Paulas Törnberichte | ||||||
In der
Waschmaschine (Sommerreise 2021, Episode
1)
Die Sommerreise beginnt mit dem idealen Szenario: Wir
nehmen uns am Samstag Zeit für ausgiebige Einweisungen, am
Sonntag laufen wir aus bei strahlendem Sonnenschein und höchst
moderatem Wind um die drei Beaufort – für die ersten
gut dreißig Meilen gibt es entspanntes
Schönwettersegeln. Ungewöhnlich ist nur die Uhrzeit:
Wir starten abends um acht.
Juni 2021
Die
Gäste haben - teilweise schon vor zwei Jahren - eine Reise von
Arnis in die Göteborger Schären gebucht. Dann kam
Corona.
Letztes Jahr habe ich das Projekt um ein Jahr verschoben. Dieses Jahr
ist zwischen Quarantäne, Testpflicht und Hochrisikogebieten
allen
klar: Hauptsache schön segeln, gerne als Gruppe und zu einem
beliebigen Ziel. Leider muss der nächste Crewwechsel in Arnis
stattfinden - unter Anderem, weil Salty an der ersten Etappe der
Sommerreise nicht teilnimmt, sondern sich die Zeit in Gelting mit
Dämmertörns vertreibt. Sie müssen wir
natürlich
wieder aufsammeln. Während überall die Inzidenzen und
Einreisehindernisse sinken, bleibt für uns ein
schöner Plan:
In zwei Wochen gemütlich rund Fyn.
Rund
Fyn?`Anke ist nicht begeistert. Sie ist traumatisiert von einer
ähnlichen Reise, allerdings auf einer
größeren Yacht,
auf der offenbar die größten, hässlichsten,
lautesten,
fiesesten Häfen der Insel abgeklappert wurden. Gleichwohl
lässt sie sich überreden, es noch einmal zu
versuchen. Sie
hatte selbst ein Folkeboot am Baldeneysee und bildet ein eingespieltes
Team mit Vorschoterin Beate. Als die beiden nach der Anreise Martha in
der Abendsonne erblicken, höre ich: „HHhhhhhhh ist
die
schön!“
Oli
freundet sich gleich mit Jakob an. Er segelt einhand und ist der Traum
jedes Vercharterers: Seine Segelerfahrung (trotz jungen Alters), sein
technisches Verständnis, sein Gespür und seine
Intuition
machen ihn schnell zur verlässlichsten
„Crew“ der
Gruppe. Den Rest erledigt Oli – und nimmt sich ihre
Belohnung: Zu
Beginn frage ich Jakob, ob er eigentlich Dosenbier an Bord hat, was er
bejaht, und kläre ihn darüber auf, dass Oli sich
davon gerne
mal eins aufmacht. Zur Mitte der Reise ist es dann so weit.
Sabine
hat ein eigenes Folkeboot an einem
Binnenrevier, aber außer einem Mitsegeltörn auf
einem
Zweimaster keine Ostseeerfahrung. Dann wird sie auch noch von allen
potenziellen Mitseglern hängengelassen. Fündig wird
sie im
Internet: Anna ist noch nie gesegelt, aber hochmotiviert, und die
beiden sind sich spontan sympathisch. Ob das reicht für gut
zweihundert anspruchsvolle Seemeilen, für vierzehn Tage
gemeinsam
auf engem Raum?
Wie
immer schärfe ich allen Beteiligten unter Anderem dies ein:
Wir
dürfen uns nicht gegenseitig in die Quere kommen. Segelsetzen
und
-bergen, An- und Ablegen – in kleinen Häfen bitte
immer nur
ein Boot zur Zeit, die Anderen warten draußen, den Rest
regeln
wir per Funk. Klappt über zehn Segeltage und über 200
Seemeilen vorzüglich, bis wir auf dem
Rückweg Schleimünde anlaufen: Eine brütende
Möwe
und der neue Hafenmeister stiften Chaos, indem sie bisher ohne Weiteres
nutzbare Liegeplätze plötzlich blockieren. Das hat
zur Folge,
dass Jakob, Beate, Anke und ich lange damit beschäftigt sind,
Martha an-, ab und wieder anzulegen. Frieda müsste so lange
warten,
draußen
vorm Hafen, an einem Pfahl oder im Becken treibend. Sabine wusste das
eben noch.
