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"Dragonfly? Are they fast?" Sechs Wochen Svendborg

Wir liegen an der Promenade und warten auf die neuen Gäste. Ein Punk-Pärchen schlendert vorbei. "Beautiful boats", sagt die junge Frau. Ihr Liebster fragt: "Is it dragonfly?" Ich schüttele den Kopf und sage etwas von Folkebooten, aber er beachtet mich nicht. "Dragonfly?", beharrt er. Seine Freundin wundert sich, dass die drei Boote so gleich aussehen. Er hingegen scheint noch gar nicht bemerkt zu haben, dass die Rümpfe getrennt sind und jeder sein eigenes Rigg hat. "Dragonfly", verkündet er stolz und fragt: "Are they fast?" Ich zucke die Schultern - ist ja immer relativ. Ein moderner Trimaran ist definitiv schneller. "They are fast", freut sich mein neuer Freund. Ich hätte sagen sollen: "Yes, very fast." Aber ich wusste ja noch nicht...

Juni/Juli2019

Ein Versuch

Fünf Wochen Bootsübergaben in Svendborg - es ist ein Versuch. Und aus meiner Sicht ein voller Erfolg: Wir sparen uns den immer gleichen, reizlosen Weg über den Kleinen Belt zu Beginn und Ende jedes Törns, müssen nicht ständig auf passenden Wind schielen, können unbeschwert lossegeln und haben allenfalls den Gezeitenstrom des Svendborg Sunds zu beachten. Die Charterer steigen aus dem Auto und sind im Urlaub: Im Ausland, mit fremder Sprache und Kultur. Der nächste Hafen liegt zwei Seemeilen entfernt und ist wunderschön. Kinder und segelunkundige Mitsegler müssen nicht erst fünf Stunden durch mächtigen Seegang gequält werden, man kann die Woche in kleinen Schlägen und geschütztem Revier genießen. Wer weiter will, dem stehen drei Richtungen offen. Und wer sich nicht allzu weit vom Ausgangspunkt entfernen, aber dennoch viel segeln möchte, kann im Slalom um die Inseln fahren, jeden Tag vierzig Meilen zurücklegen und in einem Radius einer kurzen Tagesdistanz bleiben.

Svendborg selbst bietet alles, was man braucht: Quirliges Hafenleben, kultigen Fischimbiss, Supermarkt bis 21 Uhr offen und zu Fuß erreichbar, Bootsausrüster und ringsum glückliche Gesichter. Natürlich auch Bugstrahlrudergedröhne von morgens bis abends und das Problem, jeden Freitag einen Längsseitsplatz zu ergattern, an dem die zurückkehrenden Charterboote ins Päckchen gehen können. Das gelingt zuverlässig gegen zehn Uhr morgens, daran richte ich unsere Wochenplanung aus. Für Einweisungen und Skippertrainings gibt es ganz neue Möglichkeiten: Slamlomparcours zwischen Dalbenreihen, ein Gefühl für den Außenborder ergibt sich dabei in wenigen Minuten.

Das Svendborg-Experiment beginnt mit einem logistischen Problem: Einzig Salty hat das Ziel pünktlich erreicht, aber ihre neuen Gäste reisen krankheitsbedingt verspätet an. Für die Anderen endet die Sommerreise notgedrungen in Kerteminde. Am Samstag trifft Jens dort ein. Seit drei Jahren hat er es vor lauter Arbeit nicht mehr geschafft, sein eigenes Boot ins Wasser zu bringen - jetzt feiert er das erste Segelsetzen nach langer Abstinenz mit einem Urschrei. Ich bringe seinen Wagen nach Svendborg, verlängere Saltys Hafengeld und kehre mit Bahn und Bus zurück. Jens und Oliese begeben sich auf ihre dreiwöchige Reise.

Am Sonntag trifft Marthas Crew ein: Die siebenjährige Liv mit ihrem Papa. Verabredet sind sie mit Friedas Gästen, doch die haben erst ab Montag Zeit. Während wir warten und Papa Mittagsstunde hält, bringt mir Liv Krebse Angeln bei. Besser gesagt: Wir versuchen es mit dem falschen Köder und ohne Kescher, das klappt nicht besonders gut. Später hilft sie mir bei der Einweisung auf Frieda. Die Gäste ignorieren meinen Vorschlag, vor dem Auslaufen eines der Autos nach Svendborg zu transferieren. Ist mir egal - nach vier Wochen Flottille brauchen Paula und ich ein bisschen Ruhe. Und wo könnte man die zuverlässiger finden, als auf Musholm? Fünfzehn Meilen sind noch gut zu machen, wenn man erst gegen siebzehn Uhr loskommt, zumal Paula mit siebeneinhalb Knoten über den Großen Belt fliegt. Das scheint allmählich unser Standardtempo zu werden - wenn es so weiter geht, brauche ich bald einen Pilotenschein.

Von Musholm segeln wir - anfangs schon wieder so rasend schnell - nach Svendborg. Saltys Gäste haben endgültig abgesagt, wir müssen erneut Hafengeld nachbezahlen. Treu und zuverlässig hält Salty uns den Längsseitsplatz am Schwimmsteg frei, ansonsten hat sie Pause. Längsseits Gehen unter Segeln, bei Strömung und Böen - an einem fremden Boot hätte ich Hemmungen gehabt. Wir brauchen vier Anläufe, bis der Speed passt. Da ist der Hafen schon in heller Aufregung, alle denken, wir hätten ein Problem. Naja, haben wir ja auch: Seit Grenaa ist der Außenborder nicht mehr gelaufen - ich entwickele einen gewissen Ehrgeiz.

Den Rest der Woche verbringen wir mit Taasinge rund. Zuerst linksherum mit Ziel Troense, dann rechtsherum von Troense nach Troense. Die mitlaufende Strömung sorgt diesmal nicht für Geschwindigkeitsrekorde, aber immerhin spült sie uns durch die Flaute. Den Hafen erreichen wir zeitgleich mit Martha, Liv winkt euphorisch. Sie hat inzwischen Krebse fangen gelernt: Mit einem Stück Wurst, eingepackt in das Netz, in dem im Laden der Knoblauch verpackt ist, lassen sich die Viecher dutzendweise anlocken.

Über Troense muss übrigens erwähnt werden: Der alte Kult-Hafenmeister gehört der Vergangenheit an. Er lebt noch, ich sehe ihn abends seine Einfahrt fegen, aber das Hafengeld kassiert jetzt ein Automat, alles Andere wirkt ein wenig professioneller und zeitgemäßer, dabei durchaus weiterhin liebenswert - es ist eben ein Vereinshafen. Doch der Fünfundachtzigjährige mit der Mütze wird wohl auch keine Flaggenparaden mit antikem Cabrio mehr durchführen.

In Svendborg erwartet mich Arbeit. Friedas Göhl ist schon wieder kaputt - vermutlich Spätfolge des Schadens im Mai, und das gelöste Großfall vorletzte Woche wird auch seinen Beitrag geleistet zu haben. Jedenfalls rutscht das Kopfbrett aus der Führung. Außerdem haben die Gäste den Spirituskocher überfüllt und gleichwohl einfach angemacht. Er stand - zum Glück an Land - in hellen Flammen und sieht jetzt fürchterlich aus. Ich bitte sie, mir beim Mastlegen zu helfen. "Ist doch selbstverständlich", heißt es.

Svendborg ist auch in dieser Hinsicht phantastisch: Der junge Mann im Hafenbüro versteht überhaupt nicht, was ich will, als ich nach dem Hafenmeister, der Bezahlung und solchen Dingen frage. "Nee, fahr einfach hin. Wenn er besetzt ist, musst du kurz warten", ist alles, was ich erfahre. Einfach benutzen, kostenlos, Strom ist immer eingeschaltet, und die Steuerung lässt sich mit an Bord nehmen. Ich kann notfalls den Mast alleine legen. Das ist wirklich einfach, perfekter Service, in Deutschland in dieser Form leider nicht zulässig - da bräuchte man einen Kranschein, um diese Anlage bedienen zu dürfen.

Selbstverständlich also helfen mir die Gäste, aber weil beide Autos in Kerteminde geblieben sind, fragen sie bei dem Taxiunternehmen, dessen Nummer ich für sie gegoogelt habe, nach einem Großraumtaxi. "Tut uns leid, die haben gerade einen Wagen frei, ist in fünf Minuten hier", bekomme ich zu hören. Überstürzt gucke ich die Boote durch, auch Friedas Spülmittelflasche ist irgendwo verlorengegangen. Der Kocher sieht nach einer Stunde Rußentfernung bis auf die verschmorte Plastikblende wieder brauchbar aus - das hätten die Verursacher aber schön selbst machen können. Hauptsächlich geht es mir aber gegen den Strich, dass sie ihre Segelwoche zwischen Frankreichurlaub und sonstwas mal eben so einschieben. Sie wollen alles, bekommen es auch, aber nichts davon wirklich richtig und ausgiebig - wo bleibt das Zur-Ruhe-Kommen? Und vor allem: Die Wertschätzung für meine Boote? Kopfschüttelnd verhole ich Frieda zum Kran. Mastlegen tatsächlich einhand, nur auf die bereitstehenden Böcke ablegen kann ich ihn nicht. Einer freundlicher Däne bedient sofort die Kurbel und schwenkt den Kran.

