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Schwerpunkte
setzen - Sommerreise 2023 Teil 1
Schleimünde, morgens um fünf: In der Morgenbrise
schleichen wir uns aus dem Hafen und segeln zum Leuchtturm. Gehen auf
Kurs 77 Grad. An der grünen Tonne Nummer eins bleibt Paula
stehen. Im Verlauf der nächsten Stunde treibt sie in der
schwachen Strömung zur roten Tonne Nummer 2. Mit einem Knoten
geht es wieder los, es werden eineinhalb, bevor…wir wieder
stehenbleiben. Die Sommerreise beginnt nicht gerade mit Rauschefahrt:
Nach vier Stunden haben wir knapp zwei Meilen geschafft. Eine
unpopuläre Entscheidung steht an.
Juni 2023
Wir
wollten schon am Samstag nach Bagenkop, aber zunächst mussten
wir auf Wind warten, dann die Schlei aufkreuzen, und als wir
Schleimünde erreichten, sagte mein Gefühl, dass
für Bagenkop zu wenig Wind sein würde. Es war eine
richtige Entscheidung, Andere fuhren raus und kehrten zurück.
Sechs Meilen sind nicht viel, wenn man 260 vorhat, doch die Lotseninsel
ist ein besonderer Ort – die Gäste, auch die, die
schon dort waren, waren sehr zufrieden.
Die
frühe Stunde hat ihren guten Grund, und der gilt weiterhin,
nachdem die Morgenbrise so schnell einschlief. Wenn erst die Thermik
einsetzt, bekommen wir Ostenwind und kommen hier gar nicht mehr weg.
Auch für Montag ist Ostwind zu erwarten, und den wollen wir
bestmöglich nutzen, nicht etwa zu einem riesigen Umweg. Im
Nachhinein werden wir die drei Stunden Motoren als den Preis
betrachten, der für eine gelungene Reise zu bezahlen war. Ich
gehe ans Funkgerät und tue kund, dass Paula jetzt mal den
Außenborder starten wird.
Als
wir die Seebrise von Langeland erreichen, bekommen wir sogar noch
eineinhalb Stunden schönstes Segeln. Und wir haben den
Absprung geschafft – jetzt können wir mit dem
geplanten Programm beginnen: Wir wollen es in zwei Wochen bis
Karlskrona schaffen. Uns dabei weder verzetteln, indem wir
überambitionierte Ziele wir Bornholm zu erreichen versuchen,
noch mit purer Meilenfresserei an allen Schönheiten entlang
der Strecke vorbeisausen. Notgedrungen ist mancher Zwischenhalt nur
Mittel zum Zweck – zum Beispiel Bagenkop.
Doch
Montag ist es nur eine kurze Kreuz um Langelands Südspitze,
schon sind wir auf Kurs ins Smålands Fahrwasser und erleben
einen abwechslungsreichen Segeltag. Dank mitlaufender Strömung
sind wir auch richtig schnell und schaffen die 43 Meilen bis Bisserup
vor 16 Uhr. Leider passieren wir Albuen in sicherem Abstand.
Wären wir schon Samstag in Bagenkop gewesen…ist ja
egal, wir können nicht alles haben – aber Albuen
hätte ich gerne den Gästen gezeigt, von denen nur
Ernst schonmal mit uns dort war.
Es
ist eine bewährte Gruppe: Christian (Frieda), Karsten und
Angie (Oliese) kennen sich vom letzten Sommer in den
Westschären. Bei der Abreise in Hunnebostrand begegneten sie
kurz Ernst (Martha) an der Bushaltestelle, ohne gleichwohl voneinander
Notiz zu nehmen. Ernst hat diesmal seinen Bruder Ekkehard dabei, nach
einer Woche wird er von Schwester Inge abgelöst. Christians
vorgesehene Mitseglerin hat kurzfristig abgesagt, als sie zum ersten
Mal ein Folkeboot aus der Nähe betrachtete. Noch kurzfristiger
hat er Lena gefunden: Wenig Segelkenntnisse, aber viel
Mitsegelerfahrung, Humor und jugendliche Flexibilität
– sie wird sich als Bereicherung erweisen.
