Paulas Törnberichte | ||||||
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"Dragonfly? Are they fast?" Sechs Wochen
Svendborg
Wir liegen an der Promenade und warten auf die neuen
Gäste. Ein Punk-Pärchen schlendert vorbei. "Beautiful
boats", sagt die junge Frau. Ihr Liebster fragt: "Is it dragonfly?" Ich
schüttele den Kopf und sage etwas von Folkebooten, aber er
beachtet mich nicht. "Dragonfly?", beharrt er. Seine Freundin wundert
sich, dass die drei Boote so gleich aussehen. Er hingegen scheint noch
gar nicht bemerkt zu haben, dass die Rümpfe getrennt sind und
jeder sein eigenes Rigg hat. "Dragonfly", verkündet er stolz
und fragt: "Are they fast?" Ich zucke die Schultern - ist ja immer
relativ. Ein moderner Trimaran ist definitiv schneller. "They are
fast", freut sich mein neuer Freund. Ich hätte sagen sollen:
"Yes, very fast." Aber ich wusste ja noch nicht...
Juni/Juli2019
Ein
Versuch
Fünf Wochen Bootsübergaben in Svendborg - es ist ein
Versuch.
Und aus meiner Sicht ein voller Erfolg: Wir sparen uns den immer
gleichen, reizlosen Weg über den Kleinen Belt zu Beginn und
Ende
jedes Törns, müssen nicht ständig auf
passenden Wind
schielen, können unbeschwert lossegeln und haben allenfalls
den
Gezeitenstrom des Svendborg Sunds zu beachten. Die Charterer steigen
aus dem Auto und sind im Urlaub: Im Ausland, mit fremder Sprache und
Kultur. Der nächste Hafen liegt zwei Seemeilen entfernt und
ist
wunderschön. Kinder und segelunkundige Mitsegler
müssen nicht
erst fünf Stunden durch mächtigen Seegang
gequält
werden, man kann die Woche in kleinen Schlägen und
geschütztem Revier genießen. Wer weiter will, dem
stehen
drei Richtungen offen. Und wer sich nicht allzu weit vom Ausgangspunkt
entfernen, aber dennoch viel segeln möchte, kann im Slalom um
die
Inseln fahren, jeden Tag vierzig Meilen zurücklegen und in
einem
Radius einer kurzen Tagesdistanz bleiben.
Svendborg selbst bietet alles, was man braucht: Quirliges Hafenleben,
kultigen Fischimbiss, Supermarkt bis 21 Uhr offen und zu Fuß
erreichbar,
Bootsausrüster und ringsum glückliche Gesichter.
Natürlich auch Bugstrahlrudergedröhne von morgens bis
abends
und das Problem, jeden Freitag einen Längsseitsplatz zu
ergattern,
an dem die zurückkehrenden Charterboote ins Päckchen
gehen
können. Das gelingt zuverlässig gegen zehn Uhr
morgens, daran
richte ich unsere Wochenplanung aus. Für Einweisungen und
Skippertrainings gibt es ganz neue Möglichkeiten:
Slamlomparcours
zwischen Dalbenreihen, ein Gefühl für den
Außenborder
ergibt sich dabei in wenigen Minuten.
Das Svendborg-Experiment beginnt mit einem logistischen Problem: Einzig
Salty hat das Ziel pünktlich erreicht, aber ihre neuen
Gäste
reisen krankheitsbedingt verspätet an. Für die
Anderen endet
die Sommerreise notgedrungen in Kerteminde. Am Samstag trifft Jens dort
ein. Seit drei Jahren hat er es vor lauter Arbeit nicht mehr geschafft,
sein eigenes Boot ins Wasser zu bringen - jetzt feiert er das erste
Segelsetzen nach langer Abstinenz mit einem Urschrei. Ich bringe seinen
Wagen nach Svendborg, verlängere Saltys Hafengeld und kehre
mit
Bahn und Bus zurück. Jens und Oliese begeben sich auf ihre
dreiwöchige Reise.
Am Sonntag trifft Marthas Crew ein: Die siebenjährige Liv mit
ihrem Papa. Verabredet sind sie mit Friedas Gästen, doch die
haben
erst ab Montag Zeit. Während wir warten und Papa Mittagsstunde
hält, bringt mir Liv Krebse Angeln bei. Besser gesagt: Wir
versuchen es mit dem falschen Köder und ohne Kescher, das
klappt
nicht besonders gut. Später hilft sie mir bei der Einweisung
auf
Frieda. Die Gäste ignorieren meinen Vorschlag, vor dem
Auslaufen
eines der Autos nach Svendborg zu transferieren. Ist mir egal - nach
vier Wochen Flottille brauchen Paula und ich ein bisschen Ruhe. Und wo
könnte man die zuverlässiger finden, als auf Musholm?
Fünfzehn Meilen sind noch gut zu machen, wenn man erst gegen
siebzehn Uhr loskommt, zumal Paula mit siebeneinhalb Knoten
über
den Großen Belt fliegt. Das scheint allmählich unser
Standardtempo zu werden - wenn es so weiter geht, brauche ich bald
einen Pilotenschein.
Von Musholm segeln wir - anfangs schon wieder so rasend schnell - nach
Svendborg. Saltys Gäste haben endgültig abgesagt, wir
müssen erneut Hafengeld nachbezahlen. Treu und
zuverlässig
hält Salty uns den Längsseitsplatz am Schwimmsteg
frei,
ansonsten hat sie Pause. Längsseits Gehen unter Segeln, bei
Strömung und Böen - an einem fremden Boot
hätte ich
Hemmungen gehabt. Wir brauchen vier Anläufe, bis der Speed
passt.
Da ist der Hafen schon in heller Aufregung, alle denken, wir
hätten ein Problem. Naja, haben wir ja auch: Seit Grenaa ist
der
Außenborder nicht mehr gelaufen - ich entwickele einen
gewissen
Ehrgeiz.
Den Rest der Woche verbringen wir mit Taasinge rund. Zuerst linksherum
mit Ziel Troense, dann rechtsherum von Troense nach Troense. Die
mitlaufende Strömung sorgt diesmal nicht für
Geschwindigkeitsrekorde, aber immerhin spült sie uns durch die
Flaute. Den Hafen erreichen wir zeitgleich mit Martha, Liv winkt
euphorisch. Sie hat inzwischen Krebse fangen gelernt: Mit einem
Stück Wurst, eingepackt in das Netz, in dem im Laden der
Knoblauch
verpackt ist, lassen sich die Viecher dutzendweise anlocken.
Über Troense muss übrigens erwähnt werden:
Der alte
Kult-Hafenmeister gehört der Vergangenheit an. Er lebt noch,
ich
sehe ihn abends seine Einfahrt fegen, aber das Hafengeld kassiert jetzt
ein Automat, alles Andere wirkt ein wenig professioneller und
zeitgemäßer, dabei durchaus weiterhin liebenswert -
es ist
eben ein Vereinshafen. Doch der Fünfundachtzigjährige
mit der
Mütze wird wohl auch keine Flaggenparaden mit antikem Cabrio
mehr
durchführen.
In Svendborg erwartet mich Arbeit. Friedas Göhl ist schon
wieder
kaputt - vermutlich Spätfolge des Schadens im Mai, und das
gelöste Großfall vorletzte Woche wird auch seinen
Beitrag
geleistet zu haben. Jedenfalls rutscht das Kopfbrett aus der
Führung. Außerdem haben die Gäste den
Spirituskocher
überfüllt und gleichwohl einfach angemacht. Er stand
- zum
Glück an Land - in hellen Flammen und sieht jetzt
fürchterlich aus. Ich bitte sie, mir beim Mastlegen zu helfen.
"Ist doch selbstverständlich", heißt es.
Svendborg ist auch in dieser Hinsicht phantastisch: Der junge Mann im
Hafenbüro versteht überhaupt nicht, was ich will, als
ich
nach dem Hafenmeister, der Bezahlung und solchen Dingen frage. "Nee,
fahr einfach hin. Wenn er besetzt ist, musst du kurz warten", ist
alles, was ich erfahre. Einfach benutzen, kostenlos, Strom ist immer
eingeschaltet, und die Steuerung lässt sich mit an Bord
nehmen.
Ich kann notfalls den Mast alleine legen. Das ist wirklich einfach,
perfekter Service, in Deutschland in dieser Form leider nicht
zulässig - da bräuchte man einen Kranschein, um diese
Anlage
bedienen zu dürfen.
Selbstverständlich also helfen mir die Gäste, aber
weil beide
Autos in Kerteminde geblieben sind, fragen sie bei dem Taxiunternehmen,
dessen Nummer ich für sie gegoogelt habe, nach einem
Großraumtaxi. "Tut uns leid, die haben gerade einen Wagen
frei,
ist in fünf Minuten hier", bekomme ich zu hören.
Überstürzt gucke ich die Boote durch, auch Friedas
Spülmittelflasche ist irgendwo verlorengegangen. Der Kocher
sieht
nach einer Stunde Rußentfernung bis auf die verschmorte
Plastikblende wieder brauchbar aus - das hätten die
Verursacher
aber schön selbst machen können.
Hauptsächlich geht es
mir aber gegen den Strich, dass sie ihre Segelwoche zwischen
Frankreichurlaub und sonstwas mal eben so einschieben. Sie wollen
alles, bekommen es auch, aber nichts davon wirklich richtig und
ausgiebig - wo bleibt das Zur-Ruhe-Kommen? Und vor allem: Die
Wertschätzung für meine Boote?
