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Schwerpunkte setzen - Sommerreise 2023 Teil 1

Schleimünde, morgens um fünf: In der Morgenbrise schleichen wir uns aus dem Hafen und segeln zum Leuchtturm. Gehen auf Kurs 77 Grad. An der grünen Tonne Nummer eins bleibt Paula stehen. Im Verlauf der nächsten Stunde treibt sie in der schwachen Strömung zur roten Tonne Nummer 2. Mit einem Knoten geht es wieder los, es werden eineinhalb, bevor…wir wieder stehenbleiben. Die Sommerreise beginnt nicht gerade mit Rauschefahrt: Nach vier Stunden haben wir knapp zwei Meilen geschafft. Eine unpopuläre Entscheidung steht an.

Juni 2023

Wir wollten schon am Samstag nach Bagenkop, aber zunächst mussten wir auf Wind warten, dann die Schlei aufkreuzen, und als wir Schleimünde erreichten, sagte mein Gefühl, dass für Bagenkop zu wenig Wind sein würde. Es war eine richtige Entscheidung, Andere fuhren raus und kehrten zurück. Sechs Meilen sind nicht viel, wenn man 260 vorhat, doch die Lotseninsel ist ein besonderer Ort – die Gäste, auch die, die schon dort waren, waren sehr zufrieden.

Die frühe Stunde hat ihren guten Grund, und der gilt weiterhin, nachdem die Morgenbrise so schnell einschlief. Wenn erst die Thermik einsetzt, bekommen wir Ostenwind und kommen hier gar nicht mehr weg. Auch für Montag ist Ostwind zu erwarten, und den wollen wir bestmöglich nutzen, nicht etwa zu einem riesigen Umweg. Im Nachhinein werden wir die drei Stunden Motoren als den Preis betrachten, der für eine gelungene Reise zu bezahlen war. Ich gehe ans Funkgerät und tue kund, dass Paula jetzt mal den Außenborder starten wird.

Als wir die Seebrise von Langeland erreichen, bekommen wir sogar noch eineinhalb Stunden schönstes Segeln. Und wir haben den Absprung geschafft – jetzt können wir mit dem geplanten Programm beginnen: Wir wollen es in zwei Wochen bis Karlskrona schaffen. Uns dabei weder verzetteln, indem wir überambitionierte Ziele wir Bornholm zu erreichen versuchen, noch mit purer Meilenfresserei an allen Schönheiten entlang der Strecke vorbeisausen. Notgedrungen ist mancher Zwischenhalt nur Mittel zum Zweck – zum Beispiel Bagenkop.

Doch Montag ist es nur eine kurze Kreuz um Langelands Südspitze, schon sind wir auf Kurs ins Smålands Fahrwasser und erleben einen abwechslungsreichen Segeltag. Dank mitlaufender Strömung sind wir auch richtig schnell und schaffen die 43 Meilen bis Bisserup vor 16 Uhr. Leider passieren wir Albuen in sicherem Abstand. Wären wir schon Samstag in Bagenkop gewesen…ist ja egal, wir können nicht alles haben – aber Albuen hätte ich gerne den Gästen gezeigt, von denen nur Ernst schonmal mit uns dort war.

Es ist eine bewährte Gruppe: Christian (Frieda), Karsten und Angie (Oliese) kennen sich vom letzten Sommer in den Westschären. Bei der Abreise in Hunnebostrand begegneten sie kurz Ernst (Martha) an der Bushaltestelle, ohne gleichwohl voneinander Notiz zu nehmen. Ernst hat diesmal seinen Bruder Ekkehard dabei, nach einer Woche wird er von Schwester Inge abgelöst. Christians vorgesehene Mitseglerin hat kurzfristig abgesagt, als sie zum ersten Mal ein Folkeboot aus der Nähe betrachtete. Noch kurzfristiger hat er Lena gefunden: Wenig Segelkenntnisse, aber viel Mitsegelerfahrung, Humor und jugendliche Flexibilität – sie wird sich als Bereicherung erweisen.