Die Bilder der zurückliegenden Tage und der nächsten
fünf Minuten wirbeln herum, als wären sie
versehentlich in die Waschmaschine geraten. Sie sausen wild durch die
Trommel, zeigen sich in beliebiger Reihenfolge am Guckfenster, kleben
als Collage fest, weichen allmählich auf und lassen einen
verschmierten Gesamteindruck zurück: Eine angespannte
Schiffsführerin, die ihre Vorschoterin
als Naturtalent lobt. Frieda, die im Affentempo an allem
vorbei auf den
Strand zu motort. Sabine, die an jedem Segeltag eine Menge neuer
Erfahrungen sammelt, die sie in Ruhe verarbeiten müsste. Annas
Beschwerde: "Kannst du nicht deinen Kaffee an Land kochen? Du weckst
mich jedesmal." Frieda, die wieder schwimmt, abdreht, umkehrt und
erneut viel zu schnell Richtung Strand saust. Dann wieder
Sabine, die einmal ihr Boot Stunden nach den Anderen in den
Hafen bringt, am
nächsten Tag mit Jakob herausfindet, woran es lag, und zwei
Tage später
mit bester Laune die kabbeligste aller kabbeligen
Waschmaschinen durchsegelt. Ein mühsames
Anker-auf-Gehen, das der fragilen Bordharmonie die ultimative
Peroxidbleiche verpasst.
"Bloß nicht wieder festkommen!" -
Sabine legt Ruder. Es endet im
Heck
einer Yacht an der Westmole. Ich muss gar nicht lange gucken - das
hässliche Geräusch splitternden Holzes gibt
genügend
Auskunft. Es wäre schade, wenn von der ganzen tollen Reise
hauptsächlich dieses Missgeschick in Erinnerung bliebe -
provisorisch ist die Stelle schnell mit einen Stück Sperrholz
und
reichlich Pantera repariert, den Rest erledige ich im Winter. Aber
natürlich muss es erwähnt werden. Und
natürlich bedarf
es einer Erklärung. Naturgemäß finden wir
die in Sabines Kopf, wo neben der Verantwortung als
Schiffsführerin und der erheblichen Lernprozesse kein Platz
war für ein zunehmend angespanntes Verhältnis zur
fremden Mitseglerin. Fazit: Von der Mitseglersuche per Internet sei
dringend abgeraten!
Nun denn - davon abgesehen ist es eine gelungene Reise. Bei der
Einweisung künde ich unter Anderem
an: „Ihr
müsst
nicht alles nachmachen, was Paula und ich machen. Zum Beispiel habe ich
mir vorgenommen, den Außenborder nur für die
Brücke in
Kappeln zu benutzen“. Um es vorwegzunehmen: Hat geklappt! Und
das
spricht ja schonmal für die Törnplanung.
Samstag:
Grenzwertige 5-6 und erheblicher Einweisungsbedarf – wir
bleiben
in Arnis. Sonntag ist es eine Windstärke mehr. Die Prognose
für den Montag klingt auch schon wieder grenzwertig. Ich will
weder die Boote noch die Gäste mit einem guten Meter Seegang
zermürben, und diese Gruppe scheint ganz besonders dringend
einen
soften Start zu brauchen. Das können wir haben – nur
eben
über Nacht. Pünktlich Sonntagabend um sieben schaltet
jemand
die Böen aus. Um acht laufen wir aus und segeln zur
Brücke.
Kurz nach Sonnenuntergang erreichen wir Schleimünde. Die erste
Stunde draußen nervt die alte Welle, dann segelt es sich
wunderbar und leidlich zügig auf das Leuchtfeuer
Vejnæs
Nakke zu. Es ist kurz nach Neumond, richtig dunkel wird es trotzdem
nicht. Zehn vor drei erreicht Paula das Fahrwasser nach Marstal. Ich
überlege, auf die anderen zu warten, aber die sind nicht weit
zurück, können zumindest sehen, welchen Weg wir
nehmen, also
scheint es mir sinnvoller, auszuprobieren, wie gut man schon die Tonnen
erkennt. Ich finde: Ausreichend gut. Zumindest heben sich die roten
deutlich gegen den hellen Morgenhimmel ab, die grünen sind vor
der
dunklen Insel weniger gut zu sehen. Aber die brauchen wir auch nicht,
wir müssen nicht kreuzen. Um fünf Uhr erreichen wir
Strynø.