Kopfschüttelnd verhole
ich Frieda zum Kran. Mastlegen tatsächlich einhand, nur auf
die bereitstehenden Böcke ablegen kann ich ihn nicht. Einer
freundlicher Däne bedient sofort die Kurbel und schwenkt den
Kran.
Das Epoxi härtet über Nacht durch. Die mastlose
Frieda
kuschelt sich vertrauensvoll an Paulas Seite. Auf Salty werden schon
wieder von eifrigen Kinderhänden Krebse geangelt - Greta ist
zehn, überzeugt mich durch ihren spöttischen
Gesichtsausdruck, wann immer es etwas zu spotten gibt, und
schließt den gleichen Lieblingserpel in ihr Herz wie ich.
Martha erwartet
schweigsam ihre morgen früh eintreffenden Gäste. Es
ist
zweiundzwanzig Uhr, mein Magen hofft auf das versprochene
Rührei -
und ich stelle fest, dass Svendborg sich jetzt schon wie ein richtiges
Zuhause anfühlt.
Motorsegler.
Juhu! Kuchenbudenromantik!! Endlich mal wieder! Seit fünf
Wochen
habe ich das Dach überm Cockpit nicht mehr gebraucht - nun
prasselt es wie hulle. Eine Warmfront schickt uns ein umfangreiches
Regengebiet, nachts wird die nachfolgende Kaltfront mit Gewittern
aufwarten. Ich fand, da lohne sich der Aufwand, den "Decksalon"
aufzubauen.
Für die neuen Gäste ist das vielleicht keine ideale
Begrüßung. Oder gerade doch: Wetter live schon im
Ausgangshafen. Ich muss feststellen, dass ich, an der Promenade
liegend, wo jeder entlangflaniert, über die
schönen
Folkeboote fachsimpelt und ungeniert ins Cockpit glotzt,, die
zusätzliche Privatsphäre
zur
Abwechslung auch mal gut haben kann. Davon abgesehen ist ein
ordentlicher Regen aus Sicht der Bauern und der Natur dringend
angebracht. Der Juli war bisher recht kühl (Pullover, Schal
und
Mütze liegen ständig griffbereit), aber bei
vernünftigem
Wind ziemlich trocken. Nun gibt es also mal eine anständige
Dusche, und im Laufe der Woche ist eine Ostlage mit schönstem
Sommerwetter versprochen. Die Saison verläuft also in jeder
Hinsicht abwechslungsreich. Die vergangene Woche war ein Traum:
Drejø Gamle Havn, kleinster und coolster Hafen weit und
breit.
Bisher sind wir ihn immer entweder von Norden (westlich von
Strynø) oder von Osten (südlich Strynø)
angelaufen.
Heute bietet sich die Zufahrt von Westen an - laut Seekarte recht
schmal zwischen steinigen Untiefen, aber immerhin geht es
schnugeradeaus, und die Bregninge Kirke taugt als Landmarke.
Ich kritzele eine Kurslinie in die Seekarte.
Überprüfe alle
paar Minuten, ob wir uns auf ihr befinden. Als ich mich umgucke, kommt
Oliese von hinten auf. Ich freue mich, sie zu sehen, haben wir uns doch
in Kerteminde unter den Jubelschreien ihres Einhandskippers
für
satte drei Wochen voneinander verabschieden müssen. Richtig
begeistert bin ich nicht - Jens ist ein angenehmer Kunde, aber mir
steht eigentlich der Sinn nach ein paar unbeschwerten Urlaubstagen ohne
zahlende Gäste. Und
ich bezweifle, dass wir uns im Hafen tatsächlich treffen
werden:
Jens segelt sorglos dicht am Ufer entlang, wo laut Seekarte jede Menge
Steine auf einer Wassertiefe von einem knappen Meter liegen. Doch Oli
hangelt sich selbstbewusst durchs Labyrinth, und ich begreife, dass
Jens diesen Weg nicht zum ersten Mal nimmt.
Der Hafen ist winzig. Ich sehe schon von Weitem: Er ist recht voll,
Liegeplatz fraglich, auch wenn hier traditionell alle zusammenhalten
und das Becken notfalls zugeparkt wird. Vor der schmalen Baggerrinne
berge ich die Fock. Hm. Halber Wind - so kann ich weder das
Groß bergen noch Druck rausnehmen. Vielleicht
wäre es cleverer gewesen,
mit der Fock reinzusegeln. Ziemlich sportlich saust Paula durch die
Einfahrt, zum Glück ist eine Box (die mit dem grünen
Herz
gekennzeichnete) leer. Vorspring über den Heckpfahl,
ordentlich
reinstemmen - Paula stoppt auf. Das grüne Herz ist heute rot,
liegen können wir hier nicht, aber zumindest kann ich erstmal
das
Segel bergen. Zum Verholen braucht man in diesem Hafen ganz sicher
keinen Außenborder - leichtes Abstoßen, schon kommt
das
Heck da an, wo es hinsoll.
Jens ist nicht so sorglos, wie ich ihn eben noch eingeschätzt
habe. Sein Plan war, mit der Fock einzulaufen. Aber nun hat er uns
gesehen mit dem Groß, und er hat sich überlegt: "Der
wird sich was dabei gedacht haben." Also folgt er dem Beispiel. Paula
blockiert noch den gesamten Hafen, als Oli
eintrifft. Jens braucht all seine Kraft, um sie an der
Bretterverschalung der Einfahrt aufzustoppen. Sieht aber so aus, als
hätte er alles im Griff. Unerschütterliche
Sorglosigkeit
eben. Oli hat ein paar Schrammen an der Außenhaut, die vorher
noch nicht da waren, aber sie wirkt bestens gelaunt und
genießt
es offenbar, richtig gesegelt zu werden. Ihr Außenborder
kommt
derzeit ebenso selten zum Einsatz wie Paulas. Nach einigem Hin und Her
liegen Paula und Oli nebeneinander. Ihre Plätze sind zwar rot
markiert, aber irgendjemand erklärt sich zum Hafenmeister und
beschließt, dass wir dort bleiben dürfen. Und
inzwischen freue mich auch, Jens zu sehen.
Den coolsten und einzigartigsten aller coolen und einzigartigen
Häfen kannte ich bisher nur aus der Zeit ab Mitte August, nach
den
Schulferien, und aus dem frühen Frühjahr. Jetzt ist
er
quirlig, voll, aber dennoch absolut liebenswert: Ein Hafen für
Unkonventionelle und für Solche, die es werden wollen, mal
waren
oder sich jedenfalls am wohlsten fühlen in Nachbarschaft mit
Leuten, die einfach ihr Ding machen. So wie Paula und Oli, Jens und
mich, oder die Leute, die den Laden am Leben halten mit dem kultigen
"Clubhaus", der in letzter Zeit ein neues Dach bekommen hatt innen
aber noch genauso rustikal, staubig und charmant ist. Abends zuvor
lagen wir in der Helnæs Bugt vor Anker. Weit und breit kein
menschliches Ohr - eine prima Gelegenheit für eine Party mit
Rockmusik bis Mitternacht. Von Drejø geht es weiter
zunächst nach Aerøskøbing: Der
Zitronenkuchen ist
alle.
Dort treffen wir die anderen Charterboote. Ich bin ja total begeistert
vom Svendborg Sund und den Möglichkeiten, die er für
ein
Skippertraining bietet. Hauptthema: die Strömung. Dann kommt
das
An- und Ablegen in einer Box, neuerdings mit einem deutlichen
Schwerpunkt darauf, unter Motor allenfalls einen Heckpfahl anzupeilen
und das Boot ansonsten per Hand zu verholen. Das ist sicher, gelingt
immer und klebt nicht, wie Uncle Ben's Rice. Segel unfallfrei hoch und
runter und ein Ründchen wenden und halsen gehört
natürlich auch mit dazu. Weil sich Troense mit einer
freistehenden
Dalbenanordnung für Slalomfahren mit Außenborder
anbietet
und außerdem ein auf die Schnelle erreichbares Ziel
darstellt,
haben wir einen kleinen Linienverkehr eingerichtet: Erst Martha, dann
Frieda segeln dorthin zu Übungsmanövern. Salty
übernachtet in Troense, Martha unternimmt einen Tagesausflug.
Als
die nähere Umgebung somit ausgiebig erkundet ist, tun sich
alle
drei Crews zusammen und fahren ohne mein Beisein als Flottille nach
Aerøskøbing. Und dort sind sie jetzt klar zum
Auslaufen.
Ziel: Drejø Yachthafen. Keine allzu weite Strecke, aber die
Qualität des Urlaubs lässt sich nicht immer in
Seemeilen
berechnen.
Uns hingegen zieht es ins Lindelse Noor. Das Mørkedyb
kreuzen
wir bei einer schönen Brise aus Südost komplett auf -
warum
da sogar die Yachten motoren, die uns entgegen kommen, verstehe ich
nicht und denke an Jens' Statistik aus Lyø:
Schönste Brise,
zwölf Segelboote in Sicht, neun davon motoren. Deckt sich mit
meinen Beobachtungen - jaja, muss der Skipper selbst wissen, aber es
geht mir schon gegen den Strich. Mir kommen
verschiedene Theorien in den Sinn, um dieses Phänomen zu
erklären. Nummer eins: Bis Windstärke drei ist es dem
Skipper
zu langsam. Ab Windstärke vier bekommt die Crew Angst und
meutert.
