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Zuviel

Dänische Südsee im Juli: Die Fahrtenyachten sind zu groß, zu lang, zu breit, zu viele. Es gab Zeiten, als ein einzelnes Folkeboot immer noch zwischen zwei größeren Booten mit in die Box kam - kurz eine Achterleine hoch, zwischendurch gefahren, fertig. Heute gibt es kein Zwischen mehr: Die Boote liegen dicht an dicht selbst in den breitesten Boxen. Grandios, dass die tolle Zeitschrift Yacht in ihrer Charter-Rubrik genau jetzt, als auch der letzte Deutsche kapiert hat, dass er hierher segeln darf, auch noch Werbung für das Revier macht. Tenor: Die Häfen seien unzeitgemäß bis schäbig, die Einheimischen schrullig, die Preise zu hoch, das Wetter schlecht, aber davon abgesehen steht einem Törn rechtsherum von Marstal durch den Svendborgsund nach Lyø nichts entgegen. Von dänischen Bekannten ist momentan zu hören: "Ich segel jetzt nicht mehr. Erst wieder, wenn die weg sind."

Juli 2020

Die Butter genießt die Morgensonne. Sie weiß wohl, dass sie in der dunklen, kühlen Abgeschiedenheit der Bilge besser aufgehoben wäre - doch ist es nicht viel schöner, beim gemütlichen Treiben auf dem Cockpittisch dazuzugehören? Gar ein wenig im Mittelpunkt zu stehen? Sie ist eine fröhliche, glückliche, bestens gelaunte Butter. Dann, ganz plötzlich, von einem Moment zum nächsten, zerfließt sie in Selbstmitleid, bis nichts mehr übrig ist als triefendes Fett.

Mir geht es wie der Butter: Ich zerfließe in Selbstmitleid. Gerne habe ich die Sonnenwärme der Gesellschaft von netten Menschen und Freunden in den letzten Wochen ausgiebig genossen. Doch ich kenne mich lange genug, um zu wissen, dass ich das nur aushalte, wenn ich eine genügende Dosis Alleinsein bekomme. Paula kennt mich so gar nicht: In den letzten Jahren hat sich das gut die Waage gehalten, Einhandsegeln, Eigenbrötlerei und Geselligkeit. Nun habe ich es übertrieben. Paula und ich haben noch nicht einen einzigen Segeltag lang unser ungestörtes, einsames, unbeschwertes, erholsames Ding gemacht - immer waren wir in Begleitung anderer Folkeboote und ihrer Crews, oder wir befanden uns auf dem Weg zu ihnen.

Ich bin nicht überrascht. Ich habe es kommen sehen, dass ich mich dringend mal wieder verkriechen muss. Hoffentlich ist es nun nicht zu spät. Ich möchte keinen Menschen sehen oder hören, mir stehen Tränen in den Augen, ich spüre einen körperlichen Schmerz, der sich nicht lokalisieren lässt, und habe keine Lust: Auf Gesellschaft nicht, auf Segeln nicht, und auch auf nichts anderes. Ich kenne dies alles zur Genüge, auch wenn es lange her ist, dass es so schlimm war. Ich habe alle Mühe, meine kindische Umgehensweise damit zu unterdrücken: Meinen Mitmenschen wehzutun, sie spüren zu lassen, wie miserabel es mir geht, und sie mit Ratlosigkeit und schlechtem Gewissen zurückzulassen, wenn ich theatralisch die Flucht antrete. Erik, Hille und Michael haben das nicht verdient. Aber in verständlichen Worten erklären, was los ist - dazu fühle ich mich auch nicht in der Lage.

Die Angst vor diesem Zustand schwelte lange. Doch es gibt einen konkreten Auslöser: Folkeboot Lene hat Erik und mich zum Abendessen eingeladen. Aber sie möchten nicht weiter nach Norden oder Westen, am liebsten bleiben, wo sie sind. Also segeln wir von Haderslev nach Lyø - so hat Erik es mit Hille und Michael ausgemacht.