Bisserup gilt der Gruppe bis zum Abschied als schönster Hafen der Reise. Ich finde: Zurecht. Allein schon die gurgelnde Tidenströmung und die flache Lagune machen das hier zu einem Erlebnis, aber der Kracher schlechthin ist der Hafenmeister, der vor Hilfsbereitschaft beinahe explodiert. Er legt uns sogar ein langes Kabel zur weit entfernten Stromsäule. Wir genießen einen traumhaften Sommerabend. Am späten Vormittag laufen wir aus. Die Tide ist gerade gekentert, der Wind verspätet sich, wir motoren aus der Rinne. Dann ist es schönstes Leichtwindsegeln. Aber nicht mehr, als gegen 15 Uhr laut Vorhersage der meiste Wind sein sollte: Wir treiben in einer allerdings kräftigen mitlaufenden Strömung. Für die letzte Stunde kommen noch einmal die Außenborder zum Einsatz, weil niemand Lust hat auf eine träge Kreuz gegen die aufkommende Abendbrise.

Gåbense ist ein deutlich unterschätzter Hafen: Der ehemalige Fährhafen, ringsum von Wasser umgeben, bietet reichlich Platz und einen schönen Blick über den Storstrøm. Kein traumhaftes Bisserup, aber empfehlenswert. Und liebevoll antiquarisch: Hier wird das Hafengeld bar im Briefumschlag bezahlt. Den Kloschlüssel erhält man, indem man den Hafenmeister anruft. Brauchen wir aber gar nicht: Er steckt im Briefkasten zwischen all den Hafengeldumschlägen, ich ziehe ihn einfach heraus.





Der Schlag rüber nach Klintholm ist überaus interessant. Seglerisch hätte ich es bevorzugt, durch Ulvsund und Grønsund in die Faxe Bugt zu fahren. Aber Møns Klingt von Land und vom Wasser her zu erkunden, klingt den Gästen zu verlockend. Beim Auslaufen ist viel mehr Wind als erwartet, die Böen sind kernig. Ich stelle fest: Ich werde alt und brauche keine sechser Böen mehr. Lustlos segelt Paula hinterher, wählt aber am Ende des betonnten Fahrwassers eine Abkürzung und holt die Anderen ein. In Klintholm wird das Anlegen recht abenteuerlich – eigentlich sind wir im Schutz des Ferienhausensembles, doch der Wind wird von einer Hauswand reflektiert und schiebt Paulas Heck überall hin, nur nicht zwischen den Heckpfählen durch in die Box. Ruhe, Geduld, diverse Springs sowie die Wurfleine sind gefragt.

Donnerstag: Eine schöne Seebrise auf See lässt den ganzen Nachmittag die Illusion eines versäumten Segeltages aufkommen. Doch nördlich der Insel herrscht Flaute, und das Erlebnis der Kreidefelsen lohnt insgesamt zwanzig Kilometer Fußweg für alle, die sich gegen Faulenzen entscheiden. Ausruhen ist aber eine gute Idee, denn nun kommt der große Tag. DMI sagt: Nord 3-4, zunehmend 5-6 und auf Nordwest drehend. YR sagt das auch. Windfinder und der schwedische Wetterdienst kündigen schwach umlaufend an – ich bin gespannt. Wir bekommen aber den bewährten dänischen Wind und erleben eine kurzweilige Überfahrt nach Ystad.

Für mich beginnt das Neuland: Bei allen bisherigen Flottillentörns kannte ich das Revier. Natürlich haben wir immer wieder neue Häfen ausprobiert und manche revierspezifische Lektion dazugelernt. Doch an der schwedischen Südküste war ich noch nie. Umfangreiches Material liegt auf allen Booten aus, im Winter habe ich versucht, es zu sichten, doch so funktioniere ich nicht – ich muss losfahren und von Tag zu Tag und ein Stück voraus in den Unterlagen blättern. Dann erst entwickelt sich die Idee. Bisher habe ich nicht einmal ein Gefühl zu den Entfernungen. Dazu gibt es einen Zirkel. Er verrät mir, dass die grobe Vorplanung mit den Crewwechselorten sinnvoll war, aber mehr vorerst nicht. Sicheres Segeln, unfallfreies Anlegen, ruhiges Liegen und schöne Eindrücke auf dem Wasser und an Land möchten wir trotzdem bieten. Dafür bin ich auf Seekarte, Revierführer und Hafenhandbuch angewiesen – und mit all der Erfahrung traue ich mir das zu.

