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Sturmtief "Hans", der kürzeste Segelschlag überhaupt, und die weltbeste Passagierin

Paula hängt in ihren Springs und rollt sanft in den stürmischen Böen. Weiter außen am Steg werden die Boote ordentlich geschüttelt, doch hier drinnen wirkt der Schwimmsteg als Wellenbrecher, und die Bootsrümpfe verhindern, dass der Schwell bis zu uns hereinläuft. Die Kuchenbuden erweisen sich als sturmsicher: Sie zappeln, die Griffe der Reißverschlüsse klappern bisweilen, aber nichts erweckt den Eindruck, sie könnten wegfliegen oder in Fetzen gehen. Über Nacht wird es so bleiben, aber nicht mehr schlimmer werden.

August 2023

Ein Tief, das von Südosteuropa nach Schweden zieht, Sturmböen im August – es ist wieder einmal eine ungewöhnliche Wetterlage. Solche bietet dieser Sommer reichlich. Auf der Südhalbkugel ist El Niño, immer eine schlechte Nachricht, und ich finde, wenn man sich mit einem Drittel Hafentagen abfindet, kann man durchaus noch etwas anfangen mit dem, was bleibt. Unschön ist es natürlich, wenn man von Samstag bis Freitag gebucht hat und erst am Sonntag anreisen konnte, um nun bis Mittwoch vom Sturm geschaukelt zu werden. Bei Wind gegen Tide ist es im Svendborg Sund enorm kabbelig, aber es regnet nur selten - wir können zumindest schöne Landgänge unternehmen.



Sechs Wochen Sommerreise sind vorbei. Wir haben „es“ geschafft: Ein neues Revier zu erkunden, Gäste zu begeistern, zu fordern, aber nicht zu überfordern, und trotz widrigster Bedingungen rechtzeitig zurückzukehren. Für die nächsten vier Wochen ist Thurø das Zentrum meiner Welt. Lovis mit Anja, Thorsten und Henri hat uns dort gleich mal besucht, das hat mich sehr gefreut.

Die Hauptaufgabe der neuen Woche besteht darin, Friedas Außenborder zur Reparatur zu bringen. Ich frage nebenan bei der Walsteds Værft: „Der engineer kommt heute Nachmittag sowieso vorbei, kannst du den Motor bringen?“ Das beschert mir den kürzesten Segelschlag aller Zeiten: Eine halbe Stunde aufklaren, dann Kuchenbude abbauen und Segel auspacken. Es geht um nicht einmal eine Seemeile, eher eine Kabellänge - von Groß hoch bis Groß runter vergehen drei Minuten. Ich liefere den Außenborder ab, dann geht es im gleichen Stil zurück zum Thurø Sejlklub.

Nebenbei habe ich es mit bemerkenswerten Charterern zu tun: Die beiden Männer haben schon mehrfach anderswo ein Folkeboot gechartert, aber es scheint nicht ganz reibungslos gelaufen zu sein, denn sie haben jetzt vorweg einen Trainingstag gebucht. Das klingt vernünftig und sympathisch, aber dann staune ich: „Bist du überhaupt schonmal gesegelt?“, frage ich irritiert gleich zu Beginn unseres Ausflugs nach Svendborg. Ich komme mir vor wie in der ersten Stunde eines Anfängerkurses, und selbst wenn es so wäre, hätte ich den beiden wahrscheinlich geraten, sich lieber ein anderes Hobby zu suchen als dieses, zu dem ihnen jeglicher intuitive Zugang fehlt.

