Paulas Törnberichte | ||||||
Nüsschenabend
(Sommerreise Teil 2)
Nach einem langen Tag auf dem Wasser liegen wir im idyllischen
Tärnö, die vier Boote in einer Reihe
längsseits am Steg. Fred und Joe sitzen in Olieses Cockpit.
Ich komme eigentlich nur vorbei, um kundzutun, dass ich
müdegesegelt bin und bald in die Koje muss. Gerhard hockt sich
dazu. Er bringt eine volle Tüte Erdnüsse und ein
leeres Glas mit – bei Joe und Fred gibt es immer guten
Rotwein, auch ich fühle mich gut bewirtet. Wir reden
über die Digitalisierung, den Klimawandel, die Gesellschaft,
übers Segeln und über die Feuerwehr. Folkeboot
„Ylva“, über die Toppen beflaggt,
beobachtet von ihrer Mooring aus, wie die Sonne untergeht und wir den
Abend genießen. Es fühlt sich unbeschwert an, wie
mit treuen, alten Freunden.
Juli 2023
Ich
bin umgeben von
Ruheständlern. Gerhard segelt allein mit Martha, wie schon
letztes Jahr auf dem Weg zu den Westschären. Wir gehen lieber
nochmal alle Handgriffe gedanklich durch, in seinem Alter kann man sich
nicht mehr jedes Detail ein ganzes Jahr lang merken. Er sagt:
„Früher bin ich viel mitgesegelt auf
größeren Yachten, aber das war mir eigentlich zu
langweilig.“ Oliese beherbergt das bewährte Team Joe
und Fred. Die beiden sind anpassungsfähig, neugierig und
zuverlässig. Frieda hat es mit Klaus und Gert zu tun. Sie sind
recht erfahren und sehr aktiv in der hessischen Seglerszene. Letztes
Jahr haben sie mit ihren Familien zwei Boote gechartert. Es dauert eine
Weile, bis wir uns auf der
gleichen Wellenlänge befinden. Wir haben aber auch einen
schweren
Start: Bei vielen kurzen Schauern pustet es unablässig mit
6-7. Einzeln unter verschlossenen Kuchenbuden kommt erstmal kein
Gruppengefühl zustande.
Wenn man drei Tage eingeweht ist, kann man sich
in einer Stadt
natürlich ganz gut beschäftigen. Karlskrona ist
allerdings eine seltsame Stadt: Gegründet Ende des 17.
Jahrhunderts als zivile Wohnstadt zum neuen Marinestützpunkt.
Schweden begriff sich als Großmacht, die neue Stadt sollte
etwas hermachen, und so wurden im Schachbrettmuster breite
Straßen angelegt, pompöse Barockbauten zieren den
zentralen Platz. Hundert Jahre später fackelte der ganze Kram
zum ersten Mal ab, zumindest die Kirchen wurden wieder aufgebaut.
Trotzdem ist der Barock in meinen Augen nicht als Gesamtensemble
erhalten. Moderne Gebäude, manche davon ausgesprochen
hässlich, lockern das Bild auf. Und das Stadtbild wirkt,
nunja, seltsam – kein Wunder, wenn der
Marinestützpunkt die einzige Existenzberechtigung ist. Dennoch
gehört Karlskrona zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Mittwochmorgen: Wir segeln! Und zwar nach
Kärsön,
gleich südlich von Ronneby – zwanzig
abwechslungsreiche Seemeilen. Kärsön ist eine
wunderschöne Insel mit viel Wald, Farn, Felsen,
Ferienhäusern, sowie einem Rundwanderweg am Ufer entlang. Es
ist beeindruckend, wie hier doch jede Schäre und jede Bucht
ihren eigenen Charakter hat – sie sind alle unterschiedlich,
jede lohnt einen Besuch und einen ausgiebigen Landgang. Dazu ist am
nächsten Tag Gelegenheit. Nachdem Sturmtief
„Poly“ in Norddeutschland kräftig
aufgeräumt hat, beschert uns seine Rückseite schon
wieder ein bisschen viel Wind zum Auslaufen, dazu bedeckten Himmel und
gelegentliche Schauer. Das ist aber auch alles. Die Gäste
fahren mit der kleinen Fähre nach Ronneby. Ich gucke mir die
Schäre an. Abends gehen wir gemeinsam essen. Es ist ein
bisschen amüsant-improvisiert-unprofessionell, aber
unglaublich günstig: Knapp dreizehn Euro für ein
opulentes Fischgericht sind nicht die Preise, die ich in Schweden
kenne. Die Enten haben es aber billiger, sie verkriechen sich zwischen
den Sträuchern, um Blaubeeren zu pflücken.