Nummer zwei: Nach Ausschlafen, Duschen und gemütlichem
Frühstück wird frühestens um elf Uhr
ausgelaufen. Ab
dreizehn Uhr sind aber die schönen Liegeplätze im
Zielhafen
besetzt. Bei diesem engen Zeitfenster darf man sich keinesfalls auf den
Wind verlassen. Bei Theorie drei sind die Segelschulen in der Pflicht,
die ihren Schülern vermitteln, wenn es irgendwie eng wird,
müsse man aus Sicherheitsgründen den Diesel benutzen.
Ergebnis: Eine Yacht nach der anderen tuckert durchs Fahrwasser, setzt
am letzten Tonnenpaar die Segel - und fährt auf dem gleichen
Kurs
weiter, den man auch bisher ohne Weiteres hätte segeln
können.
Paula regt sich über diesen Irrsinn weit weniger auf als ich.
Doch
sie empfiehlt: Entweder ein Motorboot. Oder gleich den Segelsimulator
für die Wohnstube, der zweifellos in den nächsten
Jahren auf
den Markt kommen wird, komplett mit Gischt ins Gesicht und hydraulisch
herbeigeführtem Geschaukel. Finde ich super, das
Mørkedyb
haben wir dann für uns.
Der Wind schlummert ein bisschen ein. Sorgenvoll greife ich zum
Smartphone und warte ungeduldig darauf, dass die DMI-Seite neu
lädt. Ergebnis: Nein, ganz im Stich lassen wird der Wind uns
heute
Nachmittag nicht. Aber für Freitagmorgen ist mit null
Windstärken zu rechnen. Das gibt mir zu denken - wir sollen um
zehn in Svendborg sein, um die Liegeplätze zu sichern. Das ist
das
Minimum an Service, den ich gewährleisten muss. Dreizehn
Meilen
ohne Wind? Und gleichzeitig ohne Motor? Wäre es nicht besser,
heute weiterzusegeln, um die morgige Strecke zu verkürzen?
Aber
wohin? Und wir wollen doch so gerne ankern.
In gemächlicher Fahrt vergeht eine Stunde. Der Wetterbericht
hat
keine Neuigkeiten, aber ich vertraue auf die übliche
Morgenbrise
und die mitlaufende Strömung im Rudkøbing
Løb. Wir
suchen uns einen neuen Ankerplatz im Lindelse Noor, gleich nach der
Einfahrt südwärts abbiegend. Hinter uns
läuft eine
belgische Yacht ins Noor. Natürlich mit Motor. Die
steingesäumte Einfahrt nehmen sie korrekt, dann wirkt es auf
mich,
als tuckerten sie recht unbefangen über die große,
aber in
Wirklichkeit durchaus tückische Wasserfläche. Nein,
das
Krachen und Rumpeln ist nicht die Ankerkette. Sondern die Kollision mit
einem Findling.
Unser neuer Platz ist bestens geschützt bei Winden zwischen
Südost und Südwest. Ohnehin liegen wir ja in einer
engen,
flachen Bucht, und ich rechne mit nächtlichem Abflauen der
sowieso
schwachen Brise. Statt dessen weht es mit um die vier Beaufort genau
aus Ost, und Paula wird zwar nicht durchgeschüttelt, rollt
aber
unruhig genug, um mir einen schlechten Schlaf zu verpassen, in den ich
nach drei Uhr gar nicht mehr zurückfinde.
Fünf Uhr Anker auf. Schöne Morgenbrise? Der Wind
schläft
ein. Wir treiben würdevoll mit eineinhalb Knoten aus der
Bucht.
Der frühe Morgen ist dennoch ein grandioses Geschenk, dass
selbst
ich viel zu häufig ausschlage. Hin und wieder kommt doch noch
Wind
auf, die Strömung rettet den Zeitplan. Neun Uhr Troense -
perfekt,
genau wie kalkuliert. Um fünf vor zehn berge ich im Vorhafen
neben
Eisbrecher Thorbjørn die Fock. Sehe lauter voll belegte
Schwimmstege. Es laufen beinahe so viele Yachten ein wie aus - ich bin
natürlich nicht der Einzige, der weiß, wann es in
Svendborg
eine Chance auf einen Stegplatz gibt, und Viele halten hier nur kurz
zum Einkaufen. Haben wir ja auch schon so gemacht.
Wir finden natürlich einen Platz, ich sehe ihn schon von
Weitem,
genau an der Promenade. Vor uns liegt eine krachneue Motoryacht mit
verspiegeltem Schott - hätte Paula Augen, könnte sie
ihren
Anleger beobachten. Die Charterer sprechen später von
Höllenrespekt vor diesem Motorbootneubau. Ich sehe in erster
Linie
ein vielversprechendes Fotomotiv.
Oli
ist noch mit Jens unterwegs.
Salty, Frieda und Martha kuscheln sich an Paulas Seite, und der Regen
lässt nach. Statt langwieriger Einweisungen gibt es ein nettes
Wiedersehen mit liebgewonnenen Stammgästen. Vor uns stehen
drei
Tage West, dann die Ostlage - was machen wir bloß damit? Die
Charterer schicke ich an dem böigen Sonntag nach Lundeborg,
immer
schön dicht unter Land sollten sie keine Probleme bekommen.
Ich
helfe allen beim Ablegen. Gehe in Ruhe einkaufen. Lege mich nochmal in
die Koje. Und entschließe mich, als die Nachbarn auslaufen
und
die Lücke größer wird fürs Ablegen
unter Segeln,
doch noch in die Lunkebugt zu verholen und dort zu ankern. Immerhin
spart das dreißig Euro Hafengeld und bietet einen Kontrast
zum
Gewusel an der Jessens Mole, das ich noch oft genug genießen
werde. Huiui, ich bin letztlich heilfroh, mich an dem ruppigen
Gepuste nur eine Stunde abarbeiten zu müssen.
Der Anker fällt, das Groß geht runter, das Telefon
klingelt.
Saltys Großfall klemmt. Uff - hat man denn in diesem Job nie
seine Ruhe? Wochen später, als ich mir das Masttopp in Arnis
aus
der Nähe ansehe, stellt sich heraus: Beim Versuch, genau
dieses
Phänomen zu unterbinden, habe ich es zu gut gemeint. Zwischen
Fallscheibe und Edelstahl-Abweiser ist zu viel Spiel, das Fall kann
dazwischengeraten und einklemmen. Jetzt bin ich mächtig
erleichtert, als Bernd nach einer Stunde Entwarnung gibt: Es ist ihm
gelungen, Salty mit notdürftig gelaschtem Segel in Lundeborg
unter
den Mastenkran zu manövrieren, und dann stehen die
hilfsbereiten
Dänen mit ihren Bootsmannsstühlen beinahe Schlange,
um ihn
hochzuwinschen. Das Fall lässt sich lösen, das Segel
kommt
runter, für den Rest der Woche hoffen wir - erfolgreich - das
Beste. Alte Holzboote haben ihre Tücken. Aber auch einen
unbeschreiblichen Sympathiebonus. Ich stoße mit Paula an auf
unsere Maus und den guten Ausgang eines weiteren Abenteuers.
Invasion der Aliens
Paula liegt träge an der Nordmole. Sonne. Hitze.
Draußen
eine hübsche Brise, doch wir warten. Warten auf Oli. Warten
auf
ihre neuen Gäste. Erneut ist Easy Going: Die Anderen kommen
erst nächste Woche zurück, nur eine einzige
Einweisung also,
dann haben wir wieder frei. Ich liege schlapp in der Koje, lese ein
bisschen, überlege, was es alles dringend zu tun
gäbe,
versuche zu schlafen.
Nicht die Hitze hält mich davon ab. Sondern das
unablässige
Brummen von Bugstrahlrudern. Zuerst ist das nur nervig.
Allmählich
kommt mir der Verdacht, der schleichende Untergang des Abendlandes habe
mit der Erfindung des Bugstrahlruders begonnen. Unterschwellig klingt
das die ganze Zeit nach schlechter Seemanschaft. Nach unkontrollierten
Hafenmanövern. Nach Gefahr. Ich rappele mich auf und sehe
nach.
Und stelle fest: Die Außerirdischen sind gekommen! Massenhaft
laufen sie ein in ihren PS-starken, riesigen Raumschiffen. Der einzige
geeignete Landeplatz weit und breit ist in diesem Teil des Hafens. Und
sie lassen sich nicht anders manövrieren, als mit
kräftig
Bugstrahlruder. Der Hafen füllt sich rapide. Ruhe
kehrt nicht ein - wer nun eintrifft, findet keinen
Wunschliegeplatz
mehr, muss also wieder abdrehen. Mit Bugstrahlruder. Unruhig
wälze ich mich in der Koje.
Die zurückliegende Woche hatte alles: Am Montag - von der
Lunkebugt nach Albuen - war es trotz im Laufe der Fahrt einsetzenden
Dauerregens ein toller Segeltag. Nicht ohne Tücken: Beim
Queren
von Weg T lief uns die massive Bugwelle eines Dampfers frontal
entgegen, und während ich noch überlegte, ob ich
darauf
irgendwie reagieren sollte, flog ein Block des Baumniederholers weg.
Raumschots bei 5 Windstärken ist ohne Baumniederholer richtig
scheiße, aber zum Glück haben wir ja immer einen
Schäkel in der Werkzeugkiste, und damit ließ sich
das
Problem schnell improvisieren. Im Hafen gab's dann einen
schönen
neuen Block.