Bisserup
gilt der Gruppe bis zum Abschied als schönster Hafen der
Reise. Ich finde: Zurecht. Allein schon die gurgelnde
Tidenströmung und die flache Lagune machen das hier zu einem
Erlebnis, aber der Kracher schlechthin ist der Hafenmeister, der vor
Hilfsbereitschaft beinahe explodiert. Er legt uns sogar ein langes
Kabel zur weit entfernten Stromsäule. Wir genießen
einen traumhaften Sommerabend. Am späten Vormittag laufen wir
aus. Die Tide ist gerade gekentert, der Wind verspätet sich,
wir motoren aus der Rinne. Dann ist es schönstes
Leichtwindsegeln. Aber nicht mehr, als gegen 15 Uhr laut Vorhersage der
meiste Wind sein sollte: Wir treiben in einer allerdings
kräftigen mitlaufenden Strömung. Für die
letzte Stunde kommen noch einmal die Außenborder zum Einsatz,
weil niemand Lust hat auf eine träge Kreuz gegen die
aufkommende Abendbrise.
Gåbense
ist ein deutlich unterschätzter Hafen: Der ehemalige
Fährhafen, ringsum von Wasser umgeben, bietet reichlich Platz
und einen schönen Blick über den
Storstrøm. Kein traumhaftes Bisserup, aber empfehlenswert.
Und liebevoll antiquarisch: Hier wird das Hafengeld bar im
Briefumschlag bezahlt. Den Kloschlüssel erhält man,
indem man den Hafenmeister anruft. Brauchen wir aber gar nicht: Er
steckt im Briefkasten zwischen all den Hafengeldumschlägen,
ich ziehe ihn einfach heraus.
Der
Schlag rüber nach Klintholm ist überaus interessant.
Seglerisch hätte ich es bevorzugt, durch Ulvsund und
Grønsund in die Faxe Bugt zu fahren. Aber Møns
Klingt von Land und vom Wasser her zu erkunden, klingt den
Gästen zu verlockend. Beim Auslaufen ist viel mehr Wind als
erwartet, die Böen sind kernig. Ich stelle fest: Ich werde alt
und brauche keine sechser Böen mehr. Lustlos segelt Paula
hinterher, wählt aber am Ende des betonnten Fahrwassers eine
Abkürzung und holt die Anderen ein. In Klintholm wird das
Anlegen recht abenteuerlich – eigentlich sind wir im Schutz
des Ferienhausensembles, doch der Wind wird von einer Hauswand
reflektiert und schiebt Paulas Heck überall hin, nur nicht
zwischen den Heckpfählen durch in die Box. Ruhe, Geduld,
diverse Springs sowie die Wurfleine sind gefragt.
Donnerstag:
Eine schöne Seebrise auf See lässt den ganzen
Nachmittag die Illusion eines versäumten Segeltages aufkommen.
Doch nördlich der Insel herrscht Flaute, und das Erlebnis der
Kreidefelsen lohnt insgesamt zwanzig Kilometer Fußweg
für alle, die sich gegen Faulenzen entscheiden. Ausruhen ist
aber eine gute Idee, denn nun kommt der große Tag. DMI sagt:
Nord 3-4, zunehmend 5-6 und auf Nordwest drehend. YR sagt das auch.
Windfinder und der schwedische Wetterdienst kündigen schwach
umlaufend an – ich bin gespannt. Wir bekommen aber den
bewährten dänischen Wind und erleben eine kurzweilige
Überfahrt nach Ystad.
