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Ich will niemals nach Kalvø!

Bis Ende Juli bestand meine Segelsaison beinahe ausschließlich aus Flottillentörns – manchmal anstrengend, meistens toll, immer in Begleitung. Den August verbrachten Paula und ich in Begleitung diverser Freunde, kaum ein Segeltag verging, an dem wir nicht zumindest auf dem Weg zum nächsten Treffen waren. Als erneute Flottille sind wir an die Schlei zurückgekehrt – für zwei Tage, dann sausen Paula und ich wieder los. Ganz unter uns. Ob wir das überhaupt noch können? Hauptsächlich wollen wir endlich nach Kalvø.

September 2023

Auf dem Flottillentörn letzte Woche hat das schon wieder nicht geklappt: Von Lyø aus mühten wir uns westwärts bei Westwind. Das war der gute Teil, dann standen wir in der Flaute. Suchten ein Brischen, das wir aufkreuzen konnten – das gelang Paula besser als den Gästen. Als endlich ein Nordwest 5 uns ans Ziel spülte, waren wir schon an der Nordspitze von Als, konnten abfallen und lossausen. Die Charterboote? Irgendwie noch zu erahnen weit hinter uns. Kalvø wäre eine weitere Kreuz geworden - so gerne ich dorthin wollte, war ich nun froh, dass unser vereinbartes Ziel Mjels war. Paula und ich legten um achtzehn Uhr an. Die Charterboote, alle gemeinsam, schafften es zum Sonnenuntergang. Da hatte ich schon Wetter geguckt. Nächsten Tag nach Kalvø? Die Gäste waren erschöpft. „Ich glaube, ich hab ne gute Nachricht“, sagte ich, „morgen ist kein Wind.“ Wir blieben also zwei Nächte in Mjels. Kreuzten tapfer Als Fjord und Als Sund auf bis Hørup.

Dort trafen wir überraschend Louise, Sören und Kathrin – Sören durfte schon eine Woche vorher Louise ausleihen, wir verabredeten uns in Marstal, segelten zusammen nach Drejø, bevor sich unsere Wege trennten. Wir trafen in Hørup auch die Marineschule Mürwik, die mit ihren diversen Segelyachten unterwegs war. Grillfest mit Gegröhl und grässlicher Kaspermucke gaben ein schlechtes Bild der Bundesmarine ab, nochzumal als Gäste in einem dänischen Hafen. Nach der dritten Beschwerde wurde es leiser, allerdings nicht der Beschwerde wegen, sondern weil der Herr Oberleutnant sowieso der Meinung war, bis einundzwanzig Uhr sei alles erlaubt, aber danach Hafenruhe. Ich finde eigentlich, die sollten in der Marineschule grillen. Wir jedenfalls segelten dann an einem weiteren interessanten Tag los in den ersten diverser Schauer und erreichten nachmittags Schleimünde. Freitag von dort nach Arnis brauchte Paula gegen Flaute und Strömung fünf Stunden, der Außenborder lief aber nur in der Brücke in Kappeln. Es war dann so wie immer: Elf Wochen nicht hier gewesen, nichts hatte sich verändert. Der Yeti sprang jedenfalls sofort an – letztes Jahr brauchte er Starthilfe.

Und nun ist Hochdrucklage. Wir haben zwölf Tage Zeit – nächstes Wochenende bekommt nur Oli neue Gäste, doch die kommen mehrfach im Jahr und brauchen mich nicht. Oli liegt in Paulas Box, das finden die. Wir segeln erstmal nach…mal sehen…es geht ja nicht gerade schnell...endlich Schleimünde…Welle, wenig Wind, Geschaukel und kein Druck im Tuch…20 Grad läuft erheblich besser als 60 Grad, also peilen wir Lyø an. Mal läuft es besser, mal noch besser, mal eher mäßig – ein ganz normaler Segeltag. Nach dem Anlegen sehe ich auf dem Steg zwei bekannte Gesichter. Abgespeichert unter „sympathisch“, ich freue mich, brauche aber Hilfe für den Link: Wir haben uns vor Wochen in Utklippan kennengelernt. Die beiden waren mit Doggy auf dem Weg zum Götakanal. Jetzt sind sie auf dem Rückweg nach Kiel – irgendwann muss jeder wieder arbeiten. Sogar ich: Ich verkrieche mich unter die Kuchenbude und beantworte E-Mails.