Albuen ist ein wirklich phantastischer, einmaliger Ort. Nicht unbedingt
bei Kuchenbudenwetter - doch als es abends aufklart, gehe ich gleich
mal vor zum Leuchtturm und betrachte den Langelands Belt. Es gibt
angenehm wenig zu sehen: Eine Yacht läuft in den Fjord, die
Fähren pendeln, im Dunst verliert sich Langeland. Und ein paar
Schaumkronen zieren weiterhin das Wasser. Zwischendurch bei
Südwind lagen wir wirklich unruhig, aber inzwischen hatte es
wie
angekündigt auf West gedreht.
Für Dienstag war das Einsetzen einer stabilen Hochdrucklage
nebst
Hitzewelle angekündigt. Morgens um sieben war davon nichts zu
spüren: Wolkenverhangenes Albuen, West 4-5. Wir legten ab. Und
gönnten uns ein Experiment, für das ich eigentlich
ruhigeres
Wetter erhofft hatte. Aber wo wir schonmal hier waren nach zwei Jahren
Abwesenheit, versuchten wir unser Glück: Wir segelten ein
Stück in den Nakskov Fjord. Östlich von
Enehøje
führt ein dicht betonntes Fahrwasser zwischen grimmigen
Untiefen
hindurch nach Norden, übrigens an einem phantastischen
Ankerplatz
vorbei, ins Nørredyb. Das war alles auch bei sechs Knoten
Speed
nicht wirklich spektakulär, doch kurz vor Schluss gibt es eine
Schwelle, bei der man den Echolot am besten ignoriert, und zuletzt
mussten wir ein paar Schläge kreuzen - bei Solltiefe unter
drei
Meter und umgeben von Flachs. Selbst diese "tiefen" Stellen fand ich
nicht, das Echolot zeigte beharrlich unter zwei Meter an, aber wir
kamen durch. Super Nervenkitzel - das muss ab und an wirklich sein.
Der Himmel klarte auf, zwischen zwei Wenden telefonierte ich noch mit
jemandem, der mir ein Folkeboot zum Kauf anbot, und nachmittags war es
wirklich richtig warm. Und der Wind schwächelte.
Schwächelte
noch mehr. Aber da war ja mein Ehrgeiz - solange es immer mal wieder
mit 1,1 kn voranging, hatte ich kein Problem damit, dass es zeitweise
auch nur 0,7 waren.
Unser Ziel - das wir die letzten drei Stunden schon dicht vor Augen
hatten - war Agersø. Lisa (Folkeboot Tzefix)
schwärmt immer
davon und fährt bei jeder Gelegenheit hier hier, ich war da
noch
nie und konnte es bisher auch nicht, weil es im Kartensatz Rund Fyn
nicht drin ist. Nun hatten wir den Anschluss fürs
Smålands
Fahrwasser an Bord. Fazit: Nicht einzigartig oder spektakulär,
aber völlig okay. Der Ort ist gemütlich und
hübsch, und
wenn ich nochmal hier lande, werde ich mir einen Spaziergang zum
Leuchtturm im Süden vornehmen. Aber nicht bei an die
dreißig
Grad Hitze. Da liefen wir lieber wieder aus, sobald gegen Mittag ein
Brischen aufkam. Nach einer Viertelstunde hatten wir uns mit drei
Knoten ins Flautenloch gesegelt...
Es war ja mit Ansage: Der Gradientwind aus Südost setzte erst
spät ein. Bis dahin hatte sich das große, nahe
Sjælland schon so erwärmt, dass gleichzeitig die
Seebrise
aufkam - und die Überlagerung der beiden Kräfte
bewirkte,
dass wir mehr oder weniger in der Strömung nordwärts
trieben.
Im Süden war, am Gekräusel erkennbar, deutlich mehr
Wind.
Aber gegen die Strömung wären wir da wohl auch nicht
vorangekommen.
Wir trieben geduldig und erreichten die Nordspitze von
Agersø.
Große Enttäuschung: Dort war auch nicht mehr Wind.
Wir waren
nicht die einzigen - es gibt doch noch mehr Menschen, die einen
Segelurlaub auf einer Segelyacht segelnd
verbringen. Auch wenn man das
meistens genießen kann, aber manchmal ertragen muss.
Vorübergehend setzte sich die Seebrise massiv durch, mit fast
vier
Knoten ging es voran, schließlich erreichten wir das spontan
ersonnene Tagesziel wieder mit ein bis anderthalb Knoten:
Korsør. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, hier
hin zu
segeln, tat es jetzt nur, weil es das Nächste war, aber es war
überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil, der Sonnenuntergang
hinter
der Store Belt Bro und deren anschließende prächtige
Beleuchtung machen den Ort eigentlich zu einem absoluten Muss! Ein
bisschen zum Hohn setzte kurz nach dem Anlegen der Südost ein,
aber das war am späten Nachmittag auch zu erwarten.
Donnerstag: Um
fünf war ich wach. Unausgeschlafen zwar, aber voller
Tatendrang.
Husch, Rauschefahrt über den Großen Belt. Mittags
erreichten
wir Troense. Ich brauchte erstmal Mittagsstunde.
Freitagabend haben wir sturmfrei, Oli, Paula und ich. Samstag ist 5-6
Böen 7. Weisungsgemäß lassen sich die
Gäste Zeit
mit der Anreise. Sonntag ist kaum weniger böig, die
angekündigten Schauer und Gewitter bleiben zwar aus, aber wir
verschieben die Einweisung. Eine gute Entscheidung: Die Aliens reisen
ab, der Hafen leert sich und bietet Platz für lustige
Übungsmanöver. Die sind auch notwendig - mit der
Alexander
von Humboldt um Kap Hoorn gesegelt zu sein, qualifiziert nicht
unbedingt fürs Folkeboot. Sicheres An- und Ablegen
müssen wir
also üben, und ich bin froh, das nicht bei sechser
Böen
versucht zu haben. Der zwölfjährige Sohn, als Angler
am
Segeln eher desinteressiert, soll auch einbezogen und motiviert werden,
das erhöht nicht wirklich die Aufmerksamkeit für die
anstehenden Manöver. Montag Mittag habe ich den Eindruck, die
Familie könne losfahren. Die sechs Meilen nach
Skarø werden
sie schaffen, zumal statt schwach umlaufend ein hübsches
Brischen
von an die drei Windstärken weht.
Und was machen nun Paula und ich? Erstmal Mittagsstunde. Dann muss ich
auf jeden Fall noch einkaufen und abwaschen. Zwischendurch bedaure ich
eine weitere Errungenschaft der Menschheit neben dem
unsäglichen
Bugstrahlruder: Das Smartphone. Es verführt dazu, jede Stunde
das
neueste Update sämtlicher Wetterdienste zu studieren. Selbst,
wenn
es gar kein Update gegeben hat.
Jetzt haben wir eine Warnung vor Schauern und Gewittern. Aber kein
Wölkchen am Himmel. Dazu Regenradar, diverse Animationskarten
von
DMI, sowie den stets optimistischen Unterton von Windfinder (zumindest
für den aktuellen Tag, gleichzeitig suggerieren die die
Zuverlässigkeit einer Langfristprognose, die Sturm bis
Weihnachten verspricht). Letztlich
bleibt das Wetter perfekt - sonnig und trocken mit stetiger Brise aus
Ost - bis in die Nacht. Doch als ich mir sicher bin, dass uns ein
wundervoller Segelnachmittag zu entgehen droht, habe ich weder
eingekauft noch abgewaschen. Dafür ist das Hafengeld schon
bezahlt. Also bleiben wir. Morgen ist auch noch ein Tag.
Dienstag schwachwindig mit gelegentlichem Regen. Abends und nachts
Gewitter. Mittwoch eine schöne Brise aus Südost mit
latenter
Gewitterwarnung. Donnerstag und Freitag Flaute und
unbeständiges
Wetter. Fazit: Die ganze Woche lädt nur bedingt
überhaupt zum
Segeln ein. Ich mache etwas Anderes: Ich baue die Kuchenbude auf. Bei
bedecktem Himmel ist es endlich mal nicht zu heiß zum Denken.
Hausputz, Duschen, alles ganz in Ruhe, und nebenbei endlich mal wieder
ein paar Seiten schreiben - das ist ein besseres Szenario als
Flautengedümpel bei aufziehendem Unwetter.
Mittwoch segeln wir dann doch noch los. Ein Schauer über
Aerø schickt eine extrem kabbelige See voraus, von der ich
gar
nicht weiß, wo sie herkommt. Wir flüchten uns nach
Aerøskøbing. Finden eine Parklücke im
Folkeboot-Format, die einen Aufschießer zulässt -
die
Einladung nehmen wir gerne an. Donnerstag legen wir ohne Motor ab trotz
auflandigem Wind - der Tag ist schon gelungen, auch wenn wir
später nur noch in der Strömung treiben und ich die
Schauerwolke über Svendborg sorgenvoll betrachte. Und zwar
nicht
am Himmel, sondern auf dem Display im Regenradar. Moment mal - was tue
ich da eigentlich?
Wetter und Bericht
Björn ist frisch verliebt. Ich hoffe, ich darf das so
formulieren.
Und was gäbe es für einen schöneren
Liebesbeweis, als
seine Angebetete und ihre Kinder auf Jane einzuladen und mit zur
Svendborg Classic Regatta zu nehmen? Natürlich zerbricht er
sich
seit Wochen den Kopf, wie er sicherstellen kann, dass es ein tolles
Erlebnis wird - die sollen ja schließlich nicht vom ersten
Mal
entsetzt sein, sondern gerne immer wieder mit ihm segeln gehen.