Ich möchte unbedingt nach Utklippan.
Diesen
Außenposten der Zivilisation den Gästen zeigen und
selbst erleben. Für Freitag ist also ein Ziel gefordert, dass
im Wesentlichen drei Kriterien erfüllt: Problemloses Anlegen
und guter Schutz bei frischem Südwest. Nicht wieder
Karlskrona. Und dicht genug an Utklippan, um das am Freitagvormittag zu
erreichen. Ich sehe nur eine Möglichkeit: Ankern in einer
Bucht an der Nordseite von Sturkö. Ankern? Nicht alle
Gäste sind auf Anhieb begeistert.
Der Segelschlag ist wundervoll, wenngleich ein
bisschen zu kurz, aber
es brist auf, und es gibt kein besseres Ziel in erreichbarer
Nähe. In der Bucht sind jede Menge Privatstege, es
verläuft ein Stromkabel – all das vermeiden wir und
bilden windgeschützt ein wackeres Päckchen. Nach der
Mittagsstunde pumpe ich das Schlauchboot auf und rudere an Land. Ich
finde eine Stelle, wo man mit nur geringen Blessuren durch die
Brombeerranken auf die Insel kommt. Und mit allem vorhandenen Tauwerk
gelingt es, über die sechzig Meter eine Seilfähre zu
bauen, mit einer Führungsleine und Sorgleinen sowohl an Land
als auch zu den Booten. Ich bin sehr froh, als der bisher so skeptisch
wirkende Gert als Erster Gebrauch davon macht, um ein paar
unübertreffliche Fotos zu knipsen.
Fred und Gerhard fahren auch rüber und verbringen Stunden auf
der großen Insel. An Bord ergeben sich inzwischen ganz andere
Gespräche als zu Anfang – wir haben Gemeinsames
erlebt, niemand kommt allzu weit weg, und Ankern im Päckchen
ist immer gruppendynamisch wertvoll.
Der Weg nach Utklippan ist zum
Genießen: In der Morgenbrise
hangeln wir uns gemütlich durchs Innenfahrwasser. Kreuzen den
Gåsefjord auf. Segeln schließlich bei West 3-4 auf
das draußen vor der Küste liegende Felsenensemble
zu, das einst als Lotsenstation und Leuchtturmstandort diente. Es
wurden hier auch einst rund 400.000 Zugvögel beringt, von
denen gute Tausend wiedergefunden wurden: Auf den Shetlands, am
Nordkap, in Westafrika.
Gegen Mittag finden wir einen fast leeren Hafen,
der ziemlich clever
gebaut ist: Es gibt je eine Einfahrt von Westen und von Osten. Wer
reinmotoren möchte, ist in Lee am besten beraten. Für
die gute Sache hätten auch Paula und ich hier mal wieder den
Motor gestartet, um nicht durch den flachen Vorhafen zu kreuzen und im
winzigen Binnenhafen das Groß bergen zu müssen. Doch
bei dem moderaten Wind und fast nicht vorhandenen Seegang
entschließe ich mich, von Westen her mit der Fock
reinzusegeln und wriggend einen Liegeplatz zu ergattern. Klappt
tadellos.