Das Epoxi härtet über Nacht durch. Die mastlose Frieda kuschelt sich vertrauensvoll an Paulas Seite. Auf Salty werden schon wieder von eifrigen Kinderhänden Krebse geangelt - Greta ist zehn, überzeugt mich durch ihren spöttischen Gesichtsausdruck, wann immer es etwas zu spotten gibt, und schließt den gleichen Lieblingserpel in ihr Herz wie ich. Martha erwartet schweigsam ihre morgen früh eintreffenden Gäste. Es ist zweiundzwanzig Uhr, mein Magen hofft auf das versprochene Rührei - und ich stelle fest, dass Svendborg sich jetzt schon wie ein richtiges Zuhause anfühlt.



Motorsegler.

Juhu! Kuchenbudenromantik!! Endlich mal wieder! Seit fünf Wochen habe ich das Dach überm Cockpit nicht mehr gebraucht - nun prasselt es wie hulle. Eine Warmfront schickt uns ein umfangreiches Regengebiet, nachts wird die nachfolgende Kaltfront mit Gewittern aufwarten. Ich fand, da lohne sich der Aufwand, den "Decksalon" aufzubauen.

Für die neuen Gäste ist das vielleicht keine ideale Begrüßung. Oder gerade doch: Wetter live schon im Ausgangshafen. Ich muss feststellen, dass ich, an der Promenade liegend, wo jeder entlangflaniert, über die schönen Folkeboote fachsimpelt und ungeniert ins Cockpit glotzt,, die zusätzliche Privatsphäre zur Abwechslung auch mal gut haben kann. Davon abgesehen ist ein ordentlicher Regen aus Sicht der Bauern und der Natur dringend angebracht. Der Juli war bisher recht kühl (Pullover, Schal und Mütze liegen ständig griffbereit), aber bei vernünftigem Wind ziemlich trocken. Nun gibt es also mal eine anständige Dusche, und im Laufe der Woche ist eine Ostlage mit schönstem Sommerwetter versprochen. Die Saison verläuft also in jeder Hinsicht abwechslungsreich. Die vergangene Woche war ein Traum:

Drejø Gamle Havn, kleinster und coolster Hafen weit und breit. Bisher sind wir ihn immer entweder von Norden (westlich von Strynø) oder von Osten (südlich Strynø) angelaufen. Heute bietet sich die Zufahrt von Westen an - laut Seekarte recht schmal zwischen steinigen Untiefen, aber immerhin geht es schnugeradeaus, und die Bregninge Kirke taugt als Landmarke.

Ich kritzele eine Kurslinie in die Seekarte. Überprüfe alle paar Minuten, ob wir uns auf ihr befinden. Als ich mich umgucke, kommt Oliese von hinten auf. Ich freue mich, sie zu sehen, haben wir uns doch in Kerteminde unter den Jubelschreien ihres Einhandskippers für satte drei Wochen voneinander verabschieden müssen. Richtig begeistert bin ich nicht - Jens ist ein angenehmer Kunde, aber mir steht eigentlich der Sinn nach ein paar unbeschwerten Urlaubstagen ohne zahlende Gäste. Und ich bezweifle, dass wir uns im Hafen tatsächlich treffen werden: Jens segelt sorglos dicht am Ufer entlang, wo laut Seekarte jede Menge Steine auf einer Wassertiefe von einem knappen Meter liegen. Doch Oli hangelt sich selbstbewusst durchs Labyrinth, und ich begreife, dass Jens diesen Weg nicht zum ersten Mal nimmt.

Der Hafen ist winzig. Ich sehe schon von Weitem: Er ist recht voll, Liegeplatz fraglich, auch wenn hier traditionell alle zusammenhalten und das Becken notfalls zugeparkt wird. Vor der schmalen Baggerrinne berge ich die Fock. Hm. Halber Wind - so kann ich weder das Groß bergen noch Druck rausnehmen. Vielleicht wäre es cleverer gewesen, mit der Fock reinzusegeln. Ziemlich sportlich saust Paula durch die Einfahrt, zum Glück ist eine Box (die mit dem grünen Herz gekennzeichnete) leer. Vorspring über den Heckpfahl, ordentlich reinstemmen - Paula stoppt auf. Das grüne Herz ist heute rot, liegen können wir hier nicht, aber zumindest kann ich erstmal das Segel bergen. Zum Verholen braucht man in diesem Hafen ganz sicher keinen Außenborder - leichtes Abstoßen, schon kommt das Heck da an, wo es hinsoll.

Jens ist nicht so sorglos, wie ich ihn eben noch eingeschätzt habe. Sein Plan war, mit der Fock einzulaufen. Aber nun hat er uns gesehen mit dem Groß, und er hat sich überlegt: "Der wird sich was dabei gedacht haben." Also folgt er dem Beispiel. Paula blockiert noch den gesamten Hafen, als Oli eintrifft. Jens braucht all seine Kraft, um sie an der Bretterverschalung der Einfahrt aufzustoppen. Sieht aber so aus, als hätte er alles im Griff. Unerschütterliche Sorglosigkeit eben. Oli hat ein paar Schrammen an der Außenhaut, die vorher noch nicht da waren, aber sie wirkt bestens gelaunt und genießt es offenbar, richtig gesegelt zu werden. Ihr Außenborder kommt derzeit ebenso selten zum Einsatz wie Paulas. Nach einigem Hin und Her liegen Paula und Oli nebeneinander. Ihre Plätze sind zwar rot markiert, aber irgendjemand erklärt sich zum Hafenmeister und beschließt, dass wir dort bleiben dürfen. Und inzwischen freue mich auch, Jens zu sehen.

Den coolsten und einzigartigsten aller coolen und einzigartigen Häfen kannte ich bisher nur aus der Zeit ab Mitte August, nach den Schulferien, und aus dem frühen Frühjahr. Jetzt ist er quirlig, voll, aber dennoch absolut liebenswert: Ein Hafen für Unkonventionelle und für Solche, die es werden wollen, mal waren oder sich jedenfalls am wohlsten fühlen in Nachbarschaft mit Leuten, die einfach ihr Ding machen. So wie Paula und Oli, Jens und mich, oder die Leute, die den Laden am Leben halten mit dem kultigen "Clubhaus", der in letzter Zeit ein neues Dach bekommen hatt innen aber noch genauso rustikal, staubig und charmant ist. Abends zuvor lagen wir in der Helnæs Bugt vor Anker. Weit und breit kein menschliches Ohr - eine prima Gelegenheit für eine Party mit Rockmusik bis Mitternacht. Von Drejø geht es weiter zunächst nach Aerøskøbing: Der Zitronenkuchen ist alle.

Dort treffen wir die anderen Charterboote. Ich bin ja total begeistert vom Svendborg Sund und den Möglichkeiten, die er für ein Skippertraining bietet. Hauptthema: die Strömung. Dann kommt das An- und Ablegen in einer Box, neuerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt darauf, unter Motor allenfalls einen Heckpfahl anzupeilen und das Boot ansonsten per Hand zu verholen. Das ist sicher, gelingt immer und klebt nicht, wie Uncle Ben's Rice. Segel unfallfrei hoch und runter und ein Ründchen wenden und halsen gehört natürlich auch mit dazu. Weil sich Troense mit einer freistehenden Dalbenanordnung für Slalomfahren mit Außenborder anbietet und außerdem ein auf die Schnelle erreichbares Ziel darstellt, haben wir einen kleinen Linienverkehr eingerichtet: Erst Martha, dann Frieda segeln dorthin zu Übungsmanövern. Salty übernachtet in Troense, Martha unternimmt einen Tagesausflug. Als die nähere Umgebung somit ausgiebig erkundet ist, tun sich alle drei Crews zusammen und fahren ohne mein Beisein als Flottille nach Aerøskøbing. Und dort sind sie jetzt klar zum Auslaufen. Ziel: Drejø Yachthafen. Keine allzu weite Strecke, aber die Qualität des Urlaubs lässt sich nicht immer in Seemeilen berechnen.

Uns hingegen zieht es ins Lindelse Noor. Das Mørkedyb kreuzen wir bei einer schönen Brise aus Südost komplett auf - warum da sogar die Yachten motoren, die uns entgegen kommen, verstehe ich nicht und denke an Jens' Statistik aus Lyø: Schönste Brise, zwölf Segelboote in Sicht, neun davon motoren. Deckt sich mit meinen Beobachtungen - jaja, muss der Skipper selbst wissen, aber es geht mir schon gegen den Strich. Mir kommen verschiedene Theorien in den Sinn, um dieses Phänomen zu erklären. Nummer eins: Bis Windstärke drei ist es dem Skipper zu langsam. Ab Windstärke vier bekommt die Crew Angst und meutert. Nummer zwei: Nach Ausschlafen, Duschen und gemütlichem Frühstück wird frühestens um elf Uhr ausgelaufen. Ab dreizehn Uhr sind aber die schönen Liegeplätze im Zielhafen besetzt. Bei diesem engen Zeitfenster darf man sich keinesfalls auf den Wind verlassen. Bei Theorie drei sind die Segelschulen in der Pflicht, die ihren Schülern vermitteln, wenn es irgendwie eng wird, müsse man aus Sicherheitsgründen den Diesel benutzen. Ergebnis: Eine Yacht nach der anderen tuckert durchs Fahrwasser, setzt am letzten Tonnenpaar die Segel - und fährt auf dem gleichen Kurs weiter, den man auch bisher ohne Weiteres hätte segeln können.