Bei Paula und mir haben sich aus der Erfahrung der letzten Jahre zwei eiserne Prinzipien etabliert: Wir laufen im Juli keine chronisch überfüllten Häfen an - Nummer eins auf der No-go-Liste ist Lyø. Und wir laufen bei Starkwind keine Häfen ohne Windabdeckung an - wieder wäre mein erstes Beispiel bei Nordwest Lyø. Und was mache ich nicht? Natürlich will ich da nicht hin. Natürlich hätte ich jede Menge bessere Ideen, wo wir uns treffen könnten, oder wie wir das gemeinsame Diner um einen Tag verschieben könnten. Natürlich könnte ich sagen: "Ohne mich, macht ihr mal." Aber ich halte meine Klappe. Behalte meine Bedenken für mich, im sicheren Bewusstsein, dass ich später unzufrieden sein werde mit dem Verlauf des Tages. Stattdessen freue ich mich, dass kein Gang zum Supermarkt erforderlich ist und wir sofort auslaufen können.

Im Aarøsund drückt eine Bö so doll in die Segel, dass sich zuerst die Fockschot löst und der Ausbaumer nach vorne piekst, und während ich sie dichthole, sehe ich, dass sich der Großbaum so biegt wie die Banane, die Erik mir hinterher zeigt, bevor er sie genüsslich verspeist. Ich werfe den Baumniederholer los, um den Baum zu retten. Das Groß wickelt sich um den Jumpbock, also hole ich die Schot dicht. Pommery holt uns ein, Erik grinst. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Zwanzig Meilen platt vorm Laken bei solchem Scheiß? Habe ich keine Lust zu. Immerhin, der Wind beruhigt sich auf 4-5. Böen 6, ich hole den Baumniederholer wieder durch. Paula läuft mehr "Tiefe" als Pommery - soll heißen: Wir halten den exakten Vorwindkurs durch.

Ich hingegen beruhige mich nicht. Ich bin jetzt schon empört, mir sowas geben zu müssen. Es macht absolut total keinen Spaß! Der Seegang ist gar nicht so heftig, aber immer wieder gehen drei steile, grauenhafte Wellen durch. Mir graut vor der Halse, die wir zwischen Hornenæs und Lyø werden fahren müssen. Mir graut davor, in diesem Scheißgekabbel den blöden Ausbaumer einholen zu müssen. Mir graut vor dem vollen Hafen, in dem es eh keinen Platz mehr für uns geben wird, und wenn es einen gibt, wird er erstens zwischen bescheuerten Joghurtbechercrews sein, und zweitens möchte ich unter Segeln anlegen unter allen kontrollierbaren Umständen. Und diese? Werden die kontrollierbar sein?

Pommery segelt hinter uns Halse um Halse. Wir sparen uns das - mit zeitweise backstehendem Groß segeln wir stoisch auf die Trille zu. Wie souverän Paula das macht, beruhigt mich dann doch ein bisschen. Erik wird später behaupten, das liege an ihrem eigentlich zu kurzen Fockausbaumer. Soll er doch reden...

Hinter der Trille passieren verschiedene Dinge. Der Ausbaumer muss weg. Die Welle ist durch die Sandbank reduziert, aber der Wind legt nochmal ordentlich zu, jetzt eher sechs Böen sieben (kein seltenes Phänomen hier, warum auch immer). Hinter uns folgt eine ganze Armada, die auch den letzten Liegeplatz ergattern will. Von Osten kommt die Fähre. Und von Lene fehlt jede Info, ob die eine Puzzleecke für uns organisiert haben.