Sofort ist klar: Utklippan ist ein besonderer
Ort, den man gesehen
haben sollte. Der Hafen ist auf der Nordinsel. Im Hafengeld enthalten
ist die Benutzung eines der drei Ruderboote, mit denen man auf die
Südinsel gelangt. Dort befinden sich laut Delius
Klasing-Törnführer der besteigbare Leuchtturm, das
Café, die Jugendherberge. Joe, Fred und ich rudern
rüber und finden uns wie in einer verlassenen Westernstadt
wieder. Hier ist alles verriegelt und abgerockt. Trotzdem –
oder gerade deswegen – schön. Ein Blick von der
Leuchtturmspitze wäre schön gewesen, aber auch der
ist verschlossen. Ich vermute: Die machen hier nur auf in der
Hauptsaison – und wir sind ja im Juli hier. Hä?
Niemand
kommt, um das Hafengeld zu kassieren.
Der Hafen füllt
sich, abends bilden sich Päckchen, die Meisten kommen von
Bornholm und wollen früh weiter nach Kalmar. Das sind lange,
anspruchsvolle Segeltage. Auch wir haben uns auf unseren
längsten, anspruchsvollsten Segeltag vorbereitet: Wir
möchten nach Tärnö, sechsundzwanzig Meilen
einmal quer entlang der Blekinge Schären, Auslaufen mit dem
ersten Wind, der nicht vor zehn zu erwarten ist, und dann bei schwachem
Gradientwind die Seebrise ausnutzen. Es taucht die Frage auf, ob auf
die letzten Meilen Innenfahrwasser oder direkt außenrum. Die
Argumente – schöner, interessanter, kurzweiliger,
letzte Gelegenheit, dichter am Festland mit stärkerer Thermik
– befürworten eindeutig das Innenfahrwasser.
Außer einem: Dort ist überhaupt kein Wind. Nur Klaus
ist für direkt außenrum – aber er liefert
das überzeugende Argument nicht. Er kennt aber als Einziger
das
Revier, und wir sind uns ansonten einig: Morgen Hanö, dann
Ahus,
schlägt er vor. Genau mein Plan, und es ist gut, dass er ihn
bestätigt. Sein Mitsegler Gert wird beim Abschied sagen:
"Toller
Urlaub! Vor allem, weil wir Sachen gemacht haben, die man sonst eher
nicht macht." Wir haben nach dem mühsamen Beginn also die
Kurve
geschafft.
Am Anfang können wir den Sollkurs
überhaupt nicht
laufen. Paula verschafft sich einen Vorsprung, indem ich dafür
sorge, dass sie läuft, anstatt Höhe zu kneifen.
Cumuluswölkchen für Cumuluswölkchen bildet
sich über Land, schließlich setzt die Seebrise ein,
und wir können die Abweichung korrigieren. Mit fünf
Knoten, beträchtlichem Vorsprung und in Hochstimmung rundern
wir den Leuchtturm Gåsefjärden und gehen auf
Nordkurs. Ich baume die Fock aus und bin glücklich.
Doch kaum haben wir Stora Ekholm erreicht, ist
überhaupt kein
Wind mehr. Unser Vorsprung schmilzt auf ein paar Meter. Wir
könnten hier anlegen, zwei Moorings und eine ganze Stegseite
sind noch frei, doch die Gäste möchten endlich
wieder duschen und hoffen auf Tärnö. Wir finden also
einen Weg durch Strömung und Flautenfelder und nehmen wieder
Fahrt auf. Hangeln uns durchs Fahrwasser. Bleiben stehen, sausen los.
Drei Knoten, ein Knoten, vier Knoten. Die Charterboote sind
plötzlich weg. Drei Meilen vor dem Ziel geht gar nichts mehr
– Flaute gegenan ist einer schlechte Kombi. Weiter
draußen ist aber das Gekräusel gut zu erkennen.
Dort kommen die Charterboote: Frieda und Oli motoren. Martha segelt.