Dienstag:
Schlaf ist nachgeholt, die Insel erkundet. Erik und Pommery haben sich
zu uns gesellt. Gemeinsam segeln wir weiter nach Nyborg. Dort lassen
wir uns erstmal auf das Coronavirus testen, kaufen ein, planen den
nächsten Schlag - Mittwoch nach Korshavn. Wir starten mit
wenig Wind, die Hoppelwelle kündet von
fünf Windstärken weiter südlich oder vor
einer halben
Stunde. Nach der Store Belt Bro ist der Fockausbaumer gefragt.
Allmählich brist es auf, das Ausbaumerbergen an der Nordspitze
von Fyn ist echt ein bisschen sportlich. Ab hier müssen wir
eine knappe Stunde Höhe laufen, dann sind wir am Ziel.
Kurz
nacheinander erreichen Paula, Oli und Martha den Naturhafen. Der Steg
ist ziemlich leer. Nur ist bei Südost 5 das Anlegen ein
wenig komplex: Man muss ganz um den Steg herumfahren, um gegen
den Wind Fahrt abzubauen. Paula und ich versuchen es nur mit dem
Großsegel, klappt auf den Punkt. Jakob geht es defensiv unter
Motor an – klappt auch. Martha versucht es mit einem
Aufschießer mit der Fock. Das geht nach meiner Erfahrung
immer
schief, so auch diesmal: Zunächst zu schnell, dann
abgetrieben
und verhungert. Anke wählt Plan B, fährt bewusst auf
den
Strand. Ein hilfsbereiter Däne rudert hin und nimmt eine lange
Landleine entgegen, mit der sie sich aus dem Schlick raus- und an den
Hafen ranziehen können. Ein deutcher Segler fühlt
sich
berufen, den beiden Frauen („seid ihr ganz allein an
Bord?“) „helfen“ zu müssen,
grölt dusselige
Anweisungen, zerrt an der Leine in unsinnige Richtungen. Oli ist
inzwischen fest, ich gehe da mal rüber. Nehme ihm die Leine
weg
– er hat Martha schon halb in eine Box gezerrt, in der sie
gar
nicht liegen soll, und was er da in der Hand hält, sind
Marthas
sämtliche zusammengeknotete Festmacher. Die braucht sie ja
erstmal
wieder, also soll sie am Pfahl bleiben, um das Tauwerk zu klarieren
– ich muss leicht unfreundlich werden, bis er endlich
loslässt. Ich meine: ist doch mein Boot und mein Tauwerk, ne?
Frieda
lässt sich ewig nicht blicken. Ja, okay, sie sind
sicherheitshalber ohne Ausbaumer
gesegelt,
aber die waren doch trotzdem die ganze Zeit in Sicht...was machen die
denn nur?
Sabine klingt (wie bisher immer) gereizt und gestresst, als sie sich am
Funk meldet. Das Anlegen gelingt relativ unspektakulär, aber
es
steht die Frage im Raum: Warum läuft Frieda keine
Höhe? Das
nämlich war das Problem.
Donnerstag: Südost fünf bis sechs, gelegentliche
siebener
Böen – wir bleiben, wo wir sind. Mir kommt eine
Idee,
Friedas Höheproblem anzugehen, doch bevor ich sie
äußere, hat Jakob eine viel bessere: Oli und er
laufen mit
Sabine und Anna aus und gehen ein Stündchen vor der
Haustür
spielen. Mir bietet das die seltene Chance, ganz in Ruhe von Land aus
das dicht am Strand entlangsegelnde Boot in voller Fahrt zu
fotografieren – sonst muss ich dazu immer nebenbei auf Paulas
eigenen Kurs achten. Die Mission ist erfolgreich, das Problem
analysiert: Die Fock war nicht richtig dicht.