Die Kuchenbude steht im Konflikt mit der Wetterlage: Nachmittags ist es brütend heiß. Abends kühlt es früh und energisch ab. Morgens stehen literweise Tau auf dem Dach, in großem Tropfen hängt das Kondenswasser darunter. Es ist diesig, eine dicke Lage Hochnebel liegt zwischen uns und der Sonne, klatschnass kommt die aufgerollte Kuchenbude in die stockfleckige Vorpiek.



Wo nun hin? Auf dem Programm steht endlich Kalvø – in zwölf Tagen sollte, müsste, wird das gelingen. Das aber auf dem Rückweg: Ich möchte auch gerne noch nach Middelfart – Lillebelt kam zu kurz in diesem Sommer. Gerne sogar darüber hinaus, da sind ja noch Baustellen offen: 2021 waren wir von Rosenvohld im Vejle Fjord wenig begeistert, seitdem möchte ich mir Brejninge gegenüber ansehen. Heute geht es erstmal nach Baagø, wo ich vor Jahren ein einziges Mal war. Wir starten früh, denn Wind nur bis mittags. DMI hat Recht, und der Plan geht auf: Bis Torø sind es gute fünf Knoten, dann lassen Wind und Fahrt allmählich nach, bis wir uns mit einem Knoten in den leeren Hafen schleichen. Heiß und flautig wird es bleiben, wir richten uns für Dienstag auf einen Hafentag ein. Inselrundgang: Hübsch, aber unspektakulär.





Lovis hatte uns ja schon in Thurø besucht, kaum dass wir aus Schweden dort angekommen waren. Lene haben wir vor dem Klinker Cup in Faldsled leider verpasst. Nach dem Sturm treffen wir sie in Aerøskøbing und überreden sie zu einem Ausflug ins schöne Thurø, wo Lene und Paula sich um den Badeponton gruppieren. Hille und Michael sind ein Geschenk: Ein mit ihnen verbrachter Abend ist immer ein bezaubernder Abend. Passiert viel zu selten, aber das ist gut so, denn es hält die Wertschätzung hoch. Diesen speziellen Abend verbringen wir gemeinsam mit abreisenden und angereisten Chartergästen sowie gutgelaunten Kindern am Badeponton.

Zu den Angereisten gehören Lucy und Dirk. Lucy war im April zum Training da, jetzt hat sie mit ihrem Mann eine Woche gebucht. Ich habe ihr versprochen, sie zu begleiten und die Gegend zu zeigen: Neues Boot, neue Crew, fremdes Revier, und außerdem sind mir die beiden hochsympathisch. Verkehrssprache ist englisch: Lucy hat Segeln von ihrem Vater auf dem Solent gelernt. Seit Jahren wohnt sie in Berlin, Dirk ist Deutscher, aber sie sagt: Auf der Arbeit spricht sie englisch, mit ihrem Mann spricht sie englisch, ihre meisten Freunde sind Engländer, und zur Entspannung guckt sie BBC. Es ist ein bisschen lustig, dass der Vorname des Vorschoters ein nautischer Fachausdruck ist – auf Englisch heißt es aber topping lift.

Wir machen ein bisschen Einweisung für Dirk. Dann kreuzen wir los: Korshavn (wo wir Heidi, Frieda und Lispeltute treffen). Drejø Gamle Havn (wo wir Lene!!! und Lispeltute wiedertreffen). Lyø. Marstal. Ankern im Lindelse Nor (im strömenden Regen, der nicht absehbar war, als wir diesen Plan fassten – aber dann kann man bei Regen ja auch gut ankern oder an der Mooring liegen, im Hafen würde man sich ja auch nur unter der Kuchenbude verkriechen). Es ist eine schöne Woche, die ich sehr genieße.