Paula regt sich über diesen Irrsinn weit weniger auf als ich. Doch sie empfiehlt: Entweder ein Motorboot. Oder gleich den Segelsimulator für die Wohnstube, der zweifellos in den nächsten Jahren auf den Markt kommen wird, komplett mit Gischt ins Gesicht und hydraulisch herbeigeführtem Geschaukel. Finde ich super, das Mørkedyb haben wir dann für uns.

Der Wind schlummert ein bisschen ein. Sorgenvoll greife ich zum Smartphone und warte ungeduldig darauf, dass die DMI-Seite neu lädt. Ergebnis: Nein, ganz im Stich lassen wird der Wind uns heute Nachmittag nicht. Aber für Freitagmorgen ist mit null Windstärken zu rechnen. Das gibt mir zu denken - wir sollen um zehn in Svendborg sein, um die Liegeplätze zu sichern. Das ist das Minimum an Service, den ich gewährleisten muss. Dreizehn Meilen ohne Wind? Und gleichzeitig ohne Motor? Wäre es nicht besser, heute weiterzusegeln, um die morgige Strecke zu verkürzen? Aber wohin? Und wir wollen doch so gerne ankern.

In gemächlicher Fahrt vergeht eine Stunde. Der Wetterbericht hat keine Neuigkeiten, aber ich vertraue auf die übliche Morgenbrise und die mitlaufende Strömung im Rudkøbing Løb. Wir suchen uns einen neuen Ankerplatz im Lindelse Noor, gleich nach der Einfahrt südwärts abbiegend. Hinter uns läuft eine belgische Yacht ins Noor. Natürlich mit Motor. Die steingesäumte Einfahrt nehmen sie korrekt, dann wirkt es auf mich, als tuckerten sie recht unbefangen über die große, aber in Wirklichkeit durchaus tückische Wasserfläche. Nein, das Krachen und Rumpeln ist nicht die Ankerkette. Sondern die Kollision mit einem Findling.

Unser neuer Platz ist bestens geschützt bei Winden zwischen Südost und Südwest. Ohnehin liegen wir ja in einer engen, flachen Bucht, und ich rechne mit nächtlichem Abflauen der sowieso schwachen Brise. Statt dessen weht es mit um die vier Beaufort genau aus Ost, und Paula wird zwar nicht durchgeschüttelt, rollt aber unruhig genug, um mir einen schlechten Schlaf zu verpassen, in den ich nach drei Uhr gar nicht mehr zurückfinde.

Fünf Uhr Anker auf. Schöne Morgenbrise? Der Wind schläft ein. Wir treiben würdevoll mit eineinhalb Knoten aus der Bucht. Der frühe Morgen ist dennoch ein grandioses Geschenk, dass selbst ich viel zu häufig ausschlage. Hin und wieder kommt doch noch Wind auf, die Strömung rettet den Zeitplan. Neun Uhr Troense - perfekt, genau wie kalkuliert. Um fünf vor zehn berge ich im Vorhafen neben Eisbrecher Thorbjørn die Fock. Sehe lauter voll belegte Schwimmstege. Es laufen beinahe so viele Yachten ein wie aus - ich bin natürlich nicht der Einzige, der weiß, wann es in Svendborg eine Chance auf einen Stegplatz gibt, und Viele halten hier nur kurz zum Einkaufen. Haben wir ja auch schon so gemacht.

Wir finden natürlich einen Platz, ich sehe ihn schon von Weitem, genau an der Promenade. Vor uns liegt eine krachneue Motoryacht mit verspiegeltem Schott - hätte Paula Augen, könnte sie ihren Anleger beobachten. Die Charterer sprechen später von Höllenrespekt vor diesem Motorbootneubau. Ich sehe in erster Linie ein vielversprechendes Fotomotiv.

Oli ist noch mit Jens unterwegs. Salty, Frieda und Martha kuscheln sich an Paulas Seite, und der Regen lässt nach. Statt langwieriger Einweisungen gibt es ein nettes Wiedersehen mit liebgewonnenen Stammgästen. Vor uns stehen drei Tage West, dann die Ostlage - was machen wir bloß damit? Die Charterer schicke ich an dem böigen Sonntag nach Lundeborg, immer schön dicht unter Land sollten sie keine Probleme bekommen. Ich helfe allen beim Ablegen. Gehe in Ruhe einkaufen. Lege mich nochmal in die Koje. Und entschließe mich, als die Nachbarn auslaufen und die Lücke größer wird fürs Ablegen unter Segeln, doch noch in die Lunkebugt zu verholen und dort zu ankern. Immerhin spart das dreißig Euro Hafengeld und bietet einen Kontrast zum Gewusel an der Jessens Mole, das ich noch oft genug genießen werde. Huiui, ich bin letztlich heilfroh, mich an dem ruppigen Gepuste nur eine Stunde abarbeiten zu müssen.

Der Anker fällt, das Groß geht runter, das Telefon klingelt. Saltys Großfall klemmt. Uff - hat man denn in diesem Job nie seine Ruhe? Wochen später, als ich mir das Masttopp in Arnis aus der Nähe ansehe, stellt sich heraus: Beim Versuch, genau dieses Phänomen zu unterbinden, habe ich es zu gut gemeint. Zwischen Fallscheibe und Edelstahl-Abweiser ist zu viel Spiel, das Fall kann dazwischengeraten und einklemmen. Jetzt bin ich mächtig erleichtert, als Bernd nach einer Stunde Entwarnung gibt: Es ist ihm gelungen, Salty mit notdürftig gelaschtem Segel in Lundeborg unter den Mastenkran zu manövrieren, und dann stehen die hilfsbereiten Dänen mit ihren Bootsmannsstühlen beinahe Schlange, um ihn hochzuwinschen. Das Fall lässt sich lösen, das Segel kommt runter, für den Rest der Woche hoffen wir - erfolgreich - das Beste. Alte Holzboote haben ihre Tücken. Aber auch einen unbeschreiblichen Sympathiebonus. Ich stoße mit Paula an auf unsere Maus und den guten Ausgang eines weiteren Abenteuers.


Invasion der Aliens

Paula liegt träge an der Nordmole. Sonne. Hitze. Draußen eine hübsche Brise, doch wir warten. Warten auf Oli. Warten auf ihre neuen Gäste. Erneut ist Easy Going: Die Anderen kommen erst nächste Woche zurück, nur eine einzige Einweisung also, dann haben wir wieder frei. Ich liege schlapp in der Koje, lese ein bisschen, überlege, was es alles dringend zu tun gäbe, versuche zu schlafen.

Nicht die Hitze hält mich davon ab. Sondern das unablässige Brummen von Bugstrahlrudern. Zuerst ist das nur nervig. Allmählich kommt mir der Verdacht, der schleichende Untergang des Abendlandes habe mit der Erfindung des Bugstrahlruders begonnen. Unterschwellig klingt das die ganze Zeit nach schlechter Seemanschaft. Nach unkontrollierten Hafenmanövern. Nach Gefahr. Ich rappele mich auf und sehe nach. Und stelle fest: Die Außerirdischen sind gekommen! Massenhaft laufen sie ein in ihren PS-starken, riesigen Raumschiffen. Der einzige geeignete Landeplatz weit und breit ist in diesem Teil des Hafens. Und sie lassen sich nicht anders manövrieren, als mit kräftig Bugstrahlruder. Der Hafen füllt sich rapide. Ruhe kehrt nicht ein - wer nun eintrifft, findet keinen Wunschliegeplatz mehr, muss also wieder abdrehen. Mit Bugstrahlruder. Unruhig wälze ich mich in der Koje.

Die zurückliegende Woche hatte alles: Am Montag - von der Lunkebugt nach Albuen - war es trotz im Laufe der Fahrt einsetzenden Dauerregens ein toller Segeltag. Nicht ohne Tücken: Beim Queren von Weg T lief uns die massive Bugwelle eines Dampfers frontal entgegen, und während ich noch überlegte, ob ich darauf irgendwie reagieren sollte, flog ein Block des Baumniederholers weg. Raumschots bei 5 Windstärken ist ohne Baumniederholer richtig scheiße, aber zum Glück haben wir ja immer einen Schäkel in der Werkzeugkiste, und damit ließ sich das Problem schnell improvisieren. Im Hafen gab's dann einen schönen neuen Block.