Für
mich beginnt das Neuland: Bei allen bisherigen Flottillentörns
kannte ich das Revier. Natürlich haben wir immer wieder neue
Häfen ausprobiert und manche revierspezifische Lektion
dazugelernt. Doch an der schwedischen Südküste war
ich noch nie. Umfangreiches Material liegt auf allen Booten aus, im
Winter habe ich versucht, es zu sichten, doch so funktioniere ich nicht
– ich muss losfahren und von Tag zu Tag und ein
Stück voraus in den Unterlagen blättern. Dann erst
entwickelt sich die Idee. Bisher habe ich nicht einmal ein
Gefühl zu den Entfernungen. Dazu gibt es einen Zirkel. Er
verrät mir, dass die grobe Vorplanung mit den Crewwechselorten
sinnvoll war, aber mehr vorerst nicht. Sicheres Segeln, unfallfreies
Anlegen, ruhiges Liegen und schöne Eindrücke auf dem
Wasser und an Land möchten wir trotzdem bieten. Dafür
bin ich auf Seekarte, Revierführer und Hafenhandbuch
angewiesen – und mit all der Erfahrung traue ich mir das zu.
Ystad
hätte ein Highlight für Krimifans sein
können, und die Altstadt mag sehenswert sein. Wir betrachten
es als Mittel zum Zweck. Der Hafen ist mir unsympathisch, sobald ich
ihn sehe und mit dem Groß in ihm herumsegele, ohne mich in
eine Boxengasse hineinzuwagen – trotz guter Abdeckung ist es
böig, Umkehren unmöglich, ich muss Paula dann auch
irgendwo festbinden. Ernst und Ekkehard haben die Chance, meine
Stimmung zu retten. Sie legen als Erste irgendwo an, erkunden die Lage
und finden reichlich freie Liegeplätze zwischen den
Schlängeln. Allerdings sind sie damit beschäftigt,
ihre Schwester zu begrüßen und an Bord zu nehmen,
bevor sie wieder ablegen und an einen Platz verholen, wo wir alle
nebeneinander liegen können. Als ich per Funk ein Feedback
erbitte, ist Paulas Groß geborgen, der Außenborder
läuft, und ich habe eine persönliche Challenge gegen
den Hafen verloren. Egal – nach 55 Seemeilen ist jeder
geschützte Liegeplatz recht.
Simrishamn,
dreißig Meilen weiter und einmal ums Eck, stelle ich mir ganz
genauso vor – und werde positiv überrascht. Dicht
unter Land haben wir eine angenehme Überfahrt, was nicht
selbstverständlich ist, denn der Wind ist die meiste Zeit
sowas wie drei Böen vier bis sieben. Paula segelt erstmal in
den Fischereihafen: Ein riesiges Becken, beinahe leer, die Betonpier
ringsum mit LKW-Reifen abgepolstert. In Ystad ist der Handels- und
Fährhafen – aus guten Gründen –
für die Sportschifffahrt gesperrt. Hier dürften wir
sogar übernachten. Wollen wir nicht, die Pier ist fast zwei
Meter überm Deck, das ist nicht seniorengerecht. Aber in
perfekter Abdeckung können wir Segel bergen und mit einer
Vorleine provisorisch festmachen, und das gibt mir die Chance, die
moderne Marina zu erkunden. Ergebnis: Platz für zwei
Zweierpäckchen. Martha kommt als Erste, dann der Rest aus der
Warteposition. Zuletzt segle ich Paula an Friedas Seite. Es ist der
achte Reisetag, der siebte Segeltag, und erst der dritte ohne
Motoreinsatz – ich bin rundum zufrieden. Hier soll ja auch
der zweite Crewwechsel der Sommerreise stattfinden, und ich finde es
eine gute Wahl.
Zu
den Schwerpunkten, die wir setzen wollen, gehört Simrishamn
aber nicht. Sondern Hanö! Die Insel, die der Bucht mit den
Blekinge-Schären ihren Namen gibt, ist eine, die man vor dem
Sterben unbedingt gesehen haben muss. Ein geologischer Lehrpfad gibt
einen ausgezeichneten Einblick in Glazialmorphologie: Was die
Eiszeitgletscher hier gemacht haben und was seitdem passiert ist.