Ich
kenne das Problem, zu viel Höhe laufen zu wollen und sich nur
noch
in der Welle festzustampfen. Oder das gegenteilige Problem, zu doll
abzufallen und mehr oder wenig halbwinds hin und herzufahren. Jetzt,
nach dieser Probefahrt, macht durchaus Sinn, was Sabine beschrieben
hat: Die zu offene Fock fängt frühzeitig an zu
schlagen,
dadurch wird auch das Groß nicht sauber angeströmt,
sondern
zappelt in den Turbulenzen. Wenn man nun abfällt, bis die Fock
wieder steht, ist der Anstellwinkel des Groß erheblich zu
dicht
– das Segel erzeugt im Wesentlichen Lage. Und das
verführt
natürlich dazu, noch weiter abzufallen, bis sich das Boot ein
bisschen aufrichtet. Nun sind beide Segel zu dicht, das Boot ist
langsam, und es fährt sonstwohin anstelle von: Ans Ziel.
Freitag:
Entlang der Nordküste Fyns ist es warm, sonnig, sehr diesig
(keine
Landsicht) und schwachwindig. Die Stunden bis Aebelø sind
zäh. Dann gibt es endlich wieder etwas zu gucken, Tonnen zum
Beispiel, ein achterliches Brischen kommt auf, zeitweise sind wir mit
ausgebaumter Fock richtig schnell. Alle, nur Frieda nicht –
erst
fährt sie wieder ohne Ausbaumer, später dann mit
losem
Baumniederholer und dichter Großschot. Es ist ein bisschen
gemein: Am-Wind-Segeln haben Sabine und Anna mit Jakob geübt,
jetzt scheitern sie am Vorwindkurs. Ich rechne mit genervten
Gesichtern.
Doch
als sie erstaunlich schnell den Hafen erreichen, klingt Sabine schon am
Funk total entspannt – die beiden hatten, Ausbaumer hin,
Baumniederholer her, einen vergnüglichen Segeltag. Wir
probieren
Rosenvold eingangs des Vejle Fjords aus. Das Hafenhandbuch
schwärmt von einem Schloss und wunderschöner
Landschaft. Was
mich als erstes irritiert, ist der benachbarte riesige Campingplatz,
und auch der Hafen hat so eine typische
Campingplatzatmosphäre:
Man sitzt an Bord oder an Land, offenbar fährt hier kaum
jemand
wirklich mal raus mit seinem Boot. Die Leute sind aber alle sehr nett
und bieten und freie Liegeplätze an. Mit uns ist es dann auch
wirklich voll. Prädikat: Für dieses eine Mal okay,
aber hier
muss man nicht öfter hinkommen.
Am
nächsten Tag sollen wir bei Südwest nach Middelfart.
Weiter
ergibt keinen Sinn – das wären dann nochmal
fünfzehn
Meilen gegenan bei zunehmend frischem Wind und reichlich
Strömung.
Über die Strömung plaudern wir vorab ein bisschen
ausfühlicher – im Snævringen, der engen
Passage
zwischen Fredricia und Middelfart, gurgelt die bisweilen ganz
gehörig, doch man hat gute Chancen, in ausreichend tiefem
Wasser
Neerströme zu finden.
Zunächst
beginnt der Tag heiß und windstill. Es fällt auf,
dass am
Südufer des Fjords munter schon munter gesegelt wird. Die
Flaute
ist gut – bei volles Rohr Südwest wäre es
ein bisschen
schwer, hier rauszukommen. Jedenfalls für Erik, der keinen
Motor
hat, für mich, weil ich ihn nicht benutzen will, und
für
Jakob, der der dann einhand im vollen Geschaukel kurz vorm Strand die
Segel setzen müsste. Wir haben es eilig: Markantes
Gekräusel
wandert langsam auf uns zu. Das ist der Wind, mit dem wir lossegeln
sollen. Aber erst, wenn wir entspannt rausgewriggt sind und die Segel
oben haben.
Also
dann: Pommery, Martha, Oli und Paula wriggen und treiben dicht
hintereinander aus dem Hafen, Segel hoch, und zack! – die
erste
Bö ist gleich eine stramme vier. Frieda hat sie den
Moment verpasst. Sabine reagiert geistesgegenwärtig: Sie
reißt den Motor an und gibt Gas, bevor das Boot in der
Bö
vertreibt.
Die
nächsten zwei Stunden verlaufen gemächlich: Hier und
da zeugt
Gekräusel von Wind, wer das Feld zuerst erreicht, segelt einen
Vorsprung heraus. Erik telefoniert, ich mache Fotos, Martha profitiert
davon, Oli fällt zurück, Frieda holt auf. Dann werden
die
Karten neu gemischt. Schließlich biegen Pommery, Paula und
Martha
als erste in den Trichter vor Fredericia ein. Wir beginnen zu kreuzen.