Albuen ist ein wirklich phantastischer, einmaliger Ort. Nicht unbedingt bei Kuchenbudenwetter - doch als es abends aufklart, gehe ich gleich mal vor zum Leuchtturm und betrachte den Langelands Belt. Es gibt angenehm wenig zu sehen: Eine Yacht läuft in den Fjord, die Fähren pendeln, im Dunst verliert sich Langeland. Und ein paar Schaumkronen zieren weiterhin das Wasser. Zwischendurch bei Südwind lagen wir wirklich unruhig, aber inzwischen hatte es wie angekündigt auf West gedreht.

Für Dienstag war das Einsetzen einer stabilen Hochdrucklage nebst Hitzewelle angekündigt. Morgens um sieben war davon nichts zu spüren: Wolkenverhangenes Albuen, West 4-5. Wir legten ab. Und gönnten uns ein Experiment, für das ich eigentlich ruhigeres Wetter erhofft hatte. Aber wo wir schonmal hier waren nach zwei Jahren Abwesenheit, versuchten wir unser Glück: Wir segelten ein Stück in den Nakskov Fjord. Östlich von Enehøje führt ein dicht betonntes Fahrwasser zwischen grimmigen Untiefen hindurch nach Norden, übrigens an einem phantastischen Ankerplatz vorbei, ins Nørredyb. Das war alles auch bei sechs Knoten Speed nicht wirklich spektakulär, doch kurz vor Schluss gibt es eine Schwelle, bei der man den Echolot am besten ignoriert, und zuletzt mussten wir ein paar Schläge kreuzen - bei Solltiefe unter drei Meter und umgeben von Flachs. Selbst diese "tiefen" Stellen fand ich nicht, das Echolot zeigte beharrlich unter zwei Meter an, aber wir kamen durch. Super Nervenkitzel - das muss ab und an wirklich sein.

Der Himmel klarte auf, zwischen zwei Wenden telefonierte ich noch mit jemandem, der mir ein Folkeboot zum Kauf anbot, und nachmittags war es wirklich richtig warm. Und der Wind schwächelte. Schwächelte noch mehr. Aber da war ja mein Ehrgeiz - solange es immer mal wieder mit 1,1 kn voranging, hatte ich kein Problem damit, dass es zeitweise auch nur 0,7 waren.

Unser Ziel - das wir die letzten drei Stunden schon dicht vor Augen hatten - war Agersø. Lisa (Folkeboot Tzefix) schwärmt immer davon und fährt bei jeder Gelegenheit hier hier, ich war da noch nie und konnte es bisher auch nicht, weil es im Kartensatz Rund Fyn nicht drin ist. Nun hatten wir den Anschluss fürs Smålands Fahrwasser an Bord. Fazit: Nicht einzigartig oder spektakulär, aber völlig okay. Der Ort ist gemütlich und hübsch, und wenn ich nochmal hier lande, werde ich mir einen Spaziergang zum Leuchtturm im Süden vornehmen. Aber nicht bei an die dreißig Grad Hitze. Da liefen wir lieber wieder aus, sobald gegen Mittag ein Brischen aufkam. Nach einer Viertelstunde hatten wir uns mit drei Knoten ins Flautenloch gesegelt...

Es war ja mit Ansage: Der Gradientwind aus Südost setzte erst spät ein. Bis dahin hatte sich das große, nahe Sjælland schon so erwärmt, dass gleichzeitig die Seebrise aufkam - und die Überlagerung der beiden Kräfte bewirkte, dass wir mehr oder weniger in der Strömung nordwärts trieben. Im Süden war, am Gekräusel erkennbar, deutlich mehr Wind. Aber gegen die Strömung wären wir da wohl auch nicht vorangekommen.

Wir trieben geduldig und erreichten die Nordspitze von Agersø. Große Enttäuschung: Dort war auch nicht mehr Wind. Wir waren nicht die einzigen - es gibt doch noch mehr Menschen, die einen Segelurlaub auf einer Segelyacht segelnd verbringen. Auch wenn man das meistens genießen kann, aber manchmal ertragen muss. Vorübergehend setzte sich die Seebrise massiv durch, mit fast vier Knoten ging es voran, schließlich erreichten wir das spontan ersonnene Tagesziel wieder mit ein bis anderthalb Knoten: Korsør. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, hier hin zu segeln, tat es jetzt nur, weil es das Nächste war, aber es war überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil, der Sonnenuntergang hinter der Store Belt Bro und deren anschließende prächtige Beleuchtung machen den Ort eigentlich zu einem absoluten Muss! Ein bisschen zum Hohn setzte kurz nach dem Anlegen der Südost ein, aber das war am späten Nachmittag auch zu erwarten. Donnerstag: Um fünf war ich wach. Unausgeschlafen zwar, aber voller Tatendrang. Husch, Rauschefahrt über den Großen Belt. Mittags erreichten wir Troense. Ich brauchte erstmal Mittagsstunde.

Freitagabend haben wir sturmfrei, Oli, Paula und ich. Samstag ist 5-6 Böen 7. Weisungsgemäß lassen sich die Gäste Zeit mit der Anreise. Sonntag ist kaum weniger böig, die angekündigten Schauer und Gewitter bleiben zwar aus, aber wir verschieben die Einweisung. Eine gute Entscheidung: Die Aliens reisen ab, der Hafen leert sich und bietet Platz für lustige Übungsmanöver. Die sind auch notwendig - mit der Alexander von Humboldt um Kap Hoorn gesegelt zu sein, qualifiziert nicht unbedingt fürs Folkeboot. Sicheres An- und Ablegen müssen wir also üben, und ich bin froh, das nicht bei sechser Böen versucht zu haben. Der zwölfjährige Sohn, als Angler am Segeln eher desinteressiert, soll auch einbezogen und motiviert werden, das erhöht nicht wirklich die Aufmerksamkeit für die anstehenden Manöver. Montag Mittag habe ich den Eindruck, die Familie könne losfahren. Die sechs Meilen nach Skarø werden sie schaffen, zumal statt schwach umlaufend ein hübsches Brischen von an die drei Windstärken weht.

Und was machen nun Paula und ich? Erstmal Mittagsstunde. Dann muss ich auf jeden Fall noch einkaufen und abwaschen. Zwischendurch bedaure ich eine weitere Errungenschaft der Menschheit neben dem unsäglichen Bugstrahlruder: Das Smartphone. Es verführt dazu, jede Stunde das neueste Update sämtlicher Wetterdienste zu studieren. Selbst, wenn es gar kein Update gegeben hat.

Jetzt haben wir eine Warnung vor Schauern und Gewittern. Aber kein Wölkchen am Himmel. Dazu Regenradar, diverse Animationskarten von DMI, sowie den stets optimistischen Unterton von Windfinder (zumindest für den aktuellen Tag, gleichzeitig suggerieren die die Zuverlässigkeit einer Langfristprognose, die Sturm bis Weihnachten verspricht). Letztlich bleibt das Wetter perfekt - sonnig und trocken mit stetiger Brise aus Ost - bis in die Nacht. Doch als ich mir sicher bin, dass uns ein wundervoller Segelnachmittag zu entgehen droht, habe ich weder eingekauft noch abgewaschen. Dafür ist das Hafengeld schon bezahlt. Also bleiben wir. Morgen ist auch noch ein Tag.

Dienstag schwachwindig mit gelegentlichem Regen. Abends und nachts Gewitter. Mittwoch eine schöne Brise aus Südost mit latenter Gewitterwarnung. Donnerstag und Freitag Flaute und unbeständiges Wetter. Fazit: Die ganze Woche lädt nur bedingt überhaupt zum Segeln ein. Ich mache etwas Anderes: Ich baue die Kuchenbude auf. Bei bedecktem Himmel ist es endlich mal nicht zu heiß zum Denken. Hausputz, Duschen, alles ganz in Ruhe, und nebenbei endlich mal wieder ein paar Seiten schreiben - das ist ein besseres Szenario als Flautengedümpel bei aufziehendem Unwetter.

Mittwoch segeln wir dann doch noch los. Ein Schauer über Aerø schickt eine extrem kabbelige See voraus, von der ich gar nicht weiß, wo sie herkommt. Wir flüchten uns nach Aerøskøbing. Finden eine Parklücke im Folkeboot-Format, die einen Aufschießer zulässt - die Einladung nehmen wir gerne an. Donnerstag legen wir ohne Motor ab trotz auflandigem Wind - der Tag ist schon gelungen, auch wenn wir später nur noch in der Strömung treiben und ich die Schauerwolke über Svendborg sorgenvoll betrachte. Und zwar nicht am Himmel, sondern auf dem Display im Regenradar. Moment mal - was tue ich da eigentlich?


Wetter und Bericht

Björn ist frisch verliebt. Ich hoffe, ich darf das so formulieren. Und was gäbe es für einen schöneren Liebesbeweis, als seine Angebetete und ihre Kinder auf Jane einzuladen und mit zur Svendborg Classic Regatta zu nehmen? Natürlich zerbricht er sich seit Wochen den Kopf, wie er sicherstellen kann, dass es ein tolles Erlebnis wird - die sollen ja schließlich nicht vom ersten Mal entsetzt sein, sondern gerne immer wieder mit ihm segeln gehen.