Besonders bemerkenswert sind die Strandwälle und
Geröllfelder auf verschiedenen Niveaus, die von den
verschiedenen Höhen des Meeresspiegels in den letzten
zehntausend Jahren zeugen. Nach dem Abschmelzen des Inlandeises stieg
das Wasser, ist ja klar. Dann aber, befreit von der Eislast, stieg der
skandinavische Schild allmählich an, der Meeresspiegel fiel um
dreißig Meter. Ist auch klar. Was aber auch mir neu ist, ist
der Baltische Eisstausee.
Kurz
gesagt existierte der Wasserweg durch Belte, Sund und Kattegat zur
Nordsee noch nicht, sondern die Schmelzwässer mussten
nordwärts abfließen. Dort waren aber
zunächst noch die gewaltigen Gletscher. Als die so weit
abgetaut waren, dass sie dem Druck des Wassers nicht mehr standhielten,
gleich einem brechenden Staudamm gewaltigen Ausmaßes, fiel
der Wasserstand in der heutigen zentralen und südlichen Ostsee
in wenigen Jahren um satte fünfundzwanzig Meter. Und das alles
ist auf Hanö wunderbar zu erkennen.
Bevor
wir das lernen können, müssen wir aber erstmal hin.
Prognose: Morgens Nordnordwest, später Flaute, nachmittags
Südwest 3-4. Anfangs können wir gegen die alte Welle
den Sollkurs nicht laufen, aber das können wir später
korrigieren – draußen ist sowieso mehr Wind. Es
läuft viel besser als befürchtet: Um zehn Uhr haben
wir schon die Hälfte der 32 Meilen geschafft, und erst um
Viertel vor Zwölf geraten wir für eine gute Stunde
unter zwei Knoten, ohne jemals komplett stehenzubleiben.
Der
Hafen Hanö ist superspannend: Stündlich verkehrt eine
riesige Fähre, die jede Menge Platz zum Drehen beansprucht.
Ich lege Paula erstmal provisorisch an einen Stegkopf und suche den
älteren Herrn, einen der dreizehn festen Bewohner, der sich um
die Liegeplatzvergabe kümmert. Er findet die perfekten
Plätze für uns vier, in zwei Päckchen und
so, dass auch der Fährmann zufrieden ist. Wir sind
natürlich mal wieder eine Sensation, vier alte Holzkisten
kommen nicht oft hierher und noch dazu im Pulk. Ich bin stolz auf meine
Boote und meine wackeren Gäste. Denn in gewisser Weise sind
wir nach vielen Meilen am Ziel: Ab hier beginnt der Genuss, Karlskrona
könnten wir in einem einzigen Schlag erreichen.
Montag
ist schönster Wind, doch wir lassen ihn sausen und erkunden
Hanö. Es ist einer der besten Hafentage, und noch dazu frei
gewählt. Dienstag dann: Zeitweise Regen und Nordwest 6-7,
langsam abnehmend. Vor der Einfahrt steht eine Mordsbrandung. Schwell
läuft in den Hafen – die Boote an der Westmole
werden durchgeschüttelt. Ich bin aber ganz zufrieden: Wir
haben die Liegeplätze bekommen, die ich mir gewünscht
hatte, und meine Einschätzung bestätigt sich: Wir
liegen ruhig. Beim Briefing ist die Anspannung gewaltig: Die
Gäste können sich kaum vorstellen, hier rauszusegeln.
Und Raussegeln ist das Stichwort: Gegen sechzehn Uhr erwarten wir nur
noch fünf Böen sechs, aber die Brandung bleibt.
Rumturnen auf dem Achterdeck? Wir sollen alle froh sein, wenn der
Außenborder aufgeholt und gesichert ist und bleibt.