Dieses Feedback behalte ich vorerst für mich. Montag sorgen beharrlichen Schauer sowieso für einen Hafentag. Dienstagmorgen höre ich das Rascheln von Segeltuch – Marthas Fock wird vorbereitet. Warum das Segel abgeschlagen ist und das Fall am Segelhals angeschäkelt wird, erschließt sich mir nicht. Womöglich ist das eine total gute Idee, die Fock freifliegend kopfüber zu fahren – es hat nur noch niemand ausprobiert. Aber mir ist nicht nach solchen Experimenten. „Ich hatte eigentlich gehofft, ihr hättet das selbst gemerkt“, sage ich und verbiete das Auslaufen. Es gibt eine Rechtslage dazu, eine Versicherung im Hintergrund und meine Verantwortung. „Ist schade, ich find euch nämlich ganz sympathisch“, erkläre ich, „und hätte ja viel lieber gesagt, die Jungs sind super und sollen jedes Jahr wiederkommen. Aber ich kann das nicht verantworten.“ Nachmittags reisen die beiden ab.

Mit diesem Problemfall aus dem Weg und in der Erkenntnis, dass das Schauerwetter stets besser ist als die Prognose, holen Paula und ich am Mittwoch den reparierten Außenborder ab und segeln westwärts: Lovis und Pommery erwarten uns auf Lyø, Jane ist ebenfalls auf dem Weg. Am Wochenende findet in Faldsled wieder der Klinker Cup statt. Ohne uns, ich muss in Thurø arbeiten, aber möglichst viele Freunde vorher zu treffen, ist mir ein Anliegen.

Lyø vermeide ich eigentlich während der Hauptsaison, doch Erik versichert mir, es sei dort derzeit nicht überfüllt: Links und rechts von Pommery ist Platz. Im approach bist es hübsch auf, ich bin nicht sicher, ob es bei der Richtung ein gelungener Aufschießer wird. Vor der Einfahrt lasse ich das Groß ein Ründchen schlagen, die Fahrt geht runter auf eineinhalb Knoten. Wir segeln rein. Es ist eine wirklich gelungene Landung, ich kann sogar vor dem Andocken am Pfahl das Groß bergen. Henri nimmt die Vorleine, Erik drückt mir eine Dose Bier in die Hand. Während Henri Paula in die Box zieht, stoße ich mit Erik an. Gelächter vom Steg.

Gerade rechtzeitig vorm Regen packe ich die Segel und breichte meine Erlebnisse. Jane ist in Sicht, aber Erik drängelt auf ein Bier bei Anne-Mette, bevor sie den Laden schließt. Wir radeln hin, werden nass, verpassen das trockene Zeitfenster und werden erneut nass auf dem Rückweg. Björn wartet schon auf uns: Jane liegt längsseits bei irgendwem, und um sich zu Paula und Pommery zu gesellen, als viertes Boot in drei Boxen, müssen wir ein bisschen helfen. Tun wir gerne, aber danach haben wir Kohldampf und wollen ja in der Alten Schule gemeinsam essen. Also rauf aufs Fahrrad und los. Mit Björn habe ich viel auszutauschen: Vor fünf Jahren war auch er in der Hanö Bukt unterwegs auf dem Weg zum Götakanal. Nun kann ich endlich mitreden, und bei ihm hat schon mein Törnbericht schöne Erinnerungen geweckt.



Donnerstag: Faldsled ist das Ziel. Bei West 5 sollten wir es Freitag bequem schaffen zurück zur Arbeit, also kommen wir gerne mit. Erik schickt Björn zum Kaufmann zwecks Einkauf fürs gemeinsame Abendessen. Während er noch über die Insel tapert, sind Paula und Pommery bereit zum Auslaufen. Lovis noch nicht ganz. Sie liegt im anderen Hafenbecken, das Erik neuerdings den Yachthafen nennt. Wir segeln einfach mal hin und legen uns mit in der spärlichen Brise flatterndem Tuch an die Pfähle. Als Lovis klar ist, segeln wir gemeinsam los.