Am Tag, bevor Janes neue Crew anreist, liegen Paula und ich in Korshavn. "Ding-dong", eine SMS von Björn: Er verabschiede sich gerade gedanklich von Svendborg. Ich antworte mit drei Fragezeichen - und bekomme als Erklärung: "Wir schaffen den Rückweg nicht." Dazu ein Hinweis auf die Langzeitprognose von Windfinder.

Halt! Es ist Sonntag. Die Regatta ist Freitag und Samstag. Am Mittwoch danach soll Jane wieder irgendwo sein, wo Mutter und Kinder absteigen und heimreisen können. Was ja sogar von Svendborg aus keine Unmöglichkeit wäre. Und diese Wetterseite maßt sich an, jetzt schon vorherzusagen, dass die ganze nächste Woche Starkwind ist. Björn kann nicht wissen, dass er damit gerade jetzt bei mir einen Nerv trifft. Ich trauere den Zeiten nach, als man zweimal täglich einen Seewetterbericht am Radio hörte und mitschrieb, in dem man für die nächsten zwölf und prognostisch für die anschließenden zwölf Stunden eine Vorhersage für das komplette Seegebiet bekam: "Belte und Sund westliche Winde um 4, etwas zunehmend, später Schauerböen."

Daraus musste man für sich etwas machen. Eine Entscheidung treffen: Auslaufen oder nicht? Welche Richtung, wie weit, wohin? Dazu musste man ein Gefühl für die Wetterlage entwickeln. Musste die Nase in den Wind halten, vielleicht mal einen Spaziergang zur Hafenausfahrt unternehmen. Musste sich Gedanken machen, welchen Einfluss zum Beispiel die Thermik auf den lokalen Wind vor Ort haben würde. Und unterwegs musste man das Wetter beobachten und die Veränderung der Bewölkung interpretieren. Könner haben auch noch einen gelegentlichen Blick aufs Barometer geworfen.

Heute bieten private und amtliche Wetterdienste umfassende Informationen, mit updates rund um die Uhr, jederzeit verfügbar, solange das Smart Phone ein Signal empfängt, und dazu eine Prognose für die nächsten zehn oder vierzehn Tage. Man ist also ständig informiert, wann und wo ein Schauer niedergeht, der Wind einschläft, dreht oder aufbrist, die Strömung kentert oder sonst etwas die gute Laune zu trüben droht.

Und ich stelle fest: Ich verbringe einen viel zu großen Teil des Segeltages damit, aufs Display zu glotzen, auf das Laden der Seite zu warten und nachzusehen, ob wir es noch ans Ziel schaffen oder der Wind gleich einschlafen wird. Betrachte einen Schauer, den ich bereits sehe, ausgiebig im Regenradar. Versuche dort nachzuvollziehen, wohin er zieht und ob er uns zu erwischen droht, obwohl ich das genauso gut am Himmel beobachten könnte. Verlasse mich auf die Daten, die irgendein Computer berechnet hat, auch wenn sie im Widerspruch zu allem stehen, was ich um mich herum wahrnehmen könnte.

Ich habe da keine Lust mehr drauf. Immer auf diesen Klönkasten zu gucken, der mir suggeriert, heute schon zu wissen, was in einer Woche um dreizehn Uhr für ein Wind ist. Ich will wieder eine grobe Vorstellung haben, was heute und morgen zu erwarten ist, und meine Sinne schärfen für das, was sich tatsächlich entwickelt.

Mein energischer Appell an Björn: "Wenn die heute für nächste Woche perfekten Wind ankündigen würden, könnte es doch genauso gut passieren, dass ihr fünf Tage bei Starkwind im Hafen hängt." Björn sagt: "Wie gut, dass wir telefoniert haben." Jane wird erstmal anreisen zur Regatta.

Der Schauer über Svendborg zieht westwärts ab. Der nächste bringt uns endlich mal wieder ein bisschen Wind. Wir schaffen es in den Rundhafen. Von dort ist es nicht ganz eine Seemeile zum Stadthafen, wofür ich mir bisher bestimmt nicht die Mühe gemacht hätte, die Segel auszupacken. Nun ist es vollkommen klar, dass der Außenborder weiterhin Pause hat. Wir legen an, mal wieder an der Promenade. Segelpacken, Hafengeld bezahlen. Mittagsstunde. Bevor die Charterboote sich erstmals seit Anfang Juni alle im gleichen Hafen treffen - große Wiedersehensfreude! - flaniert ein Punk-Pärchen entlang Jessens Mole. Die beiden kommen mir bekannt vor.

Sie sagt: "Beautiful boats." Er: "Is it dragonfly? Are they fast? It's dragonfly. Right?" Ich winke ungeduldig ab, als er behauptet, neulich in Kopenhagen auch schon solche Boote gesehen zu haben...


Svendborg Classic Regatta 2019

"Wir sind gut, Paula! Wir sind richtig, richtig gut!" Skeptisch sehe ich mich um. "Aber wir können es immer noch vermasseln", rede ich meinem Boot zu. Und spüre: Wenn es nach Paula geht, vermasseln wir hier gar nix mehr. Wir sind einfach gut.

Es ist der erste Tag der Svendborg Classic Regatta. Wind 2-3 - auf dem Weg zum Start, gegen die Strömung in der Abdeckung des Sundes, mussten wir nach sechs Wochen erstmals wieder den Außenborder starten, um nicht zu spät zu kommen. Paula bewies dabei ihre soziale Ader und nahm gleich Folkeboot Havfruen und die Hansa-Jolle in Schlepp. Havfruen ist das einzige Holzboot, dass mit den fünf dänischen GFK-Booten wird mithalten können: Michael segelt seit Langem und erfolgreich Regatten mit, und diesmal hat er sich mit Jesper verstärkt, einem dänischen Freund aus Svendborg, der seine ganze Erfahrung mit einbringt. Er kennt im Sund jeden Strudel und jeden Neerstrom, und über Regattataktik muss man mit ihm nicht diskutieren, sondern einfach tun, was er sagt.

Den GFK-Booten ist vor der Anreise nochmal das Unterwasserschiff poliert worden. Kein Außenborder, kein Gramm überflüssiges Gewicht, eine eingespielte Crew sitzt auf der hohen Kante, und die krachneuen Regattasegel sind soeben angeschlagen worden. Die und Havfruen werden wir nur von hinten sehen, zu vergeben ist der siebte Platz. Denn Paula hat nicht nur einen Außenborder mit, sondern einen zweiten in der Vorpiek. Unter Deck stapeln sich Werkzeug, Klamotten und Ausrüstung - alles, was man für zehn Wochen unterwegs braucht. Das Schlauchboot vom Kajütdach ist im Hafen geblieben, aber eher wegen der Sichtbehinderung. Und ich hantiere alleine im Cockpit, das kostet bei jeder Wende und Halse ein paar Sekunden. Die anderen Fahrten-Folkeboote sind ähnlich unterwegs, die Regatta ist eingebaut in den Sommerurlaub.

Vor zwei Jahren segelte ich hier meine erste richtige Regatta. Paula stellte punktuell unter Beweis, wie gut sie mithalten kann, aber um eine vollständige Wettfahrt schnell zu sein, genügten weder ihr Elan noch meine Konzentration. Das änderte sich bei der letzten Wettfahrt am zweiten Tag, als es mit 5-6 pustete und statt Feintrimm nur noch gefragt war, alles dichtzuracken und den Kurs so zu wählen, dass Paula fluffig lief. Da waren wir dann gut - und das heißt: An den Holzbooten mit Fahrtenseglercrews, die grob unserer Kragenweite entsprechen, waren wir nicht nur halbwegs dicht dran, sondern um einige Sekunden vorneweg.

Letztes Jahr litt die Regatta unter einem Sturmtief, das an beiden Tagen nur jeweils eine Wettfahrt zuließ, an der auch nur wenige Folkeboote überhaupt teilnahmen. Wir hingegen liefen nicht nur mutig aus, sondern hatten auch noch die wundervolle Paula mit dabei.

Die Zwölfjährige, mit Folkeboot Lovis und deren gelegentlichen Regattateilnahmen aufgewachsen, verriet mir die Starttaktik ihres Vaters, erklärte mir die Flaggensignale und versorgte mich mit jede Menge Tipps und Ideen, so dass ich sagen würde: Ich habe eine Menge von ihr gelernt. Dieses Jahr nun musste Paula am Montag nach der Veranstaltung wieder zur Schule. Weil für Samstag und vor allem Sonntag Mordsgepuste angesagt war, entschied Vater Thorsten, dass Lovis auf die Regatta verzichtet und schon Freitag zurück nach Kiel segelt.

