Paulas Törnberichte | ![]() |
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Sturmflut
Wir haben die Sturmflut vom 20. Oktober mit geringen Blessuren
überstanden:
Salty war schon an Land, Paula ist unbeschädigt, die anderen
drei mussten sich zuletzt gegenseitig helfen - das ging nicht ohne
Verluste an Scheuerleisten und Fußrelings.
Angesichts dessen, wie es anderswo aussieht, was in der Nacht
losgewesen sein muss und dass auch in Arnis ein Schiff auf Tiefe ging,
bin ich gut zufrieden mit diesem Ausgang.
Oktober 2023
Mittwoch:
Sonne, milde Temperaturen, was haben wir es doch gut! Salty wird
gekrant, es klappt fluffig: Kaum steht der Trailer im Hafen, sind wir
auch schon an der Reihe. Wir legen ab, an, Gurte unter, hängt
optimal, -zack!- ist sie auch schon abgestrahlt und abgesetzt und
geradegerückt. Ich sage Niels Bescheid, dass er sie irgendwann
abholen soll – mein Yeti darf den Trailer nur ohne Boot
ziehen.
Die Hafenmeister kranen den ganzen Tag, schaffen so viele Boot wie
möglich schnell noch an Land. Es ist bekannt, dass reichlich
Ostwind kommt. Bei Windfinder, wie es am Hafenbüro
aushängt, sieht das sehr schön ordentlich aus, ein
schmaler orangener Balken für die Böen und ein
dunkelgelber für den Mittelwind. Das wäre nicht
besorgniserregend, 7 Windstärken, in Böen 8 - doch
Windfinder darf man nicht trauen. Bei DMI liest es sich schon
dramatischer - es kommt außergewöhnliches auf uns
zu. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag geht es los, der Wind
nimmt in 48 Stunden kontinuierlich zu, zuletzt mit orkanartigen
Böen, bevor sich die Lage abrupt beruhigt.
Während Salty abreist, lege ich Paulas Mast. Baue die Spreizen
ab, zerstöre die Windex, häkele die Drähte
ein. Gegen vier kommt Niels, um alle Masten in die Halle zu
transportieren. Dort probieren wir erfolgreich ein neues Konzept:
Anstatt zusammen mit Andreas die Masten von Hand auf die Empore zu
befördern und dann in rückenunfreundlicher Haltung
ins Regal zu legen, stehen Jan und sein Manitou bereit. Das geht
zügig, fluffig, sicher und zukunftsfähig. Mit einem
Yeti voller Frieda-Ausrüstung reise ich in Begleitung der
Teddys ab in mein eigenes Winterquartier in Sörup.
Donnerstagmorgen fragt Insa: „Übernachtest du an
Bord?“ Ich sage: „Wie meinst du –
übernachten? Schlafen kann man hier nicht.“ Bezeugen
können das Björn und Christoph, sie haben es
vergeblich versucht. Eigentlich ist noch gar nichts los, doch die Boote
schaukeln unangenehm, und das Wasser steht schon bis knapp unter
Stegniveau. Während ich die erste Runde Paula-Sachen in Kisten
von Bord schaffe, steige ich tunlichst an Steuerbord aus dem Cockpit
– eine plötzliche ruppige Bö würde
mich dann zurückwerfen, aber jedenfalls nicht ins Wasser.
Christoph verbringt zwei Stunden damit zu, Doris mit
zusätzlichen Springs zu sichern und zu überlegen, ob
er verholen soll. Aber wohin? Dazu ist es längst zu
spät, beim Ab- und Anlegen drohen größere
Schäden als während des Sturms. Außerdem
wüsste ich keinen sicheren Hafen – an der ganzen
Küste ist alles darauf ausgelegt, bei Hauptwindrichtung West
einem Sturm zu trotzen. Der Winddruck wird nicht das Problem sein,
sondern der Schwell und vor allem der Wasserstand.
Ich lege lange Achtersprings zum Steg, um die Vorleinen zu entlasten.