Wir
liegen aber so, dass wir beide Segel setzen können, dann
zuerst Vor-, dann Achterleine gelöst wird. Schoten holen und
Fahrt aufnehmen Richtung Beton, zehn Sekunden später eine
Wende, und wir sind draußen. Frieda macht es vor, wirft sich
auf die Seite, saust los, wendet und hoppelt aus dem Hafen. Alle atmen
auf, nun ist Oli dran. Dann Martha. Als ich mit Paula raussegle, steht
der halbe Hafen filmend und fotografierend an der Badestelle.
Eigentlich ist gar nichts los, wir haben schon wildere
Ablegemanöver hingelegt. Auf die Gäste bin ich ein
bisschen stolz: Anstatt erstmal geruhsam abzulegen und zu gucken, was
der Segeltag so bringt, müssen sie heute in den ersten zehn
Sekunden nach dem Leinenlösen am meisten auf Zack sein. Ihre
Nervosität ist verständlich, aber sie ist das
größte Problem und wirkt ansteckend - Zweifel am
Gelingen habe ich dennoch nicht.
An
der Nordspitze fallen wir ab. Halber Wind, 6-7 Knoten, langsam
nachlassender Wind und schließlich die Abdeckung der
Schären – es wird ruhiger und ruhiger. Nach vierzehn
Meilen in zweieinhalb Stunden erreichen wir die geschützte
Bucht an der Ostseite von Tjärnö. Ich bin begeistert:
Es ist total schön hier! Ich bin ein großer Freund
der kargen, schroffen Westschären. Die üppig
bewaldeten Stockholmer Schären reizen mich überhaupt
nicht. Doch es spricht auch nichts gegen ein paar schattenspendende
Bäume. Dies hier wirkt wie der perfekte Kompromiss. Es gibt
einen langen Steg direkt beim dem hippen Restaurant, doch ich bevorzuge
den kleineren im Grünen.
Nun
kommt trotz perfekter Windabdeckung die eigentliche Herausforderung:
Anlegen an einer Mooringboje. Frieda, Christian und Lena kriegen das
super hin. Paula und ich haben heimlich geübt und
können jetzt außerdem Friedas Mooringleine als
Sorgleine benutzen. Auf Oli und Martha führt ein
Missverständnis –
„Verlängern“ statt „lange
Leine“ – dazu, dass sie ihre normalen Achterleinen
zusammenknüppern, die dann als Querverbindungen zwischen den
Hecks fehlen. Paulas Tauwerksvorrat rettet die Manöver, und
dann beginnt der Genuss.
Wir
erkunden die sehenswerte Insel und laufen aus mit dem, was ich
für die einsetzende Seebrise halte. Zum Glück sind es
nur neun Meilen zum nächsten Ziel –
plötzlich setzt leichter Regen ein, wir treiben nur noch. Inge
packt enthusiastisch das Stechpaddel aus. Christian aktiviert den
Außenborder, um nicht auf Felsen zu treiben. Im
Großen und Ganzen können wir weiterhin segeln, und
die Abendsonne zeigt sich, als wir Saxemara erreichen.
Hier
gibt es eine flache Bucht mit gesunkenem Kutter, sowie eine
Holzbootwerft, die zum Blekingemuseum gehört. Ein sehr
freundlicher Mitarbeiter missversteht Paulas Segelnummer und
erklärt mir auf Dänisch, wo wir liegen
können. Keine Toilette, kein Liegegeld – ist ein
okayer Deal. Drei Folkebootwracks in unterschiedlichen Stadien des
Verfalls genießen die letzten Wochen ihrer
Schwimmfähigkeit. Andere Projekte machen einen
zukunftsfähigeren Eindruck. Oli und Martha legen in der Flaute
wriggend unter Segeln an unser Päckchen an – man
gut, da kam keine plötzliche Bö, als sie vorm Wind
auf die Slipbahn zufuhren.