Keine Paula also auf Paula - aber im Geiste ist sie die ganze Zeit an Bord. Wir fahren kein Manöver, ohne uns vorher zu fragen: Was würde Paula sagen? Ich bin hochmotiviert und voll konzentriert. Beim Start verkriechen wir uns weder einsam an die Boje, noch halten wir uns dezent hundert Meter im Hintergrund. Von einer nahen Sperrgebietstonne nehmen wir Anlauf, bei halbem Wind mit dichter Großschot und backstehender Fock. Ich habe vorher die Zeit gemessen, die wir so zur Startlinie brauchen. Als ich sehe, dass vor uns Platz ist, nehme ich Sekunden vor dem Startsignal die Fock über. Hinterm Heck der Viking luven wir an - und sausen neben die Profi-Boote, die mit schlagenden Segeln genau an der Startlinie gelauert haben und jetzt erst Fahrt aufnehmen müssen. Kaum am Startschiff vorbei, wenden wir und suchen uns ruhiges Wasser auf dem Weg zur Luvtonne.

Eines der GFK-Boote wendet ebenfalls früh. Ich nehme es zur Orientierung, versuche ähnlichen Speed und ähnliche Höhe zu laufen. Und das klappt - die halbe Wettfahrt lang kleben wir fast an deren Heckspiegel, es wirkt beinahe, als könnten wir, sobald denen ein Fehler unterläuft, womöglich sogar ans Überholen denken. Vor allem aber bleiben Smilla, Fairplay, Jane, Pommery und die anderen Fahrtenboote vom Start weg hinter uns.

Im weiteren Verlauf kommt ausgerechnet Pommery allmählich auf - Erik ist auch alleine an Bord, kommt aber mit diesem Handicap mindestens so gut klar wie ich. Aber Paula ist entschlossen, sich nicht mehr einkriegen zu lassen. Und ich merke, dass ich sowohl von den vielen Segeltagen der letzten Wochen, bei denen wir jede Flaute ausgesessen bzw. ausgesegelt haben und auch bei Hafenmanövern eine Menge Feingefühl üben mussten, jetzt erheblich profitiere - als auch von Paulas Instruktionen vom letzten Jahr. Ich denke, sie wäre zufrieden mit mir. Und das ist mir wichtig. Locker schaffen wir das Maximum dessen, was hier für uns erreichbar ist: Siebtschnellstes Folkeboot.

Die zweite Runde auf dem Dreieckskurs fällt schließlich aus Zeitmangel flach, stattdessen geht es gleich zum "Home Race" zurück zum Hafen. Wieder siebter Platz. Der nächste Tag beginnt bei Windstärke vier, zum Start werden daraus fünf, beim zweiten Start sind es sechs, und vor dem Home Race werden sieben Windstärken gemessen. Da sind wir für uns alleine auf dem Rückweg, wir haben beschlossen, aufzuhören, wenn es am schönsten ist.

Die erste Wettfahrt am zweiten Tag ist hochgradig spannend: Fairplay hat sich mit der Crew von Smilla verstärkt und lässt sich nicht abschütteln. Auf dem langen Downwind kommen sie mit ausgebaumter Fock auf, ziehen an der Wendetonne vorbei. Für die Zielkreuz fahre ich bewusst in die andere Richtung als Fairplay: Ich will mich auf Paulas Kurs konzentrieren, nicht darauf, was die anderen machen. Das klappt exzellent, wir liegen erkennbar wieder vorne.

Doch dann fahre ich die vermeintlich letzte Wende zu früh, so schaffen wir es nicht ins Ziel. Als sich die Kurse Kreuzen, liegt Paula vielleicht fünf oder sechs Bootslängen vorne, aber Fairplay braucht nur noch eine Wende und Paula zwei. Die zweite fahren wir beinahe auf der Zielline vor dem Bug der anstürmenden Fairplay. Jetzt schnell schnell Fahrt aufnehmen, los Paula, eieieiei, ist das knapp, aber...ja! Acht Sekunden trennen uns laut Ergebnisliste - und auf beiden Boote sind alle begeistert von diesem hochgradig spannenden Race.

Bei der zweiten Wettfahrt hat es aufgebrist. Der Fockausbaumer bringt Fiarplay keinen Vorteil mehr, downwind fliegen wir mit dichter Fockschot der Leetonne entgegen, und auf der Kreuz lässt Paula heute sowieso nichts anbrennen. Erneut Platz sieben, jetzt wieder souverän und mit mehrminütigem Abstand nach vorne und hinten. Besser kann es nicht mehr werden, wir kehren zurück in den Hafen.

Segeln ist so ziemlich die einzige Sache, die mir wirklich viel bedeutet. Ich gebe zu, auf die Leistung und die Platzierung bin ich einigermaßen stolz. Abends nimmt Michael ich beiseite: "Ich soll dir von Jesper ausrichten: Hut ab!"


Auch Frieda und Martha aus meiner Charterflotte nehmen teil. Erwartungsgemäß - nach nur vier Tagen Folkeboot-Erfahrung - segeln sie hinterher. Ich hätte gehofft, dass sich zwischen den beiden ein ähnlich spannendes Rennen um den vorletzten Platz entwickelt wie zwischen Fairplay und uns um den siebten. Aber Frieda hängt ihre Schwester doch deutlich ab, Martha erreicht das Ziel so spät, dass sie gar nicht mehr gezeitet wird. Für die Crew war es trotzdem eine schöne, neue Erfahrung.

Ein bisschen schade ist, dass das Rahmenprogramm der Regatta diesmal nicht im altehrwürdigen Pakhus stattfindet. Versehentlich wurde es für eine Hochzeitsfeier vermietet. Briefing, Essen und Siegerehrung finden also in einem nüchternen Zelt statt. Und den Veranstaltern ist es nicht gelungen, dort auch nur einen Hauch der gewohnten Atmosphäre aufkommen zu lassen. Keine Musik, keine Diashow von den Ereignissen des Tages, statt dessen eine kurze, knappe Siegerehrung, bevor sich alle an Bord zurückziehen.

Das macht aber gar nichts, denn das soziale Leben an Bord der Folkeboote ist absolut phantastisch. Die deutsche Delegation kennt sich inzwischen seit Jahren von Folkeboot-Treffen, Svendborg und anderen Gelegenheiten, und die Dänen haben auch bemerkt, dass da jedes Jahr ein Schwung sympathischer, aufgeschlossener Menschen mit ihren gepflegten Holzbooten anreist. Allmählich kommen wir dreisprachig ins Gespräch.

In den letzten beiden Jahren sind Lovis, Pommery, Havfruen und Lucky gemeinsam nach Svendborg gesegelt. Paula und ich waren in Flottillentörns eingebunden. Diesmal haben wir frei und sind schon vor Ort, können uns also unseren Freunden ohne Weiteres anschließen - und so bekommt der soziale Aspekt des Wochenendes einen viel größeren Stellenwert.

Wer Hafenkino genießen will, muss auch mal welches liefern

Montag vor der Svendborg Classic Regatta. Die Chartercrews sind eingewiesen und gemeinsam nach Strynø gesegelt. Paula und ich haben uns eine etwas längere Tour gegönnt und liegen in Korshavn. Das Anlegen ist ein bisschen bemerkenswert: Bei ordentlich Wind um die 5 - gerechnet hatte ich mit Flautengedümpel - traue ich mich zunächst nicht, mit dem Groß in den winzigen Hafen zu segeln. Die Bretterwand, die als Windschutz dient, lässt nicht erkennen, ob dahinter überhaupt Platz ist. Also nehme ich das Groß frühzeitig runter, kurz vorm Hafen auch die Fock, und lasse Paula vor Topp und Takel um die Außenmole sausen. Erst sind wir zu schnell, und als wir verhungern, bekomme ich keinen Pfahl und gar nichts zu fassen. Paula vertreibt. Ich nehme die Fock wieder hoch. Mühsam hoppeln wir wieder raus. Groß hoch, Fock runter, Wende und neuer Anlauf - ich weiß ja jetzt, dass wir Platz für einen sauberen Aufschießer haben, der uns direkt an einen freien Liegeplatz bringt.

Seit Grenaa vor sechs Wochen haben wir den Außenborder genau zweimal benutzt: Einmal, um den Regattastart nicht zu verpassen. Und dann, um im engen für die Regatta reservierten Hafenbecken nicht von der massiven Strömung überfordert zu werden. Ansonsten war jedes An- und Ablegen unter Segeln, in jeder Flaute sind wir noch in einen Hafen gekommen. Das hat sorgfältige Tagesplanung erfordert, um nicht irgendwo draußen rumzuhängen und nicht mehr voranzukommen. Und es hat meinen Blick geschult für die Situation - sowie den richtigen Trimm. Auf die nötige Geduld bin ich als Gelegenheits-Choleriker ein bisschen stolz: Wenn es fünfhundert Meter vorm Hafen nur noch mit 0,4 Knoten vorangeht, dauert es eben eine Stunde länger...  