Eine
halbe Stunde geht das noch so dödelig vor sich hin. Dann liegt
Paula plötzlich auf der Seite, und ich konfiguriere alles um
für die satten fünf Windstärken, mit denen
wir es nun zu
tun haben. Wir kriegen den neuen Wind zuerst, segeln erstmal einen
schönen Vorsprung heraus. Ich suche am Südufer den
Neerstrom.
Ein Fehler: Pommery überholt am Nordufer, Martha kommt auf.
Kurz
vorm Leuchtturm Striben werden die Karten neu gemischt, das Fahrwasser
knickt ab. Es fühlt sich an wie in der Waschküche:
Wind gegen
Neerstrom, ein chaotisches Gekabbel, es plätschert und spritzt
und
geht gehörig rund. Aber wir sind tierisch schnell!
Erik
segelt den Schlag Richtung Fredericia zu lange aus. Die Stromkante ist
wunderbar zu sehen – und auch, wie Pommery dort sofort
stehenbleibt. Wir sind wieder vorne. An der nächsten
Stromkante
passe ich für einen Moment nicht auf – Pommery
überholt. Nun finden Paula und ich am Westufer in der
Windabdeckung besseren Strom und passieren die Autobahnbrücke
im
Neerstrom, Pommery dagegen im Hauptstrom – wir sind wieder
vornean. Der restliche Weg zum Hafen verläuft so: Auf
Steuerbordbug fahren wir mit zweieinhalb Knoten ungefähr
dahin,
wohin die Bugspitze zeigt. Auf Backbordbug sausen wir mit sechs Knoten
und dreißig Grad Versetzung erheblich am Ziel vorbei.
Das
Anlegen wird dann nochmal richtig spannend – die
Strömung
gurgelt direkt vor der Einfahrt vorbei. Unter Segeln ist das mit
passendem Vorhaltewinkel kein großes Problem, wir
müssen
dann nur beherzt Ruder legen, sobald es aus der Strömung raus
und
im nächsten Moment in den engen Hafen geht. Unter Motor
lässt
es sich nicht anders machen, als mit der Strömung und
ordentlich
Gas an der Außenmole entlangzusausen, das dürften
gute acht
Knoten über Grund sein, damit man dann beim Eindrehen Antrieb
und
Ruderwirkung hat.
Der
Nyhavn von Middelfart steht an der Stelle, wo früher mal
Thorkild
Lind Folkeboote gebaut hat. Zum Beispiel Oli und Frieda. Das Hafengeld
ist eine Frechheit – für 200 Kronen gibt es eine
einzige
Toilette für alle, kein WLAN und auch sonst nichts, das den
enormen Preis rechtfertigen würde. Der Hafen ist so
hässlich,
dass Erik sofort weiterfahren möchte und sich diesen Unfug nur
mit
Mühe ausreden lässt.
Doch als die Anderen kommen, eignen wir ihn uns an: In der allerletzten
Ecke liegt ein abgerockter Fischkutter, der offenbar zum
Hafenrestaurant gehört, aber weder gepflegt noch jemals
gefahren
wird. In seiner Box kriegen wir mit ein bisschen Gepuzzel drei Boote
unter – eine prima Folkeboot-Ecke im High-Tech-Hafen. Als zum
nachmittäglichen Kaffee die Kuchenbudenparty beginnt, ist Erik
vollauf besänftigt. Und Oli öffnet sich aus Jakobs
Vorrat ein
Bier.
Middelfart
ist ansonsten total toll gelegen, mit super Ausblick über
Snævringen, hübscher Altstadt und leckerer Pizza
(Erik
lädt mich ein). Gepustebedingt bleiben wir eine zweite Nacht,
unternehmen einen Ausflug zur Museumswerft (sehenswert! Allein schon
das viele tolle Krummholz!) und zu den weiteren Häfen. Den
Yachthafen
südlich der Stadt haben wir vor Jahren mal ausprobiert, der
ist
furchtbar und absolut indiskutabel. Im alten Hafen wäre sogar
noch
Platz für uns gewesen, aber dort liegt man bei jeder
Windrichtung
unruhig. An der Kongebro wäre ebenfalls noch Platz, und das
ist
eine echte Alternative – der Weg in die Stadt ist ein
bisschen
weit für einen umfangreichen Einkaufsbummel, führt
aber durch
ein Wäldchen und ist als Spaziergang unbedingt zu empfehlen.
