Paulas Törnberichte | ||||||
Vier
Wochen
Vier Wochen segeln. Wohin? Ist mir ein bisschen
gleichgültig, aber falls es wen interessiert: Die Reise
beginnt und endet in Arnis. Zwischendurch sind wir dreimal dort,
dreimal im Gamle Havn auf Drejø, zweimal in Marstal, dreimal
in Gelting und fünfmal in Schleimünde. Dazu gibt's je
einmal Svendborg, Søby, Falsled, Mjels Vig und
Lyø. Es sind vier Wochen, in denen der Sommer in doppelter
Hinsicht endet: Die Hochdrucklage weicht den atlantischen Tiefs, der
stetige Ostwind Gepuste im Wechsel mit Schwachwindtagen, die ewige
Sonne stundenlangem Regen, die fast schon übertriebene
Wärme kühlen Abenden und kalten Nächten. Die
werden jetzt auch merklich länger, um acht Uhr wird es Zeit
für einen Hafen. Gleichzeitig sind die Ferien vorbei, kaum
noch Boote auf dem Wasser, statt voller Häfen hat man ganze
Stege für sich allein.
August 2020
Für
die vielen Schleimündes gibt es - abgesehen davon, dass es
nett
dort ist, man immer jemanden trifft und die Giftbude wieder ein
empfehlenswertes Lokal ist - zwei wesentliche Gründe: Fast
immer
ist am ersten Tag, an dem wir loskönnen, wenig Wind. Und fast
immer ist am Freitag, an dem wir zwingend
zurückmüssen,
Gepuste und Schietwetter. Gelting anzulaufen, hat ebenfalls meistens
strategische Gründe: Bei Südwest ist es dort viel
besser
geschützt als zum Beispiel Sønderborg oder
Hørup Hav
oder auch der Präsentierteller Wackerballig, die Reststrecke
ist
erheblich kürzer und lässt sich auch bei schwachem
oder im
Tagesverlauf auffrischendem Wind bequem bewältigen.
Schön -
in dem Sinne, wie Schleimünde schön ist - finde ich
es dort
ganz und gar überhaupt nicht. Dennoch gibt es einen weiteren
Grund
für einen Besuch...
Seemeilen
Wir segeln zu Beginn unsere 800. Seemeile der Saison. Wenn ich richtig
gezirkelt und gerechnet habe, zählen wir Meile 900 auf dem Weg
von
Kappeln zurück nach Arnis. Die tausendste Meile machen wir
beim
Kreuzen auf Liegeplatzsuche in der Marina von Marstal voll. Trotz
längst nicht mehr so günstiger Bedingungen segeln wir
die
1100. Meile dann in der Folgewoche. Und so weiter,
schließlich
sind es 1250 und erst Anfang September. Trotz Corona, ohne weite
Sommerreise und trotz spätem Saisonstart, ist es in dieser
Hinsicht ein normales Segeljahr.
Was
ist eigentlich eine Seemeile? Ich meine nicht die 1852 Meter. Ich
meine: Was ist sie wert? Für den SKS muss man 200 Meilen
nachweisen - was hat man erlebt, genossen oder gar gelernt,
während man 200 Meilen geradeaus segelt, dabei stundenweise
ans
Ruder geht und den vom Navigator vorgegebenen Kurs steuert? Wir wollen
sagen: Kommt darauf an. Wir sind die meisten Meilen wirklich gesegelt
und nur sporadisch motort. Und die allermeisten der gesegelten Meilen
haben wir zutiefst genossen. Vor allem die, wo es nicht geradeaus ging,
sondern auf der Kreuz in engem Fahrwasser, querfeldein durch
unbetonntes Terrain, zu neuen, von gefährlichen Steinen
umgebenen
Inseln. Die größte Genugtuung dabei ist oft die
letzte
Kabellänge: In den Hafen segeln, Aufschießer fahren,
Paula
anbinden. Oder: Mit anderen Folkebooten gemeinsam unterwegs sein, dabei
schneller segeln oder jedenfalls mithalten. Oder: Experimente wagen,
die den anderen nicht in den Sinn kämen, ohne sie bei ihren
Motororgien zu behindern. Für alles eine seglerische
Lösung
zu finden. Zu merken, dass ich das, was ich am liebsten tue, inzwischen
auch wirklich gut kann. Und es weiterhin zu genießen, dass es
-
trotz Erfahrung, trotz Revierkenntnis, trotz Vorsicht - immer wieder
Überraschungen gibt. Die Zeiten, als mir vorm Anlegen graute
oder
ich mir über das Ablegen lange den Kopf zerbrach, sind
großer Vorfreude gerade auf diese Manöver gewichen.
Es
klappt nicht immer so, wie ich es am liebsten hätte. Letzter
Tag
der zweiten Woche, Schleimünde am späten Vormittag:
Der
meiste Regen ist durch, der Wind will nicht nachlassen, worauf sollen
wir warten für den Home Run? Mit Hilfe der Nachbarn dreht
Paula in
ihrer Ecke und treibt vorwärts heraus. Ich trödele
einen
Moment, ziehe die Fock hoch, Paula segelt Richtung Hafenausfahrt.