Wenn ich wie in Korshavn nochmal den Plan ändern und die Beseglung wechseln muss, finde ich das überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil, letztlich war das ziemlich souverän. Die Beobachter auf dem Steg dürften sich aber ziemlich gewundert haben. Das taten sie allzu oft, wenn wir mit dem Groß an einen Heckpfahl heransegelten und ich nicht etwa erleichtert Leinen warf, sondern in aller Ruhe am Pfahl festmachte, das Segel barg und dann die drei fehlenden Meter von Hand zurücklegte. Sie wunderten sich auch, wenn das Folkeboot den kompletten Hafen aufkreuzte. Bei unserer ersten Ankunft in Svendborg lag Salty schon längsseits an einem der Schwimmstege, und natürlich wollte ich unter Segeln längsseits gehen. Im ersten Anlauf probierte ich erstmal den Effekt der Strömung aus. Im zweiten Anlauf erwischte uns eine Bö - ich drehte wieder ab. Da waren alle Nachbarn schon in heller Aufregung, vermuteten wohl ein Problem und boten Hilfe an. "Nein nein, alles ok", sagte ich - und vermasselte den dritten Anlauf durch einen zu kurzen Aufschießer. Im vierten Versuch passte das Tempo, ich stieg auf Salty über, Vor- und Achterleine in der Hand, und zirkelte Paula an Saltys Fender. "Angedockt", verkündete ich. Und war ganz zufrieden mit dem Manöver.

Manchmal lief es weniger elegant. Da war in der Regel viel Wind im Spiel. In Musholm eine stramme fünf, und die flache Sandbank bietet null Abdeckung. Meine Tagesform war ohnehin miserabel: Zuerst war ich nach Sicht auf die falsche Steilküste zugefahren, Reersø statt Musholm, und das bescherte uns eine halbe Stunde platt vorm Laken bei erheblichem Seegang. Dann setzte Paula in den Wellentälern mehrfach auf einer Sandbank auf, die ich zwar im letzten Moment noch unter Wasser schimmern sah, zuvor aber in ihrer Ausdehnung schlicht unterschätzt hatte. Vermutlich wächst sie von Jahr zu Jahr erheblich an die anschließende Fischzucht heran. In Zukunft werden wir entweder von Süden einlaufen oder die komplette Fischzucht umrunden - jetzt war ich einfach nur froh, dass die Wellenberge uns weiterbrachten, bis das Wasser wieder tiefer wurde. Nun mussten wir nur noch anlegen. Der erste Aufschießer geriet zu kurz. Fand ich nicht schlimm. Der zweite Aufschießer war perfekt - aber dann, den Poller schon im Arm, wollte ich es zu gut machen mit dem Belegen der Vorleine. Ich zirkelte mit der einen Hand an der Leine herum, mit der anderen Hand ließ ich den Poller los. Paula trieb ab. Also alles nochmal von vorn, und diesmal klappte es auch.

In Albuen - strömender Regen, ebenfalls üppig Wind, noch dazu von der Seite, und keinerlei Abdeckung - traute ich mich nicht, mit dem Groß längsseits am Fingersteg anzulegen. Mit der Fock ist es aber wirklich tricky: Wir wurden nicht langsamer, als ich die Schot öffnete. Als ich das merkte, waren wir schon an der Pfahlreihe vorbei. Vollruderlage, null Sicht durch die schlabbernde, auswehende Fock, und dazu die unangenehme Erinnerung daran, dass zwischen den ganzen Holzpfählen ein einziger fieser Metallpfahl steht, noch dazu so schräge, dass er die ganze Bordwand aufschlitzen kann, wenn es schlecht läuft. Als ich wieder sehen konnte, wo wir hinfahren, war die Außenhaut weitgehend unversehrt. Aber in bisschen Lack hatte der doofe Pfahl sich geklaut. Wir erreichten schließlich den Steg mit mäßiger Fahrt, die ich nach dem Übersteigen glaubte, problemlos aufzustoppen zu können. Doch der Steg war nass und vermoost - ich schlidderte einfach nur neben Paula her wie beim Stand-up-Paddling. Ich hatte immerhin die Ruhe, ihr zu sagen: "Das musst du machen, ist sauglatt hier." Sie lehnte die Scheuerleiste an einen Pfahl und stoppte auf.

Ablegen unter Segeln ist häufig einfacher, als erst mit dem Motor rumzuhühnern und erst dann - in Fahrt, mit wenig Platz oder im Seegang - das Tuch hochzuziehen. Das Groß bekommt aber unweigerlich Druck bei halbem Wind oder achterlicher. Wenn es zur Hafenausfahrt auf einem Raumschotskurs geht, kann man vor Topp und Takel losfahren und erstmal schnell die Fock setzen. Wenn man aber anschließend, um zum Beispiel auf Lyø am Fähranleger vorbeizukommen, wirklich Höhe laufen muss, braucht man das Groß. Es gibt einen einzigen Weg, unfallfrei mit gesetztem Groß um 120 Grad abzufallen, ohne Fahrt aufzunehmen: Groß backhalten und ein Stück rückwärts fahren, um vorne Platz zu gewinnen. Denn sonst fährt das Boot, ohne es zu wollen, in irgendeine Box. Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Box, in der eine fremde Yacht liegt...

Einmal in Aerøskøbing hatte über Nacht der Wind gedreht und kam rechtwinklig auflandig. Das verlangt eigentlich danach, sich unter Motor aus der Legerwallsituation zu befreien. Allerdings war es nicht allzu viel Wind. Das Päckchen vor uns hatte sich gerade auf ein einziges Boot reduziert, also war ich der Meinung, der Platz sei ausreichend: Vorne abdrücken, hinten von Hand tüchtig Fahrt aufnehmen - das brachte uns weg von den Nachbarliegern. Und dann schnell schnell das Groß hoch. Klappte vorzüglich.

Als ich den Anleger in Korshavn Erik schildere, simst er zurück: "Wer Hafenkino genießen will, muss auch mal welches liefern. Pommery ist immer zu solchen Scherzen aufgelegt." Da weiß ich noch nicht, dass dieser Satz das Programm der nächsten zwei Wochen prägen wird. Pommery und Lovis liegen in Hørup Hav. Erik schreibt: "Henri und Paula wollen morgen nach Lyø." Zwar war ich davon ausgegangen, dass wir uns früher oder später in Korshavn treffen, aber jetzt gibt es nur eine Antwort: "Was Paula will, möchte Paula auch." Am Dienstag segeln wir also nach Lyø.

Wir finden einen Platz in der hintersten Ecke. Lovis und Pommery legen erst um fünfzehn Uhr ab und haben bei relativ wenig Wind gute 25 Meilen vor. Als sie, ab Skjoldnæs unter Motor, kurz vor Sonnenuntergang eintreffen, haben sich vor uns schon diverse Yachten ins Päckchen gelegt. Mit ein bisschen Absprache sorge ich dafür, dass der Weg in unsere Ecke frei bleibt. Und dann kuscheln sich die drei Folkeboote aneinander, Lovis' Bug gut abgefendert zwischen den Hecks von Pommery und Paula.

Die Kinder und Papa Thorsten gehen gegen Mitternacht schlafen. Erik und ich sitzen bis zwei Uhr im Cockpit - Folkeboot-Klönschnack kann endlos dauern. Trotz des wenigen Schlafs bin ich um acht Uhr einigermaßen munter, bleibe aber noch entspannt in der Koje, bis es nebenan laut knallt. Ich gucke von unter der Kuchenbude hervor. Aus Lovis' Schiebeluk blinzelt eine verschlafene Paula, der gerade der Lukendeckel aus der Hand gerutscht ist, gegen die Morgensonne. "Hab ich dich geweckt?", fragt sie schuldbewusst. Hat sie aber nicht. Und wenn sie es hätte, wäre es der charmanteste Weckruf seit Jahren gewesen.

Flottillentörn ohne Chartergäste und Verantwortung, statt dessen mit ganz wundervollen Menschen, die ich am liebsten die ganze Zeit knuddeln würde - das ist neu für uns und absolut phantastisch. Ich habe eine richtige Urlaubswoche mitten im Sommer! Wir hocken mal in diesem Cockpit, mal unter jener Kuchenbude, segeln tun wir auch, aber immer nur ein kleines Stück auf den Nachmittag. Trotzdem liefert jeder Tag seine bezaubernden Anekdoten.

In Faaborg kommen wir vom Eisessen zurück, als ein viertes Folkeboot neben uns liegt. Ich erkenne Frieda sofort - ganz ohne Charterer kommt meine Urlaubswoche also nicht aus. Die beiden brauchen eine Weile, bis sie mich und mein Boot erkennen. Inzwischen zieht ein Schauer auf. Erik, Familie Lovis und ich liefern uns bei den ersten Tropfen ein Wettrennen im Kuchenbudenaufbau. Erik ist gehandicapt - sein letzter Mitsegler hat die aufgerollte Kuchenbude allzu gewissenhaft mit Tauwerk umwickelt.

Zwischendurch wendet sich einer von Friedas Gästen an Paula (!) und fragt: "Haben wir sowas auch?" Ich bin ein bisschen irritiert, habe ich doch die Kuchenbude bei der Einweisung mehrfach erwähnt. Doch Paula sagt ganz abgeklärt sowas wie: "Ja, habt ihr. Guck mal unter Deck."