Am Tag, bevor Janes neue Crew anreist, liegen Paula und ich in
Korshavn. "Ding-dong", eine SMS von Björn: Er verabschiede
sich
gerade gedanklich von Svendborg. Ich antworte mit drei Fragezeichen -
und bekomme als Erklärung: "Wir schaffen den Rückweg
nicht."
Dazu ein Hinweis auf die Langzeitprognose von Windfinder.
Halt! Es ist Sonntag. Die Regatta ist Freitag und Samstag. Am Mittwoch
danach soll Jane wieder irgendwo sein, wo Mutter und Kinder absteigen
und
heimreisen können. Was ja sogar von Svendborg aus keine
Unmöglichkeit wäre. Und diese Wetterseite
maßt sich an,
jetzt schon vorherzusagen, dass die ganze nächste Woche
Starkwind
ist. Björn kann nicht wissen, dass er damit gerade jetzt bei
mir einen
Nerv trifft. Ich trauere den Zeiten nach, als man zweimal
täglich einen Seewetterbericht am Radio hörte und
mitschrieb,
in dem man für die nächsten zwölf und
prognostisch
für die anschließenden zwölf Stunden eine
Vorhersage
für das komplette Seegebiet bekam: "Belte und Sund westliche
Winde
um 4, etwas zunehmend, später Schauerböen."
Daraus
musste man für sich etwas machen. Eine Entscheidung
treffen: Auslaufen oder nicht? Welche Richtung, wie weit, wohin? Dazu
musste man ein Gefühl für die Wetterlage entwickeln.
Musste
die Nase in den Wind halten, vielleicht mal einen Spaziergang zur
Hafenausfahrt unternehmen. Musste sich Gedanken machen, welchen
Einfluss zum Beispiel die Thermik auf den lokalen Wind vor Ort haben
würde. Und unterwegs musste man das Wetter beobachten und die
Veränderung der Bewölkung interpretieren.
Könner haben
auch noch einen gelegentlichen Blick aufs Barometer geworfen.
Heute bieten private und amtliche Wetterdienste umfassende
Informationen, mit updates rund um die Uhr, jederzeit
verfügbar,
solange das Smart Phone ein Signal empfängt, und dazu eine
Prognose für die nächsten zehn oder vierzehn Tage.
Man ist
also ständig informiert, wann und wo ein Schauer niedergeht,
der
Wind einschläft, dreht oder aufbrist, die Strömung
kentert
oder sonst etwas die gute Laune zu trüben droht.
Und ich stelle fest: Ich verbringe einen viel zu großen Teil
des
Segeltages damit, aufs Display zu glotzen, auf das Laden der Seite zu
warten und nachzusehen, ob wir es noch ans Ziel schaffen oder der Wind
gleich einschlafen wird. Betrachte einen Schauer, den ich bereits sehe,
ausgiebig im Regenradar. Versuche dort nachzuvollziehen, wohin er zieht
und ob er uns zu erwischen droht, obwohl ich das genauso gut am Himmel
beobachten könnte. Verlasse mich auf die Daten, die irgendein
Computer berechnet hat, auch wenn sie im Widerspruch zu allem stehen,
was ich um mich herum wahrnehmen könnte.
Ich habe da keine Lust mehr drauf. Immer auf diesen Klönkasten
zu
gucken, der mir suggeriert, heute schon zu wissen, was in einer Woche
um dreizehn Uhr für ein Wind ist. Ich will wieder eine grobe
Vorstellung haben, was heute und morgen zu erwarten ist, und meine
Sinne schärfen für das, was sich tatsächlich
entwickelt.
Mein energischer Appell an Björn: "Wenn die heute für
nächste Woche perfekten Wind ankündigen
würden,
könnte es doch genauso gut passieren, dass ihr fünf
Tage bei
Starkwind im Hafen hängt." Björn sagt: "Wie gut, dass
wir
telefoniert haben." Jane wird erstmal anreisen zur Regatta.
Der
Schauer über Svendborg zieht westwärts ab. Der
nächste bringt uns endlich mal wieder ein bisschen Wind. Wir
schaffen es in den Rundhafen. Von dort ist es nicht ganz eine Seemeile
zum Stadthafen, wofür ich mir bisher bestimmt nicht die
Mühe
gemacht hätte, die Segel auszupacken. Nun ist es vollkommen
klar,
dass der Außenborder weiterhin Pause hat. Wir legen an, mal
wieder
an der
Promenade. Segelpacken, Hafengeld bezahlen. Mittagsstunde. Bevor die
Charterboote sich erstmals seit Anfang Juni alle im gleichen Hafen
treffen - große Wiedersehensfreude! - flaniert ein
Punk-Pärchen entlang Jessens Mole. Die beiden kommen mir
bekannt
vor.
Sie sagt: "Beautiful boats." Er: "Is it dragonfly? Are they fast? It's
dragonfly. Right?" Ich winke ungeduldig ab, als er behauptet, neulich
in Kopenhagen auch schon solche Boote gesehen zu haben...
Svendborg Classic Regatta 2019
"Wir sind gut, Paula! Wir sind richtig, richtig gut!" Skeptisch sehe
ich mich um. "Aber wir können es immer noch vermasseln", rede
ich
meinem Boot zu. Und spüre: Wenn es nach Paula geht, vermasseln
wir
hier gar nix mehr. Wir sind einfach gut.
Es ist der erste Tag der Svendborg Classic Regatta. Wind 2-3 - auf dem
Weg zum Start, gegen die Strömung in der Abdeckung des Sundes,
mussten wir nach sechs Wochen erstmals wieder den Außenborder
starten, um nicht zu spät zu kommen. Paula bewies dabei ihre
soziale Ader und nahm gleich Folkeboot Havfruen und die Hansa-Jolle in
Schlepp. Havfruen ist das einzige Holzboot, dass mit den fünf
dänischen GFK-Booten wird mithalten können: Michael
segelt
seit Langem und erfolgreich Regatten mit, und diesmal hat er sich mit
Jesper verstärkt, einem dänischen Freund aus
Svendborg, der
seine ganze Erfahrung mit einbringt. Er kennt im Sund jeden Strudel und
jeden Neerstrom, und über Regattataktik muss man mit ihm nicht
diskutieren, sondern einfach tun, was er sagt.
Den GFK-Booten ist vor der Anreise nochmal das Unterwasserschiff
poliert worden. Kein Außenborder, kein Gramm
überflüssiges Gewicht, eine eingespielte Crew sitzt
auf der
hohen Kante, und die krachneuen Regattasegel sind soeben angeschlagen
worden. Die und Havfruen werden wir nur von hinten sehen, zu vergeben
ist der siebte Platz. Denn Paula hat nicht nur einen
Außenborder
mit, sondern einen zweiten in der Vorpiek. Unter Deck stapeln sich
Werkzeug, Klamotten und Ausrüstung - alles, was man
für zehn
Wochen unterwegs braucht. Das Schlauchboot vom Kajütdach ist
im
Hafen geblieben, aber eher wegen der Sichtbehinderung. Und ich hantiere
alleine im Cockpit, das kostet bei jeder Wende und Halse ein paar
Sekunden. Die anderen Fahrten-Folkeboote sind ähnlich
unterwegs, die
Regatta ist eingebaut in den Sommerurlaub.
Vor zwei Jahren segelte ich hier meine erste richtige Regatta. Paula
stellte punktuell unter Beweis, wie gut sie mithalten kann, aber um
eine vollständige Wettfahrt schnell zu sein, genügten
weder
ihr Elan noch meine Konzentration. Das änderte sich bei der
letzten Wettfahrt am zweiten Tag, als es mit 5-6 pustete und statt
Feintrimm nur noch gefragt war, alles dichtzuracken und den Kurs so zu
wählen, dass Paula fluffig lief. Da waren wir dann gut - und
das
heißt: An den Holzbooten mit Fahrtenseglercrews, die grob
unserer Kragenweite entsprechen, waren wir nicht nur halbwegs dicht
dran, sondern um einige Sekunden vorneweg.
Letztes Jahr litt die Regatta unter einem Sturmtief, das an beiden
Tagen nur jeweils eine Wettfahrt zuließ, an der auch nur
wenige
Folkeboote überhaupt teilnahmen. Wir hingegen liefen nicht nur
mutig aus, sondern hatten auch noch die wundervolle Paula mit dabei.
Die Zwölfjährige, mit Folkeboot Lovis und
deren gelegentlichen
Regattateilnahmen aufgewachsen, verriet mir die Starttaktik ihres
Vaters, erklärte mir die Flaggensignale und versorgte mich mit
jede Menge Tipps und Ideen, so dass ich sagen würde: Ich habe
eine
Menge von ihr gelernt. Dieses Jahr nun musste Paula am Montag nach der
Veranstaltung wieder zur Schule. Weil für Samstag und vor
allem
Sonntag Mordsgepuste angesagt war, entschied Vater Thorsten, dass Lovis
auf die Regatta verzichtet und schon Freitag zurück nach Kiel
segelt.
Keine Paula also auf Paula - aber im Geiste ist sie die ganze Zeit an
Bord. Wir fahren kein Manöver, ohne uns vorher zu fragen: Was
würde Paula sagen? Ich bin hochmotiviert und voll
konzentriert.
