
gut
leisten.
Jürgen hat aber auch einen Vorteil
gegenüber den anderen Crews: Er kennt die Ostsee. Er kennt die
Welle. Er weiß, dass man auf der Kreuz einen Kompromiss
zwischen
Speed und Höhe finden muss, damit sich das Boot nicht
feststampft,
aber auch nicht mit halbem Wind nur hin und her fährt.
Für
Montag ist angekündigt: Nordost, ostdrehend. Das
würde uns
spielend nach Nyborg bringen, aber der Wetterbericht entpuppt sich als
Scherz. Wir haben den ganzen Tag Nordwind und müssen die
kompletten 28 Seemeilen aufkreuzen. Bis zur Brücke in
Rudkøbing ist das noch ganz lustig. Nördlich davon
steht
bei gerade mal vier Windstärken eine beachtliche Welle auf dem
Flach.
Jürgen
kreuzt mit Frieda durch das enge Fahrwasser, als wäre es sein
Zuhause. Erfolgserlebnisse? Bitte sehr. Paula überholt erst,
als
Frieda eine erratisch motorende, Segel setzende, aber partout nicht
segelnde Charteryacht im Wege steht. Die frischgebackenen
Ruheständler auf Martha beißen sich wacker durch.
Auch als
am nächsten Tag ein Schäkel der
Großschottalje bricht:
Sie bergen das Segel, finden in der Werkzeugkiste einen
Ersatzschäkel und können sich behelfen. Als Martha
beim
erneuten Segelsetzen unvermittelt im Schwell eines Containerschiffs ins
Schlingern gerät, fällt Horst beinahe ins Wasser. Per
Telefon
bekomme ich lediglich die Nachricht: "Wir haben alles im Griff und
kommen ein bisschen später."
Das
junge Pärchen auf Oliese hingegen ist nicht bereit, in der
Reise
eine Herausforderung zu sehen, der man sich stellen muss. Auf der Kreuz
binden sie ein Reff ein, kommen überhaupt nicht mehr gegen die
Welle an und treffen drei Stunden nach uns Anderen in Nyborg ein. "Wir
haben uns allein gelassen gefühlt", bekomme ich zu
hören.
Und: "Jeden Morgen um sieben auszulaufen und dann zehn Stunden auf dem
Wasser zu sein - das haben wir uns anders vorgestellt." Ich bekomme den
Eindruck, die beiden gehen davon aus, dass ich unabhängig von
der
Witterung für entspanntes, risikofreies
Schönwettersegeln
sorge. Bei jedem Ablegen ist zu merken: Die beiden diskutieren viel zu
hitzig miteinander, um Rücksicht auf die Gruppe zu nehmen.
Pünktlich um sieben ablegen? Aber doch nicht, wenn sowohl
Windy
als auch Wetter.com bis acht Uhr Gewitterwarnung geben. Um sieben klart
der vorher wolkenverhangene Himmel vorübergehend auf, kein
Blitz
und Donner. Jürgen: "Ich bin auch früh aufgestanden.
Ich will
jetzt los." Recht hat er.
Von
Nyborg nach Korshavn segeln wir zeitweise fast ohne Wind, aber nie
unter drei Knoten: Die mitlaufende Strömung bringt uns
zuverlässig voran. Schönstes Wetter, toller Segeltag
- die
Stimmung bessert sich erheblich. Als wir am nächsten Tag
Endelave
erreichen, scheint es so, als sei an diesem Tag endlich mal alles glatt
gelaufen. Paula legt rechtzeitig an, die Anderen bekommen den Schauer
noch ab. Jürgen hat schon die Segel geborgen. In respektvollem
Abstand rundet Frieda die Außenmole. Ein Fehler: Der
Wasserstand
ist extrem niedrig, und nicht weit vor der Einfahrt liegt eine
Sandbank. Von unter Deck kann ich Jürgens Bemühungen
verfolgen, das Boot im strömenden Regen wieder frei zu
bekommen.
Schließlich schafft er es - um gleich darauf die
nächste
Sandbank zu treffen. Diesmal ist ein hilfreiches Motorboot bereits
unterwegs.
Die
Reise endet in Aarhus. Der Yachthafen ist riesig, fürchterlich
und
voll - die Aarhuser sind noch nicht im Urlaub, und es steht eine
Regatta an. Wir finden Plätze im Museumshafen, der allemal
gemütlicher ist und wo wir ja auch hingehören. Es
darf ruhig
mal einen praktischen Vorteil haben, mit alten Holzbooten unterwegs zu
sein.