Hätte klappen können. Aber Höhe laufen mit
der Fock ist
ja ein echtes Problem, und dann ist es auch noch so, dass das Wasser
gegen den heftigen Südost aus der Schlei läuft, womit
ich
nicht gerechnet (und es auch nicht überprüft) habe,
und das
bedeutet einen Neerstrom in den Hafen, der uns nach Lee versetzt.
Langer Rede kurzer Sinn: So kommen wir nicht raus. Also Plan B: Ein
behäbiger Kringel mit der Fock, dann legen wir uns an der
Westmole
längsseits an die Pfähle. Sicher und ruhig. Fock
runter,
Motor schweren Herzens dann doch an, los geht die wilde Fahrt. Oder ist
es nicht einfach so, dass Paula findet, ich solle immer mal wieder
schwierige Motormanöver üben? In Schleimünde
haben
bestimmt alle gedacht, wir hätten ein gravierendes Problem.
Haben
wir aber nicht: Boot in eine sichere Lage bringen, Motor starten und
weiterfahren, was soll sein? Unangenehmer ist es, als Paula in
Svendborg nicht vom Schwimmsteg wegtreiben kann, weil sich die
Großschot verhakt hat und das Segel laufend Vortrieb erzeugt.
Am
Ende kommen wir frei, hinterlassen aber ein bisschen Lack - und ich
habe etwas gelernt, weiß jetzt, dass Plan B mit der Halse der
bessere gewesen wäre.
Vor uns liegt der Gamle Havn. Das Fernglas verrät: Zwei Masten
und
wenige Motorboote im Hafen, also ist reichlich Platz. Wenn man davon
überhaupt sprechen kann - im Gamle
Havn braucht man definitiv keinen Motor. Wo sollte man da
groß
hinmotoren? Das Becken ist so winzig, dass man, kaum hätte man
den
Gang eingelegt, vorne schon irgendwo gegenkäme. Dafür
kann
man jederzeit dem hilfsbereiten Nachbarn eine Leine anreichen oder sich
zum nächsten Pfahl stupsen. Was definitiv nicht geht, ist eine
Wende. Reinsegeln, um erstmal zu gucken? Man muss auf jeden Fall an
irgendetwas anlegen und von Hand das Boot drehen, wenn man lieber
wieder abhaut. Eine Sache ist aber garantiert: Solange es nicht mit 6-7
aus westlicher Richtung pustet, ist genug Wasser unterm Kiel eines
Folkebootes. Auch in der Rinne, aber nicht mehr neben ihr.
Die
Rinne ist lang. Zu lang, um behäbig mit der Fock zu segeln,
finde
ich - und begehe nicht zum ersten Mal den Fehler, bei mehr oder weniger
Halbwind das Groß oben zu lassen. Das wird ein langer
Aufschießer. Genau genommen wird Paula trotz schlagenden
Segels
überhaupt keine Fahrt los. Drei Knoten, drei Knoten, immer
noch
drei Knoten - das ist sportlich in dem winzigen Hafen. Ich fahre einen
Schlenker nach Steuerbord und dann einen deutlichen
Aufschießer,
soweit es das schmale Fahrwasser hergibt - Paula wird langsamer. Und
dann noch etwas langsamer. In der Abdeckung des Hafens ist kein Wind
mehr, der uns weiter abbremsen könnte. Die Restfahrt muss
jetzt
also die Vorleine rausnehmen. Es stimmt schon: Man muss den Hafen
kennen und wissen, was man tut, um das so fahren zu können.
"Büschn sportlich, Paula" finde ich jetzt unseren Knoten
Restfahrt, "triffste?" Ja, sie trifft den Pfahl. Ich gehe nach vorne,
Schlaufe drüber, Paula steht. Groß runter, den Rest
wriggen
wir. Und hatten auf der letzten halben Meile allemal mehr
Spaß,
Nervenkitzel, Bedarf an voller Konzentration und der
Möglichkeit,
Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen, als auf dem ganzen weiten Weg
vom Leuchtturm Schleimünde hierher.
Naturphänomene
Zurück
in Arnis: Die Charterer sind abgereist, die Nachfolger bereits an Bord.
Das Wetter klart auf, die Sonne kommt raus, hier und da ist noch ein
Wölkchen. Ein Quellwölkchen. Ein ganzes Band davon.
Und da
noch ein zweites. Soll ich nach drei Wochen doch mal wieder die
Kuchenbude aufbauen? Erik meldet sich per SMS auf dem Weg nach
Schleimünde. Erkundigt sich nach den Gewittern. Um Pommery
herum
werden Segel geborgen und Diesel gestartet. 3 kn, anderthalb Meilen zum
Leuchtturm. Ein Donner. Dann ein Blitz. Paula findet, ich sollte
wirklich die Kuchenbude aufbauen. Pommery ist im Hafen und
genießt das aufziehende Spektakel. In Arnis bleibt es
für
diesen Abend trocken - und ich habe gelernt, dass es hochinteressant
ist, die gleiche Wolke aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und
sich darüber auszutauschen.
Von Lyø Richtung Marstal: Wir treiben zunächst
eher, als
dass wir segeln. Die Fock ist ausgebaumt, das Groß
schön
weit auf, jetzt fehlt nur noch die Brise. Da drüben:
Gekräusel! Wind! Endlich geht es voran. Oder? Ich
spüre die
Brise im Gesicht. Die Fock fällt ein, das Groß
schlägt,
Paula bleibt stehen. Die Windex zeigt beharrlich nach achtern.