Jetzt also verlassen wir am diesigen, flautigen Vormittag Baagø und segeln. so gut es geht, nordwärts. Nein nein, denkt euch nicht das Falsche: Es ist meditativ und beruhigend. Es fühlt sich gut an, das Richtige zu tun – also nicht den Motor zu starten, sobald es nicht mehr schnell genug ist. Warum seid ihr überhaupt ausgelaufen? Was ist nur los mit den Menschen? Ich habe jedenfalls vor zu segeln, und segeln werden wir, egal wie lange es dauert.

Es dauert zehn Stunden für siebzehn Meilen. Wohin? In den Gamborg Fjord. Dort wollen wir eigentlich im Klubhafen vor Gamborg anlegen, aber der kleine Steg auf Svinø, der dem Middelfart Sejlklub gehört, sieht in der Abendsonne erheblich mehr hyggeligt aus. Bestimmt wäre der andere auch ok gewesen, aber wozu ein Fahrwasser mit 1,20 Meter Solltiefe ausloten, wenn wir es hier gut haben?

Aber ja, was ist nur mit den Menschen los? Eine Gruppe Biertrinker macht bis Sonnenuntergang Radau mit dem Schlauchboot. Jetskis, Bugstrahlruder, Drohnen, Angeln trotz Fischsterben. Auf YouTube posten Eltern, wie ihre Kinder in die Windeln kacken oder vom Fahrrad fallen. Alle scheinen zu glauben, es gebe ein Menschenrecht auf all diesen Scheiß. Zwölfjährige Mädchen erstechen ihre Freundin und drehen danach noch schnell ein Tanzvideo für TikTok. Ob ich das Alleinsein noch ertrage? Ich brauche es! Ich werde auch wieder einen Austausch brauchen über diese Gedanken und meine Erlebnisse – aber jetzt muss ich erstmal erleben und genießen und mich absondern und zur Ruhe kommen. Erster neuer Hafen getickt – und für gut befunden.

Wir sind latent verabredet mit Salty. Freitag steigt der Mitsegler ab in Middelfart, danach ist Andreas allein an Bord. Wir erreichen den Kongebro Havn schon am Donnerstag. Ohne Wind und mit der Strömung, die hier ein heißes Thema ist. Man muss immer mit der Strömung in den Hafen, dann in der Abdeckung Segel bergen - das gilt für alle drei Häfen hier. Der Kongebro Havn ist mit Abstand der schönste. Von Svinø sind es nur sieben Meilen, es dauert aber lange. Gleichwohl bleibt reichlich Zeit für den Landgang, auf den ich mich sehr freue: Erstmal in die Stadt zum Einkaufen. Und dann Richtung Brücke und in den Wald – die Umgebung ist ein Paradies: Eiszeitliche Trockentäler, naturbelassene Biotope, Eichen, Buchen, Schatten, Blicke auf den Kleinen Belt. Die Brücke ist eine Touristenattraktion - in begleiteter Gruppe kann man sie unterhalb der Fahrbahn begehen und sogar auf die Pfeiler rauf. Ich beginne mich zu fragen, ob ich wirklich die Schären und weite Strecken übers Kattegat brauche, oder ob nicht Siebenmeilenchläge zu solchen Erlebnissen das eigentliche Ding sind.

Freitag: Olieses Crew gibt in Ostwestfalen Gas und erreicht Arnis so früh, dass sie nachmittags noch nach Lyø segelt. Salty dödelt gemächlich Richtung Middelfart. Paula und ich laufen aus und haben die Strömung gegenan. Wir schlagen uns wacker, trotzen ihr tapfer, finden zwar nicht den Neerstrom, aber den besten Wind. An Fredericia vorbei läuft es wirklich gut, daran könnte ich mich gewöhnen, und sogar die Sicht bessert sich. Doch genau wie von DMI prognostiziert, bleiben wir an der Spitze der Halbinsel Trelde hängen - hier löschen unser Südwind und der Ostwind des Vejle Fjords einander aus. Paula zwischen den Steinen an der Spitze hindurchzuzirkeln, wird ein aufwändiges Projekt - in tiefem Wasser um die Kardinaltonne herum bräuchten wir bei diesen Windverhältnissen ein bis zwei Stunden länger. Wir müssen gewaltig Höhe laufen, noch einen Holeschlag segeln. Seit Stunden an einen knappen Knoten gewöhnt, freue ich mich riesig über zweieinhalb, ein Auge immer auf dem Echolot.

