Paulas Törnberichte | ![]() |
|||||
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
|
Popocatepetl
In zwei Paralleluniversen erlebte ich zeitgleich eine perfekte
Segelwoche und einen nervenaufreibenden Albtraum. Paralleluniversen?
Eng miteinander verwoben, trennte mein Gehirn die Empfindungen
sorgfältig voneinander – es
war eine neue, interessante Erfahrung. Weil sie mich weiterhin
beschäftigt, ist der Törnbericht ein Experiment: Ich
schreibe erstmal zwei Törnberichte, dann versuche ich sie
ineinander zu verschachteln. Vielleicht wird so nachvollziehbar, wie es
sich angefühlt hat. Der Genuss ist in normaler Schrift, das
Grauen
in Fettdruck. Und der mexikanische Vulkan tut - letztlich erfolglos -
sein Bestes, meine Stimmung zu retten.
Mai 2023
Hurra!
Morgen kommt endlich die dänische Gastlandflagge zum Einsatz!
Beim ersten Flottillentörn mussten wir uns mit
eingeschränkten Möglichkeiten begnügen. Der
heutige Samstag nach Himmelfahrt ist ein bisschen pustig und
leidet unter überfüllten Häfen, aber ab
Sonntag erwarten wir eine schöne Reise ins Grüne und
die Einsamkeit. Ich freue mich auf eine Woche mit Paula, Salty und
Andreas, sowie Liv und Christian.
Andreas ist ein bewährter Charterer, erst zum dritten Mal bei
einem Flottillentörn dabei, doch es fühlt sich an wie
die Vertrautheit einer alten Bekanntschaft. Ähnlich bei
Christian, der seit letztem Jahr ein eigenes (GFK-)Folkeboot hat, damit
in Arnis liegt, und sich gerne unserem Flottillentörn
anschließt. Beide sind ruhige, angenehme Zeitgenossen und
lernwillige Segler, die um ihren begrenzten Erfahrungsschatz wissen und
alles tun, um ihn mit meiner Unterstützung zu bereichern. Am
Samstag bin ich noch mit Einweisungen beschäftigt, Salty und
Liv sausen auf der Schlei herum, wo es bei strahlendem Sonnenschein
mächtig böig ist, und erkundigen sich ab und zu,
welche Brücke wir schaffen werden.
Richard,
Rochus und Renate* gucken skeptisch. Eben haben wir die Einweisung
beendet, und allen drei ist es so bewusst wie mir: Sie haben wenig
verstanden. Zu wenig. Jedenfalls zu wenig für die heutigen
Bedingungen. Renate hat in zwei Tagen Training bei Schwachwind gezeigt,
dass ihr die Handgriffe schwerfallen. Immer wieder fängt sie
verkehrt an, zum Beispiel mit dem Fallstrecker anstelle des Falls, muss
vor jedem Handgriff nachdenken, oft kommt sie zum falschen Ergebnis.
Bei den heutigen sechser Böen wird es bestimmt nicht besser.
Segelsetzen dauert lange, sie braucht dazu reichlich Platz, doch
zwischen Arnis und Maasholm haben wir den nicht. Rochus besitzt ein
eigenes
Folkeboot am Starnberger See, doch er war noch nie auf der Ostsee.
Richard hat schon zweimal gechartert, doch da hat der Mitsegler all die
Handgriffe erledigt. Bei einem einhandorientierten Training letztes
Jahr fühlte ich mich wie bei einem Anfängerkurs
– auch Richard wird für den Anfang wenig Wind und
viel Platz brauchen. Er hat da noch eine Frage: Welches ist eigentlich
das Fockfall? Und das Großfall habe er überhaupt
noch nicht gefunden.
Wir wollen aber doch wenigstens den Absprung schaffen. Ich sondiere die
Möglichkeiten: Segelsetzen im Arnisser Sund, wo die
Fähre nicht mehr fährt, weil der Fährmann
gekündigt hat – perfekte Abdeckung, doch erhebliche
Enge - es muss dann doch schnell klappen, sonst wird das nahe Ufer zum
Problem. Oder Segelsetzen auf der „Arnisser
Breite“,
die nicht so heißt, aber die Mancher so nennt, und wo man
zwar mit der vollen Dröhnung Wind bis zu siebener
Böen zu kämpfen hat, dafür aber
ungestört und sicher das Fahrwasser verlassen und sich Zeit
lassen kann. Ich habe eine bessere Idee: „Es ist keine
Schande, wenn ihr die heute die ganze Strecke motort.“
Zu viel Wind also und zu später Start, um heute schon die
Schlei zu verlassen. In vollen Häfen Plätze zu
suchen, lassen wir von vornherein nach – wir kreuzen ins
Wormshöfter Noor und ankern im Päckchen. Beim
Ausbringen zusätzlicher Anker hängen wir kurzzeitig
alle an Paulas, der bei fünf Windstärken und
eingekürzter Leine die Last nicht halten kann. Wir vertreiben
gut fünfzig Meter, bis wir das Ganze wieder aufgestoppt
bekommen. Das verhindert eine Freundschaft mit unseren Nachbarn in Lee:
Sie möchten, dass wir umgehend verholen.