Gibsdochnicht! Ich brauche eine Weile, um zu begreifen: Eine Spinne hat
über Nacht den Verklicker gründlich eingewoben. Der
spärliche Wind reicht nicht, um ihn zu entheddern.
Später
wird sich herausstellen: Das dusselige Viech scheint sich da oben
häuslich eingerichtet zu haben. Und ich tue mich schwer, das
in
meinen Kopf zu kriegen. Vom Leuchtturm Nordborg auf dem Weg in die
Dyvig fallen wir 120 Grad ab, der Wind dreht ständig mit.
Komisch,
bei jeder Kursänderung eine Winddrehung. Was mich
stört ist,
dass die ausgebaumte Fock einfällt. Dann kommt die
Patenthalse.
Zum Glück auch die Bö, die das Netz
zerreißt - bei
Nordost im Blindflug in die Dyvig zu kreuzen, hätte wohl
weniger
Spaß gemacht. Bei Südwest aus der Dyvig
rauszukreuzen, ist
dann auch erst cool, als ich nach drei Minuten gegenanwriggen kapiere,
dass die Spinne auch diesmal wieder überaus fleißig
war. Es
gibt Schlimmeres: Marthas erste Havarie im Frühjahr war mit
einem
Schwan, dessen Flügel die Windex schrottete, zwei Tage nach
dem
Maststellen und bevor ein einziges Mal Segel gesetzt wurden.
Schleimünde,
acht Uhr dreißig: Wolkenloser Himmel, Ostsüdost 4-5,
wir
legen ab. Ich setze die Segel, Paula saust aus dem Hafen. Schoten
dicht, ein Schlag vom Dampferanleger zur Südmole. Eine einzige
Wende, Kurs Leuchtturm, die Strömung schiebt uns raus. Paula
geht
so sanft durch die erhebliche Welle, dass ich nicht einmal nass werde.
Beinahe vermasselt uns "Büchse" oder "Kiste" oder so
ähnlich
das Auslaufen. Ihr ahnt es schon: Das ist so eine kleine, bauchige
Büchse mit unglaublich viel Platz unter Deck, was auf Kosten
der
Eleganz geht und zum Krabbeln zwingt, weil der Konstrukteur das
Laufdeck vergessen hat. Außerdem mit Segeln und
Außenborder
dran, kommt aber mit keinem Antrieb so richtig aus dem Quark. Diese
hier heißt sogar entsprechend, das zeugt von gesunder
Selbstironie der Eigner. Ob ich mit dem Ding hier überhaupt
rausgefahren wäre, weiß ich nicht so recht. Aber wie
sie es
machen, ist falsch: Die Segel sind unten, der kleine Motor
müht
sich heulend, jaulend und immer wieder auftauchend damit ab,
"Büchse" frontal die Wellen hochzuschieben. Das Boot rappelt,
Wasser spritzt von allen Seiten, die Crew wird
durchgeschüttelt
und nassgespritzt und muss um ihr Leben, oder wenigstens die
Bandscheiben, fürchten. Es geht so quälend voran,
dass wir
beinahe zu einem extra Holeschlag gezwungen werden. "Segel! Ihr braucht
Segel!", denke ich.
Südlich
von Strynø: Paula stampft in einer kabbeligen Welle, die so
gar
nichts mit dem Brischen in den Segeln zu tun hat. Wir wenden, passieren
die Insel. Immer noch Gestampfe. Ein Holeschlag bringt uns zumindest
vorübergehend in einen Nordost fünf. Dann ist wieder
Gestampfe. Aber wir sind jetzt in der Strömung, und die
läuft
mit. Gelegentliche Böen bringen uns gut voran. Trotzdem: Mir
kommt
das alles höchst merkwürdig vor. Nördlich
der
Brücke sind es plötzlich acht Knoten über
Grund. Satter
mitlaufender Strom, sechs Windstärken schräg von
vorne -
solche Bedingungen gibt es regelmäßiger auf der
Nordsee. Die
Entgegenkommer schlingern und taumeln mit ihren Vorsegelchen und
bleiben fast stehen. Zuerst finde ich das ganz lustig, aber dann denke
ich: "Was für ein Gekabbel." Und dann: "Was für ein
Ge-kab-be-l-l-l!!!!" Die Welle kommt gleichzeitig aus Luv und Lee, es
spritzt und gurgelt, unmöglich das Ganze auszusteuern.
Abfallen
geht auch nicht, wir sind ja im Fahrwasser, und als wir es verlassen,
müssen wir den Nordkurs in etwa halten, irgendwo kommt ja ein
Ufer. Paula kracht ein paarmal im freien Fall ins Wellental, Wasser von
allen Seiten. Sie findet, dass über
Fünfzigjährige sowas
nicht mehr haben müssen. Da habe ich ja noch ein paar Wochen
Zeit
- aber geheuer ist mir die wilde See auch nicht. "Ich wusste ja nicht,
was hier los ist", entschuldige ich mich. Irgendwann müssen
wir
doch aus der verdammten Strömung raus sein. Endlich: Nur noch
fünfeinhalb Knoten, dafür aber ohne steile Kreuzsee.
Das
fühlt sich deutlich besser an.