Ja, die
Züge,
die über die Brücke rappeln, machen ziemlichen
Lärm,
aber nachts fahren die seltener. Im Nyhavn dröhnt ab
Mitternacht
Hiphop aus irgendeinem Auto, leise ist das auch nicht.
Auf dem Rückweg vom Kongebro Havn suchen wir spontan den
Westfriedhof nach Thorkild Linds Grab ab. Der hübsche Friedhof
mit
grandiosem Seeblick lohnt auf jeden Fall den Besuch, den Meister suchen
wir hier vergebens – das Internet gibt preis, dass er auf
dem
Westfriedhof liegt. Das wäre dann eine Aufgabe für
den
nächsten Besuch. In welchem Hafen wir dann liegen werden
–
keine Ahnung.
Drei
Wege führen südwärts aus dem
Snævringen:
Östlich von Fænø, zwischen
Fænø und
Fænø Kalv, sowie westlich von
Fænø Kalv. Wir
haben vereinbart, den mittleren Weg zu nehmen. Als wir uns den Inseln
nähern, rauche ich gemütlich eine Zigarette und
betrachte
nachdenklich den Verklicker. Dann entscheide ich mich für den
Fockausbaumer. Während dieser ganzen Zeit habe ich den Blick
aufs
Wasser versäumt, besser gesagt: Aufs Gekabbel.
Plötzlich
hängen wir im Neerstrom. Wir luven an, dazu nehme ich sogar
den
Ausbaumer wieder weg. Hinter uns vollzieht Pommery unsere
Kursänderung nach, doch dann entscheidet sich Erik
für den
östlichsten Weg. Ein Fehler: Hier ist die ganze Zeit
Gegenstrom.
Wir
sind wieder leidlich auf Kurs, nähern uns
Fænø Kalv.
Wieder Gekabbel, wieder Neerstrom. Mist. Es wird sogar noch viel
bunter: An der kleinen Insel bildet die Hauptströmung Wirbel,
die
sich von ihr scheinbar ablösen, in Wirklichkeit aber mit ihr
südwärts driften. Wir bekommen es mit drei
Geschwindigkeitskomponenten zu tun: Der Fahrt durchs Wasser, die der
Wind erzeugt. Der gegenläufigen Strömung, die uns
bremst. Die
uns aber nicht so doll bremst, weil wir ja gleichzeitig in unserem
Wirbel mit der Hauptströmung weiter nach Süden
laufen. Der
Wechsel von der Hauptströmung in den Wirbel ist ein ziemlicher
thrill: Der
Bug wird plötzlich nach steuerbord geschoben, das
Heck
weiterhin nach backbord – beherzte Vollruderlager verhindert
gerade noch die Halse.
Man
kann sich merken und gut einprägen, dass man hier bei
südgehendem Strom nur ganz westlich außenrum,
dichtestmöglich unter Land, wo die Stellnetze stehen,
kontinuierlich in der mitlaufenden Hauptströmung
fährt. Und
weil Paula am dichtesten drangeblieben ist an dieser Ideallinie,
erreicht sie mit großem Vorsprung die Stelle, wo
Snævringen
sich zu Bregningen weitet und die Karten neu gemischt werden.
Inzwischen regnet es. Durch die geschlossene Stratusdecke sind die
oberen Wolkenstockwerke nicht zu erkennen. Über
Jütland
grummelt es. „Gewitter?“, simst Erik.
„Flugzeug?“, schlage ich vor. Tatsächlich
sind
mindestens zweimal eindeutig Kampfjets zu hören, aber ein
Gewitter
ist da wohl auch. Es beschert uns schönen Wind und ein
mulmiges
Gefühl, bevor es nach Norden abzieht. Erik hat genug: Kalt,
nass,
keine Lust auf Ankern. Vielleicht zieht es ihn einfach nur
schnellstmöglich zur Klärung einer Beziehungskrise
nach
Lyø, oder er muss mal wieder sein eigenes Ding machen. Er
segelt
nach Aarø. Zum Glück fahren die Anderen nicht
stumpf
hinterher, sondern finden die Einfahrt in den Haderslev Fjord. Wir
bauen ein hübsches Viererpäckchen, es wird zwar nicht
sonnig,
aber immerhin trocken, und wir verbringen eine ruhige Ankernacht in
einer wirklich schönen Landschaft (ohne Schloss, aber auch
ohne
Campingplatz).