Ich habe Verständnis. Wer würde nicht
nervös, wenn ein Päckchen aus mehreren Booten auf
einen zutreibt? Den Grund dafür konnten sie nicht erkennen,
also können sie auch nicht nachvollziehen, dass wir die
Situation wieder im Griff haben: Wir liegen mit sechs Booten an vier
Ankern, die alle bombenfest halten. Drei Alarme schweigen, die
regelmäßig wiederholte Ankerpeilung ist seit einer
Stunde konstant. Bei einer Prognose konstanter Windrichtung und
abnehmender Böigkeit sehe ich keinen Handlungsbedarf. In
gereizter Stimmung über immer noch gut hundert Meter Abstand
dies zu kommunizieren, wäre allerdings mühsam
– man brüllt sich ja nur an, egal was man sagt und
wie deeskalierend es gemeint ist. Schimpfend beschließen die
Nachbarn, den Ankerplatz zu wechseln. Als es dann heißt,
„ihr liegt auf meiner Kette“ und im
nächsten Moment der Anker auftaucht, beginne ich es albern zu
finden. Sie suchen einen neuen Platz, weiteren Konflikten ist so
vorgebeugt.
Wir verbringen die restlichen Stunden in der Abendsonne im
windgeschützten Cockpit auf unserer selbstgebauten Insel. Bei
entspannten 3-4 Windstärken aus Nordost verlassen wir zu
früher Stunde das Noor und die Schlei. Das klappt gut, wir
haben die Schlei für uns, und es wird beinahe durchgehend ein
Anlieger mit zwei kurzen Holeschlägen. Am Leuchtturm: Moderate
Welle frontal gegenan. Nach der Wende kommt sie seitlich, wir sausen
los mit nördlichem Kurs. Als wir
später in die Flensburger Förde eindrehen und etwas
abfallen, bekommen wir das seltene Vergnügen des Surfens auf
Am-Wind-Kurs.
In Sønderborg beginnt das Kontrastprogramm zur offenen Weite
des Kleinen Belts mit ein paar Warteschleifen vor der Brücke.
Eine endlose Reihe von Booten kommt uns entgegen – das lange
Wochenende geht zu Ende, die müssen alle nach Hause. Wir
hingegen nutzen die Abdeckung des Als Sunds zu kurzweiligem Segeln in
leichtem Regattamodus. Am Nordausgang gilt es noch einmal richtig
Höhe zu laufen zu unserem Ziel: Stevning Nor ist dem NV-Verlag
nicht einmal einen Eintrag ins Hafenhandbuch wert. Christian ist
clever, an der letzten Sandbank des Als Sunds überholt Liv.
Paula läuft dann aber doch ein entscheidendes Grad mehr
Höhe und erreicht als Erste die Einfahrt in die kleine Bucht.
Beim Reinkreuzen irritiert mich Frieda, die uns dicht auf den Fersen
bleibt. Es wird enger, es ist flach, die Ufer kommen immer
näher. Ich habe es doch alles erwähnt: Wir
dürfen
uns gegenseitig nicht in die Quere kommen, weder beim Segelbergen noch
beim Anlegen. Dabei kann ich mich immer nur um ein Boot zur Zeit
kümmern, also sollen die Anderen in einem großen
Hafen irgendwo an einem Heckpfahl warten, bei einem kleinen Hafen
tunlichst
draußen auf einen Funkspruch warten. Und
schließlich: „Ihr
müsst nicht alles nachmachen, was Paula und ich vormachen."
Richard hingegen hat beschlossen, exakt das Gleiche zu tun wie ich. Hm.
Gestern noch war Platzmangel ein großes Thema und der Grund,
warum ich drei Boote zum Motoren verdonnert habe. Heute früh
hat Richard versucht, mitten im Ankerliegerfeld die Segel zu setzen,
bis ich ihn aus dieser Gefahrenzone verscheuchte. Nun segelt er bei
böig auffrischendem Wind in eine flache Bucht, die rasch enger
und enger wird. Um ein Zeichen zu setzen, berge ich frühzeitig
die Fock.
Für Paula wird die restliche Kreuz nur mit dem Groß
ausgesprochen träge. Schlimmer aber: Richard versteht immer
noch nicht. Er
ist irritiert, weil ich doch immer predige, zuerst das Groß
zu bergen und mit der Fock noch weiterzusegeln, doch nun sieht er es
mich genau umgekehrt machen. Frieda bleibt schon fast mit dem Rigg in
den Ästen am Ufer hängen, als sie festkommt.
Ich lege erstmal an. Salty gesellt sich zu uns,
provisorisch am Stegkopf angebunden. Wir sondieren die
Liegeplatzsituation, ich lote die Wassertiefe weiter innen im Hafen.
Dort ist es für uns aber zu flach. Egal, es sind ja
genügend Plätze vorhanden. Jetzt wollen wir
erstmal Salty an Paulas Seite verholen.