Begegnungen
Erik
hat Recht: Schade. Ich hatte mal suggeriert, dass wir uns Sonntag in
Schleimünde treffen oder gemeinsam zum Besuch bei Familie
Lovis
segeln könnten. Da sah dir Prognose für die Woche
aber noch
aus nach zuerst Flaute, dann Regen, dann Sturm. Inzwischen liest sie
sich phantastisch, also müssen Paula und ich nach
Dänemark.
Erik kann nicht, er soll Dienstag wieder arbeiten. Wir treffen uns also
nur kurz, um gemeinsam aus der Schlei zu kreuzen, dann verabschieden
wir uns. Dafür begegnet Pommery mit der Segelnummer 37 der
Nummer
38 und später auch der 36 - passiert auch nicht jedes
Wochenende.
Wir winken uns draußen vorm Leuchtturm nochmal zu, und Erik
verrät, dass Saga am Donnerstag um fünfzehn Uhr in
Gelting
Krantermin hat.
Endlich
einmal haben wir weder Charterboote im Schlepp, noch sind wir mit
Freunden zum gemeinsamen Segeln verabredet. Paula und ich machen unser
Ding - ob wir das überhaupt noch können? Es
hält sich
ganz gut die Waage, indem wir immer mal wieder Gesellschaft bekommen.
Das beginnt an einem flautigen Sonntagnachmittag, an dem es nur bis
Schleimünde reicht - für uns wie für
Liegeplatznachbarin
Heidi. Am Montag versuche ich die auch zum Gamle Havn zu lotsen, doch
Ralf hat seine Söhne dabei, die den Geburtstagskuchen gleich
wieder ausspucken. Als es den Jungs hinter Skjoldnæs erneut
schlechter geht, flüchtet sich Heidi nach Søby. Auf
Drejø liegt stattdessen Folkeboot Bel-Ami. Ein
überaus
nettes Paar an Bord, mühelos freunden wir uns an.
Hoch am Wind auf dem Weg zur grünen Tonne Skarø Rev
begegnen wir Pippi Lotta. Der Dreimaster segelt gemächlich nur
mit
der Breitfock. Und unser Kurs passt genau so hin, dass wir
fünf
Meter hinter ihrem Heck durchgehen, sehr zur Freude von Skipper Hartwig
und seinen staunenden Gästen. Winke-winke, Daumen hoch, dann
sind
wir vorbei.
Dann
also nach Gelting: Saga ist das Folkeboot, das vor drei Jahren in der
Flensburger Förde den Ballast verloren hat und gekentert ist.
Getrieben von der fixen Idee, Saga, die er von seinem Vater
übernommen hat und die zweifellos zur Familie gehört,
solle
wieder segeln, hat Eigner Vincent so ziemlich alles neu gemacht seitdem
- mit unerprobten Methoden, die jeder erfahrene Bootsbauer als tickende
Zeitbombe betrachtet, machte er Saga wieder schwimmfähig. Um
drei
kreuzt auch Pommery endlich in die Bucht. Saga wird gerade gekrant. Ich
merke: Vincent und ich sind derzeit unkompatibel. Mein Leben dreht sich
überwiegend um Paula. Für ihn gibt es
verständlicherweise nur Saga. Er hätte trotzdem sagen
können "Schön, dass ihr
gekommen seid" oder mich wenigstens grüßen, doch ich
sehe
ein, dass er den Kopf mit anderen Dingen voll hat. Das kleine
Grüppchen, das der Zeremonie beiwohnt, freut ihn hoffentlich
trotzdem doller als die Anteilnahme auf Facebook. Und ja: Saga
schwimmt! Wenn man weiß, dass die Landungen mit Epoxi
vergossen
sind und das Unterwasserschiff von außen damit
überzogen
ist, kann das nicht wirklich überraschen. Aber für
ein
Eigner, der am letzten Segeltag mit ihr gekentert ist, handelt es sich
unbedingt um einen hochemotionalen, zutiefst bewegenden Moment.
Pommerys roter Rumpf
ist inzwischen gut zu erkennen. Dem Hafenmeister kann Vincent noch so
lange erzählen, er krane hier ein besonderes Boot - der Mann
ist
ein Profi, der Kranvorgang Routine. Für mich auch, ich habe
genug
gesehen. Vor allem habe ich zwischendurch gesehen, dass Freitag - wir
müssen zurück - ruppiger Südost und Gewitter
vorhergesagt sind, heute Nachmittag hingegen ein hilfreicher
Südwest. Als Sagas Mast steht, laufen Paula und ich wieder
aus.
Pommery treffen wir vorm Hafen Wackerballig, ich rufe unsere
Pläne
rüber. Erik findet das, genau wie ich, "schade", aber es ist
nunmal so und wird sich spätestens Freitagmorgen als kluge
Entscheidung herausstellen. Die sechs Meilen von Schleimünde
nach
Arnis bei Regen und böigem Gepuste sind schrecklich.
Im üblichen Flautenloch südlich von
Skjoldnæs begegnen
wir einer größeren Bavaria mit nackter Crew und
stehender Peilung. KVR statt
FKK: Bei Annäherung plünnt sich die Familie erstmal
an, als
sei es ihr sonst peinlich. Wir sind Kurshalter, gehen auch knapp vor
der Bavaria durch, doch ich gebe zu bedenken: "Wir bleiben gleich
stehen." Der Rudergänger knöpft sich noch schnell das
Hemd zu
und sagt: "Ist ja auch wirklich wenig Wind." Nein nein, mein Problem
ist der Windschatten seiner Segel. Kleiner Schlenker der Bavaria, dann
ist alles gut, und die Crew darf sich wieder ausziehen.