Der Abstand bleibt gleich. Ich schmeiße den
Außenborder für fünfundzwanzig Minuten an,
um Martha einzuholen und gemeinsam mit ihr in die Bucht zu segeln. Und
so erreichen wir Tärnö und machen
Nüsschenabend.
Es ist ein bisschen schade, dass wir keine Zeit
mehr haben, vormittags
den hölzernen Leuchtturm und den Aussichtspunkt zu
besichtigen, von dem man aus bei guter Sicht ganz Blekinge
überblickt. Doch auf Hanö füllt sich ab
mittags der Hafen, nachfolgend setzt Regen ein. Wie gut, dass wir da
die neun Meilen schon gefressen und angelegt haben. Hanö kenne
ich ja schon vom Hinweg. Diesen Gästen jetzt steht ein
sonniger, warmer, flautiger Vormittag zum Inselrundgang zur
Verfügung, bevor wir uns von Blekinge verabschieden. Es ist
Südwind, Richtung Simrishamn kommen wir nicht voran,
müssen es aber auch nicht, denn es ist ja erst Dienstag. Wir
entscheiden uns für Ahus – eine alte Handelsstadt,
die an Bedeutung eingebüßt hat, nicht aber an
Charme, gelegen an der Mündung der Helge A. Es sind neunzehn
Meilen nach Westen, von dort dann zweiundzwanzig Meilen bis Karlskrona
mit einem Südkurs, der auch bei Südwestwind zu laufen
sein wird. Wir sind also auf gutem Wege und können uns einen
weiteren Hafentag erlauben.
Daran, stundenlang nichts als Wasser zu sehen,
muss ich mich erst
wieder gewöhnen. Heute habe ich keine Lust. Die Charterboote
segeln davon, Paula und ich machen es uns gemütlich. Von Ahus
bin ich dann aber höchst positiv überrascht: Ich
hatte ein Provinznest erwartet und damit gerechnet, dass wir in der
Abdeckung nicht gegen die zwei Knoten Strömung ankommen und
den Motor starten müssen, um den schraddeligen Hafen zu
erreichen. Doch dann segeln wir zum Liegeplatz im Segelclub und sind
umgeben von Flair, Ambiente, guter Stimmung und Freundlichkeit. Es ist
viel enger als erwartet, an beiden Ufern halten Restaurants und Bars
eigene Anlegemöglichkeiten für ihre Gäste
bereit. Joe hat für Martha, die wir fast noch einholen, und
Paula Boxen ausgekundschaftet und gibt über Funk Bescheid.
Eine Anspielung auf unser spätes Eintreffen kann er sich
natürlich nicht verkneifen - ein Leben als Berufsfeuerwehrmann
ist eng verbunden mit Sprüchen und Anspielungen. So wird aus
einem lustlosen doch noch ein wunderschöner Tag.
Wir haben noch einen Tag Zeit vor dem
Crewwechsel. Kivik ist der
einzige Hafen zwischen Ahus und Simrishamn. Frieda fährt
direkt, die Crew muss noch das Auto in Karlskrona abholen und
Freitagabend eine Fähre erreichen. Bisher hatten wir
ausschließlich Schönwettersegeln, wenn wir nicht
gleich komplett im Hafen geblieben sind. Nun gönnen wir uns
achtzehn Meilen gegenan. Es beginnt morgens um sieben sehr
gemächlich. Weil auch noch die Strömung gegen uns
ist, muss man segeln, wo der beste Wind ist, und das ist erkennbar
dichter unter Land. Paula fährt als letzte los, wendet als
erste – und lässt Oli und Martha weit
zurück. Richtig voran kommen auch wir nur in zwei
Schauerböen, sogar mit passender Windrichtung –
Kivik kommt in Sicht. Nun brist es auf mit 5 Böen 6. Auf eine
spritzige Kreuz folgt ein souveräner Aufschießer an
die Heckboje. Wir bekommen Applaus. Als Oli eine gute halbe Stunde
später auch endlich anlegt, frage ich Joe: „Hast du
dir heute auch wieder so lustige Sprüche
ausgedacht?“ Er spendiert Pizza für alle.