Ystad hätte ein Highlight für Krimifans sein können, und die Altstadt mag sehenswert sein. Wir betrachten es als Mittel zum Zweck. Der Hafen ist mir unsympathisch, sobald ich ihn sehe und mit dem Groß in ihm herumsegele, ohne mich in eine Boxengasse hineinzuwagen – trotz guter Abdeckung ist es böig, Umkehren unmöglich, ich muss Paula dann auch irgendwo festbinden. Ernst und Ekkehard haben die Chance, meine Stimmung zu retten. Sie legen als Erste irgendwo an, erkunden die Lage und finden reichlich freie Liegeplätze zwischen den Schlängeln. Allerdings sind sie damit beschäftigt, ihre Schwester zu begrüßen und an Bord zu nehmen, bevor sie wieder ablegen und an einen Platz verholen, wo wir alle nebeneinander liegen können. Als ich per Funk ein Feedback erbitte, ist Paulas Groß geborgen, der Außenborder läuft, und ich habe eine persönliche Challenge gegen den Hafen verloren. Egal – nach 55 Seemeilen ist jeder geschützte Liegeplatz recht.

Simrishamn, dreißig Meilen weiter und einmal ums Eck, stelle ich mir ganz genauso vor – und werde positiv überrascht. Dicht unter Land haben wir eine angenehme Überfahrt, was nicht selbstverständlich ist, denn der Wind ist die meiste Zeit sowas wie drei Böen vier bis sieben. Paula segelt erstmal in den Fischereihafen: Ein riesiges Becken, beinahe leer, die Betonpier ringsum mit LKW-Reifen abgepolstert. In Ystad ist der Handels- und Fährhafen – aus guten Gründen – für die Sportschifffahrt gesperrt. Hier dürften wir sogar übernachten. Wollen wir nicht, die Pier ist fast zwei Meter überm Deck, das ist nicht seniorengerecht. Aber in perfekter Abdeckung können wir Segel bergen und mit einer Vorleine provisorisch festmachen, und das gibt mir die Chance, die moderne Marina zu erkunden. Ergebnis: Platz für zwei Zweierpäckchen. Martha kommt als Erste, dann der Rest aus der Warteposition. Zuletzt segle ich Paula an Friedas Seite. Es ist der achte Reisetag, der siebte Segeltag, und erst der dritte ohne Motoreinsatz – ich bin rundum zufrieden. Hier soll ja auch der zweite Crewwechsel der Sommerreise stattfinden, und ich finde es eine gute Wahl.





Zu den Schwerpunkten, die wir setzen wollen, gehört Simrishamn aber nicht. Sondern Hanö! Die Insel, die der Bucht mit den Blekinge-Schären ihren Namen gibt, ist eine, die man vor dem Sterben unbedingt gesehen haben muss. Ein geologischer Lehrpfad gibt einen ausgezeichneten Einblick in Glazialmorphologie: Was die Eiszeitgletscher hier gemacht haben und was seitdem passiert ist. Besonders bemerkenswert sind die Strandwälle und Geröllfelder auf verschiedenen Niveaus, die von den verschiedenen Höhen des Meeresspiegels in den letzten zehntausend Jahren zeugen. Nach dem Abschmelzen des Inlandeises stieg das Wasser, ist ja klar. Dann aber, befreit von der Eislast, stieg der skandinavische Schild allmählich an, der Meeresspiegel fiel um dreißig Meter. Ist auch klar. Was aber auch mir neu ist, ist der Baltische Eisstausee.

Kurz gesagt existierte der Wasserweg durch Belte, Sund und Kattegat zur Nordsee noch nicht, sondern die Schmelzwässer mussten nordwärts abfließen. Dort waren aber zunächst noch die gewaltigen Gletscher. Als die so weit abgetaut waren, dass sie dem Druck des Wassers nicht mehr standhielten, gleich einem brechenden Staudamm gewaltigen Ausmaßes, fiel der Wasserstand in der heutigen zentralen und südlichen Ostsee in wenigen Jahren um satte fünfundzwanzig Meter. Und das alles ist auf Hanö wunderbar zu erkennen.

Bevor wir das lernen können, müssen wir aber erstmal hin. Prognose: Morgens Nordnordwest, später Flaute, nachmittags Südwest 3-4. Anfangs können wir gegen die alte Welle den Sollkurs nicht laufen, aber das können wir später korrigieren – draußen ist sowieso mehr Wind. Es läuft viel besser als befürchtet: Um zehn Uhr haben wir schon die Hälfte der 32 Meilen geschafft, und erst um Viertel vor Zwölf geraten wir für eine gute Stunde unter zwei Knoten, ohne jemals komplett stehenzubleiben.