Beim Start verkriechen wir uns weder einsam an die Boje, noch halten
wir uns dezent hundert Meter im Hintergrund. Von einer nahen
Sperrgebietstonne nehmen wir Anlauf, bei halbem Wind mit dichter
Großschot und backstehender Fock. Ich habe vorher die Zeit
gemessen, die wir so zur Startlinie brauchen. Als ich sehe, dass vor
uns Platz ist, nehme ich Sekunden vor dem Startsignal die Fock
über. Hinterm Heck der Viking luven wir an - und sausen neben
die
Profi-Boote, die mit schlagenden Segeln genau an der Startlinie
gelauert haben und jetzt erst Fahrt aufnehmen müssen. Kaum am
Startschiff vorbei, wenden wir und suchen uns ruhiges Wasser auf dem
Weg zur Luvtonne.
Eines der GFK-Boote wendet ebenfalls früh. Ich nehme es zur
Orientierung, versuche ähnlichen Speed und ähnliche
Höhe
zu laufen. Und das klappt - die halbe Wettfahrt lang kleben wir fast an
deren Heckspiegel, es wirkt beinahe, als könnten wir, sobald
denen
ein Fehler unterläuft, womöglich sogar ans
Überholen
denken. Vor
allem aber bleiben Smilla, Fairplay, Jane, Pommery und die anderen
Fahrtenboote vom Start weg hinter uns.
Im weiteren Verlauf kommt ausgerechnet Pommery allmählich auf
-
Erik ist auch alleine an Bord, kommt aber mit diesem Handicap
mindestens so gut klar wie ich. Aber Paula ist entschlossen, sich nicht
mehr einkriegen zu lassen. Und ich merke, dass ich sowohl von den
vielen Segeltagen der letzten Wochen, bei denen wir jede Flaute
ausgesessen bzw. ausgesegelt haben und auch bei Hafenmanövern
eine
Menge Feingefühl üben mussten, jetzt erheblich
profitiere -
als auch von Paulas Instruktionen vom letzten Jahr. Ich denke, sie
wäre zufrieden mit mir. Und das ist mir wichtig. Locker
schaffen wir das Maximum dessen, was hier
für uns erreichbar ist: Siebtschnellstes Folkeboot.
Die zweite Runde auf dem Dreieckskurs fällt
schließlich aus
Zeitmangel flach, stattdessen geht es gleich zum "Home Race"
zurück zum Hafen. Wieder siebter Platz. Der nächste
Tag
beginnt bei Windstärke vier, zum Start werden daraus
fünf,
beim zweiten Start sind es sechs, und vor dem Home Race werden sieben
Windstärken gemessen. Da sind wir für uns alleine auf
dem
Rückweg, wir haben beschlossen, aufzuhören, wenn es
am
schönsten ist.
Die erste Wettfahrt am zweiten Tag ist hochgradig spannend: Fairplay
hat sich mit der Crew von Smilla verstärkt und lässt
sich
nicht abschütteln. Auf dem langen Downwind kommen sie mit
ausgebaumter Fock auf, ziehen an der Wendetonne vorbei. Für
die
Zielkreuz fahre ich bewusst in die andere Richtung als Fairplay: Ich
will mich auf Paulas Kurs konzentrieren, nicht darauf, was die anderen
machen. Das klappt exzellent, wir liegen erkennbar wieder vorne.
Doch dann fahre ich die vermeintlich letzte Wende zu früh, so
schaffen wir es nicht ins Ziel. Als sich die Kurse Kreuzen, liegt Paula
vielleicht fünf oder sechs Bootslängen vorne, aber
Fairplay
braucht nur noch eine Wende und Paula zwei. Die zweite fahren wir
beinahe auf der Zielline vor dem Bug der anstürmenden
Fairplay.
Jetzt schnell schnell Fahrt aufnehmen, los Paula, eieieiei, ist das
knapp, aber...ja! Acht Sekunden trennen uns laut Ergebnisliste - und
auf beiden Boote sind alle begeistert von diesem hochgradig spannenden
Race.
Bei der zweiten Wettfahrt hat es aufgebrist. Der Fockausbaumer bringt
Fiarplay keinen Vorteil mehr, downwind fliegen wir mit dichter
Fockschot der
Leetonne entgegen, und auf der Kreuz lässt Paula heute sowieso
nichts anbrennen. Erneut Platz sieben, jetzt wieder souverän
und
mit mehrminütigem Abstand nach vorne und hinten. Besser kann
es
nicht mehr werden, wir kehren zurück in den Hafen.
Segeln ist so ziemlich die einzige Sache, die mir wirklich viel
bedeutet. Ich gebe zu, auf die Leistung und die Platzierung bin ich
einigermaßen stolz. Abends nimmt Michael ich beiseite: "Ich
soll
dir von Jesper ausrichten: Hut ab!"
Auch Frieda und Martha aus meiner Charterflotte nehmen teil.
Erwartungsgemäß - nach nur vier Tagen
Folkeboot-Erfahrung
- segeln sie hinterher. Ich hätte gehofft, dass sich zwischen
den
beiden ein ähnlich spannendes Rennen um den vorletzten Platz
entwickelt wie zwischen Fairplay und uns um den siebten. Aber Frieda
hängt
ihre
Schwester doch deutlich ab, Martha erreicht das Ziel so spät,
dass
sie gar nicht mehr gezeitet wird. Für die Crew war es trotzdem
eine schöne, neue Erfahrung.
Ein bisschen schade ist, dass das Rahmenprogramm der Regatta diesmal
nicht im altehrwürdigen Pakhus stattfindet. Versehentlich
wurde es
für eine Hochzeitsfeier vermietet. Briefing, Essen und
Siegerehrung finden also in einem nüchternen Zelt statt. Und
den
Veranstaltern ist es nicht gelungen, dort auch nur einen Hauch der
gewohnten Atmosphäre aufkommen zu lassen. Keine Musik, keine
Diashow von den Ereignissen des Tages, statt dessen eine kurze, knappe
Siegerehrung, bevor sich alle an Bord zurückziehen.
Das macht aber gar nichts, denn das soziale Leben an Bord der
Folkeboote ist absolut phantastisch. Die deutsche Delegation kennt sich
inzwischen seit Jahren von Folkeboot-Treffen, Svendborg und anderen
Gelegenheiten, und die Dänen haben auch bemerkt, dass da jedes
Jahr ein Schwung sympathischer, aufgeschlossener Menschen mit ihren
gepflegten Holzbooten anreist. Allmählich kommen wir
dreisprachig
ins Gespräch.
In den letzten beiden Jahren sind Lovis, Pommery, Havfruen und Lucky
gemeinsam nach Svendborg gesegelt. Paula und ich waren in
Flottillentörns eingebunden. Diesmal haben wir frei und sind
schon
vor Ort, können uns also unseren Freunden ohne Weiteres
anschließen - und so bekommt der soziale Aspekt des
Wochenendes
einen viel größeren Stellenwert.
Wer Hafenkino genießen will, muss auch mal welches liefern
Montag vor der Svendborg Classic Regatta. Die Chartercrews sind
eingewiesen und gemeinsam nach Strynø gesegelt. Paula und
ich
haben uns eine etwas längere Tour gegönnt und liegen
in
Korshavn. Das Anlegen ist ein bisschen bemerkenswert: Bei ordentlich
Wind um die 5 - gerechnet hatte ich mit Flautengedümpel -
traue
ich mich zunächst nicht, mit dem Groß in den
winzigen Hafen
zu segeln. Die Bretterwand, die als Windschutz dient, lässt
nicht
erkennen, ob dahinter überhaupt Platz ist. Also nehme ich das
Groß frühzeitig runter, kurz vorm Hafen auch die
Fock, und
lasse Paula vor Topp und Takel um die Außenmole sausen. Erst
sind
wir zu schnell, und als wir verhungern, bekomme ich keinen Pfahl und
gar nichts zu fassen. Paula vertreibt. Ich nehme die Fock wieder hoch.
Mühsam hoppeln wir wieder raus. Groß hoch, Fock
runter,
Wende und neuer Anlauf - ich weiß ja jetzt, dass wir Platz
für einen sauberen Aufschießer haben, der uns direkt
an
einen freien Liegeplatz bringt.
Seit Grenaa vor sechs Wochen haben wir den Außenborder genau
zweimal benutzt: Einmal, um den Regattastart nicht zu verpassen. Und
dann, um im engen für die Regatta reservierten Hafenbecken
nicht
von der massiven Strömung überfordert zu werden.
Ansonsten
war jedes An- und Ablegen unter Segeln, in jeder Flaute sind wir noch
in einen Hafen gekommen. Das hat sorgfältige Tagesplanung
erfordert, um nicht irgendwo draußen rumzuhängen und
nicht
mehr voranzukommen. Und es hat meinen Blick geschult für die
Situation - sowie den richtigen Trimm. Auf die nötige Geduld
bin
ich als Gelegenheits-Choleriker ein bisschen stolz: Wenn es
fünfhundert Meter vorm Hafen nur noch mit 0,4 Knoten
vorangeht,
dauert es eben eine Stunde länger...