Abends sitzen Joe, Fred, Gerhard auf der Pier
– die Erdnuss-
und Rotweinvorräte werden aufgebraucht. Die locals laufen aus
zur Donnerstagsregatta. Es ist auch ein Folkeboot dabei –
kein Schmuckkästchen, aber ich habe hier schon hoffnungslosere
Fälle gesehen. Wir winken und deuten auf die Boote vor uns.
Das Folke gewinnt erstmal souverän die Wettfahrt. Nach dem
Aufklaren bekommen wir Besuch. Die beiden haben das Boot vor sechs
Jahren in schlechtem Zustand gekauft, allmählich bessert sich
der Zustand – so herum wird natürlich ein Schuh
draus. Beim Goldpokal haben sie auch schon teilgenommen –
umgeben von Profis sind sie Letzte geworden. Sie freuen sich riesig,
uns zu treffen – schöne Abrundung eines letzten
Nüsschenabends.
Jetzt, da Blekinge hinter uns liegt, lässt sich ein kleines
Fazit ziehen – ein persönliches Fazit, das
hoffentlich auch Hinweise für die Törnplanung anderer
Menschen enthält.
Im Vergleich zu den Westschären um
Göteborg ist das
Revier anders: Es ist viel kleiner - zwischen Hanö und
Utklippan liegen keine 30 Seemeilen, und in diesem Sektor liegen alle
sehenswerten Orte. Die Gegend ausgiebig zu erkunden, bedeutet kurze
Schläge. Allerdings sind die Inseln oft auch recht
groß – ein Landgang, der der Umgebung gerecht wird,
dauert eine Weile. Man kann sich also beschäftigen.
Charakteristisch für die
Westschären ist karger,
schroffer Fels, wo sich Vegetation allenfalls in winzigen,
windgeschützten Biotopen ansiedelt. Die Natur verharrt im
Anfangsstadium – was anderswo nach der letzten Eiszeit
geschehen ist, lässt sich hier auf einen Blick nachvollziehen.
Ich mag das ausgesprochen gerne. Ich kenne auch die Stockholmer
Schären, und dort ist es mir eindeutig zu bewaldet und
lieblich. Gleiches gilt für die Innenfahrwasser der
Westschären zwischen dem Festland und den großen
Inseln Tjörn und Orust. Blekinge liegt auch im Lee einer
großen Landmasse, der Provinz Skåne, und ist
entsprechend geschützter. Die Kombination aus nacktem Fels und
üppigem Wald wirkt auf mich als gelungener Kompromiss.
Weiterhin verglichen mit den Westschären, hat Blekinge
erhebliche Nachteile:
Die Entfernung ist eine Spur
größer, von Westen
kommend bekommt man es mit reichlich offenem Wasser und
- vermeintlich - uninspirierenden Häfen an der
Südküste
Skånens zu tun. Auf dem Weg nach Blekinge wie in der Regel
auch nach Göteborg erreichten wir Schweden am Freitag der
ersten Woche. Es blieben dann aber noch sechzig Meilen (Ystad
– Hanö) in zwei Tagen, bis wir das Gefühl
hatten, unser Zielgebiet erreicht zu haben. Wer in Blekinge sein
Glück sucht, muss es sich also erarbeiten. Der
Rückweg von Simrishamn nach Svendborg steht noch bevor, und
ich bin ein bisschen bange.
Die Umgebung ist wenig reizvoll: Ein Stück nach Norden?
Kristianopel wurde mir als sehr sehenswert beschrieben, und ums Eck ist
man bei West auch gleich den Seegang los, aber bei Südwest
wird es zur bösen Falle. Bornholm ist eine Nummer für
sich, ist aber mehr als eine Tagesdistanz entfernt und liegt nicht
unbedingt an der günstigsten Strecke. Skånen ist nur
Mittel zum Zweck.