Der Hafen Hanö ist superspannend: Stündlich verkehrt eine riesige Fähre, die jede Menge Platz zum Drehen beansprucht. Ich lege Paula erstmal provisorisch an einen Stegkopf und suche den älteren Herrn, einen der dreizehn festen Bewohner, der sich um die Liegeplatzvergabe kümmert. Er findet die perfekten Plätze für uns vier, in zwei Päckchen und so, dass auch der Fährmann zufrieden ist. Wir sind natürlich mal wieder eine Sensation, vier alte Holzkisten kommen nicht oft hierher und noch dazu im Pulk. Ich bin stolz auf meine Boote und meine wackeren Gäste. Denn in gewisser Weise sind wir nach vielen Meilen am Ziel: Ab hier beginnt der Genuss, Karlskrona könnten wir in einem einzigen Schlag erreichen.

Montag ist schönster Wind, doch wir lassen ihn sausen und erkunden Hanö. Es ist einer der besten Hafentage, und noch dazu frei gewählt. Dienstag dann: Zeitweise Regen und Nordwest 6-7, langsam abnehmend. Vor der Einfahrt steht eine Mordsbrandung. Schwell läuft in den Hafen – die Boote an der Westmole werden durchgeschüttelt. Ich bin aber ganz zufrieden: Wir haben die Liegeplätze bekommen, die ich mir gewünscht hatte, und meine Einschätzung bestätigt sich: Wir liegen ruhig. Beim Briefing ist die Anspannung gewaltig: Die Gäste können sich kaum vorstellen, hier rauszusegeln. Und Raussegeln ist das Stichwort: Gegen sechzehn Uhr erwarten wir nur noch fünf Böen sechs, aber die Brandung bleibt. Rumturnen auf dem Achterdeck? Wir sollen alle froh sein, wenn der Außenborder aufgeholt und gesichert ist und bleibt.

Wir liegen aber so, dass wir beide Segel setzen können, dann zuerst Vor-, dann Achterleine gelöst wird. Schoten holen und Fahrt aufnehmen Richtung Beton, zehn Sekunden später eine Wende, und wir sind draußen. Frieda macht es vor, wirft sich auf die Seite, saust los, wendet und hoppelt aus dem Hafen. Alle atmen auf, nun ist Oli dran. Dann Martha. Als ich mit Paula raussegle, steht der halbe Hafen filmend und fotografierend an der Badestelle. Eigentlich ist gar nichts los, wir haben schon wildere Ablegemanöver hingelegt. Auf die Gäste bin ich ein bisschen stolz: Anstatt erstmal geruhsam abzulegen und zu gucken, was der Segeltag so bringt, müssen sie heute in den ersten zehn Sekunden nach dem Leinenlösen am meisten auf Zack sein. Ihre Nervosität ist verständlich, aber sie ist das größte Problem und wirkt ansteckend - Zweifel am Gelingen habe ich dennoch nicht.





An der Nordspitze fallen wir ab. Halber Wind, 6-7 Knoten, langsam nachlassender Wind und schließlich die Abdeckung der Schären – es wird ruhiger und ruhiger. Nach vierzehn Meilen in zweieinhalb Stunden erreichen wir die geschützte Bucht an der Ostseite von Tjärnö. Ich bin begeistert: Es ist total schön hier! Ich bin ein großer Freund der kargen, schroffen Westschären. Die üppig bewaldeten Stockholmer Schären reizen mich überhaupt nicht. Doch es spricht auch nichts gegen ein paar schattenspendende Bäume. Dies hier wirkt wie der perfekte Kompromiss. Es gibt einen langen Steg direkt beim dem hippen Restaurant, doch ich bevorzuge den kleineren im Grünen.

Nun kommt trotz perfekter Windabdeckung die eigentliche Herausforderung: Anlegen an einer Mooringboje. Frieda, Christian und Lena kriegen das super hin. Paula und ich haben heimlich geübt und können jetzt außerdem Friedas Mooringleine als Sorgleine benutzen. Auf Oli und Martha führt ein Missverständnis – „Verlängern“ statt „lange Leine“ – dazu, dass sie ihre normalen Achterleinen zusammenknüppern, die dann als Querverbindungen zwischen den Hecks fehlen. Paulas Tauwerksvorrat rettet die Manöver, und dann beginnt der Genuss.