Wenn ich wie in Korshavn nochmal den Plan ändern und die
Beseglung
wechseln muss, finde ich das überhaupt nicht schlimm. Im
Gegenteil, letztlich war das ziemlich souverän. Die Beobachter
auf dem Steg dürften sich aber ziemlich
gewundert
haben. Das taten sie allzu oft, wenn wir mit dem Groß an
einen
Heckpfahl heransegelten und ich nicht etwa erleichtert Leinen warf,
sondern in aller Ruhe am Pfahl festmachte, das Segel barg und dann die
drei fehlenden Meter von Hand zurücklegte. Sie wunderten sich
auch, wenn das Folkeboot den kompletten Hafen aufkreuzte. Bei unserer
ersten Ankunft in Svendborg lag Salty schon längsseits an
einem
der Schwimmstege, und natürlich wollte ich unter Segeln
längsseits gehen. Im ersten Anlauf probierte ich erstmal den
Effekt der Strömung aus. Im zweiten Anlauf erwischte uns eine
Bö - ich drehte wieder ab. Da waren alle Nachbarn schon in
heller
Aufregung, vermuteten wohl ein Problem und boten Hilfe an. "Nein nein,
alles ok", sagte ich - und vermasselte den dritten Anlauf durch einen
zu kurzen Aufschießer. Im vierten Versuch passte das Tempo,
ich
stieg auf Salty über, Vor- und Achterleine in der Hand, und
zirkelte Paula an Saltys Fender. "Angedockt", verkündete ich.
Und
war ganz zufrieden mit dem Manöver.
Manchmal lief es weniger elegant. Da war in der Regel viel Wind im
Spiel. In Musholm eine stramme fünf, und die flache Sandbank
bietet null Abdeckung. Meine Tagesform war ohnehin miserabel: Zuerst
war ich nach Sicht auf die falsche Steilküste zugefahren,
Reersø statt Musholm, und das bescherte uns eine halbe
Stunde
platt vorm Laken bei erheblichem Seegang. Dann setzte Paula in den
Wellentälern mehrfach auf einer Sandbank auf, die ich zwar im
letzten Moment noch unter Wasser schimmern sah, zuvor aber in ihrer
Ausdehnung schlicht unterschätzt hatte. Vermutlich
wächst sie
von Jahr zu Jahr erheblich an die anschließende Fischzucht
heran.
In Zukunft werden wir entweder von Süden einlaufen oder die
komplette Fischzucht umrunden - jetzt war ich einfach nur froh, dass
die Wellenberge uns weiterbrachten, bis das Wasser wieder tiefer wurde.
Nun mussten wir nur noch anlegen. Der erste Aufschießer
geriet zu
kurz. Fand ich nicht schlimm. Der zweite Aufschießer war
perfekt
- aber dann, den Poller schon im Arm, wollte ich es zu gut machen mit
dem Belegen der Vorleine. Ich zirkelte mit der einen Hand an der Leine
herum, mit der anderen Hand ließ ich den Poller los. Paula
trieb
ab. Also alles nochmal von vorn, und diesmal klappte es auch.
In Albuen - strömender Regen, ebenfalls üppig Wind,
noch dazu
von der Seite, und keinerlei Abdeckung - traute ich mich nicht, mit dem
Groß längsseits am Fingersteg anzulegen. Mit der
Fock ist es
aber wirklich tricky: Wir wurden nicht langsamer, als ich die Schot
öffnete. Als ich das merkte, waren wir schon an der Pfahlreihe
vorbei. Vollruderlage, null Sicht durch die schlabbernde, auswehende
Fock, und dazu die unangenehme Erinnerung daran, dass zwischen den
ganzen Holzpfählen ein einziger fieser Metallpfahl steht, noch
dazu so schräge, dass er die ganze Bordwand aufschlitzen kann,
wenn es schlecht läuft. Als ich wieder sehen konnte, wo wir
hinfahren, war die Außenhaut weitgehend unversehrt. Aber in
bisschen Lack hatte der doofe Pfahl sich geklaut. Wir erreichten
schließlich den Steg mit mäßiger Fahrt,
die ich nach
dem Übersteigen glaubte, problemlos aufzustoppen zu
können.
Doch der Steg war nass und vermoost - ich schlidderte einfach nur neben
Paula her wie beim Stand-up-Paddling. Ich hatte immerhin die Ruhe, ihr
zu sagen: "Das musst du machen, ist sauglatt hier." Sie lehnte die
Scheuerleiste an einen Pfahl und stoppte auf.
Ablegen unter Segeln ist häufig einfacher, als erst mit dem
Motor
rumzuhühnern und erst dann - in Fahrt, mit wenig Platz oder im
Seegang - das Tuch hochzuziehen. Das Groß bekommt aber
unweigerlich
Druck bei halbem Wind oder achterlicher. Wenn es zur Hafenausfahrt auf
einem Raumschotskurs geht, kann man vor Topp und Takel losfahren und
erstmal schnell die Fock setzen. Wenn man aber anschließend,
um zum
Beispiel auf Lyø am Fähranleger vorbeizukommen,
wirklich
Höhe laufen muss, braucht man das Groß. Es gibt
einen
einzigen Weg, unfallfrei mit gesetztem Groß um 120 Grad
abzufallen, ohne Fahrt aufzunehmen: Groß backhalten und ein
Stück rückwärts fahren, um vorne Platz zu
gewinnen. Denn
sonst fährt das Boot, ohne es zu wollen, in irgendeine Box.
Mit
hoher Wahrscheinlichkeit eine Box, in der eine fremde Yacht liegt...
Einmal in Aerøskøbing hatte über Nacht
der Wind
gedreht und kam rechtwinklig auflandig. Das verlangt eigentlich danach,
sich unter Motor aus der Legerwallsituation zu befreien. Allerdings war
es nicht allzu viel Wind. Das Päckchen vor uns hatte sich
gerade
auf ein einziges Boot reduziert, also war ich der Meinung, der Platz
sei ausreichend: Vorne abdrücken, hinten von Hand
tüchtig
Fahrt aufnehmen - das brachte uns weg von den Nachbarliegern. Und dann
schnell schnell das Groß hoch. Klappte vorzüglich.
Als ich den Anleger in Korshavn Erik schildere, simst er
zurück:
"Wer Hafenkino genießen will, muss auch mal welches liefern.
Pommery ist immer zu solchen Scherzen aufgelegt." Da weiß ich
noch nicht, dass dieser Satz das Programm der nächsten zwei
Wochen
prägen wird. Pommery und Lovis liegen in Hørup
Hav. Erik
schreibt: "Henri und Paula wollen morgen nach Lyø." Zwar war
ich
davon ausgegangen, dass wir uns früher oder später in
Korshavn treffen, aber jetzt gibt es nur eine Antwort: "Was Paula will,
möchte Paula auch." Am Dienstag segeln wir also nach
Lyø.
Wir finden einen Platz in der hintersten Ecke. Lovis und Pommery legen
erst um fünfzehn Uhr ab und haben bei relativ wenig Wind gute
25
Meilen vor. Als sie, ab Skjoldnæs unter Motor, kurz vor
Sonnenuntergang eintreffen, haben sich vor uns schon diverse Yachten
ins Päckchen gelegt. Mit ein bisschen Absprache sorge ich
dafür, dass der Weg in unsere Ecke frei bleibt. Und dann
kuscheln
sich die drei Folkeboote aneinander, Lovis' Bug gut abgefendert
zwischen den Hecks von Pommery und Paula.
Die Kinder und Papa Thorsten gehen gegen Mitternacht schlafen. Erik und
ich sitzen bis zwei Uhr im Cockpit - Folkeboot-Klönschnack
kann
endlos dauern. Trotz des wenigen Schlafs bin ich um acht Uhr
einigermaßen munter, bleibe aber noch entspannt in der Koje,
bis
es nebenan laut knallt. Ich gucke von unter der Kuchenbude hervor. Aus
Lovis' Schiebeluk blinzelt eine verschlafene Paula, der gerade der
Lukendeckel aus der Hand gerutscht ist, gegen die Morgensonne. "Hab ich
dich geweckt?", fragt sie schuldbewusst. Hat sie aber nicht. Und wenn
sie es hätte, wäre es der charmanteste Weckruf seit
Jahren
gewesen.
Flottillentörn ohne Chartergäste und Verantwortung,
statt
dessen mit ganz wundervollen Menschen, die ich am liebsten die ganze
Zeit knuddeln würde - das ist neu für uns und absolut
phantastisch. Ich habe eine richtige Urlaubswoche mitten im Sommer! Wir
hocken mal in diesem Cockpit, mal unter jener Kuchenbude, segeln tun
wir auch, aber immer nur ein kleines Stück auf den Nachmittag.
Trotzdem liefert jeder Tag seine bezaubernden Anekdoten.
In Faaborg kommen wir vom Eisessen zurück, als ein viertes
Folkeboot neben uns liegt. Ich erkenne Frieda sofort - ganz ohne
Charterer kommt meine Urlaubswoche also nicht aus. Die beiden brauchen
eine Weile, bis sie mich und mein Boot erkennen. Inzwischen zieht
ein
Schauer auf. Erik, Familie Lovis und ich liefern uns bei den ersten
Tropfen ein Wettrennen im Kuchenbudenaufbau. Erik ist gehandicapt -
sein letzter Mitsegler hat die aufgerollte Kuchenbude allzu
gewissenhaft mit Tauwerk umwickelt.
Zwischendurch wendet sich einer von Friedas Gästen an Paula
(!)
und fragt: "Haben wir sowas auch?" Ich bin ein bisschen irritiert, habe
ich doch die Kuchenbude bei der Einweisung mehrfach erwähnt.
Doch
Paula sagt ganz abgeklärt sowas wie: "Ja, habt ihr. Guck mal
unter
Deck."