In dem Moment biegt Oliese schwungvoll ins Becken ein. „Was
soll ich
machen?“, bellt Rochus. Ich antworte nicht
– die Frage ist falsch gestellt. Zum Abdrehen ist es zu
spät, zum Anlegen zu früh, er hat hier nix verloren,
und das müsste er selbst erkennen. Er erreicht einen Pfahl
einer allerdings belegten Box. Bindet Oli aufwendig mit diversen
Springs daran fest. Und darf sich später kraftraubend damit
abmühen, sie von Hand zu uns zu manövrieren. Jetzt
kommt erstmal Christian und hat große Lust auf das kleine
Extraabenteuer, den „Kollegen“ freizuschleppen.
Andreas steigt auf, Livs neue Wurfleine mit monströser
Affenfaust kommt zum Einsatz.
Als die Boote fest sind, liegen wir friedlich und ungestört im
Grünen. Vögel zwitschern, die Sonne lacht, und es ist
erst früher Nachmittag. Es bleibt also reichlich Zeit
für Mittagsstunde und
Landgang, und die Gegend lohnt die
Erkundung auf jeden Fall. Christian und Andreas verbringen aber die
meiste Zeit auf einer Bank am Steg, schwärmen von dem tollen,
kontrastreichen Segeltag und bestaunen sprachlos die Schönheit
und Ruhe der Umgebung. Egal von welchem Alltag man eine Auszeit sucht,
in Stevning Nor bekommt man sie.
Ich erzähle den beiden die Geschichte vom Seeerfolgsvogel.
Andreas zitiert Joseph Conrad, der Segeln als eigenständige
Kunstform interpretiert. Damit spricht er mir aus dem Herzen. Sofort
bestelle ich das Buch und beschließe, der Idee in meinen
Gedanken und Törnberichten mehr Platz einzuräumen.
Anspielungen auf etabliertere Kunstgattungen seien mir dabei gestattet.
Frühes Auslaufen entwickelt sich zum Trend der Woche. Am
Montag ist es „erst“ um acht. Mein Augenmerk liegt
darauf, dass bloß nicht zu viel Wind ist. Dabei
übersehe ich, dass es auch mal zu wenig Wind sein
könnte. Außerdem hat DMI mit der Wetterlage zu
kämpfen – wenn keine Starkwindböen zu
erwarten sind, suggeriert der dänische Wetterdienst entspannte
3-4, doch heute finden wir uns im notorischen Flautenloch
nördlich von Als zwischen unscharfen Kräuselfeldern
wieder.
Wenn man einigermaßen zügig hier durchkommen will,
gilt es, die See zu lesen. Doch der Wind, der auf ihr schreibt,
verwendet eine verklausulierte, metaphernreiche Sprache –
Missverständnisse sind sehr wahrscheinlich. Erschwerend kommt
hinzu, dass wir lesen, während der Autor noch schreibt. Und
natürlich mag er sich entschließen, ein Kapitel
komplett zu verwerfen,
durchzustreichen und in geänderter Fassung erneut zu
entwickeln.
Christian segelt Liv als Erste ins Nirvana. Salty und Andreas halten
wacker Kurs. Paula und ich wenden, wann immer vor uns das Windfeld zu
enden scheint. Den Sollkurs können wir fast nie laufen, ein
langer Holeschlag nach Osten wäre sinnvoll, aber dort sieht es
beharrlich nach Windstille aus, also wenden wir frühzeitig
wieder und begnügen uns mit einem Nordkurs, der uns zumindest
ganz grob dem Aarøsund näherbringt. Es ist ganz
seltsames Segeln: Statt mäßigem Südost
haben wir Flaute aus allen nördlichen Richtungen. In
spiegelglattem Wasser treiben wir mit 1,9 Knoten. Erreichen wir
Gekräusel, hoffen wir auf schnellere Fahrt – doch es
bleibt bei 1,9 Knoten. Als ich nach einer Weile unsere Position in die
Seekarte eintrage, bin ich überrascht: Fast auf Kurslinie und
schon die halbe Strecke geschafft! Im Hochsommer wäre es bei
Gluthitze unerträglich. Jetzt frieren wir nicht, schwitzen
nicht, verausgaben uns nicht – das einzig Nervige ist der
Schwell der Segelyachten, deren Crews die Nerven verlieren und zum
nächsten Hafen motoren. Ich schüttele den Kopf,
weiß ich doch, dass sie sich damit um einen schönen
Segelnachmittag und -abend betrügen.
Wind kommt auf. Flaut nach zehn Minuten wieder ab. Dann der
nächste Wind. Und schließlich: Eine stetige Brise
von drei bis vier Windstärken, nicht aus Südost, aber
immerhin aus Ost. Paula holt Salty ein, Liv kommt von hinten auf. Auf
wunderliche Weise sind wir dicht zusammen, als wir in den Haderslev
Fjord einbiegen.
Sonne. Schwäne. Stetiger Wind. Segeln durch den Wald. Wer den
Haderslev Fjord nicht kennt, hat etwas Wichtiges bisher
versäumt und darf auf keinen Fall sterben, ohne es vorher
nachzuholen. Ich habe hier schon etliche tolle Erinnerungen gesammelt,
doch die heutige Passage scheint mir besonders gelungen.