Als das Wasser tiefer wird, haben wir es: Ost drei, ausgebaumte Fock, viereinhalb Knoten, vorübergehend sogar schneller. Zwei Meilen vorm Hafen lässt der Wind uns hängen, aber Geduld haben wir ja jetzt geübt. Leider lohnt Brejninge den Aufwand überhaupt nicht: Die Umgebung ist – ja, das Hafenhandbuch lügt nicht – recht hübsch, aber dann auch unspektakulär und austauschbar. Der Hafen ist groß und lieblos. Hafengeld bezahlen wird zur Megaaufgabe mit einem Handy, das keine QR-Codes liest: Zusätzlich zum QR-Code müsste ja nur die URL angegeben sein, wie klein auch immer gedruckt, ich habe ja die Lesebrille mit. Doch nichts. Auf der Internetseite des Hafens gibt es keinen Link zum Bezahlen, sondern den Hinweise auf den EC-Automaten im Clubhaus. Der Automat ist zwar noch vorhanden, aber abgeschaltet und mit QR-Codes zugekleistert. Es bleibt nur der gute, alte Weg über Bargeld im Umschlag. Den Zugangscode fürs Klozugang soll man in diesem Fall per SMS bekommen. Passiert aber nicht - so ist es wie Ankern am Steg. Nur blöder. Nächstes Mal also doch wieder Rosenvohld mit der gepflegten Campingplatz-Atmo.

Dahin wollen wir am nächsten Tag. Nein, zunächst nicht, denn wir sollen ja Salty und Andreas treffen. Kolding ist zunächst der Plan, dann erscheint mir Fredericia realistischer. Andreas segelt los, die südgehende Strömung nutzend, und schafft es bis Aarø – aus der Nummer sind wir also raus. Aus dem Hafen auch, zunächst wriggend, dann mit 0,4 Knoten segelnd, bevor die Brise einschläft. Erstaunlich finde ich, dass das GPS selbst einer Geschwindigkeit von null immer noch einen stets wechselnden Kurs zuordnet. Als die Sache wieder Fahrt aufnimmt, habe ich längst beschlossen: Rosenvohld ist unser Ziel, an so einem Tag sind selbst diese vier Meilen Segeln ambitioniert – nochzumal gegenan.

Es ist schön hier, es gibt einiges zu sehen - und allmählich entfaltet sich Wind. Als wir Rosenvohld erreichen, ist nicht einmal Mittag, und Paula segelt mit viereinhalb Knoten. Da legt man ja wohl nicht im Hafen an – wir wenden und können Trelde Næs anlegen, wo wir uns gestern so abgearbeitet haben. Wo aber auch heute ein Flautenloch zu erwarten ist. Nächster möglicher Hafen: Fredericia. Sieben Meilen sind ja nicht weit. Wenn es nix wird mit dem Wind, können wir ja zurück nach Rosenvohld. Ist ja nicht weit. Es gäbe ja auch den Motor.

Ich kenne mich und die Umstände natürlich zu gut, um zu wissen: Der Motor ist keine Option, rechtzeitiges Umkehren auch nicht, und sieben Meilen bei 0,3 Knoten sind ziiiiiiiemlich weit. Wir haben nun auch noch eine schwache Strömung gegen uns. Es endet damit, dass wir ankern und ich den Eindruck gewinne, Paula habe sich genau dieses Szenario so ausgedacht. Genau genommen ankern wir zunächst für eine Pause, probieren dann kurz den aufkommenden Wind und verwerfen den Plan, mit zwei Knötchen gegen die Strömung anzukreuzen, sondern verholen uns zurück in flaches Wasser, wo erneut der Anker fällt. Paula rollt in der Dünung eines Windes, der uns versprochen wurde und nie ankam, und im Schwell von Motorbooten.