Der Schärengürtel vor der
Festlandsküste hat
Lücken, es gibt also kein durchgehendes, geschütztes
Innenfahrwasser. Erschwerend hinzu kommt, dass die Fjorde alle in
Nordost-Südwest-Richtung verlaufen und sich südlich
eine riesige Wasserfläche anschließt. Bei
Hauptwindrichtung Südwest bekommt man es also mit reichlich
Seegang zu tun. Besonders nervig ist die alte Welle, wenn man am Tag
nach dem geduldig abgewetterten Starkwind zum
Schönwettersegeln ausläuft und
durchgeschüttelt wird. Was komplett fehlt, ist eine
Starkwindvariante, wie sie die Westschären durch die
großen Inseln Tjörn und Orust vorhalten: Dort kommt
bei moderaten Bedingungen überhaupt kein Wind an, aber wenn es
draußen bei 6-7 unerträglich ist, kann man sich hier
gefahrlos zumindest vom Fleck bewegen.
An sonnigen Schwachwindtagen kann man wunderbar
mit der Seebrise segeln
– im Innenfahrwasser aber nur vom späten Vormittag,
wenn sie einsetzt, bis zum frühen (!) Nachmittag, wenn sie
abrupt wieder einschläft, während südlich
der Schären in des Innenfahrwassers eine hübsche
Brise bis zum Abend durchhält. Natürlich war ich
nicht lange und oft genug in der Gegend, um beurteilen zu
können, ob das hier der Standard ist, aber wir haben die
Beobachtung häufiger gemacht. Utklippan und
Tärnö liegen genau richtig für den
Thermikwind, mit ein bisschen Geduld kann man die Strecke ohne
Motorbootfahren an einem Tag schaffen.
Es gibt unglaublich viele
Möglichkeiten, sein Boot anzubinden
oder zu verankern. Manche Häfen wirken aber – auf
dem Luftbild wie im Vorbeisegeln – reizlos. Bei gegebener
Windrichtung und mit unseren Vorgaben - nichts doppelt anlaufen, am
nächsten Tag ein bestimmtes Ziel bis mittags erreichen
– reduzieren sich die Möglichkeiten bisweilen auf
eine einzige. Aber immerhin: Diese eine gibt es immer.
In fast allen Naturhäfen gibt es Gästestege.
Schärenankern mit Heckanker und am Felsen festgebunden geht
hier und da, ist aber nicht das eigentliche Ding. Das hat Vor- und
Nachteile: Die Chancen, in purer Abgeschiedenheit eine Schäre
ganz für sich allein zu haben, sind gering. Aber das Anlegen
ist wesentlich einfacher, häufig gibt es nicht nur eine
Komposttoilette, sondern den kompletten Service eines Hafens mit Strom,
Wasser und womöglich sogar „Restaurang“.
Es gibt aber unbedingt auch Vorteile zu
vermelden: Einige einzigartige
und unbedingt sehenswerte Orte sind dabei, und unterhalb dieses hohen
Maßstabs etliche wunderbare Inseln. Von ihnen hat jede ihren
eigenen Charakter – die eine ist flach und karg und
brachliegend, die nächste üppig bewaldet und von gut
ausgeschilderten Wanderwegen durchzogen, eine dritte besticht durch die
lockere Bebauung mit stilvollen Sommerhäusern aus dem 19.
Jahrhundert, die vierte durch einen unübertrefflichen
Aussichtspunkt. Es gibt also viel zu entdecken. Das Revier ist
definitiv unterschätzt.