Weil sich kaum ein Fahrtensegler hierhin wagt, bietet der
geräumige Hafen von Haderslev eine hundertprozentige
Liegeplatzgarantie. Die als Gastliegeplätze ausgewiesenen
Boxen des Sejlklubs erweisen sich jedoch als
überdimensioniert, ich muss die Achterleinen
verlängern und bin nicht begeistert. An der
gegenüberliegenden Stadtpier erspähe ich ein neues
Klohäuschen und finde, bei erträglich kurzem Weg zu
den Sanitäranlagen lägen wir dort besser.
Schließlich liegt die ganze Flottille harmonisch zusammen.
Das Klohäuschen hat aber ein echtes Manko: Von der Hafenkarte,
die als Türöffner dient, werden bei jedem Betreten
fünf Kronen abgebucht. Fünf Kronen für
einmal Händewaschen? Es kommt sogar noch schlimmer, denn es
gibt keine Seife – also fünf Kronen nur für
ein langes Gesicht. Nächstes Mal liegen wir also wieder beim
Sejlklub, egal wie lang die Boxen sind. Den Abend verbringe ich mit
Christian in Livs Cockpit.
Dienstag
ist Hafentag – siebener Böen aus Nord sind
angesagt, das Gepuste kommt stattdessen eher aus West. Es ist kein
Verlust: Eine Erholungspause können alle vertragen, gestern
waren es elf Stunden für gerade mal sechsundzwanzig Meilen.
Die Stadt Haderslev mit ihrem mittelalterlichen Kern ist durchaus
sehenswert. Christian macht sich auf den Weg. Andreas
„übt“ Akkordeon – er bittet
darum, Bescheid zu sagen, wenn es nervt, doch Saltys geklinkerter
Resonanzkörper verschafft ihm einen beflügelnden
Sound. Was zu Paula herüberschallt, klingt in leiser
Melancholie harmonisch und angenehm. Also nicht nach Üben,
eher
nach Konzert. Segeln und andere Kunstformen passen gut zusammen. Ich
verbringe den Nachmittag mit
Büroarbeit, Nichtstun und Nachdenken über diesen
wundervollen Törn und das Desaster im Paralleluniversum.
Das Anlegen gestern…naja, es hat geklappt, es war ja auch
kaum Wind. Dass da eine leichte Strömung das gerade anlegende
Boot gegen die Nachbarin trieb, ließ sich durch Abhalten
verhindern. Aber die Leinenarbeit von Rochus und Renate…!
Rochus hat immer noch nicht verstanden, dass er seinen Platz
an
der Bugspitze erst verlassen und die Achterleinen bereitlegen kann,
wenn er
das Boot zuverlässig festgebunden hat. Renate kommt nicht
damit klar, dass
sie die Vorleine wieder lösen muss, bevor es Sinn macht, das
Boot abzustoßen, damit es zum Steg fährt. Ich finde,
das sind schon grundlegende Defizite, wenn man einhand unterwegs ist.
Und es endet damit nicht: Renate hat schon beim Training den Fehler
begangen, den Fockausbaumer zuerst am Mast einzupicken. Egal wie man
ihn dreht und wendet, der zweite Beschlag fürs Schothorn ist
dann immer unerreichbar außenbords. Morgens im Als Fjord hat
sie es wieder so probiert und ist natürlich gescheitert.
Rochus verzichtete komplett auf den Ausbaumer. Richard gab nach der
Patenthalse auf.
Was ich vermisse, ist vor allem jegliches Bemühen um
Fortschritte. Müssten nicht alle drei jetzt in der Koje liegen
oder im Cockpit sitzen, über der Seekarte brüten, die
bisherigen Tage gedanklich nachvollziehen und sich An- und
Ablegesituationen vorstellen, in denen sie ohne meine Hilfe
aufgeschmissen gewesen wären? Sich den Kopf zerbrechen, wie es
besser gehen könnte? Später mit gezielten Fragen zu
mir kommen? Andreas sagt: „Das Missverständnis
besteht darin, dass die glauben, du bist für alles
zuständig. Die wissen nicht, dass sie eigenverantwortlich
segeln. Da liegt eine völlig falsche Einstellung
vor.“ Später ergänzt er: „Ich
wette, keiner von denen war je selbständig. Das sind alles
Arbeitnehmer. So verhalten sie sich hier.“ Ich treffe Rochus
und Renate. Wir müssen uns ja noch für
morgen zusammensetzen - ich verkünde: Briefing um 18 Uhr auf
der
windgeschützten Treppe vorm Liegeplatz. „Kannst du
ja mal den Anderen kommunizieren“, bitte ich Rochus.
Um 18 Uhr sitze ich erstmal allein auf der Treppe. Renate gesellt sich
dazu. Ob ich mir die Stadt angeguckt hätte. Ich zucke die
Schultern: „Kenn ich ja schon.“ Sie habe sich nach
dem Landgang „was Leichtes“ zum Essen gemacht. Wie
kommt sie nur darauf, dass mich das interessiert? „Nichts
Deftiges?“, möchte ich spotten, aber ich halte mich
zurück. Rochus kommt. Bei den Anderen regt sich nichts.
„Wem hast du denn alles Bescheid gesagt wegen dem
Briefing?“, erkundige ich mich.
„Na, keinem“, antwortet er.
„Wie bitte?“ Ich lasse die Schultern
hängen.