Mein herausragendes Erlebnis der Woche bleibt aber die
Begegnung in Nyborg: Nach gemeinsamem Abendessen zieht es uns alle
früh zu Bett. Eigentlich hält mich nur die
Überlegung
vom Schlafen ab, dass ich vor acht nicht in die Koje kann, ohne
spätestens um zwei Uhr glockenhell wach, aber dennoch
unausgeschlafen zu sein. Also nehme ich mir ein gutes Buch vor. Und
dann steht da auf einmal Frank. Seine Frau hat ihm erzählt,
dass
da vier deutsche Folkeboote im Hafen liegen - er müsse
unbedingt
mal gucken. Er wohnt inzwischen in Sichtweite unseres Liegeplatzes im
Stadthafen, diese Häuserreihe war 2005, als er seine Elektra
an
die Schlei verkaufte, noch gar nicht gebaut. Es bedeutete also keine
Mühe, sich meine Boote anzusehen und mit dem Gedanken im Kopf,
diese Paula sehe seinem alten Boot verdammt ähnlich, erstmal
nach
Hause zurückzukehren und in der dänischen
Folkeboot-Datenbank
nachzusehen, wie Nummer 443 heute heißt. Dass er dann, wo das
doch absolut klar und eindeutig war, noch einmal nachgefragt hat, ob
auch wirklich und ganz sicher, treibt mir jetzt, im Nachhinein beim
Schreiben, Tränen der Rührung in die Augen. Wenn es
um Paula
geht, werde ich schnell sentimental...
Ich bitte ihn an Bord und
biete Rotwein an. Jetzt geht es los: Was ist alt, was ist neu? Er sitzt
auf einer der großen Backskisten, die ich gebaut habe,
streichelt
den alten Reitbalken, der vermutlich noch original ist, und berichtet,
dass er damals Hauptschott und Aufbaufront, Kajütdach und
Laufdeck
neu gemacht hat. Dann weist er mich auf einen kleinen Riss im achten
Plankengang von oben hin: Er ist mit weißer Farbe
gefüllt.
Denn da ist seiner Tochter einmal die Dose mit dem Deckslack ins
Cockpit gefallen. Sie ließ sich überall entfernen -
außer in dem Riss. Der sich aber seitdem kein Stück
verändert hat.
Wir
sitzen auf "unserem" Boot und freuen uns über diese Begegnung
-
und doch ist es überaus seltsam vor dem Hintergrund dessen,
wie
eng vertraut Paula und ich einander sind. Ich habe längst
begriffen, dass Boote nicht in der Vergangenheit schwelgen. Paula und
ich waren in Struer, wo sie gebaut wurde, und sie wollte dort absolut
nicht hin. In Nyborg waren wir häufig in den letzten Jahren,
aber
immer im Stadthafen und niemals im Yachthafen, wo sie seinerzeit ihren
Liegeplatz hatte. Jetzt verstehe ich, warum mir dieser Yachthafen so
trist und abschreckend vorkommt - ich muss es ihr gar nicht
versprechen, Paula wird auch künftig nicht dort anlegen
müssen. Was sie von dem Wiedersehen mit Frank hält,
behält sie für sich, aber es ist ihr ganz sicher
nicht
unangenehm. Wir fachsimpeln eine Weile, ich erfahre ein bisschen
über Paulas Vergangenheit, er über ihre Gegenwart.
Frank ist
ein furchtbar netter Kerl, bei dem Paula in ebenso guten
Händen
war wie jetzt bei mir - so viel ist sicher. Es ist klar, dass seine
Verbundenheit mit dem Boot nie abgerissen ist, trotz des Verkaufs.
Natürlich schenke ich ihm unser Buch. Gerührt
hält er es
in den
Händen, vergewissert sich dreimal, ob er es haben und behalten
darf, und flüstert: "Das ist ein Goldschatz!". Vor
lauter
Aufregung
vergesse ich, die wichtigsten Fragen zu stellen: Zum Beispiel, ob er
mit Elektra oft oder wenigstens einmal auf Musholm war. Mit der
Flottille dorthin zu segeln, war vor zwei Jahren Paulas Inspiration,
und seitdem bin ich überzeugt, dass sie das Inselchen kennt.
Nun
also Aarhus statt Musholm. An die große Stadt muss ich mich
erst
gewöhnen. Zu dumm, dass zwei Crews abreisen: Gerade haben sie
sich
richtig an das Boot, den Rhythmus des Fahrtensegelns, und wir uns
aneinander gewöhnt. Doch morgens um sechs sitzen schon die
"Neuen"
im Hafen...
weiter: Halber
Wind reicht