Auf
dem Weg von Gelting nach Marstal segeln wir ab Kalkgrund dreiundzwanzig
Meilen auf Ostkurs bei Südwind. Kurz vor Vejsnæs
Nakke
begegnet uns eine deutsche Charteryacht auf Nordwestkurs. Als Paula
schon dicht vor deren Bug verschwindet, beginnt einer wild zu
gestikulieren. Ich frage: "Ihr scheint die Ausweichregeln nicht zu
kennen, oder warum guckt ihr so?" Jemand ruft, weiterhin
empört
guckend: "Ey! Du bist aufweichspflichtig". Kinder,
das müsst ihr unbedingt nochmal nachlesen, sonst seid ihr
extrem
nervig! Ich bin sogar ein bisschen verunsichert - als Martha in Marstal
eintrifft, schildere ich die Situation. Thorsten, erfahrener
Regattasegler, bestätigt zu meiner Erleichterung, dass wir die
ganze Zeit den Wind eindeutig von Steuerbord hatten. "Sechs junge
Leute, keiner zweifelt", bemängele ich. Sabine lacht. "Das
kommt
davon, dass wir unsere Kinder zu selbstbewussten Menschen erziehen."
Ich denke, wir sind uns einig, Sabine und ich: Selbstbewusst
müssen und sollen die Kinder unbedingt sein. Aber nicht dumm.
Nach den nervigen Kids läuft das nächste Segelboot in
Sichtweite unter Motor. Ich bekomme schon wieder schlechte Laune, wenn
ich das alles sehe: Nicht-Segler. Möchtegern-Segler, die keine
Ahnung haben, entweder von den Regeln oder vom Trimm oder von beidem.
Aber ach, in Wirklichkeit geht mich das ja nichts an, das
müssen
die alle selbst entscheiden. Für mich ist nur relevant, warum
mich
das immer so furchtbar aufregt. Und das spielt sich weder im Wasser ab
noch im Internet, sondern nur in meinem Kopf. Oder?
Ankern
auf Legerwall ist einer der neuen Volkssportarten - offenbar nur auf
der Basis, dass ein Symbol in der Seekarte einen guten Ankerplatz
ausweist und die Wassertiefe erlaubt, dass der Anker den Grund
erreicht, ansonsten aber gegen jede in tausenden Jahren Seefahrt
etablierter Vernunft. Das können die ja machen, es
beeinträchtigt mich nicht. Aber es gibt eine zweite neue
Disziplin: Unter Motor überholen, bis wir im genau in Lee
sind,
dann eilig ein Segel setzen, den Motor ausmachen und nicht aus dem
Quark kommen. In der Abdeckung oder bei leichtem Wind ist das extrem
ärgerlich, indem es uns jegliche Fahrt nimmt - und wenn das
dreimal in drei Tagen vorkommt, frage ich mich durchaus, ob die anderen
Segler kollektiv den Verstand verloren haben. Aus dem
Funkgerät
höre ich eine vertraute Stimme: "Das Schiff, das Radio Bremen
gerufen hat, hier ist Bremen Rescue." Der Gesprächspartner ist
nicht in unserer Reichweite, aber ich vermute, er hat durchaus Radio
Bremen gemeint für seinen Musikwunsch: Den beliebten Song
"Radio
Check". Äh, von wem ist der eigentlich?
Höhepunkte
Aus
dem Gamle Havn raus- und in die Dyvig reinkreuzen - unmöglich?
Folkeboote können das. Paula und ich sogar beides am gleichen
Tag.
Ein bisschen Nervenkitzel angesichts der umgebenden Untiefen darf gerne
sein - das schärft die Sinne. Das gilt auch für
Projekt
Skovballe. Skovballe ist ein kleiner Hafen an der Südseite von
Taasinge. Er steht in keinem Törn- oder Hafenführer,
und mit
einem Meter Solltiefe ist er selbst für uns zu flach und damit
beinahe uninteressant. Erik hat hier auf einem Foto im Internet mal
eine LM27 liegen sehen, aber das beweist wenig, die hat nur 95
Zentimeter Tiefgang. Dort beginnt eine - natürlich unbetonne
- Rinne von sechs Metern Tiefe zwischen Taasinge und einem ausgedehnten
Flach mit großen Steinen nördlich von
Hjortø. Die
dänische Südssee - eine ertrunkene
Grundmoränenlandschaft - ist voll von solchen
Abkürzungen.
Ich sehe das so: Völlig uncoole, ambitionslose Typen starten
den
Diesel, sobald sie Betonnung sehen. Anfänger mit Grips achten
darauf, den Sollkurs auch wirklich laufen zu können, und sind
dann
trotzdem völlig gestresst. Fortgeschrittene betrachten es nach
Jahren des Zauderns und Zögerns - zurecht - als Heldentat,
eine der
betonnten Rinnen ohne Grundberührung aufgekreuzt zu sein. In
der
dreizehnten Saison wird es höchste Zeit, uns an der letzten
fehlenden Querfeldeingeschichte zu versuchen.