„Hab ich vergessen“, bellt er, „und
außerdem hatte ich das nicht so verstanden, dass das jetzt
meine Aufgabe ist.“ Aha. Gleiches gilt wohl für
Olieses Gastlandflagge, die nur noch mit einem Bändsel fest
ist.
Zum
Glück sind alle an Bord, Richard müssen wir aus der
Mittagsstunde wecken. Ich hoffe, am nächsten Tag
Lyø zu
schaffen,
vorausgesetzt, wir laufen mit dem ersten Licht aus, und der Wind
hält zumindest bis mittags. Ab Aarø ist der Kurs
130 Grad. Das – und nur das – notieren sich Rochus,
Richard und Renate. Andreas wird sich gleich eine Stunde in die
Seekarte vertiefen, bis er sich sicher ist, notfalls alleine ans Ziel
zu finden.
Richard bittet mich, „nicht so vorzupreschen“,
sondern zu warten, bevor Frieda außer Sicht gerät.
Renate fragt, wer alles mitkommt in die Kneipe.
Mittwochmorgen kurz nach fünf: Richard legt Frieda so ab, dass
durchaus Potenzial zu erkennen ist. Rochus taumelt durchs Cockpit,
verschwindet polternd zwischen den Backskisten, rappelt sich wieder
auf. Hier es geht nur noch darum, dass Boot heil zurück nach
Arnis zu bekommen. Renate hält beim Abstoßen vom
Pfahl mal wieder die Leine fest. Martha rührt sich nicht. Dann
geht Renate ein paar Schritte nach hinten und zieht Martha
zurück in die Box, wo sie an Saltys Seite treibt.
„Ich bin kurz vorm Explodieren“, raune ich Andreas
zu. Renate scheint sich auch noch gut zu fühlen in ihren
sinnlosen Bemühungen.
Explodieren? Gestern habe ich gelesen, dass der Popocatepetl
mal wieder ausgebrochen ist. Er spuckt Glut und Asche. Froh
über einen Themenwechsel, der zum Thema
passt, erzähle ich Andreas davon. „Der
was?“, fragt er verdutzt. Der Popocatepetl ist ein
Vulkan in Mexiko. Vielleicht der bekannteste dort. „Was du
dir alles merken kannst…“ Endlich bekomme ich
Marthas Bugspitze zu fassen, Renate hält ausnahmsweise mal
nicht gegen, also nutze ich die Chance und schubse Martha aus der Box.
Renate macht es sich gemütlich. Ich fiere schon Saltys
Vorleine. Gang einlegen und losfahren? Zumindest von Saltys
Box weg? Nö. „Renate“, rufe ich,
„hau endlich ab!“
Bevor ich mir Gedanken mache, wie wir die Anderen überholen
sollen, müssen wir sie erstmal einholen. Es würde
mich maßlos ärgern, hinter diesen Gurken aufgehalten
zu werden. Aber überholen ist nicht gerade einfach in der Enge
des Fjords. Einzige Chance: Die kurze Kreuz bei Djævlebo.
Frieda und Liv luven an. Martha luvt an. Oli luvt an. Paula luvt an.
Die drei vordersten Boote wenden. Oli bleibt stehen. Rochus guckt
stoisch nach vorne und hält Kurs. „Aha, da wird es
also flach“, denke ich. Paula wendet. Rochus hört
auf zu steuern und startet den Außenborder.
Frieda und Martha kehren um. Rochus jammert per Funk. Ich empfehle ihm,
das Boot zu drehen und dann vorwärts dahin
zurückzufahren, woher er gekommen ist.
„Können wir ihm nicht irgendwie helfen?“,
bittet Renate. "Ein Grundsitzer genügt", finde ich. Oli ist
schnell wieder frei und reiht sich hinter Salty ein.
„Danke, dass ihr gewartet habt“, sagt Thomas.
„Ich hab nicht gewartet“, brülle ich in
die grüne Idylle. Ich
bin aber auch durchaus dankbar: Oli hat dafür gesorgt, dass
das Überholen kein Problem war. An der in den Winddrehern hin
und her kreuzenden Liv treiben wir vorbei, dann begeben wir uns an die
Aufgabe, fast ohne Wind allen davonzusegeln.
Wir verlassen den Fjord. Laut Vorhersage ist jetzt der gute Wind, bevor
er kontinuierlich
nachlässt. Er reicht für bescheidene dreieinhalb
Knoten. Ich habe eine kleine Insel versprochen, wie sie zwingend zum
Programm gehört, wenn man in der dänischen Inselwelt
unterwegs ist. Weitere fünfundzwanzig Meilen bis
Lyø? Vor uns liegt Aarø,
was auch eine schöne, kleine Insel ist.
„No-brainer“, denke ich, genug geleistet
für einen
einzigen Segeltag. Ich korrigiere den Kurs. Mache für die
Anderen eine kurze Durchsage per Funk. Berge die Fock. Wie zum Hohn
brist es beim Einlaufen auf, der Aufschießer wird ein
bisschen sportlich. Als die Anderen fest sind, flaut es wieder ab, und
als ich vor Mittag in der Koje liege, haben wir plötzlich
Durchzug: Eine Seebrise aus Südost lässt mich denken,
dass wir – wären wir nach Plan weitergesegelt und in
der Flaute verhungert – zumindest den Weg zurück
nach Aarø gut geschafft hätten.