Die See wird sich beruhigen. Schweinswal und Seehund verziehen sich. Fernab der Zivilisation habe ich die Möglichkeit, mal wieder Musik zu hören, ohne dass sie jemanden stört. Auch ohne Kuchenbude, die in der Vorpiek trieft, ist es T-Shirt-Wetter bis spät in die Nacht. Wir müssten eigentlich mehr ankern und weniger Häfen auskundschaften, die für künftige Flottillentörns dann doch nicht geeignet sind. Aber das weiß man ja vorher nicht. Aha, Brejninge also nicht. Gamborg gerne mal wieder.

Es ist ein warmer Abend, nicht so feucht wie zuletzt. Ich nutze die Gelegenheit auch, meine Gedanken surren und schwirren zu lassen wie den Mückenschwarm, der uns nicht heimsucht. Zeit zur Reflexion: Können wir noch, was wir vor Jahren fast ausschließlich gemacht haben und brauchten? Brauchen wir es noch? Nach ein paar Tage Alleinsein fühle ich jedenfalls wieder viel bereiter für Gesellschaft. Gleichwohl genieße ich es, einfach aufzustehen, wenn ich ausgeschlafen bin, wir dann je nach meiner Stimmung Zeit zu lassen oder mich zu beeilen, und vor allem: Wenn als letzter Handgriff das Fockfall angeschlagen ist, ist Paula klar zum Auslaufen – also laufen wir aus. Warten also nicht auf die vereinbarte Uhrzeit oder darauf, dass die Charterboote und Freunde auch endlich so weit sind. Wir segeln los mit unbekanntem Ziel, überlegen uns eines, ändern unterwegs mehrfach den Plan, passen ihn an unsere Stimmung und den Wind an. Wenn mehr als ein Boot und mehr als eine Person involviert sind, kann man es so nicht machen – man muss sich absprechen und auch irgendwann mal an einem Vorhaben festhalten. Jetzt gibt es keine Absprachen, Planänderungen betreffen niemanden sonst, wir kommen irgendwo an, und sei es an einem ungeschützten Ankerplatz, und müssen uns bei niemandem dafür rechtfertigen. Ja, das genieße ich.

Siebzehn Meilen in zehn Stunden, zwei in fünf – mir vergeht die Zeit wie im Flug, irgendwann regt sich ja wieder etwas, neuer Wind oder der Anker. Natürlich ist es sogar mir lieber, wenn es läuft und vorangeht und Paula sich durch die See schlängelt, anstatt geduldig zu treiben. Aber dies ist Urlaub – Erholung vom ständigen Bestreben, ein unvergessliches Spektakel zu bieten. Vielleicht ist es ganz gut so mit dem wenigen Wind. Außerdem: Der Herbst wir schon früh genug kommen und mit Regen, Kälte und Starkwind den Spaß verderben. Wir sind dann jetzt auch genug gesegelt – wir müssen nicht mehr, bleiben aber bereit.



Morgens vergeuden wir den ersten Wind, als Paula Kaffeewasser kocht und es moderat bläst. Diesig, dichter Hochnebel, ernüchternd flautige Prognose. Salty und Oli sind weit weg, die erreichen wir sowieso nicht, können also tun, was wir wollen. Was wollen wir? Fredericia auskundschaften? Bietet sich an. Ohne Wind sollen wir uns ja nicht zu viel vornehmen.

Es ist dann aber doch welcher. Und wir haben die gurgelnde Strömung mit. Ohne Wind treiben wir mit vier Knoten. Mit Wind sind es sieben über Grund, mit schlagenden Segeln im Wind stehend nur noch sechseinhalb. Als wir an unschlüssig an Strib vorbeigetrieben sind, ist eine Rückkehr nach Fredericia gar keine realistische Option mehr. Also lassen wir uns durch die Brücken und an Middelfart vorbeispülen, bevor die Sonne rauskommt und es wieder knallheiß wird. Welches Tagesziel also? Nächste Option ist Skærbæk. Das Kraftwerk als Kulisse ist nun wirklich kein Hinderungsgrund – wer Energie möchte, muss akzeptieren, dass sie irgendwo erzeugt wird. Der Hafen wirkt groß und wenig einladend. Der Ort scheint eher eine strukturlose Siedlung zu sein. Die Hanglage macht das ganze vielleicht halbwegs hübsch anzusehen. Aber eher nicht.