Dabei geht
es auch um den neuerlichen Beweis, dass die Papierseekarte in
Kombination mit Echolot, GPS, gründlicher Vorbereitung,
Intuition
und ordentlichem Ausguck der elektronischen Seekarte massiv
überlegen ist. Vor Jahren ist Frieda hier von
Chartergästen
durchgesegelt worden, die auf Navionics vertrauten. Sie hatten
Glück, dass gleich ein Lüttfischer kam und sie
freischleppte.
Und sie berichteten, dass sie laut ihres Tablets an der Stelle, wo sie
festkamen, in tiefem Wasser fuhren, in der Papierseekarte hingegen
genau dort die Untiefe verzeichnet war. Elektronische Seekarten werden
ständig aktualisiert, indem mit aller Elektronik ausgestattete
Yachten permanent Wassertiefen und zugehörige Koordinaten
übermitteln. In der Regel handelt es sich um große
Schiffe
mit viel Tiefgang. Und naturgemäß halten gerade die
sich an
die betonnten Wege und trauen sich niemals in riskanteres Terrain.
Während also die vielbefahrenen, ohnehin gut betonnten Rinnen
millimetergenau vermessen werden, ist eben hier, wo es vermeintlich
darauf ankommt, die Genauigkeit der elektronischen Seekarte weit
entfernt von dem, was sie suggeriert.
Ich
bin gut vorbereitet: Ein weiteres Gewirr von Kurslinien und Koordinaten
ziert die zerfledderte Seekarte. Es kann eigentlich nichts schiefgehen.
Als es aufbrist und Paula mit fünfeinhalb Knoten dem
Untiefenparadies entgegensaust, berge ich dennoch das Groß.
Dreieinhalb Knoten unter Fock sind für heute genug. In der
Karte
sieht es total eng aus, so als läge unmittelbar
südlich der
sechs Meter tiefen Rinne ein Stein und ein Flach von einem Meter Tiefe,
während die Zweimeterlinie im Norden auch nur eine Handbreit
entfernt ist. Letztlich ist es ganz einfach, die Rinne unendlich breit
und wahnsinnig tief. Südlich des Hafens steht ein Pfahl, keine
Ahnung, zu welchem Zweck, aber wenn man ihn dicht an Backbord
lässt und dann stoisch 300 Grad hält, ist man sicher.
Der
Hafen sieht verlockend aus. Bei Nordost könne man hier perfekt
ankern, das werden wir garantiert demnächst tun und bei dieser
Gelegenheit auch den Hafen ausloten. Das wäre allerdings mit
dem
Schlauchboot.
In
der Folgewoche kreuzen wir die Rinne auf. Das ist in Wahrheit total
einfach, jedenfalls mit Echolot, weil die Tiefe markant von sechs
Metern auf einen runtergeht. Wenn die Sonne scheint, kann man die
Untiefen am hellgrünen Schimmer auch bestens erkennen. In
Woche
vier lösen wir auch noch das Rätsel um die
Wassertiefe des
Hafens: An diesem Tag (mit überdurchschnittlichem Wasserstand
im
Gamle Havn) können wir zehn Meter vor der Rinne auf 1,30 m
Tiefe
gerade noch abdrehen. Eigentlich suchen wir einen Ankerplatz. Aber
dicht genug am Wald, um vor den ruppigen Böen
geschützt zu
sein, ist es immer gleich erheblich zu flach. Also verschieben wir das
Vergnügen auf einen ruhigeren Tag im nächsten Jahr.
Genau wie das Ankern vor Vigø: Die hohe, bewaldete und
bewohnte
Insel in der Helnæs Bugt lockt mich zum Landgang per
Schlauchboot. Letztes Mal haben wir vor Vigø geankert,
allerdings ohne Landgang, und deshalb die Mittwochsregatta verpasst.
Heute gehen wir in den Hafen, es ist aber kein Mittwoch, Falsled
deshalb eher langweilig, und wir versäumen das Ankern. Der
Südost soll über Nacht auf West, ich
befürchte sogar:
Nordwest, drehen. Tut er aber nicht, wir hätten perfekt ankern
können. Dieser Höhepunkt entgeht uns also.
Flottille mit Salty und Martha. Die Prognose ist dermaßen
miserabel, dass Paula und ich, wären wir nicht fürs
Segeln
gebucht, tendenziell eher in Arnis bleiben würden: Samstag
Starkwind. Sonntag Starkwind, spätnachmittags (vielleicht ein
bisschen) abnehmend. Montag schwachwindig, Dienstag schwachwindig.
Mittwoch und Donnerstag Starkwind. Freitag ein vernünftiger
Südost. Über Schleimünde und Gelting
schaffen wir es
nach Marstal. Den Mittwoch verbringe ich unter der Kuchenbude.
Donnerstag: Ausschlafen. Büroarbeit. Mittagsstunde.
Seewetterbericht. Oha: Vernünftiger Nordwest? Freitagmmorgen
um sieben Uhr morgens schon Böen sechs bis
sieben. Im weiteren Verlauf Mittelwind sechs und an die zwei Meter
Welle. Heute hingegen nehmen die Schauer und die abrupten Böen
allmählich ab. Bei Nordwest kommen wir super in die Schlei,
und
wenn wir rechtzeitig losfahren und der Wind ein Weilchen hält,
schaffen wir es vielleicht sogar vor der Dunkelheit. Naja, bei
genauer Betrachtung haben wir Westnordwest, West drehend. Wird knapp.