Wir erkunden die sehenswerte Insel und laufen aus mit dem, was ich für die einsetzende Seebrise halte. Zum Glück sind es nur neun Meilen zum nächsten Ziel – plötzlich setzt leichter Regen ein, wir treiben nur noch. Inge packt enthusiastisch das Stechpaddel aus. Christian aktiviert den Außenborder, um nicht auf Felsen zu treiben. Im Großen und Ganzen können wir weiterhin segeln, und die Abendsonne zeigt sich, als wir Saxemara erreichen.

Hier gibt es eine flache Bucht mit gesunkenem Kutter, sowie eine Holzbootwerft, die zum Blekingemuseum gehört. Ein sehr freundlicher Mitarbeiter missversteht Paulas Segelnummer und erklärt mir auf Dänisch, wo wir liegen können. Keine Toilette, kein Liegegeld – ist ein okayer Deal. Drei Folkebootwracks in unterschiedlichen Stadien des Verfalls genießen die letzten Wochen ihrer Schwimmfähigkeit. Andere Projekte machen einen zukunftsfähigeren Eindruck. Oli und Martha legen in der Flaute wriggend unter Segeln an unser Päckchen an – man gut, da kam keine plötzliche Bö, als sie vorm Wind auf die Slipbahn zufuhren.

Eine Schäre noch vor dem Crewwechsel. Das Innenfahrwasser ist hier dürftig. Um die Halbinsel Kuggeboda geht es sowieso nur außenrum. Nördlich von Hasslö gibt es eine Klappbrücke mit stündlicher Öffnung nur auf Anforderung – Brückengehassel habe ich auf der Schlei jede Woche, und es spart nur eine Seemeile. Wir fahren auch hier außenherum. Ein enger Sund führt uns nach Norra Bollö. Große Bucht, am Südende ein leerer Betonsteg. Es brist auf, erste sechser Böen, der Steg liegt bei Südwest genau in der Düse. Längsseits können wir da nicht anlegen – es gucken amtliche Bolzen aus dem Steg. Der Heckanker ist gefragt.

Jedenfalls für die Anderen. Paula und ich halten uns die Option auf einen Go-around offen, indem wir keinen Anker werfen, sondern einfach einen souveränen Aufschießer fahren. Ich lasse sie auswehen und funke Frieda herbei: „Ihr müsst auf mein Zeichen den Heckanker werfen und dann direkt zum Steg fahren. Nicht an Paula andocken, dann reißt ihr sie mit gegen die Pier.“ Christian geht wie immer auf Nummer sicher und erledigt das mit dem Motor, mit dem er sich gut angefreundet hat, ebenso wir mit Lena, die mir gelassen eine Vorleine übergibt. Gemeinsam vertäuen wir Frieda und Paula so, dass Paula von Friedas Heckanker mitprofitiert und die beiden parallel, gut abgefendert und sicher liegen.

Karsten versucht, Oliese an uns ranzukreuzen. An ihm bewundere ich den Ehrgeiz, sich weiterzuentwickeln – der Trimm ist großartig, Oli kaum einzuholen, und dieses Experiment will er jetzt auch noch haben. Angie nicht, sie plädiert für den Motor und weiß nicht, was sie tun soll, während es noch gar nichts zu tun gibt, außer zu beobachten, wie das Manöver verläuft. Es klappt beinahe, ein wirklich guter erster Versuch – aber Karsten bremst zu doll an der Achterleine, Oli bleibt stehen und vertreibt, der halbherzige Wurf schmeißt die Vorleine ins Wasser. Nun muss sofort das Groß runter, der Motor an, der Heckanker wieder hoch, und dann ein neuer Anlauf. Der klappt auf Anhieb, es gibt nichts auszusetzen. Martha macht es anders: Ernst segelt sie an eine Mooring des schwedischen Seglerverbandes ran, Inge macht sie souverän dort fest. Nachdem sie ihren im ersten Versuch erfolgreichen Aufschießer hatten, brieft Ernst Inge auf ihre Aufgaben in Sachen Heckanker, sie probieren es aus und fühlen sich gut vorbereitet. Letztes Jahr ist Inge erst südlich der Schären aufgestiegen, dies hier ist eine neue Erfahrung für sie.

Ich zeige mit dem ausgestreckten rechten Arm den Verlauf von Friedas Ankerleine und später mit einer Geste der linken Hand den passenden Moment zum Ankerwerfen – das ist vom Heck eines schon liegenden Bootes viel besser einzuschätzen als im Cockpit des Anlegenden oder vom Steg aus. Christian kommentiert das Ganze per Funk. Schon in den letzten Tagen hat er gerne Boote reingesprochen und damit auch mal Verwirrung gestiftet, aber auch das muss man üben und reflektieren, und heute sind wir ein gutes Team – Ernst fühlt sich ausgezeichnet beraten, und der Approach gelingt vorzüglich.