Es bleibt schwachwindig bis kurz vorm Ziel, Paula ist gut unterwegs und vornean. In Faldsled hat Jørgen für den Klinker Cup Plätze reserviert. Sein Boot Scherzo ist dort zu Hause. Zara ist auch schon da, aber die sechsköpfige Familie übernachtet in ihrer Wohnung. Nach und nach treffen weitere Folkeboote ein: Jane, Havfruen, Tilda, Liv. Es fehlen nur noch Lene und Potemkin, dann ist der Klinker Cup komplett. Während ich das Kochen vorbereite, donnert es. Ich gucke aus der Kuchenbude, treffe die Meisten auf dem Steg und frage: „Was war das für ein Geräusch?" Alle lachen. Als der Magen voll ist und der Dauerregen einsetzt, entfaltet sich ein wundervoller Abend, in dessen Verlauf wir in jeder Regenpause die Kuchenbude wechseln, unter der wir uns durchschnorren, und auf diese Weise fast mit allen ins Gespräch kommen. Eines der Themen ist der bevorstehende Sturm.-

Wichtiger allerdings: Lovis-Paula beginnt am Montag ihr Praktikum in einer Tierarztpraxis und muss von hier weg. Busse fahren aber nur werktags außerhalb der Schulferien, also erst Montag wieder. Ob ich sie nach Svendborg mitnehmen könne? Vor fünf Jahren, da war sie zwölf, haben wir in Svendborg dem Starkwind getrotzt, und sie hat mir in der Lunke Bugt Regattasegeln beigebracht – und ich habe sie tief in mein Herz geschlossen. Jetzt ist das ja gar keine Frage.

Ich schlafe schlecht, zerbreche mir mal wieder den Kopf: Werden wir in Thurø sicher liegen? Müssen wir evakuieren? Aber wohin? Zu Beginn weht der Sturm aus Nordwest, da ist es in Troense schlimmer. In den Stadthafen Svendborg dürften sich alle flüchten, ich würde nicht glücklich dort. Alles Andere ist zu weit weg: Oli hat nix zu fahren, Marthas neue Gäste kommen erst Sonntagabend, wenn es zu spät ist für eine überhastete Flucht, bis dahin bin ich alleine mit drei Booten. Ich beruhige mich nach einem Blick auf die Seekarte: Auf den richtigen Liegeplätzen wird es gehen.

Als es in Faldsled frühmorgens gewaltig pfeift und pustet, bin ich enorm froh über eine kompetente zusätzliche Hand. Kurz nach sieben legen wir unter den Augen des vielköpfigen Verabschiedungskomittees ab. Es ist dann eine gar nicht ruppige, aber zügige Reise bei 4-5. Paula ist keine bloße Passagierin, wie sie damals viel mehr war als das „Nummerngirl“, das der Wettfahrtleitung unsere Startnummer zeigt. Wir wechseln uns am Ruder ab und unterhalten uns prächtig. Im Hafen von Svendborg erlebe ich die furchtlose Paula von einer ganz neuen Seite: In unmittelbarer Nähe von Schiffen, Stegen und Yachten herumzusegeln, behagt ihr ganz und gar nicht. Doch als unser Aufschießer ein wenig spontan und sportlich gerät, stoppt sie Paula aus fast zwei Knoten gekonnt und sicher am Pfahl auf.

Montagabend: Es stürmt unter beinahe wolkenlosem Himmel. Paula und ich sind seit der Sommerreise gerade mal sechzig Meilen und zwei Kabellängen gesegelt. Doch wir haben in den zehn Tagen schon wieder eine Menge erlebt. Aber wie war eigentlich der Klinker Cup? Jørgen hat für die Vereinspostille den ersten Bericht verfasst - demnach wurden die Spiele, die letztes Jahr großen Spaß machten, verfeinert, modifiziert, erweitert, und erstmals gab es - zu meiner großen Freude - die Aufgabe, rückwärts über die Ziellinie zu segeln. Ich glaube, die Paulas und ich haben etwas verpasst, und ich plädiere stark für den Klinker Cup 2024.


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