Das ist aber ein weiterer Vorteil: Wer die
Stockholmer Schären
im Sinn hat, saust hier nur einfach vorbei. Zwischenstopps sind dann
Bornholm – (Simrishamn) – (Hanö)
– Utlippan und weiter zum Kalmarsund. Auf Hanö und
Utklippan ist es sinnvoll, spätestens mittags einzutreffen,
wenn man nicht bei fremden außen im Päckchen liegen
möchte (und womöglich mit einer Flottille von vier
Folkebooten unterwegs ist). Sonst sind wir überall zu
beliebigen Zeiten etwas geworden.
Für Crewwechsel zwischendurch gibt es
zwar nicht die tolle
Kiel-Göteborg-Fähre über Nacht, aber
trotzdem gute Möglichkeiten.
Lüneburg-Malmö-Karlskrona geht an einem Tag,
Sölvesborg wäre eine weitere Option, ein Nachtzug
Hamburg-Kopenhagen kann helfen. Simrishamn ist weniger gut angebunden,
aber auch realistisch. Das schwedische Nahverkehrsnetz ist auch in der
Provinz exzellent.
Die Frage, ob man auf dem Weg nach Norden ein
paar Tage Blekinge
einplanen sollte oder ob Blekinge eine nähere Alternative ist,
bringt uns zurück zu den Distanzen und Reisezeiten: Die
Windbedingungen für unseren Hinweg würde ich als
normal bis günstig beschreiben. 280 Seemeilen, vier Stunden
Motoren und zwei freiwillige Hafentage, um uns Møn und
Hanö ausgiebig anzugucken, führten uns in vierzehn
Tagen kommod nach Karlskrona zum Crewwechsel. Dort lagen wir vier Tage
fest, hatten aber nur das Ziel, die Schären ausgiebig zu
erkunden und am Ende der zweiten zwei Wochen in Simrishamn einzutreffen
– immer machbar, zur Not in einem einzigen langen Schlag.
Wer nicht an vorher vereinbarte Crewwechsel
gebunden ist, kann also
rechnen: Mindestens zehn Tage bis Hanö, Wenigstens eine Woche
in den Blekinge Schären. Am Ende der dritten Woche sollte man
in Simrishamn sein und zwei Wochen für den Rückweg
kalkulieren. Insgesamt benötigt man also mindestens
fünf Wochen. Wer Reserven für Gegenan und Starkwind
einplant und/oder Bornholm und die Erbseninseln anlaufen
möchte, braucht mindestens sechs. Zum Vergleich: Die
Göteborger Schären haben wir immer in zwei Wochen
hin, zwei Wochen zurück geschafft, ohne dass die
Gäste das Gefühl hatten, nur die Boote ans Ziel
gesegelt und zu wenig Idylle gesehen zu haben. Fünf bis sechs
Wochen sind aber auch hier die bessere Wahl. Für Stockholm,
die Ålands oder den Götakanal braucht man erheblich
länger und kalkuliert in Monaten, nicht Wochen.
Gerechnet ist das natürlich ab Schlei /
Kiel / Flensburger
Förde / Fehmarn, mithin der schleswig-holsteinischen
Küste, gekoppelt mit fünf Knoten auf der Basis eines
kleinen Bootes mit einer kleinen Crew – und dem
erklärten Ziel, zermürbende Tage zu vermeiden und
Highlights entlang der Strecke zu würdigen. Wenn die
Crewstärke ein Wachsystem erlaubt und bei Gegenan gnadenlos
gedieselt wird, ergibt sich eine andere Rechnung. Und wer auf
Rügen startet, erreicht Utklippan in zwei langen
Schlägen mit Zwischenstopp auf Bornholm. Das viele offene
Wasser und die omnipräsente Großschiffahrt wollen
aber eingeplant sein.
Und dann war das ja auch ein Experiment in dem
Sinne, die Charterboote
mitzunehmen in eine Gegend, die ich selbst vorher nicht kannte. Ich
traute mir das nach all der Erfahrung zu, anhand von Seekarte,
Hafenhandbuch, Revierführer, Seewetterbericht und Intuition
die richtigen Entscheidungen zu treffen, um die Boote sicher und
stressfrei an sehenswerte Orte zu führen. Wie immer war das
Grundprinzip: Wie würde ich es machen, wenn ich allein mit
Paula unterwegs wäre?