Aarø ist nicht meine Lieblingsinsel. Vielleicht zu Unrecht.
Als besonderen Bonus gibt es hier überraschend guten Wein, der
auf der Insel gedeiht, und auch extrem trinkbares lokal gebrautes Bier.
Dazu einen Sandstrand, ein pittoreskes Dorf und ein allgemeines
Gefühl der Entspannung, sofern nicht in der Hauptsaison der
Teufel los ist und man von Päckchenliegern eingesperrt ist.
Toilettenbenutzung ist gratis, das beruhigt uns nach der Erfahrung von
Haderslev. Die Gastro im Hafen ist natürlich Junk Food, Einige
hatten sich auf Anders‘ Kultrestaurant auf Lyø
gefreut, aber am Abend ist davon keine Rede mehr, sondern wir
genießen die gelungene Mischung aus Segeln und Erholung.
Zwei Tage bleiben für den Rückweg nach Arnis.
Zwischenstopp wird nicht auf Lyø sein und auch nicht in
Marstal, denn dort ist erheblich zu viel Wind angekündigt. Die
lokalen Unterschiede sind momentan erheblich, aber fünf
Böen sechs erwartet auch uns, wenn wir dem Kleinen Belt an der
Ostseite von Als folgen. Im weiteren Verlauf an der Südseite
von Kegnæs ist immerhin die Welle weg, die
abschließende Kreuz nach Hørup Hav sollte unter
moderaten Bedingungen erfolgen, wenn man DMI doch weiterhin glauben
darf.
Südlich von Aarø: Die See ist schon
beträchtlich. Beim Einsetzen jeder Welle ziehe ich an der
Pinne, um das Anluven zu vermeiden. Manche Welle aber führt
gar nicht zum Anluven: Sie will uns durch die Halse schieben. Also
sofort volles Rohr Gegenruder! Volle Konzentration ist gefragt, und
hinterher werde ich mich fühlen, als hätte ich Sport
getrieben. Macht total Laune – wenn man’s kann. Liv
ist als Einzige pünktlich abgelegt und nur als
weißer Punkt am Horizont zu erkennen. Andreas und ich haben,
gleich nachdem der Kurs anlag und noch keine Welle war, ausgebaumt.
Salty segelt wacker vorneweg. Paula kommt zügig auf.
So etwas kriegt auch Renate zuverlässig mit. Am Funk sagt sie:
„Ich baume dann jetzt auch mal aus. Guckst du ein bisschen,
dass ich nicht baden gehe?“ Und wenn doch? Was soll ich dann
machen? „Okay“, antworte ich. Renate wird es
sowieso nicht schaffen mit dem Ausbaumer. Erst recht nicht, als sie
wieder den ersten Beschlag am Mast einsetzt. Martha halst. Renate gibt
auf. Ich kann mich wieder aufs Aussteuern der Wellen konzentrieren.
In der Flensburger Förde schwächelt der Wind
erheblich. Mit einer vollen Dosis Feingefühl an Pinne und
Trimm lassen Paula und ich Salty zurück und widmen uns Liv,
die ihre Schläge viel zu weit ausfährt –
eben noch habe ich sie gar nicht mehr gesehen, jetzt kommen wir auf.
Wäre nicht an der Kegnæs-Seite der Einfahrt nach
Hørup Hav so gut wie gar kein Wind und an der Als-Seite
zumindest ein Brischen, würden wir die Dreiviertelstunde
Rückstand womöglich regulär aufholen. So
lässt Christian sich Zeit mit dem Segelbergen und tuckert eine
Weile im Kreis, während Paula direkt in den Hafen segelt.
Nach Starkwindböen gefolgt von Leichtwindkreuz
genieße ich es zutiefst, unbeschwert im Hafen herumzusegeln
und benachbarte Liegeplätze auszukundschaften. Auch
Hørup ist nicht mein Lieblingshafen, aber erheblich
angenehmer als Sønderborg und ein guter Ausgangspunkt
für den Rückweg an die Schlei. Bei bedecktem Himmel
finde ich es hier trist und öde. Jetzt, bei strahlendem
Sonnenschein, empfange ich Liv und Salty beinahe euphorisch und bedaure
nur, dass die jetzt fälligen kurzen Hosen noch in Arnis im
Auto lagern.