Eine
Schäre noch vor dem Crewwechsel. Das Innenfahrwasser ist hier
dürftig. Um die Halbinsel Kuggeboda geht es sowieso nur
außenrum. Nördlich von Hasslö gibt es eine
Klappbrücke mit stündlicher Öffnung nur auf
Anforderung – Brückengehassel habe ich auf der
Schlei jede Woche, und es spart nur eine Seemeile. Wir fahren auch hier
außenherum. Ein enger Sund führt uns nach Norra
Bollö. Große Bucht, am Südende ein leerer
Betonsteg. Es brist auf, erste sechser Böen, der Steg liegt
bei Südwest genau in der Düse. Längsseits
können wir da nicht anlegen – es gucken amtliche
Bolzen aus dem Steg. Der Heckanker ist gefragt.
Jedenfalls
für die Anderen. Paula und ich halten uns die Option auf einen
Go-around offen, indem wir keinen Anker werfen, sondern einfach einen
souveränen Aufschießer fahren. Ich lasse sie
auswehen und funke Frieda herbei: „Ihr müsst auf
mein Zeichen den Heckanker werfen und dann direkt zum Steg fahren.
Nicht an Paula andocken, dann reißt ihr sie mit gegen die
Pier.“ Christian geht wie immer auf Nummer sicher und
erledigt das mit dem Motor, mit dem er sich gut angefreundet hat,
ebenso wir mit Lena, die mir gelassen eine Vorleine übergibt.
Gemeinsam vertäuen wir Frieda und Paula so, dass Paula von
Friedas Heckanker mitprofitiert und die beiden parallel, gut
abgefendert und sicher liegen.
Karsten
versucht, Oliese an uns ranzukreuzen. An ihm bewundere ich den Ehrgeiz,
sich weiterzuentwickeln – der Trimm ist großartig,
Oli kaum einzuholen, und dieses Experiment will er jetzt auch noch
haben. Angie nicht, sie plädiert für den Motor und
weiß nicht, was sie tun soll, während es noch gar
nichts zu tun gibt, außer zu beobachten, wie das
Manöver verläuft. Es klappt beinahe, ein wirklich
guter erster Versuch – aber Karsten bremst zu doll an der
Achterleine, Oli bleibt stehen und vertreibt, der halbherzige Wurf
schmeißt die Vorleine ins Wasser. Nun muss sofort das
Groß runter, der Motor an, der Heckanker wieder hoch, und
dann ein neuer Anlauf. Der klappt auf Anhieb, es gibt nichts
auszusetzen. Martha macht es anders: Ernst segelt sie an eine Mooring
des schwedischen Seglerverbandes ran, Inge macht sie souverän
dort fest. Nachdem sie ihren im ersten Versuch erfolgreichen
Aufschießer hatten, brieft Ernst Inge auf ihre Aufgaben in
Sachen Heckanker, sie probieren es aus und fühlen sich gut
vorbereitet. Letztes Jahr ist Inge erst südlich der
Schären aufgestiegen, dies hier ist eine neue Erfahrung
für sie.
Ich
zeige mit dem ausgestreckten rechten Arm den Verlauf von Friedas
Ankerleine und später mit einer Geste der linken Hand den
passenden Moment zum Ankerwerfen – das ist vom Heck eines
schon liegenden Bootes viel besser einzuschätzen als im
Cockpit des Anlegenden oder vom Steg aus. Christian kommentiert das
Ganze per Funk. Schon in den letzten Tagen hat er gerne Boote
reingesprochen und damit auch mal Verwirrung gestiftet, aber auch das
muss man üben und reflektieren, und heute sind wir ein gutes
Team – Ernst fühlt sich ausgezeichnet beraten, und
der Approach gelingt vorzüglich.
Wir
sind in einem militärischen Übungsgebiet: Rote
Flaggen würden Schießübungen anzeigen,
Munition soll man liegenlassen und nicht berühren. In der
Ferienzeit droht keine solche Gefahr, sondern wir teilen die flache,
karge Schäre mit den Schafen. Es ist schön hier. Aber
kein Hjärterö, geht mir beim Landgang durch den Kopf.