Durchatmen! Der Ausbaumer ist unter Deck, die angeluvte Paula wieder auf Kurs. Nächster Kraftakt: Fock runter, Paula erneut auf Kurs bringen. Keine Zeit für einen Zeising, das Segel schlurt durch die wilde See. Details des Hafens werden erkennbar: Die Stege dicht belegt zu beiden Seiten, dazwischen jede Menge Päckchenlieger. Ich kann mir schon lebhaft vorstellen, wie die viel zu langen, viel zu großen, viel zu vielen Boote aus den Boxen ragen, und wo sie es nicht tun, übernehmen das die unvermeidlichen Schlauchboote und unsäglichen SUPs. Ich will hier gar nicht hin, denke ich noch, dann versuche ich, raumschots bis halbwinds die Großschot dichtzuholen, um Fahrt rauszunehmen. Gelingt nicht - perfekt getrimmt rauschen wir mit sechseinhalb Knoten auf einen Hafen zu, der in leerem Zustand geräumig genug wäre, jetzt aber einen Aufschießer auf den Punkt erfordern dürfte. Den würde ich mir in Bestform durchaus zutrauen. Aber ich will ja verdammt nochmal diesen Spuk gar nicht mitmachen!!!!

Zwanzig Meter vor der schmalen Hafeneinfahrt bemerke ich das Zweierpäckchen, das dort liegt. Die schrecken hier vor gar nichts zurück! Paula scheut. Wütend fahren wir einen Aufschießer. Ich gedenke noch nach vorne zu rennen und erst die Fock hochzuziehen, bevor ich das Groß berge, um defensiv nur mit dem Vorsegel in den Hafen zu fahren. Dann habe ich plötzlich den Außenborder in Gang und das zweite Segel auch unten. Blick nach hinten: Die Armada ist nähergekommen, die Fähre auch. Vollgas, auf Kurs, schwungvoll rein ins zweifelhafte Vergnügen.

Hecks, Schlauchboote und SUPs ragen aus den Boxen - an der Luvseite des Beckens erstmal am Pfahl festzumachen, ist anspruchsvoll bis waghalsig. Voraus längsseits liegt ein Fünferpäckchen größerer Yachten und davor ein Päckchen zweier Folkeboote - doch der Weg dorthin ist durch Luvleinen der Großen versperrt. Ich mache den Gang raus, registriere resigniert, dass der Motor ausgeht, und lasse Paula auf Legerwall an die Pfähle treiben. Hinter uns tuckert eine Bavaria in den Hafen und legt sich quer, Erik kriegt irgendwas zu fassen, an das er einen Aufschießer fahren kann - sein Außenborder ist zwar am Heck, funktioniert aber nicht.

Neben uns liegt Lene. Michael murmelt irgendwas von wie wir hier schön zusammen liegen könnten. Ich betrachte traurig das Dicht-an-Dicht blöder, dusseliger Boote und schüttele den Kopf. Paula treibt ein Stück weiter. Wir packen erstmal die Segel und klaren komplett auf.

Erik macht das Gleiche, doch er lässt die Persenninge weg und ist schneller. Munter wriggt er zu Lene heran, gemeinsam puzzeln sie Pommery mit in die Box. Und wir? Wer mich nicht mit großen Augen anglotzt, hat irgendeine dusselige Idee, wie wir ganz prima irgendwo zwischen können. Allen gemeinsam ist: Funktioniert entweder nicht, oder ich habe absolut total null Bock auf diesen Mist. Ich starte den Motor - wir laufen wieder aus. Ich weiß nur noch nicht genau, ob wir uns ins große Feld der Ankerlieger gesellen, oder ob wir vorm Hafen (wo gerade die Fähre manövriert) solange treiben, bis ich die Segel wieder ausgepackt habe. Sicher ist nur: Hier bleiben wir nicht!!!!! Erik und Michael fummeln irgendwie eine Lücke zwischen den Fischerbooten. Erik hat sogar schon unser Hafengeld bezahlt. Erstaunt über mich selbst lasse ich Paula in die Lücke treiben. Abendessen auf Lene? Kein Bock. Kein Appetit. Kein gar nichts. Zwei Minuten später steht die Kuchenbude und ist beidseits geschlossen.