Zur Verfügung standen der Kartensatz
Serie 2 des NV-Verlages,
die schwedische Båtaportkart Hanöbukten, der
Hamnguiden 7 des schwedischen Skagerrak Forlag, der
Törnführer Schweden 2 von Delius Klasing (um etwas
deutschsprachiges dabeizuhaben), sowie die zwei Heftchen Natur- och
Gästhamnar i Blekinge Skärgård im
Eigenverlag eines Ansässigen. Letztere gab es auch mal auf
Deutsch, sie wurden mir von einem Stegnachbarn für die Reise
ausgeliehen, benutzt haben wir sie aber letztlich nicht.
Das Meiste habe ich schon im Winter bestellt und
mir vorgenommen, mich
frühzeitig einzulesen, eine wahrscheinliche Reiseroute zu
ersinnen, unbedingt notwendige Ziele zu identifizieren und mich rundum
gut vorzubereiten. Doch so funktioniere ich nicht, und es war auch gar
nicht nötig: Von Tag zu Tag in Kenntnis des Windes und somit
des Machbaren, ging es viel besser. Abend für Abend im
Hamnguiden blätternd, kenne ich jetzt fast alles in Blekinge
und bin sicher, die schönsten und beeindruckendsten
Übernachtungsorte ausgewählt zu haben.
Der uninspirierende
DK-Törnführer kann als veraltet
gelten. Er bot für Tärnö die beste
Kartendarstellung der Bucht, für Utklippan aber neben
nützlichen Informationen auch eine Menge Lügen,
ansonsten benutzten wir ihn nicht. Immer in Gebrauch waren hingegen die
detaillierten Karten des Schärengartens und der Hamnguiden mit
seinen Luftbildern, Skizzen und erläuternden Texten.
Es hat geklappt: Hier und da war es spannend, manchmal haben sich
Fragen erst im Nachhinein beantwortet, aber wir hatten
prächtige Segeltage, lagen immer ruhig und sicher und haben
ohne Kraftakte jedes Etappenziel pünktlich erreicht.
Highlights, die man nicht auslassen sollte: Hanö.
Tjärö. Utklippan. Außerdem unbedingt
empfehlenswert: Karlskrona. Tärnö. Saxemara.
Kärsön. Norra Bollön. Und bestimmt auch,
obwohl wir da nicht waren: bei passendem, ruhigem Wetter Stora
Ekön, Flaggskär, Oppenskär, sowie Stenshamn
/ Utlängan.
Ich bin wirklich angetan von Blekinge, nehme
viele neue
Eindrücke und Erfahrungen mit nach Hause, bin froh, es
angeboten und genügend Teilnehmer gefunden zu haben.
Würde ich es nochmal ins Programm nehmen? Weiß noch
nicht. Außer dem Leuchtturm und Aussichtspunkt auf
Tärnö glaube ich alles gesehen zu haben, was ich
sehen wollte. Nächstes Mal sind es definitiv wieder die
Göteborger Schären, von denen ich einfach nicht genug
bekomme. Aber wer weiß – um Gästen, die
das dort schon kennen, etwas Neues zu bieten, fällt mir im
Augenblick nichts Besseres ein – der Isefjord wäre
schneller erreichbar, ist aber gewiss unspektakulär im
Vergleich.
Auf dem Rückweg
von Simrishamn wird es dann deutlich: Auch Skånen ist
unterschätzt. Es gibt nämlich eine Menge zu
entdecken. Die Distanzen sind erträglich kurz. Fast jeder
Hafen lohnt unbedingt den Besuch, Ausnahmen sind vielleicht Ystad und
Gislovsläge. Aber dazu mehr im nächsten
Törnbericht.
weiter: Hundertachtzig
Meilen Gegenwind
zurück: Schwerpunkte
setzen