Die Westschären mit ihren hohen, schroffen Felsen bleiben mein
Lieblingsrevier. Ich weiß noch nicht, ob ich nochmal die
Hanöbukt anbieten werde, aber trotzdem finde ich, dass es sich
dieses eine Mal vollauf gelohnt hat. Es ist auf jeden Fall ein
unterschätztes Revier, das meistens nur schnell angelaufen
wird auf dem Weg nach Stockholm und zum Götakanal. Dabei gibt
es hier durchaus viel zu sehen und zu erleben, das die
Dänische Südsee jedenfalls nicht bietet. Simrishamn
– Hanö – Karlskrona – Kalmar
wäre eine schnelle, sinnvolle Route weiter nordwärts
– aber schöner wird es dort vorläufig
nicht, und für den Rest bräuchte man unendlich viel
Zeit, mindestens eine ganze Saison. Mag sein, wir haben schon auf dem
Hinweg die Highlights abgepickert, das wird der Rückweg
zeigen, es fehlt ja zumindest Utklippan, aber es war auf jeden Fall
eine tolle Tour mit einer tollen Gruppe, die ich niemals vergessen
werde.
Beim Auslaufen sind Paula und ich schnell wie nie: Während die
Anderen noch treibend ihr Ankergerödel sortieren, setzen wir
am Steg die Segel und sausen los. Es sind nur sieben Meilen bis
Karlskrona Stadsmarina. Eine Insel, die unter der darauf gebauten
Festung verschwindet, die heute nur noch Leuchtturm ist, sowie ein
riesiger Marinehafen, künden von der Geschichte und
Existenzberechtigung der Stadt. Der Hafen: Eher Ystad als Simrishamn,
Mittel zum Zweck, aber stadtnah und fünf Gehminuten vom
Bahnhof, mithin perfekt für einen Crewwechsel. Vier reisen
nachmittags ab, Ernst und Inge bleiben noch über Nacht,
während abends schon die ersten Neuankömmlinge
eintreffen. Mit ihnen haben wir viel vor in den nächsten zwei
Wochen, auch wenn wir notfalls Simrishamn mit einem einzigen langen
Schlag schaffen würden.
Das aber bleibt Theorie, solange uns ein Sturmtief vier Liegetage
gleich zu Beginn beschert.
P.S.
Im Nachgang weist mich Christian darauf hin, ich dürfe die
Gäste gerne häufiger loben. Da hat er wohl Recht. An
die diesmaligen Teilnehmer zum Beispiel hatte ich so hohe Erwartungen,
dass ich gelungene Darbietungen bestimmt allzu
selbstverständlich nahm. Meine Nerven wurden enorm geschont
auf beträchtlichen 260 Meilen in zwei Wochen, und das lag
nicht nur an meiner Planung, denn wir hatten durchaus anspruchsvolle
Aufgaben zu bewältigen. Was da jeweils an Bord abgeht
angesichts unterschiedlicher Erfahrung und verschiedenen technischen
Verständnisses, entgeht weitgehend meiner Wahrnehmung, aber es
ist ja nicht völlig unübersehbar, dass vor allem die
unerfahreneren Crewmitglieder ihren Job extrem gut erledigt haben
– und das habe ich bestimmt so nicht zum Ausdruck gebracht.
Da lagen Nerven blank, wo meine ruhig blieben, weil aus meiner Sicht
nichts los war, und alles Mögliche hätte dennoch
schiefgehen können, ist aber nicht. Wir hatten gemeinsam tolle
zwei Wochen, und das lag an allen Beteiligten. Jede und Jeder haben
ihre Rolle gespielt und ein sehenswertes Stück auf die
Bühne gebracht – und das ohne Regisseur, denn so
betrachte ich meine Rolle nicht, aber ich merke wohl, dass die
Gäste mich darin sehen.
Nächstes Jahr wieder Hjärterö für
Christian? Ein Date in Åstol mit Lena? Oder vielleicht mal
wieder Limfjord? Wenn Ihr alle dabei seid, können wir das
machen.
weiter: Nüsschenabend
zurück: Man
soll den Kopp nich vor'n Abend innen Sand stecken