So geht es einigermaßen. Ich habe eine Stinkwut auf mich selbst, dafür, hier hin gesegelt zu sein, obwohl dieser Ausgang mehr als absehbar war. Ich hasse überfüllte Häfen! Ich habe keinerlei Mitleid für all die Idioten, die sich auf diesen Scheiß hier einlassen und das für einen tollen Urlaub halten. Doch ich möchte nie und nimmer zu ihnen gehören. Auf Lyø läuft das so, dass morgens, wenn die Ersten Auslaufen, sich allmählich die Päckchen auflösen und die Ankerlieger in den Hafen strömen. Im Ergebnis sind die regulären Plätze rund um die Uhr belegt. Es sind einfach zu viele Yachten.

Daneben nervt mich auch die Wetterlage: Zuviel Wind! Die ganze Saison schon fühlt es sich so an, als sei entweder zuviel oder zuwenig. Witzigerweise sieht man die Idioten, die nun Lyø übervölkern, an den wenigen Tagen mit hervorragenden drei bis vier Windstärken unter Motor ihr blödes Ziel ansteuern - aber das ist ein Thema für einen anderen Blogeintrag. Diese Woche waren Samstag und Sonntag grandios, sofern man auf Wind erst ab frühem Nachmittag eingestellt war. Seitdem ist das Tief durch, der Zwischenhochkeil hat sich über Großbritannien eingeklemmt, und es pustet mit 4-7 ohne Unterlass. Platt vorm Laken, begleitet von Schauern, ist das kein Segelvergnügen.

Und so habe ich also am Dienstagmorgen absolut keine Lust: Auf Leute, von denen es auf Lyø wimmelt wie im Ameisenhaufen an Ameisen. Auf Menschen, die irgendwas von mir wollen oder es gut mit mir meinen. Auf Segeln bei diesem unerträglichen Hack. Auch nicht auf Tränen in den Augen und Schmelzen im Selbstmitleid wie ein Stück Butter in der Morgensonne. Zwar habe ich gestern Abend selbst Troense als nächstes Ziel vorgeschlagen und vom Blick auf die Südsee von der Bregninge Kirke vorgeschwärmt. Zwar habe ich mich eben noch zusammengerissen, wie man sich eben zusammenreißt, und auf Lene verkündet, dass wir ja bald auslaufen könnten. Doch jetzt will ich einfach nur: Nichts! Nichts nichts und nichts. Und vor allem: In Ruhe gelassen werden.

Erik tapert an Bord und öffnet den Reißverschluss der Kuchenbude. Pommery und Lene sind klar zum Auslaufen. Und Paula soll doch voranfahren - sie wollen mir ja schließlich beim Ausparken helfen. "Ja hm keine Lust", murmele ich. "Wir trinken mal noch n Kaffee", schlägt Erik vor, "und behalten die Kuchenbude im Blick."


Es gab auch Leckerbissen in dieser Woche. Einer davon war die Quiche, die Hille auf Lene zubereitete. Erik konnte mich schließlich doch noch überreden, daran teilzuhaben, und es wurde - da ich mich vorübergehend beruhigt hatte - ein wirklich schöner Abend. Am Tag davor trafen sich Pommery und Paula zu einem spannenden Ausflug in die Idylle des Haderslev Fjords. Eigentlich hatten wir uns Samstagabend schon verabredet. Nach zwei Bootsübergaben wartete ich in Arnis auf Wind. Der war zunächst erst für achtzehn Uhr angekündigt, ich hatte also damit gerechnet, in die Nacht hinein nördlich um Als herumzusegeln. Erik startete in Hørup Hav in der Annahme, er täte uns einen Gefallen, wenn er möglichst weit nach Norden vordringt. Pommery erwartete uns in Varnæs eingangs des Aabenraa Fjords.

Doch wir legten um vierzehn Uhr schon ab, kamen eine Weile gut voran und schafften in Sønderborg locker die vorletzte Brücke (die drittletzte verpassten wir um fünf Minuten). In der einschlafenden Abendbrise schafften wir es noch ein gutes Stück durch den Als Sund bis zur Dunkelheit. Vor Anker war es herrlich, einsam und ungestört, nur die Mücken nervten.