Die kriegen einen improvisierten Schamfilschutz und reichlich Lose,
damit sie nicht steif kommen bis zum Höchststand. Doch wieviel
Lose? Wie ist der Höchststand? Die Prognose des BSH lautet
1,30m über dem mittleren Wasserstand, aktuell sind wir bei
0,8m, einen halben Meter mehr also. Das ist für mein Gehirn
ziemlich unvorstellbar. Irgendwann scheint alles gut austariert und
unter Kontrolle. Was könnte ich noch tun? Die Vorleinen weiter
nach außen, damit sie länger werden? Dann treiben
die Boote jetzt schon wild hin und her, das geht also nicht. Die losen
Enden der Vorleinen als Backup an Bord belegen? Würde wohl
kaum halten auf den eh schon vollen Klampen. Zusätzliche
Fender jeweils am Vorschiff? Nichts mehr da, um sie zu befestigen.
Tzefix, die zwischen Paula und ihren Schwestern liegt, kriegt noch eine
Backup-Vorleine, damit sie nicht gegen Paula treibt.
Freitag bleibe ich in Sörup. Ich lade den Yeti aus und
sortiere die Wohnung: Überall steht Bootsausrüstung,
nass, feucht und trocken, dreckig und sauber. Ich reinige die
Wasserkanister, schrubbe die Pützen, stelle Polster an die
Heizung und hänge Tauwerk darüber. Im Laufe des Tages
entfaltet sich ein erkennbares System. Fenster, Fassade und Yeti
füllen sich mit nassen Blättern. Die Bäume
vorm Haus halten stand.
Unterdessen habe ich online die Webcam der WSG und den Pegel in Kappeln
im Auge. Der Pegel gibt am frühen Nachmittag auf, als der
Wasserstand bei 1,65 m über dem mittleren Wasserstand liegt
– und damit 35 cm über der ursprünglichen
Prognose. Am Ende werden es ca. 2 Meter Hochwasser, nicht nur 1,30m.
Wann immer ich die Tür aufmache, merke ich hier im Binnenland:
Der Wind legt zu. Die Webcam zeigt bei jedem Neuladen meine Boote an
den Stellen, wo ich sie angebunden habe – das ist beruhigend.
Manchmal trifft ein Regentropfen die Kamera, oder ein Boot
schüttelt sich in einer Bö, so dass das Bild
bös verwackelt und unscharf wirkt. Einmal neu laden, schon
sieht alles wieder sehr beruhigend aus.
Natürlich sind die Stege komplett überflutet. Was
für ein Schwell da in den Hafen läuft, ist auf einem
Standbild nicht zu erkennen, aber ich kann es mir vorstellen: Genug um
eine Leine am Limit durchzureißen. Ich habe schlaflose
Starkwindnächte in schlechtgewählten Häfen
verbracht, und ich weiß, dass sich bei Sturm selbst nur von
Kopperby her über die Schlei hinweg ein unangenehmes Gekabbel
aufbaut. Wellenbrecher und Stege, sonst unser Joker, sind
längst überspült. Die ersten Mails treffen
ein: Ob es Paula und ihren Schwestern denn gut geht. Woher soll ich das
wissen? In der Dunkelheit zwischen umstürzenden
Bäumen hindurch zum Hafen zu fahren, macht aus meiner Sicht
keinen Sinn. Ich teile lieber meine Kräfte ein und gehe zu
Bett.
Viele Arnisser würden das auch gerne tun, doch am
späten Abend bricht der Deich, ein Teil des Ortes wird
evakuiert.
Samstagvormittag
ist reges Treiben im Hafen: Die Hafenmeister fahren mit dem Arbeitsboot
rum und binden fest, was sich losgerissen hat. Die Johanniter bauen
Zelte
auf und versorgen die Feuerwehr mit Kaffee und Erbsensuppe. Die
Feuerwehr lässt ein Boot zu Wasser, um Arnis zu inspizieren.
Später bringen sie damit Ölsperren aus. Die WSG
richtet alles her, damit evakuierte Arnisser auf Klo und unter die
Dusche können. Restaurant Specht sorgt für warmes
Essen. Wer damit nicht beschäftigt ist, räumt den
Hafen auf: Ein unfassbarer Spülsaum – Schilf,
Äste, Bretter, Stegteile – läuft fast
überall außen ums Gelände, nur das
Gebäude stand hoch genug. Inzwischen ist das Wasser schon
wieder deutlich gefallen.