Christian
ist die ganze Zeit schon begeistert von der Reise und seinen
Erlebnissen und Erfahrungen. Andreas berichtet, heute sei sein bisher
schönster Segeltag gewesen: Vorm Wind erstmals wagemutig mit
Ausbaumer, sich im Cockpit unglaublich sicher und geborgen
fühlend, als harmonische Einheit mit seiner geliebten Salty
– einziges Manko ist, dass er nicht recht versteht, warum
Paula ihr zuletzt so davonsegelte, doch auch Andreas fände es
schlimm, wenn ich mit all meiner Erfahrung nicht noch ein paar Tricks
im Ärmel hätte. Mir ist danach, sie alle zu knuddeln:
Paula und die Teddys. Salty und sogar Plastikmodell Liv. Andreas und
Christian – ich bin dermaßen froh, die beiden
dabeizuhaben! Es war ein wirklich bemerkenswerter Segeltag, ein
phantastischer Kontrast zum schwachwindigen Rest der Reise, ein
gelungener Abschluss vor
dem unvermeidlichen Homerun. Andreas hat eine zweite Woche gebucht,
Salty geht nun eigene Wege. Ich nutze die letzte Gelegenheit,
Andreas‘ selbstgebrautes Bier zu testen. Beim Wettbewerb
„Alte Biersorten neu interpretiert“ hat es
für den 31. Platz unter 130 Bewerbern gereicht – und
es ist wirklich lecker.
Martha, Frieda und Oli treffen gemeinsam zweieinhalb Stunden
später ein. Ohne Ausbaumer haben sie im Kleinen Belt Zeit
verloren, im weiteren Verlauf hatten sie mit dem kontinuierlich
nachlassenden Wind natürlich ein Problem. Wir verabreden
gleich das Auslaufen: Zur Wahl stehen neun Uhr oder zehn Uhr.
Renate möchte um sechs, sie muss ja mit Bus und Bahn nach
Berlin und bekommt abends Besuch. Ich lehne das ab. Ich bin oft genug
megafrüh aufgestanden, um dieser Truppe einen
erträglichen Segeltag zu bieten. Zumindest vom Wind her macht
es diesmal keinen Unterschied. Christian ist für zehn. Ich
bitte Richard, Renate im Auto zu einem passenden Bahnhof mitzunehmen,
damit sie für das erste Stück nicht auf die
spärlichen Busse angewiesen ist. Problem gelöst?
Morgens hat es jedenfalls niemand eilig. Renate stolziert um kurz nach
zehn mit ihren Wasserflaschen durch den Hafen, anstatt sie am
Wasserhahn gleich beim Liegeplatz aufzufüllen.
Frieda kann ich von Olieses Heck aus mit der Vorspring aus der Box
ziehen.
Wind aufs Heck, da braucht das Boot mehr Schwung, als den drei
Einhandhelden bewusst sein dürfte. Richard tuckert
souverän los. Martha würde ich gerne auf die gleiche
Weise in die Gänge zaubern, doch Renate verhindert es durch
konsequentes Gegenhalten mit der Achterleine.
Irgendwann ist Martha vollständig draußen, Renate
legt den Gang ein und
piekst zurück in die Box. Hektische Augenblicke
später hat sie es zurecht.
Rochus
hingegen begeht ein weiteres Attentat auf meine Geduld und gute
Laune. Ich habe Paulas Vorleine schon in der Hand und will ablegen, als
ich sehe, was für ein Desaster sich da entfaltet: Rochus steht
am Want, mithin genau auf der Gierachse, vis-a-vis des Pfahls und zieht
mit der Achterleine die Scheuerleiste an ihn ran. Mit traurigem Blick
wundert er sich, dass Oli sich kein Stück bewegt.
„Das kann jetzt lange dauern“, sage ich zu Andreas.
Rochus geht einen Schritt nach vorne, Oli setzt zurück.
„Jetzt hat er’s“, hofft Andreas. Aber
nein, er geht jetzt zwei Schritte nach hinten, zieht weiterhin mit
aller Kraft – Oli landet in der gleichen Position wie eben.
„Rochus“, rufe ich, „komm wieder
her.“ Das Boot treibt schwungvoll zum Steg, ich
brülle:
"Stop. Stop!! Stoooooppppp!" Ich steige auf, zerre Oli aus der Box,
drehe sie
Richtung Ausfahrt und stoße sie von den Pfählen weg.
„Was soll ich denn machen?“, fragt Rochus.
„Nix“, sage ich. Gleichwohl geht er zum Motor und
legt den Gang ein. Ich verscheuche ihn. Bis zum Stegkopf habe ich hier
das Kommando. Dort steige ich ab.
Der letzte Tag hat im Wesentlichen die Aufgabe zu erfüllen,
uns heil und
zu einer vernünftigen Zeit zurück nach Arnis zu
bringen. Er beginnt vorm Wind mit sechser Böen, das haben wir
ja gestern geübt, doch unerwartet früh lässt
die Brise deutlich nach. Auch nicht weiter schlimm – solange
es zwischendurch immer mal wieder einen deutlichen Schub gibt, sind wir
gut im Zeitplan. Leuchtturm Schleimünde um 13h35, das
lässt auf die Brücke Viertel vor drei hoffen. Liv ist
schon vor Maasholm, Oli hat fünf Minuten Rückstand,
Frieda zehn Minuten, Martha eine Viertelstunde.