Zweifellos ist es für Friedas Kuchenbude aber schon ein bisschen spät - die Tropfen werden größer und die Crew schön nass. Der Skipper winkt ab: "Echte Segler brauchen sowas nicht." Als Erik endlich fertig ist, machen wir es uns auf Pommery gemütlich. Erik möchte gerne sehen, wie Friedas Charterer jetzt in der Badehose im Cockpit sitzen und ihr Bier weitertrinken. Ich vermute sie eher im Ölzeug. Als der Regen nachlässt, verrät ein Kontrollblick: Weder noch, sie kauern unter Deck. Als der Schauer durch ist, wird es für uns langsam Zeit für den Gang zur Pizzeria. Erik und ich nehmen uns vor, früher zu Bett zu gehen als gestern. Wir schaffen es nur um zehn Minuten.

Auf dem Weg nach (erneut) Korshavn zieht der eine Schauer vor uns durch, der andere hinter uns. Der kurz vorm Auslaufen konsultierte Regenradar hat übrigens nur einen davon angezeigt, vielen Dank dafür. Paula hat als Erste abgelegt, Daumen nach oben geerntet für die Kreuz durch den kompletten Hafen, und schlängelt sich jetzt mit etwas Vorsprung zwischen den finsteren Wolken hindurch. Unser Ziel bleibt beständig in der Sonne, das ist beruhigend, während es hinter uns blitzt und donnert. Lovis und Pommery werden nass, Paula bleibt trocken, und die befürchtete Bö ist harmlos.

In Korshavn sind wir mit Havfruen und Michael verabredet. Und zum gemeinsamen Kochen: Jeder taucht in die Tiefen der Vorratskammer, wir schmeißen zusammen, was wir dabei haben. Henri und Erik gehen schaukeln, Michael klart sein Boot auf und entkorkt Rotwein. Thorsten und Lovis kochen Nudeln. Paula, Paula und ich die Soße. Diese Art von Hafenleben, so sehr sie in Kontrast steht zu dem, wie es sonst für mich ist, ist jetzt schon höchst angenehm vertraut. Wir speisen auf Paula - die hat das größte Cockpit. Heute zieht es Erik schon vor Mitternacht in die Koje. Macht nix, Michael leistet mir Gesellschaft bis kurz nach halb zwei. Immerhin, schon wieder zehn Minuten früher...

In Svendborg erwartet uns unter Anderem die Love Story des Sommers. Was es damit auf sich hat, soll Björn in seinem eigenen Blog berichten. Auf jeden Fall empfängt er uns in Begleitung der vierjährigen Julika. Leuchtend rotes Haar, knallgrünes Kleid - sie ist ein Blickfang. Wenn es darum geht, sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, kennt sie auch sonst keine Scheu: Kaum haben wir angelegt, zeigt sie auf Björn und erklärt mit heller, klarer, schöner, unüberhörbarer Stimme: "Ich bin die Steuerfrau von dem!"

Freitagabend - wir sind alle traurig, weil Lovis abgereist ist, und euphorisch, weil die Regatta so toll war - muss Erik alleine bei Bendixen essen. Julika hat sich von Björn durchs Hafenbecken rudern lassen, um mir mitzuteilen, dass ich zum "Krillen" eingeladen bin. Das gibt mir Gelegenheit, auch ihre Mutter und ihren "Pruder" kennenzulernen. Aber es hält mich nicht davon ab, Erik später noch in der "Kamerateriet" zu treffen. Vor Mitternacht schlafen - das klappt momentan einfach nicht. Wie ich es trotzdem schaffe, während der Wettfahrten über Stunden voll konzentriert zu bleiben, ist mir ein Rätsel. Vielleicht liegt es an all den Glückshormonen - es ist einfach so schön in dieser Gruppe.

Der Saisonhöhepunkt ist vorbei. Nach und nach reisen die Regattateilnehmer ab. Das Wetter wird kühl mit vielen Schauern. Die Hauptferienzeit ist definitiv vorbei, es kehrt fast ein bisschen Ruhe ein im bisher so turbulenten Hafen. Auch wir müssen schweren Herzens zurück an die Schlei - aber es fühlt sich an, als sei es der richtige Moment.

Die neuen Gäste auf Frieda und Oli haben die Woche als Flottille gebucht. Erik und Pommery schließen sich uns kurzerhand an, für einen Tag kommt auch Jane mit. Kein Tag vergeht ohne beeindruckende Schauerwolken mit amtlichen Böen. Strynø, Aerøskøbing, Lyø - kurze Schläge, schönes Segeln, das bei längeren Strecken durchaus hätte anstrengend werden können. Immer wird mindestens ein Boot von oben nass, aber mindestens eins bleibt auch trocken, und alle machen die Erfahrung, dass man ein Folkeboot auch bei Windstärke sieben genussvoll segeln kann. Für die miserable Wetterlage - Stichwort "Trog" - gelingt uns eine zwar kurze, aber vielfältige und gemütliche Runde. Vor allem ist die Gruppe überaus angenehm und harmonisch, wozu auch Erik seinen Beitrag leistet - den würde ich jedes Mal wieder mit auf Flottillentörn nehmen, und wer weiß, ob sich das nicht in Zukunft tatsächlich ergibt. Auf jeden Fall sind wir schon verabredet, vor der nächsten Svendborg Classic Regatta die kleinen Inseln im Lindelse Noor unsicher zu machen. Wenn dann auch Lovis dabei ist, ist alles gut.

Als wir Lyø erreichen, habe ich wieder die südwestliche Ecke von neulich im Sinn. Wir kreuzen rein. Auf unserem Lieblingsplatz ist gerade eine kleine Segelyacht mit einem recht umständlichen Ausparkmanöver beschäftigt. Es ist aber die einzige Chance, mit den vier Booten nebeneinander zu liegen. Wir fahren eine Wende, eine Halse, legen uns erstmal an die Pier und warten ab. Erik informiere ich über Funk: "Unser Gate ist noch besetzt. Wir warten auf dem Rollfeld." Er segelt an einen Pfahl, birgt die Segel und tucht sie auf. Kurze Zeit später sind Paula und Pommery fest, die Charterboote folgen.

Nach einem pustigen, regnerischen Liegetag kehren wir zurück nach Arnis - schnelle Reise bei 4-5, nicht ohne den obligatorischen Schauer kurz vor Schleimünde. Paula und ich kreuzen voller Enthusiasmus die Schlei auf, liegen eine Dreiviertelstunde vor der Brücke bei, durchfahren sie mit kurzem Motoreinsatz und segeln nach Arnis. Zwischen den Stegen ist laut Hafenordnung das Segeln verboten. Ich halte mich daran, berge frühzeitig das Groß und hangele Paula die Pfähle entlang zu ihrem Liegeplatz.

Unser Gate ist besetzt. Von einer Motoryacht mit Maschinenschaden. Wir bleiben auf dem Rollfeld. Wie ein Tausendfüßler krabbelt Paula an der Kranplatte entlang, dann am Floß mit dem SeaBin, schließlich der Sorgleine von Doris' Box, zuletzt nach mühsamer Rundung des Heckpfahls auf genau diesen Liegeplatz.

Endlich mal frühe Koje? Klappt nicht. Marthas Überführungscrew hat abgesagt, ich fahre mit den neuen Gästen zurück nach Svendborg, mache Einweisung, esse noch Fisch & Chips bei Bendixen und kehre dann mit dem fremden Wagen nach Arnis zurück. Jane liegt im Hafen, ich treffe Björn - der noch nichtmal Zeit hatte, das Ölzeug auszuziehen - bei Specht's, und wir bekommen trotz später Stunde noch das eine oder andere Bier.

Zum Schluss möchte ich auf das Thema Hafenkino zurückkommen. Beim Start in Lyø haben wir genau die beschriebene Situation: Segelsetzen am Pfahl bedeutet anschließendes Abfallen auf Raumschots. Den Charterern empfehle ich, unter Motor auszulaufen, denn das hier ist tückisch und für Fortgeschrittene. Erik wagt es. Pommery liegt am Pfahl. Beim Segelsetzen sehe ich, dass die Großschot irgendwo hakt. Das Segel hat Druck. Mir scheint aber, Erik hätte es bemerkt und korrigiert, bevor er auch die Fock setzt. Er löst die Vorleine und stößt Pommery ab. In der Annahme, gleich den nächsten Pfahl zu fassen zu kriegen, bleibt er auf dem Vorschiff. Die Großschot hakt weiterhin, Pommery segelt los, munter in die (zum Glück leere) übernächste Box. Wer Hafenkino will, muss auch mal welches liefern...

Erik hat es allerdings drauf, daran besteht kein Zweifel. Seelenruhig legt er die Vorleine um den vorbeihuschenden Pfahl und hält gegen. Pommery stoppt auf. Dann fahren die beiden nur mit der Fock aus dem Hafen. Schade nur, dass sie dadurch verpassen, wie Paula, ich und das backgehaltene Groß das Problem lösen...

* Wir mögen Spötter sein, doch wir mögen uns. Dank an Svendborg, Erik, Paula, Henri, Thorsten, Michael, Julika, Björn, eure Boote, wunderbare Chartergäste und alle Anderen für unvergessliche Wochen *

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