Aber lieber die hundert Meter vom Leuchtturm zum Hafen
Schleimünde
im Dunkeln ertasten, als morgens um vier in der Finsternis Segel setzen
und das enge Fahrwasser aufkreuzen, Gewitterwarnung und Starkwind im
Nacken. Ich erledige eilig den Abwasch. Kurz nach vier legen wir ab.
Kurz
gesagt: Es läuft nicht besonders. Bis Vejsnæs Nakke
können wir den Sollkurs noch laufen, dann dreht der Wind
westlicher und westlicher, südlicher und südlicher,
die
Strömung versetzt uns zusätzlich in die falsche
Richtung, und
kaum habe ich mich über immerhin viereinhalb Knoten gefreut,
sind
es auch schon wieder nur knappe drei. Der Seegang ist stampfig und
kostet Fahrt. Im Hellen ankommen? Nicht an diesem Tag. Dabei schlagen
Paula und ich uns vergleichsweise wacker. Wir sind gleich hinter dem
Strand aus dem Fahrwasser abgebogen und auf Kurs gegangen, anstatt bis
zur Ansteuerungstonne auf Südostkurs zu bleiben, also sind wir
jetzt eine halbe Meile in Luv und liegen vorn. Seepockige Martha
läuft ein
bisschen weniger Höhe, kommt aber auf. Salty müht
sich.
Irgendwann fährt die Crew die erste Wende, viel zu
früh nach
meiner Ansicht, es sind noch gar keine Details der deutschen
Küste
erkennbar. Dauernd hin und her zu fahren, kann an einem Tag wie diesem
demoralisierend sein. Ich merke, dass wir durchaus Wind haben und nur
so langsam sind, weil wir so viel Höhe laufen. Ich schiebe
den Traveller von Luv in die Mitte - wir werden einen Knoten
schneller und lassen
Martha hinter uns. Salty ist in der Dämmerung schon nicht mehr
zu
sehen.
Der Kurs wird immer schlechter - eben hatten wir noch Damp voraus,
jetzt ist es die Eckernförder Bucht, am Ende landen wir wohl
in
Kiel - aber das lässt auf einen günstigen Kurs nach
der Wende
hoffen. Die Sonne geht unter. Ich sehe mal nach, wo wir sind.
Allmählich senkt sich die Dunkelheit. Und plötzlich
spüre ich, wie großartig es ist, in der Nacht zu
segeln.
Martha
meldet sich über Funk: Ob ich ihre Positionslichter sehen
kann,
sie wissen nicht, ob sie funktionieren. Ich sehe die Steuerbordposi und
das Dampferlicht. "Das müsst ihr ausmachen", empfehle ich und
bin
zufrieden damit, wie die selten genutzten Lichter funktionieren. In
Hochstimmung betrachte ich das vor uns liegende Lichtermeer. Filtere
die Zeichen heraus, die wir brauchen: Leuchtturm Schleimünde,
zuerst im grünen, dann im weißen Sektor.
Ansteuerungstonne
Schleimünde. Und die nordöstliche Tonne vom
Sperrgebiet
Schönhagen. Die ist jetzt viel früher und eindeutiger
auszumachen, als bei Tage. Der ganze Rest - Damp, Olpenitz, das
Arbeitsschiff, das dazwischen vor sich hinbaggert - interessiert mich
nicht. Als wir Sperrgebietstonne und Leuchtturm in Deckung haben,
wenden wir. Von Martha ist nichts mehr zu sehen. Aber wir segeln genau
auf Schleimünde zu, und es ist jetzt ja auch
überhaupt nicht
mehr weit. Und so genieße ich, wie Paula unaufhaltsam und
zügig durch die Nacht saust, die Sperrgebietstonne an Backbord
lässt und wenig später die Ansteuerungstonne
passiert. Jetzt,
wo die Welle weg ist, übergebe ich Paula das Ruder und
schwenke
auf dem Vorschiff die Taschenlampe, um die beiden unbefeuerten Tonnen
zu suchen. Die rote entdecke ich, als sie deutlich querab ist - wir
sind schön südlich des Fahrwassers und haben vor uns
keine
Hindernisse. Majestätisch gleitet Paula zu später
Stunde in
die Schlei.
Um
halb elf segeln wir in den Hafen. Der Wind schläft ein. Ist
mir
gerade recht - ich berge die Segel und wrigge uns in die Folkebootecke.
Folkeboot Fairplay liegt hier, doch Timo schläft schon. Wer
noch
wach ist, bietet Hilfe beim Anlegen an, aber es ist ja gar nichts los,
bei fast null Wind ein Boot zu drehen und ein paar Leinen auszubringen,
kriege ich wohl hin. Vor allem in so guter Laune wie jetzt! Ich finde,
wir waren richtig gut, Paula und ich! Viel zu lange hat es mal wieder
nicht geklappt mit Nachtfahrten. Und wenn ich ehrlich bin, haben wir es
bisher vermieden, in der Dunkelheit anzukommen - es war immer
früher im Jahr, wenn es nur vier, fünf Stunden dunkel
ist,
und dann immer mit Ablegen vor Sonnenuntergang und Anlegen nach
Sonnenaufgang. Nun sind die Segel fluffig runtergegangen, das Anlegen
war problemlos, der Anlegerotwein ist redlich verdient. Es wird ein
langer Abend - der Wind ist nicht nur im Hafen fast eingeschlafen,
sondern auch weiter draußen. Martha kommt um Mitternacht
angesegelt, leise und beinahe unsichtbar. Salty trifft gegen eins unter
Motor ein. Mit der Crew, den beiden Christophs, plaudere ich noch, bis
um zwei der Regen einsetzt.