In der Schlei dreht der Wind zwischen West und
Nord und varriiert
zwischen zwei und fünf Beaufort. Wir bleiben im Zeitplan, aber
die große Unbekannte ist immer die enge Düse
Rabelsund, wo der Wind entweder gegenan dreht oder hinter den
Bäumen verschwindet und man leicht in der starken
Strömung verhungern kann. Wir kommen gut durch, es wird eine
Punktlandung an der Brücke. Ein Kringel und ein paar
Schlangenlinien reichen für die Wartezeit – so macht
die Schlei Riesenspaß. Rochus ist diesmal wirklich auf zack,
birgt vor Rabelsund die Segel und gibt ausreichend Gas, um die
Brücke auch zu schaffen. Frieda und Martha bekommen eine
Stunde drauf zu. Paula segelt gemütlich in den Hafen
– es ist eine schöne Abrundung einer
abwechslungsreichen Segelwoche. Die Flottille mit Andreas und Christian
habe ich zutiefst genossen. Über die andere Flottille, die
Geduldsprobe, habe ich zumindest etwas zu erzählen. Und sie
hat meinen Blick geschärft: Ich hätte Rochus und
Renate gar nicht mitnehmen sollen. Ich muss bei allem
Vertrauensvorschuss besser filtern, darf in meinem Optimismus nicht auf
Besserung hoffen. Zumindest nicht bei Einhandseglern.
Von Richard erfahre ich, dass Martha in Grauhöft auf Grund
sitzt. Was sie unter Motor außerhalb des Fahrwassers zu
suchen hat, wird wohl nicht einmal Renate wissen. Es wird sich schon
irgendeine Motoryacht finden, die sie da wieder abbirgt. Aber sie kommt
nun bestenfalls eine weitere Stunde später an. Richard
möchte darauf nicht warten, aus dem Shuttle zum Bahnhof wird
nichts. „Ich an deiner Stelle würde auch nicht
warten“, beruhige ich sein Gewissen.
Martha trifft ein. Es gibt Hafenkino, bis ich eine Vorleine zu fassen
bekomme. Renate setzt auf die Ausrede, sie sei völlig durch
den Wind nach all der Aufregung. Als sie erfährt, dass Richard
schon losgefahren ist, ist sie stinksauer. Dabei nimmt ja jetzt einfach
Rochus sie mit, es ist also gar nichts los. Ich lasse die beiden stehen
und treffe Christian, der Jörg beim Vorbereiten von Heidis
Mast Gesellschaft leistet. Er drückt mir ein Bier in die Hand.
Meine Anspannung löst sich: Wir sind zurück, niemand
ist ertrunken, die Boote sind heil – welche Erleichterung.
Nur schnell noch warten, bis die beiden abgereist sind, dann ist es
ausgestanden.
Rochus schleicht sich an. „Du, mir ist da noch etwas
kaputtgegangen.“ Es geht, so stellt sich nach
umständlichen Worten heraus, um die Belegklampe fürs
Fockfall. Ich drücke Jörg mein Bier in die Hand,
springe auf Paula und wühle Werkzeug aus der Vorpiek.
„Wann hast du denn mal Zeit für die
Bootsübergabe?“, will Renate wissen. Rochus macht es
sich auf dem Aufbau bequem. Ich sage: „Ich habe hier jetzt
erstmal eine Baustelle. Ich möchte das in Ruhe reparieren.
Eure Boote gucke ich später durch. Dann seid ihr aber schon
nicht mehr hier, ihr müsst nämlich nicht darauf
warten.“
Rochus sagt: „Hach! Schön
war’s.“
Mein innerer Popocatepetl spuckt Glut und Asche. Ich fauche:
„Das Benzin und die Reparatur hier ziehe ich von der Kaution
ab – UND DAS WAR’S.“ Sogar Rochus merkt
jetzt, dass meine Stimmung nicht die beste ist, aber er versteht den
Grund nicht. „Passt mal auf hier“, schnaube ich,
„das gilt für euch beide: Ihr solltet nie wieder
einhand auf ein Segelfahrzeug steigen. Zu eurem eigenen Schutz. Das ist
echt gefährlich.“
Rochus
empört sich: „Was soll das denn jetzt? So geht man
nicht mit Menschen um!“ Renate will wissen, woran es ihr
hapert. Ich vergesse sofort wieder, was ihr antworte, und mache Rochus
darauf aufmerksam, dass ich noch heute morgen, am letzten Reisetag,
sein Boot ablegen musste. "Ja", sagt er, "ich hab das nicht geschafft."
In seiner Stimme liegt keine Spur von Problembewusstsein. "Siehst du",
antworte ich, "und das ist echt bedenklich."
Allein mit Oli und Martha fühlt sich alles schon viel besser
an. Die kaputte Klampe geht ab, ohne den halben Lack mitzunehmen. Nach
einer Dreiviertelstunde ist die Reparatur erledigt und das Werkzeug
verstaut. Sie können kommen, die neuen Gäste. Und vor
allem auch: Die Teilnehmer des Folkeboot-Treffens.
*Namen geändert
P.S.
Rochus schrieb mir im Nachgang noch eine Mail, die den Hinweis
enthielt: "Ich find auch[,] dass eine Klampe es aushalten
müsste,
falls man drauf tritt." Ich werde mir das gut einprägen
für den Fall, dass ich eines Tages in eine Schlägerei
gerate. Ich werde dann sagen: "Ich finde durchaus, dass eine Nase es
aushalten muss, wenn man draufschlägt."
weiter: "Das
war ne geile Wende"
zurück:
Der Frühling, der aus der Kälte kam