Wir sind in einem militärischen Übungsgebiet: Rote Flaggen würden Schießübungen anzeigen, Munition soll man liegenlassen und nicht berühren. In der Ferienzeit droht keine solche Gefahr, sondern wir teilen die flache, karge Schäre mit den Schafen. Es ist schön hier. Aber kein Hjärterö, geht mir beim Landgang durch den Kopf. Die Westschären mit ihren hohen, schroffen Felsen bleiben mein Lieblingsrevier. Ich weiß noch nicht, ob ich nochmal die Hanöbukt anbieten werde, aber trotzdem finde ich, dass es sich dieses eine Mal vollauf gelohnt hat. Es ist auf jeden Fall ein unterschätztes Revier, das meistens nur schnell angelaufen wird auf dem Weg nach Stockholm und zum Götakanal. Dabei gibt es hier durchaus viel zu sehen und zu erleben, das die Dänische Südsee jedenfalls nicht bietet. Simrishamn – Hanö – Karlskrona – Kalmar wäre eine schnelle, sinnvolle Route weiter nordwärts – aber schöner wird es dort vorläufig nicht, und für den Rest bräuchte man unendlich viel Zeit, mindestens eine ganze Saison. Mag sein, wir haben schon auf dem Hinweg die Highlights abgepickert, das wird der Rückweg zeigen, es fehlt ja zumindest Utklippan, aber es war auf jeden Fall eine tolle Tour mit einer tollen Gruppe, die ich niemals vergessen werde.

Beim Auslaufen sind Paula und ich schnell wie nie: Während die Anderen noch treibend ihr Ankergerödel sortieren, setzen wir am Steg die Segel und sausen los. Es sind nur sieben Meilen bis Karlskrona Stadsmarina. Eine Insel, die unter der darauf gebauten Festung verschwindet, die heute nur noch Leuchtturm ist, sowie ein riesiger Marinehafen, künden von der Geschichte und Existenzberechtigung der Stadt. Der Hafen: Eher Ystad als Simrishamn, Mittel zum Zweck, aber stadtnah und fünf Gehminuten vom Bahnhof, mithin perfekt für einen Crewwechsel. Vier reisen nachmittags ab, Ernst und Inge bleiben noch über Nacht, während abends schon die ersten Neuankömmlinge eintreffen. Mit ihnen haben wir viel vor in den nächsten zwei Wochen, auch wenn wir notfalls Simrishamn mit einem einzigen langen Schlag schaffen würden.

Das aber bleibt Theorie, solange uns ein Sturmtief vier Liegetage gleich zu Beginn beschert.

P.S.
Im Nachgang weist mich Christian darauf hin, ich dürfe die Gäste gerne häufiger loben. Da hat er wohl Recht. An die diesmaligen Teilnehmer zum Beispiel hatte ich so hohe Erwartungen, dass ich gelungene Darbietungen bestimmt allzu selbstverständlich nahm. Meine Nerven wurden enorm geschont auf beträchtlichen 260 Meilen in zwei Wochen, und das lag nicht nur an meiner Planung, denn wir hatten durchaus anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen. Was da jeweils an Bord abgeht angesichts unterschiedlicher Erfahrung und verschiedenen technischen Verständnisses, entgeht weitgehend meiner Wahrnehmung, aber es ist ja nicht völlig unübersehbar, dass vor allem die unerfahreneren Crewmitglieder ihren Job extrem gut erledigt haben – und das habe ich bestimmt so nicht zum Ausdruck gebracht. Da lagen Nerven blank, wo meine ruhig blieben, weil aus meiner Sicht nichts los war, und alles Mögliche hätte dennoch schiefgehen können, ist aber nicht. Wir hatten gemeinsam tolle zwei Wochen, und das lag an allen Beteiligten. Jede und Jeder haben ihre Rolle gespielt und ein sehenswertes Stück auf die Bühne gebracht – und das ohne Regisseur, denn so betrachte ich meine Rolle nicht, aber ich merke wohl, dass die Gäste mich darin sehen.

Nächstes Jahr wieder Hjärterö für Christian? Ein Date in Åstol mit Lena? Oder vielleicht mal wieder Limfjord? Wenn Ihr alle dabei seid, können wir das machen.

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