Dies alles so einschätzen zu können, ist erneut ein Stück Arbeit. Wir müssen aus der mächtigen Strömung raus und dann in den Böchen auf Zack sein, um jeweils Fahrt aufzunehmen. Irgendwann segeln wir bei halbwegs stetigen zwei Windstärken einen Anlieger in den Kolding Fjord. Das könnte man sicher als totalen Quatsch abtun. Aber wir sind hier ein Team, Boot und Eigner, Paula und ich, und haben uns in den Kopf gesetzt, Unnötiges zu versuchen und Unmögliches zu schaffen. Davon zehren wir. Also werden wir jetzt nach Kolding segeln, egal wie.

Der Wind dreht, es wird eine Kreuz. Der Wind schläft ein, es wird eine Geduldsprobe. Wo wo wo ist das Gekräusel? Vom letzten Tonnenpaar zum Nordhafen ist es eine knappe Meile, wir brauchen über eine Stunde dafür. Aber, und darauf kommt es an, wir schaffen es. Schlepphilfe? Nej, takk, wir haben ja selbst einem Motor für den Notfall einbrechender Dunkelheit. Mit einem Knoten sausen wir schließlich geradezu in den Hafen. Finden einen Liegeplatz, machen es uns gemütlich. Gemütlich? Es ist unerträglich heiß. Ich klare auf, bezahle Hafengeld, dann mache ich mich auf den Weg in die Stadt – Einkauf und Erkundung. Erstaunliche Böen fegen entlang der Ausfallstraße und sorgen für willkommene Abkühlung.

Fazit Kolding: Hm. Die fünf Meilen Fjord sind hübsch und sehens-/segelnswert. Der Hafen: Liebloser Schrott. Der Weg in die Stadt: Zwei Kilometer Ausfallstraße entlang des Handelshafens. Es hätte ein (!) kostenloses Fahrrad gegeben. Die Stadt selbst: Oh! Ah! Renaissance ist hier das Thema. Reichlich junge Leute, Dänemarks zehntgrößte Stadt ist ja eine Universitätsstadt. Das Kolding Hus genannte Schloss ist sicher einen Besuch wert, nur nicht am Sonntagabend, wo auch die Fußgängerzone einen verlassenen Eindruck macht. Netto am Bahnhof ist gut sortiert. Schwer bepackt und gut gelaunt mache ich mich auf den Rückweg.

Montag: Ich erwache hochmotiviert in einen milchig-weißen Nebelmorgen. Hochmotiviert zu was? Wir wollen nach Kalvø, endlich nach Kalvø, nur dass das überhaupt nicht realistisch ist und wir schon einen Plan B haben. Die Sicht reicht gerade so zum Auslaufen, der Wind gerade so, um voranzukommen. Immerhin schneller als gestern. Im Snævringen kommt noch die nordgehende Strömung als Problem hinzu. Oder? Nördlich und östlich von Fænø Kalv finden wir den Neerstrom. Südwestlich von Fænø wenden wir gerade noch rechtzeitig, bevor Paula festkommt. Wir hoppeln an gegen beträchtliche Dünung bei einem Südwind, den wir von allen Richtungen am wenigsten brauchen können. Kalvø? Nein nein, wir wollen nach Stagodde. Und spätestens mit dem Winddreher auf Südost ist klar, dass wir das locker schaffen.