Das Aufräumen ist nicht wirklich zeitkritisch, aber wie nach
jedem Hochwasser ist klar, dass das jetzt erledigt ist. Bevor ich
mitmache, gucke ich von Weitem nach meinen Booten. Sie liegen ruhig und
friedlich und tapfer und sich umeinander kümmernd an einem
Steg, der immer noch einen halben Meter unter Wasser steht. Ich wandere
durch den Hafen, um sie von allen Seiten zu betrachten. Da
fällt mir auf: Frieda hat keine Vorleinen mehr. Niels in
seiner Wathose behebt dieses Problem. Er watet zurück mit
einem Foto, auf dem zu sehen ist, dass Marthas Scheuerleiste gelitten
hat.
Das Foto zeigt nicht die Hälfte des Dramas, das sich hier
– offenbar kurz vor dem Beruhigen von Wind und Welle
– abgespielt hat. Frieda lehnte sich vertrauensvoll an ihre
Schwester Martha, gab beim Herumwirbeln ihrer anderen Schwester Oliese
einen Hieb aufs Heck, dann ließ sie sich schaukeln. Als
Marthas Scheuerleiste und Fußreling aufgebraucht waren und
nur noch die Schrauben herausguckten, riss Friedas Schergang auf zwei
Metern einfach auf. Oliese fehlten da schon die letzten
dreißig Zentimeter Scheuerleiste und Fußreling und
ein Stück Planke. Endlich ließen der Wind und das
Gehoppel nach.
Wenn ich mir vorstelle, wie das in der Nacht zugegangen sein muss und
wie es hätte enden können, bin ich sehr gut zufrieden
mit diesem Ergebnis. Ein paar Meter Teakleiste, ein
Lärchenbrett und drei Tage Arbeit ist alles, was wir brauchen,
um das wieder in
Ordnung zu bringen. Im direkten Vergleich liegen wir damit ganz gut. In
der WSG sind zwei Stege, die Jollenslipbahn und der Wellenbrecher
beschädigt. An Steg 3 haben eine Motoryacht und eine Senorita
Helmsman nicht ganz so einvernehmlich zusammengehalten wie Frieda und
Martha, nachdem die Leinen gerissen waren – bei beiden ist
das ganze Laminat durchgeschubbert. Fünf Meter weiter ist Kyma
II, ein achtzig Jahre alter Abeking & Rasmussen-Bau, auf Tiefe
gegangen. Beim Bergen wird man in der Außenhaut ein Loch von
der Form eines Stegpollers finden.
Zwischendurch kursieren Fotos und Videos aus anderen Häfen:
Damp, Maasholm, Schilksee – lauter Trümmer,
ineinander verkeilte Boote an Land oder auf den Stegen, sofern da
überhaupt noch Stege sind. Der in Karschau ist weg. Auch in
Aerøskøbing und Søby gibt es keine
Stege mehr, in Marstal keine Badehäuser. In Rødvig,
wo wir im Juli waren, ist der Hafen nur mit Mühe
wiederzuerkennen. Die Liste ließe sich sicher endlos
fortsetzen – ich bin nicht sicher, ob sich das alles bis zum
Frühjahr herrichten lässt.
Wie beruhigend ist da doch ein Gang auf den Spielplatz. Die
Schachfiguren haben eine lustige Aufstellung eingenommen. Einige von
ihnen haben es mit Bobbycar und Bagger ganz zum Spülsaum
geschafft. Die Umrandung der Sandkiste ist aufgeschwommen und liegt
fast in originaler Anordnung vier Meter weiter. Das vollgelaufene
Plastikeimerchen wartet zwischen Rippeln und toten
Regenwürmern unbefangen auf Kinder, die mit ihm spielen
wollen.
Nach drei Stunden Aufräumen sieht der Hafen schon wieder
völlig normal aus. Als Steg und Kranplatte trocken sind, lade
ich Paulas restliche Ausrüstung in den Yeti. Mittwoch ist
Krantermin.
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