Dienstag Mjels Vig, Mittwoch Lyø, Donnerstag
Schleimünde
– so ist der Plan. Vorausgesetzt, wir haben an allen Tagen
genug
Wind, sonst müssten wir das über
Sønderborg
abkürzen. Lange war ich skeptisch, jetzt sieht es gut aus.
Vom
Haderslev Fjord in die Mjels Vig ist es nicht allzu weit, aber bei West
fünf bis sechs sind wir alle froh, dass es nur kurz ruppig
wird.
Erstes Problem ist das Anker-auf-Gehen: Wir liegen im prima
geschützten Fjord in einer Düse, noch dazu an einer
Stelle,
die in Lee von Ufern und Sandbänken umgeben ist. Man muss sich
also vom Päckchen lösen und gleich luvwärts
kreuzen,
bevor der Weg zurück ins Fahrwasser tief genug ist. Das letzte
Boot muss den Anker aufholen, ihn säubern und verstauen, und
gleichzeitig gegenan motoren, um nicht auf Grund zu vertreiben. Allein
kriege ich das nicht hin. Aber warum soll nicht auch Paula mal die
Gruppe zu Hilfe nehmen? Ich finde, das ist eindeutig ein Fall
für
eine Zweiercrew. Martha ist als Letzte ins Päckchen gegangen
und
hat keinen eigenen Anker – den müssten wir erst
zusätzlich ausbringen, damit sie die Letzte sein
könnte. Das
scheint mir umständlich, also bitte ich Frieda um den
Gefallen.
Ein Fehler: Sabine und Anna brauchen erschreckend lange dafür
- darüber eskaliert die prekäre
Crewkonstellation
endgültig. Aber dann war es wohl auch ein Fehler, die
Spannungen zu verbergen, anstatt offen darüber zu sprechen.
Nun, lassen wir das, fast wäre ja alles gutgegangen.
Von
Aarøsund in den Als Fjord ist es wirklich ein bisschen
sportlich, mehr Wind und Welle muss absolut nicht sein, doch Paula,
undicht wie sie bei Beanspruchung gerne mal ist, macht kaum Wasser.
Meine Sorge gilt den Charterern, doch die kommen gut klar. Wer den Weg
durch Stegsvig, Dyvig und Mjels Vig noch nicht kennt: landschaftlich
ein Traum, zunehmend wunderbar windgeschützt, die Einfahrt in
die
Dyvig ist schmal und spektakulär. Sabine klingt auch heute
wieder
total gelassen und fröhlich, als sie sich per Funk nach dem
besten
Platz zum Segelbergen erkundigt, und schließlich liegen alle
vier
Boote nebeneinander. Es gibt Livemusik im Hafen, die Stimmung
könnte nicht besser sein.
Nach
Lyø ist es eine sonnige, entspannte Überfahrt. Anke
ist
ganz besonders glücklich: Sie hat ihr Fyn-rund-Trauma
überwunden, nur tolle Orte, Häfen und Inseln gesehen
und großartige Segelerlebnisse gehabt, und sie hat von der
sagenumwobenen
dänischen Südsee immerhin Strynø
kennengelernt. Und nun
auch das Kleinod
überhaupt, das wunderbare Lyø. Vor
Ort gibt
es eine Fahrradtour mit Reiseführer Erik, abends St.
Hans-Feuer am
Strand. Erik und die Gäste versacken später noch in
der Gamle
Skole. Gleichwohl laufen wir pünktlich aus zum unvermeidlichen
Rückweg.