Während wir den Vormittag in der Strömung trieben, kam ich mit dem Vorschlag Haderslev. Ich meinte: Heute mal sehen, wie weit wir kommen, vielleicht ja nur zu Erik nach Varnæs. Doch der meldete sich auf halber Strecke bis Aarøsund. Er hatte nämlich die Idee, heute schon mit dem Südost reinzusegeln und Montag mit dem Nordwest wieder raus. Machte ja auch Sinn, und es lief schließlich wirklich gut. Wir mussten dann im Sund nur gegen die gewaltige Strömung ansegeln, während der Südost allmählich aufgab. Wir versuchten unser Glück ufernah an der jütländischen Seite, mussten zwar eine Sandbank umrunden, waren aber doch deutlich schneller als diejenigen, die in Fahrwassermitte fast stehenblieben. Pommery erwartete uns eingangs des Haderslev Fjords.

Für einen kurzen Klönschnack liefen die Boote nebeneinander, dann zog Paula ein Stück davon. Nichtmal eine Meile weiter schlugen die Segel - Westwind. Ich dachte mir: Dann kreuzen wir eben. Wer den Haderslev Fjord nicht kennt, dem sei gesagt: Er ist sieben Meilen lang und die ganze Strecke landschaftlich so schön wie die Missunder Enge, dem megakurzen, wahrhaft idyllischen Höhepunkt der Schlei. Also durchaus lohnend, es gibt immer etwas zu gucken und zu erträumen. Die Mehrheit der Segler - die die Yacht oder die DK-Törnführer liest - kommt gar nicht erst her, man müsste ja ewig motoren (das ist wieder ein Thema für einen eigenen Blogeintrag). Die Verkehrslage ist also gering. Das Fahrwasser ist an sich nicht wirklich eng, jedenfalls nicht für Folkebootmaßstäbe, aber es ist durchaus ernst gemeint und kann nur um wenige Bootslängen verlassen werden. Es mäandriert, und wenn nunmal tendenziell gegenan ist, sorgen die Ufer und die Bewaldung dafür, dass wirklich permanent genau gegenan ist.

Paula kreuzte nach Echolot: Zu Beginn fuhr ich die Wenden, wenn es 3 Meter anzeigte, später wurde mir das angesichts der steilen Kanten oft zu knapp, also war es eher bei 4 Metern. Pommery hat kein Echolot, also wussten wir, welches Geburtstagsgeschenk sich Pommery für ihren Eigner wünschen würde. Was ich nicht wusste: Erik manövrierte nach elektronischer Seekarte. Für mich wirkte das eher wie the beauty of innocence: Wenn man nicht weiß, wie flach es wirklich ist, kann man die Schläge erheblich länger ausfahren. Pommery kam auf. Außer auf die Tiefe und den Verkehr zu achten, galt es auch noch den Trimm ständig anzupassen - dass ich nebenbei fotografierte, war sicher nicht hilfreich.

An einer der romantischsten Stellen hörte ich hinter mir das hässliche Wort "Scheiße!". Pommery saß fest. Ja, in der Nähe einer Fahrwassertonne und mit gutem Willen betrachtet genau im Tonnenstrich - aber auch höchstens drei Meter vom Schilfgürtel entfernt. Wir kringelten zunächst eher deswegen, weil wir ja nicht einfach weitersegeln konnten, während unsere Freunde ohne zuverlässig funktionierenden Motor im Schlick steckten. Weil es gerade so gut passte und wir schön in der Abdeckung waren, ließ ich die Segel oben und spontan den Außenborder runter und startete ihn. Erik beschrieb es hinterher so, als hätte ich beim Ablassen das Startseil festgehalten. Ich drückte ihm unsere Achterleine in die Hand, dann kam Paula erstmal selbst fest, also gab ich Gas und ruckelte am Want, bis Paula wieder schwamm. Pommery noch nicht, also gab ich schließlich etwas mehr Gas, und dann konnten wir beide weitersegeln.