Zweifellos ist es für Friedas Kuchenbude aber schon ein
bisschen
spät - die Tropfen werden größer und die
Crew
schön nass. Der Skipper winkt ab: "Echte Segler brauchen sowas
nicht." Als Erik endlich fertig ist, machen wir es uns auf Pommery
gemütlich. Erik möchte gerne sehen, wie Friedas
Charterer
jetzt in der Badehose im Cockpit sitzen und ihr Bier weitertrinken. Ich
vermute sie eher im Ölzeug. Als der Regen nachlässt,
verrät ein Kontrollblick: Weder noch, sie kauern unter Deck.
Als
der Schauer durch ist, wird es für uns langsam Zeit
für den
Gang zur Pizzeria. Erik und ich nehmen uns vor, früher zu Bett
zu
gehen als gestern. Wir schaffen es nur um zehn Minuten.
Auf dem Weg nach (erneut) Korshavn zieht der eine Schauer vor uns
durch, der andere hinter uns. Der kurz vorm Auslaufen konsultierte
Regenradar hat übrigens nur einen davon angezeigt, vielen Dank
dafür. Paula hat als Erste abgelegt, Daumen nach oben geerntet
für die Kreuz durch den kompletten Hafen, und
schlängelt sich
jetzt mit etwas Vorsprung zwischen den finsteren Wolken hindurch. Unser
Ziel bleibt beständig in der Sonne, das ist beruhigend,
während es hinter uns blitzt und donnert. Lovis und Pommery
werden
nass, Paula bleibt trocken, und die befürchtete Bö
ist
harmlos.
In Korshavn sind wir mit Havfruen und Michael verabredet. Und zum
gemeinsamen Kochen: Jeder taucht in die Tiefen der Vorratskammer, wir
schmeißen zusammen, was wir dabei haben. Henri und Erik gehen
schaukeln, Michael klart sein Boot auf und entkorkt Rotwein. Thorsten
und Lovis kochen Nudeln. Paula, Paula und ich die Soße. Diese
Art
von Hafenleben, so sehr sie in Kontrast steht zu dem, wie es sonst
für mich ist, ist jetzt schon höchst angenehm
vertraut. Wir
speisen auf Paula - die hat das größte Cockpit.
Heute
zieht es Erik schon vor Mitternacht in die Koje. Macht nix, Michael
leistet mir Gesellschaft bis kurz nach halb zwei. Immerhin, schon
wieder zehn Minuten früher...
In Svendborg erwartet uns unter Anderem die Love Story des Sommers. Was
es damit auf sich hat, soll Björn in seinem eigenen Blog
berichten. Auf jeden Fall empfängt er uns in Begleitung der
vierjährigen Julika. Leuchtend rotes Haar,
knallgrünes Kleid
- sie ist ein Blickfang. Wenn es darum geht, sämtliche
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, kennt sie auch sonst keine Scheu:
Kaum haben wir angelegt, zeigt sie auf Björn und
erklärt mit
heller, klarer, schöner, unüberhörbarer
Stimme: "Ich bin
die Steuerfrau von dem!"
Freitagabend - wir sind alle traurig, weil Lovis abgereist ist, und
euphorisch, weil die Regatta so toll war - muss Erik alleine bei
Bendixen essen. Julika hat sich von Björn durchs Hafenbecken
rudern lassen, um mir mitzuteilen, dass ich zum "Krillen" eingeladen
bin.
Das gibt mir Gelegenheit, auch ihre Mutter und ihren "Pruder"
kennenzulernen. Aber es hält mich nicht davon ab, Erik
später
noch in der "Kamerateriet" zu treffen. Vor Mitternacht schlafen - das
klappt momentan einfach nicht. Wie ich es trotzdem schaffe,
während der Wettfahrten über Stunden voll
konzentriert zu
bleiben, ist mir ein Rätsel. Vielleicht liegt es an all den
Glückshormonen - es ist einfach so schön in dieser
Gruppe.
Der Saisonhöhepunkt ist vorbei. Nach und nach reisen die
Regattateilnehmer ab. Das Wetter wird kühl mit vielen
Schauern.
Die Hauptferienzeit ist definitiv vorbei, es kehrt fast ein bisschen
Ruhe ein im bisher so turbulenten Hafen. Auch wir müssen
schweren
Herzens zurück an die Schlei - aber es fühlt sich an,
als sei
es der richtige Moment.
Die neuen Gäste auf Frieda und Oli haben die Woche als
Flottille
gebucht. Erik und Pommery schließen sich uns kurzerhand an,
für einen Tag kommt auch Jane mit. Kein Tag vergeht ohne
beeindruckende Schauerwolken mit amtlichen Böen.
Strynø,
Aerøskøbing, Lyø - kurze
Schläge,
schönes Segeln, das bei längeren Strecken durchaus
hätte
anstrengend werden können. Immer wird mindestens ein Boot von
oben
nass, aber mindestens eins bleibt auch trocken, und alle machen die
Erfahrung, dass man ein Folkeboot auch bei Windstärke sieben
genussvoll segeln kann. Für die miserable Wetterlage -
Stichwort
"Trog" - gelingt uns eine zwar kurze, aber vielfältige und
gemütliche Runde. Vor allem ist die Gruppe überaus
angenehm
und harmonisch, wozu auch Erik seinen Beitrag leistet - den
würde
ich jedes Mal wieder mit auf Flottillentörn nehmen, und wer
weiß, ob sich das nicht in Zukunft tatsächlich
ergibt. Auf
jeden Fall sind wir schon verabredet, vor der nächsten
Svendborg
Classic Regatta die kleinen Inseln im Lindelse Noor unsicher zu machen.
Wenn dann auch Lovis dabei ist, ist alles gut.
Als wir Lyø erreichen, habe ich wieder die
südwestliche
Ecke von neulich im Sinn. Wir kreuzen rein. Auf unserem Lieblingsplatz
ist gerade eine kleine Segelyacht mit einem recht
umständlichen
Ausparkmanöver beschäftigt. Es ist aber die einzige
Chance,
mit den vier Booten nebeneinander zu liegen. Wir fahren eine Wende,
eine Halse, legen uns erstmal an die Pier und warten ab. Erik
informiere ich über Funk: "Unser Gate ist noch besetzt. Wir
warten
auf dem Rollfeld." Er segelt an einen Pfahl, birgt die Segel und
tucht sie auf. Kurze Zeit später sind Paula und Pommery fest,
die
Charterboote folgen.
Nach einem pustigen, regnerischen Liegetag kehren wir zurück
nach
Arnis - schnelle Reise bei 4-5, nicht ohne den obligatorischen Schauer
kurz vor Schleimünde. Paula und ich kreuzen voller
Enthusiasmus
die Schlei auf, liegen eine Dreiviertelstunde vor der Brücke
bei,
durchfahren sie mit kurzem Motoreinsatz und segeln nach Arnis. Zwischen
den Stegen ist laut Hafenordnung das Segeln verboten. Ich halte mich
daran, berge frühzeitig das Groß und hangele Paula
die
Pfähle entlang zu ihrem Liegeplatz.
Unser Gate ist besetzt. Von einer Motoryacht mit Maschinenschaden. Wir
bleiben auf dem Rollfeld. Wie ein Tausendfüßler
krabbelt
Paula an der Kranplatte entlang, dann am Floß mit dem SeaBin,
schließlich der Sorgleine von Doris' Box, zuletzt nach
mühsamer Rundung des Heckpfahls auf genau diesen Liegeplatz.
Endlich mal frühe Koje? Klappt nicht. Marthas
Überführungscrew hat abgesagt, ich fahre mit den
neuen
Gästen zurück nach Svendborg, mache Einweisung, esse
noch
Fisch & Chips bei Bendixen und kehre dann mit dem fremden Wagen
nach Arnis zurück. Jane liegt im Hafen, ich treffe
Björn -
der noch nichtmal Zeit hatte, das Ölzeug auszuziehen - bei
Specht's, und wir bekommen trotz später Stunde noch das eine
oder
andere Bier.
Zum Schluss möchte ich auf das Thema Hafenkino
zurückkommen.
Beim Start in Lyø haben wir genau die beschriebene
Situation:
Segelsetzen am Pfahl bedeutet anschließendes Abfallen auf
Raumschots. Den Charterern empfehle ich, unter Motor auszulaufen, denn
das hier ist tückisch und für Fortgeschrittene. Erik
wagt es.
Pommery liegt am Pfahl. Beim Segelsetzen sehe ich, dass die
Großschot irgendwo hakt. Das Segel hat Druck. Mir scheint
aber,
Erik hätte es bemerkt und korrigiert, bevor er auch die Fock
setzt. Er löst die Vorleine und stößt
Pommery ab. In
der Annahme, gleich den nächsten Pfahl zu fassen zu kriegen,
bleibt er auf dem Vorschiff. Die Großschot hakt weiterhin,
Pommery segelt los, munter in die (zum Glück leere)
übernächste Box. Wer Hafenkino will, muss auch mal
welches
liefern...
Erik hat es allerdings drauf, daran besteht kein Zweifel. Seelenruhig
legt er die Vorleine um den vorbeihuschenden Pfahl und hält
gegen.
Pommery stoppt auf. Dann fahren die beiden nur mit der Fock aus dem
Hafen. Schade nur, dass sie dadurch verpassen, wie Paula, ich und das
backgehaltene Groß das Problem lösen...
* Wir mögen Spötter sein, doch wir mögen
uns. Dank an
Svendborg, Erik, Paula, Henri, Thorsten, Michael, Julika,
Björn,
eure Boote, wunderbare Chartergäste und alle Anderen
für
unvergessliche Wochen *
weiter: Wasser
marsch! Zum Glück Glücksburg