Zurück
an die Schlei – wir hassen es. Wenn Paula und ich in der
Behaglichkeit der dänischen Inselwelt angekommen sind und
sogar
kurz die Weite des Kattegats erahnen durften, sind wir schwer zu
überreden, in die Enge und die Engstirnigkeit unseres
„Heimatreviers“ zurückzukehren. Gleichwohl
haben wir
das aus pragmatischen Gründen nun so vereinbart. Also machen
wir
uns von Lyø aus auf den Weg nach Süden. Wie fast
immer,
wenn wir zurück zur Schlei sollen, ist es latent flautig, aber
wir
kommen durch. Kurz bin ich sogar in Hochstimmung, als wir fast ohne
Wind bei mitlaufender Strömung tatsächlich ohne Motor
in die
Schlei kommen. Für die Kabellänge vom Leuchtturm in
den Hafen
brauchen wir fast zehn Minuten, aber nur eine einzige Wende. Hier
werden wir einen gemütlichen letzten Abend verbringen und
Freitag
früh nur das kurze Stück nach Arnis kreuzen. Denke
ich.
Bei
der Ankunft in Arnis hat Martha Frieda im Schlepp - der Motor ist
ausgefallen. Ich verstehe sofort: Frieda hat ihn ausgemacht, aus
berechtigter Sorge vor einem weiteren derartigen
Anlegemanöver.
Als Martha sie längsseits am Mastenkran abgeliefert hat,
stecke
ich den Zündkerzenstecker wieder drauf und übernehme
das
Anlegen selbst. Die positive Wendung ergibt sich erst nach der Reise:
Sabine segelt fleißig weiter. Ihrem Mann ist schon
aufgefallen,
dass sie viel sicherer geworden ist, eine Menge gelernt hat. Er hat
versprochen, sie nicht noch einmal hängenzulassen, sondern
künftig ihr treuer und verlässlicher Segelpartner zu
sein.
Für nächstes Frühjahr haben die beiden schon
gebucht.
*** Hinweis: Personennamen wurden redaktionell geändert ***
weiter: Reise
zur Kanalinsel
P.S.
Jakob hat die Reise - seine Reise - in Form eines Videotagebuchs dokumentiert.
Und noch ein P.S.
Erik hat nach der Lektüre bemängelt, dass sein
badespaßiges Anlegen in Korshavn gar nicht erwähnt
wurde. Freunden langwieriger Schilderungen sei es nachgereicht: Wir
erinnern uns an die erfolgreichen Modelle - Ortskenntnis und
Großsegel (Paula und ich), fehlende Ortskenntnis und
Außenborder (Jakob und Oliese), sowie das gescheiterte mit
der
Fock (Martha). Ich kenne Erik als, nein, nicht
als Draufgänger, sondern als einen, der sein Boot im Griff hat
und noch verrücktere Sachen ausprobiert und hinbekommt, als
ich. Nun erlebte ich ihn extrem zurückhaltend: Er entschied
sich im für ihn fremden Hafen für die Variante vor
Topp und Takel. Im letzten Moment erkundigte er sich, ob man zwischen
den Pfählen durchsausen könne. Kann man, teilte ich
mit, doch es war eine schlechte Idee, weil das rechtwinkliges Abbiegen
bedeutete, wenn man im weiteren Verlauf einen der Pfähle zu
fassen kriegen wollte. Pommery schoss daran vorbei, Erik wriggte wie
der Teufel, um nicht auf den Strand zu vertreiben, arbeitete Pommery
noch einmal durch den Wind und erreichte unter den kritischen Blicken
des Hafenmeisters einen der Pfähle.
Von hier war es ein weiter Weg zum Liegeplatz. Jakob und ich warfen
alles, was wir aufbieten konnten: Affenfaust mit Wurfleine, lange Leine
mit angeknüppertem Fender, noch ein Versuch und ein erneuter
Anlauf. Bestenfalls landete das alles sechs Meter querab. Erik packte
in Ruhe die Segel, zog sich aus und sprang ins Wasser, um sich eine der
Leinen zu erschwimmen. Dafür hätten wir es auch beim
ersten
Versuch belassen können, der war so gesehen am dichtesten
dran.
Sabine ist auf standby, Leine in der Hand, hochkonzentriert und bereit,
Pommery an Friedas Seite zu ziehen. Als ich sehe, dass sich Erik die
ohnehin nassen Haare einschampooniert, empfehle ich ihr: "Beleg das auf
der Klampe da. Das dauert noch ein bisschen." Sabine guckt perplex,
dann begreift sie: Erik springt nochmal ins Wasser und wäscht
sich
den Schaum vom Kopf, dann zieht er Pommery an den Steg. Er ist eben ein
verrückter Kerl, und ich mag ihn dafür.