Leider hatte sich währenddessen der Akku von Eriks Tablet verabschiedet und mit ihm die elektronische Seekarte, während unser Echolot weiterhin hervorragend funktionierte. Vielleicht war es auch Angst vs. Selbstvertrauen, jedenfalls setzten wir uns ab. Als ein holländischer Traditionssegler durch die Rinne motorte, hielt Erik Pommery an einer Fahrwassertonne fest. Paula war da schon mit Anlegen beschäftigt. Der Holländer irritierte dabei auch uns, denn als Paula gegen den Wind in Vorleine und Achterspring an die Pier trieb, gab ihr das holländische Schraubenwasser plötzlich Schub und verursachte mir einen hektischen Sprung an die Achterleine.

Anderntags also weiterhin Nordwest und die Verabredung auf Lyø. Außenlieger Pommery fuhr los, wir folgten, und richtig interessant wurde es, als wir potenziell raumschots einer Baumreihe zu folgen hatten: Statt des Gradientwindes bekamen wir es mit allerlei Turbulenzen zu tun. Nach zwanzig Patenthalsen auf dreihundert Metern beschloss ich: Paula segelt nun da, wo der Wind ist. Also der Gradientwind. Und den fanden wir entlang der Dreimeterlinie (Echolot sei Dank!) außerhalb des roten Tonnenstrichs. Pommery mochte einen Vorsprung gehabt haben, aber jetzt stand sie in den Turbulenzen, und wir sausten in Lee vorbei. Es war Segeln in allen Facetten, wie sie in Binnenrevieren geläufig sein mögen. Als wir die offene See erreichten, waren es zuerst Paula und ich, die sich den grotesken Windphänomenen weiterhin stellen mussten, bananenartig biegenden Großbaum inbegriffen.


So. Nun also: Ich will nicht hierbleiben. Ich will nicht segeln. Ich will niemanden sehen, auch Erik und die Anderen nicht. Und ich will niemandem erklären, was los ist. Ein Dilemma.

Schließlich gewinnt der Fluchtinstinkt: Ich mache Paula segelklar und ziehe sie ohne Eriks Hilfe aus der Box. Er geht nochmal zum Klo, als er das bemerkt. Ich stoße Paula ab, ziehe die Fock hoch, wir segeln aus dem Hafen, gerade rechtzeitig vor der ankommenden Fähre, auf die ich überhaupt nicht geachtet habe.

Die braucht lange zum Anlegen, keine Ahnung, was sie für ein Problem hat. Pommery und Lene sind solange im Hafen gefangen. Als sie endlich rauskommen, sind wir schon am Lyø Sand vorbei. Noch in Sichtweite, aber nicht mehr von all den anderen Segelbooten zu unterscheiden. So fällt nicht auf, dass wir in Korshavn anlegen, wo es ruhig und halbwegs leer und angenehm einsam ist. Ich warte, bis die beiden Folkes vorbei sind, dann schicke eine SMS mit dem Tenor: "Wundert euch nicht."

Morgens geht es mir wieder besser. Auch der Wind lässt vorübergehend auf ein Maß nach, bei dem es Spaß machen dürfte, zu segeln. Ich versuche in Aerøskøbing Geburtstagskuchen für Erik aufzutreiben. Die Liegeplatzsituation ist ähnlich wie auf Lyø, ich gebe den Plan auf, wir segeln einfach zurück nach Korshavn. Unterwegs treffen wir Pommery. Abends kommen noch Deppenbrocks mit ihren Mälarkreuzern: Die Eltern auf der großen Lucky, Tochter nebst Freund auf der kleineren Josefin. Passt alles rein in diesen bezaubernden Hafen. Der blöde Zwischenhochkeil mit dem kalten, pustigen Drecks-Nordwest weicht dem nächsten Tiefausläufer, bei einem unsteten Westsüdwest ist der ungeliebte Rückweg an die Schlei ein bisschen zäh. Immerhin: Diesmal ohne Motor, bis in Kappeln der Wind einschläft. Ich bin ganz zufrieden.

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