Vor uns kreuzt ein Gaffelkutter. Schlägt sich tapfer, läuft aber keine Höhe, ist ja klar. Ein Gefühl sagt mit, dass das Tejsten ist. Ulf und Dörte hatten mal ein Folkeboot. Ulf mag aber keine Schräglage, und nun segelt er aufrecht und sagt: „Ist ja schön – aber mit dem Folke wären wir längst da.“ Dass Paula Tejsten überholt, ist keine Sensation. Dass wir uns auf zehn Meter annähern, ist auf der großen Weite des kleinen Belts ein bemerkenswerter Zufall. Wir treffen uns dann spätestens im Winterquartier wieder.

Paula und ich genießen den Abend, dann machen wir Hafentag, während das Wetter umschlägt. Zwischen kurzen, heftigen Schauern weht ein hübscher Südwest anstelle der angekündigten Flaute – segelbar, aber auch damit kämen wir wohl nicht nach Kalvø. Ich mache das jetzt anders: Ab sofort behaupte ich, nie-nie-niemals dorthin zu wollen. Das wird helfen – wir landen ja auch immer wieder ungewollt in Grenaa. Ja, ich sehe den Unterschied: Grenaa ist der einzige Hafen auf einem langen Stück Küste, es müsste schon sensationell gut laufen, um daran vorbeizukommen. Kalvø liegt in der hintersten Ecke einer Bucht fernab direkter Nord-Süd-Routen, und vor der Bucht gibt es auch noch das tolle Barsø, wo man besser liegt bei einer Windrichtung, bei da man nicht in die Genner Bugt reinkreuzen müsste. Kalvø wäre mal etwas für einen kräftigen Südwind – aber von der Schlei aus schafft man es nicht in einem Tag, doch am zweiten Tag etwa von Sønderborg aus kommt man locker noch weiter nach Norden. Von Middelfart her wird es Stagodde und von dort ab nach Hause, das haben wir ja gerade bewiesen. Fazit: Nein, ich möchte nie nach Kalvø!

Wir müssen aber ja irgendwann – wohin? nach Hause? Paula ist ja mein Zuhause, unabhängig von ihrem Liegeplatz, und das empfinde ich gerade wieder besonders stark. Gleichwohl ruft die Arbeit. Ein schöner Segeltag bringt uns nach Hørup Hav, Mittel zum Zweck, guter Ausgangspunkt für den Weg zur Schlei. In Sønderborg wird es eine Punktlandung an der Brücke, segeln segeln segeln so schnell es geht, nördlich des Alsion bei öffnender Brücke Motor an und durch. Gleich heute nach Schleimünde zu segeln, ist eine ernsthafte Überlegung: Es ist Mittwoch, Donnerstag riecht es nach wenig Wind - aber dann schaffen wir auch jetzt nur drei Knoten. Zu vernünftiger Zeit in Hørup anzukommen, bevorzuge ich über womöglich Dunkelheit in Schleimünde.

Donnerstag Arnis? Wie schaffen – zuerst bei wenig Wind, dann ohne, dann wieder einem bisschen, schließlich Flaute, gefolgt von einer halben Stunde Motor und danach einer Kreuz bei Südsüdost 3 - Schleimünde gegen fünf. Ist mir erneut lieber, als Arnis im Dunkeln zu erreichen. Freitag gibt es noch eine Geduldsprobe in Rabelsund, eine Dreiviertelstunde Beiliegen und Kringeln vor der Brücke, dann erreichen wir Arnis, und die Saison ist weitgehend vorbei. Ein guter Grund, das nächste Jahr zu planen – es häufen sich die Anfragen. Wo wollen wir dann hin? Ähm… Vor allem will ich bei der Sommerreise alle Boote dabeihaben und keine arme Salty in der Obhut von Freunden zurücklassen, auch wenn das eine verkürzte Sommerreise bedeutet. Ein Teil von mir sagt: Lieber nicht so weit. Ein anderer Teil erwartet Massen von Interessenten und sechs ausgebuchte Wochen, die uns sowohl zum LImfjord als auch zu den Göteborger Schären bringen könnten. Oder mal wieder nach København. Oder zu bisher wegen Zeitdruck und ungünstigem Wind nicht erreichten Zielen: Præstø wäre bestimmt toll. Und ach ja – es gibt da ja noch dieses sagenumwobene Kalvø…


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