Das nächste Mal verlassen wir Schleimünde morgens um
sechs,
dem Sonnenaufgang entgegen. Wie vorhergesagt, wird es gegen elf Uhr
dümpelig - doch da sind wir schon an Marstal vorbei und
schaffen
es mit etwas Geduld noch bis Hjortø. Das ist okay, doch die
ersten Meilen des Morgens bleiben unvergesslich.
Auf dem Rückweg, von Mjels Vig nach Gelting, unterwegs im Als
Fjord: Wir werden überholt von einer X-Yacht und einem
weiteren
Boot, in dessen Großsegel grüne Schrift für
einen
Gartenbaubetrieb wirbt. Gemeinsam überholen wir gleichzeitig
eine
durchschnittliche Fahrtenyacht, Dehler oder Hanse oder so. Wir
nähern uns dem Sund - hier werden die Karten neu gemischt. Die
durchschnittliche Dehler birgt die Segel und motort. Unerwartet viele
tun das nicht, sondern kreuzen. Die X zieht davon. Die Gartenbauer
wollen wohl nach Augustenborg - denke ich, bevor sie wenden. Die laufen
einfach keine Höhe. Dann erweckt ein anderes Boot meine
Aufmerksamkeit. War vorher noch gar nicht zu sehen, jetzt
dümpeln
sie vor uns herum. Schade, keine Konkurrenz. Denke ich. Sie wenden am
Westufer, wir müssen einen Schlenker um ihr Heck fahren. Wir
wenden dreißig Meter in Luv, und ich erwarte, in wenigen
Minuten
mühelos vorbeizusegeln.
Daraus
wird aber nichts. Das Ding läuft unglaubliche Höhe.
Ich
versuche, den gleichen Kurs zu laufen, aber dann bleibt Paula fast
stehen. Es ist ziemlich böig aus Südsüdwest,
am Ostufer
ist also der meiste Wind zu erwarten, aber wir können ja wohl
jetzt nicht Höhe vergeuden in der Hoffnung darauf. Das Boot
zieht
davon. Aber - eben sind wir doch noch so rasant aufgekommen!
Könnte es daran liegen, dass die Crew nicht bei der Sache war,
bis
sie feststellte, dass ein Folkeboot mächtig aufkommt? Wacker
fahren wir unsere Wenden und fallen zumindest nicht weiter
zurück.
Aber die sind schneller und laufen mehr Höhe - wir
müssen
etwas anders machen als die. Also höre ich auf damit, die
Schläge immer ans Westufer auszufahren, bis wir in der
Abdeckung
hängen. Wir wenden früher, schon im Fahrwasser. Am
Ostufer
kann man ohnehin segeln, bis es flach wird.
Ergebnis: Wir holen wieder auf. Kurz vor der Hochbrücke sind
wir
auf fünfzig Meter ran. Dann kriegen die eine Bö, die
uns
nicht erreicht. Anschließend bergen sie die Segel. Das haben
inzwischen so gut wie alle getan, die meisten, um noch die
Brücke
zu schaffen. Die Höhelaufer tuckern langsam, wir haben beide
die
aktuelle Brückenöffnung verpasst. Wir fahren noch ein
paar
Holeschläge, dann erreichen wir das Boot. Sieht aus wie eine
Spækhugger, nur größer - könnte
das die
berühmte, hochgelobte Grinde sein? Ich googele eilig.
Segelzeichen
passt, der Rumpf sieht genauso aus wie auf dem Foto. Der
Wikipedia-Artikel ist voll des Lobes über die guten
Segeleigenschaften. Die Crew, drei ältere Herren, ruft:
"Respekt!"
Und ja: Wir haben sie nicht mehr gekriegt, das wäre ja auch
höchst erstaunlich gewesen, aber wir haben extrem gut
mitgehalten.
Und es hat Riesenspaß gemacht. Wir zelebrieren das, indem wir
uns
vor der Klappbrücke vierzig Minuten auf die Lauer legen, bevor
wir
mit Vollzeug und Vollgas durchpreschen.
Nun erstmal Schietwetter. Wir bleiben, wo wir sind. Dann beginnt wieder
die Zeit der Kurztörns und Trainings - so richtig werden wir
nicht
mehr loskommen aus der Schlei. Sollte ich bedauern, was wir nicht
erledigt haben? Es gab kein Fyn rund und kein Barsø. Wir
haben
nicht vor Skovballe geankert bei Nordost. Wir haben nicht vor
Vigø geankert bei Südost oder Nordwest. Im Lindelse
Noor
gibt es immer noch Ecken und Winkel, die wir nicht ausgelotet haben.
Mit anderen Worten: Wir haben genügend Pläne
für die
nächste Saison! Das bedaure ich nicht - ich freue mich darauf.
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