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Spielend Folkeboot segeln

Wir treiben aus dem Kongebro Havn und gehen die 200 Meter bis zur Brücke an. Drei (!) lustige (!!) Stunden nach dem Auslaufen sind wir da, wo wir hinwollen: Dicht am Nordufer, im flacheren Wasser kurz vor den Stegen, ist wie erwartet erheblich weniger Strömung. Wenn jetzt noch Wind kommt, haben eine realistische Chance, die Brücke zu passieren. Oh ja, Paula fährt nach all dem Rückwärt- und Seitwärtsstreiben endlich wieder geradeaus, aber es bleibt spannend, denn uiuiui der Wind ist ziemlich gegenannerig...

Es war zwar nicht geplant, aber ich kann das Motto der Woche durchaus genießen: Segeln als Spiel, mit täglich wechselnden Aufgaben auf dem Abenteuerspielplatz Lille Belt.

August 2022

Die neue Woche erweckt den Eindruck, das sonnige Hochdruckwetter bleibe, angereichert durch eine Spur mehr Wind. In der Dänischen Südsee zwei Wochen ziellos und unbeschwert hin und herzufahren, zuerst in Begleitung von Lovis, dann den Teilnehmern des Klinker Cup, war schön. Nun sehnen Paula und ich uns wieder nach „richtigem“ Segeln: Weit, lange, und mit einem Ziel. Middelfart ist eine tolle Stadt mit grandioser Lage an der Snævringen genannten Enge des Lille Belt. Die Häfen sind jeder auf seine Art Kacke, wobei ich den Kongebro Havn an der Bahnbrücke bisher nur vom Landweg kenne. Den wollen wir unbedingt als Liegeplatz ausprobieren. Und dann gilt es ja auch noch, auf dem richtigen Friedhof den Grabstein Thorkil Linds zu finden. Knapp sechzig Meilen sollten wir hin und zurück locker schaffen - der Plan steht.

Sonntagmorgen eine schnelle Einweisung, gegen zehn Uhr legen wir ab. Ich bin schon skeptischer: Heute ist schöner Wind, den es zu nutzen gilt, danach droht es flautig zu bleiben und gewittrig zu werden. Das spricht nicht unbedingt dafür, uns weit vom Ausgangspunkt Thurø zu entfernen - oder dafür, mein Durchhaltevermögen auf eine Probe zu stellen.

Mit reichlich Fockausbaumereinsatz segeln wir die 37 Meilen in die Ankerbucht von Torø Huse südlich von Assens. Der Anker bleibt sauber: Wir legen uns an einen der freistehenden Pfähle, die eigentlich für lokale Fischerboote gerammt wurden. Der erste Aufschießer gelingt fabelhaft, doch der Pfahl wackelt. Um den zweiten, solideren, zu erhaschen, brauchen wir zwei Anläufe. Ich bin fasziniert, wie zutraulich der Kormoran ist, der auf dem Pfahl seine Flügel trocknet - wir sind schon auf zwei Meter ran, er bleibt stoisch sitzen. Ich tobe nach vorne, um Paula anzubinden, als er sich doch zur Flucht entschließt. Sorry, Birdy, ich wollte dir nichts tun.

Am nächsten Morgen sitzt er da wieder und trocknet wie gewohnt seine Flügel. Die zwanzig Meilen bis Middelfart werden mühsam. Ich verbringe die Morgenbrise mit dem Abwasch, dann laufen wir aus und warten im Wesentlichen auf Wind. Mit vier Knoten um Baagø herum, dann sollte es eigentlich tierisch losgehen, doch die Flaute kommt von überall und nirgends. Die mitlaufende Strömung treibt uns voran, laut DMI haben wir gerade 4-5 aus Süd, doch wir kreuzen gegen eine superschwache Brise auf Fænø zu. Neben uns donnert es gewaltig.

Man weiß ja nie, was in so einer Gewitterbö drinsteckt, auch aus dem Stand. Ich hole bei brütender Hitze erstmal das Ölzeug hervor. Wind kommt auf, Westsüdwest ist keine schlechte Richtung. Keine Blitze bisher, Paula nimmt Fahrt auf. Alle Anderen motoren, die Einen wegen der Flaute, die Anderen wegen des Gewitters und der Sicherheit. Hinter uns setzt jemand eben jetzt die Segel, während ich darüber nachdenke, das Groß zu bergen. Wegen der Sicherheit.

Als wir die Kongebro, die Eisenbahnbrücke vor Middelfart, in Sicht haben, setzt der Regen ein. Immer noch keine Blitze, Wind vier bis fünf und nicht mehr. Es wird auch nicht mehr. Die Gewitterwolke spült uns entspannt in den Hafen. Kongebro: Klein, wenig freie Plätze, natürlich finden wir einen passigen. Als Erstes entdecke ich winkend Lusi und Lisbeth, die Drachen-Spækhugger- Kombination, zuletzt gesehen bei Pommerys Einweihungsparty ihres neuen Liegeplatzes in Marstal. Zwei gemeinsam segelnde junge Pärchen, das ist großartig, und ich nehme gerne die Einladung zum Anlegebier an, während der Regen langsam aufhört und die Sonne wieder für brütende Hitze sorgt.

Ich muss aber noch schnell in die Stadt, sonst gibt es kein Abendessen. Die Häfen von Middelfart: Der Yachthafen im Süden ist riesig, weit abgelegen und fürchterlich. Der Gamle Havn ist unruhig und ständig überfüllt. Der Nyhavn am ehemaligen Standort der Lindwerft ist überteuert, landseitig laut, architektonisch eine Schande und nicht empfehlenswert. Auxh Kongebro hat diverse Nachteile: Wenig Plätze, hab ich ja schon gesagt. Es sind eineinhalb Kilometer bis zum Supermarkt, dem riesigen Kwickly auf Höhe des Nyhavn. Das ist aber ein durchaus schöner Weg, zunächst durch den angenehm kühlen Wald zur Museumswerft, dann  am Ufer entlang durch die Stadt. Zurück im Hafen höre ich, ja, die Züge, doch sie klingen nach klimaverträglicher, zeitgemäßer Fortbewegung und fabelhafter dänischer Ingenieurskunst. Man hört auch die Autobahn eine Brücke weiter, wie überall in Middelfart, wenn der Wind den Verkehrslärm nicht nach Fredericia vertreibt. Es läuft auch Dampferschwell in den Hafen, aber selbst bei einem größeren Frachter ist das erstaunlich moderat. Fast bleibt das Nobelhotel der größte Störfaktor, aber dort kehrt lange vor Bettchenzeit Ruhe ein. Fazit: Bester Hafen weit und breit.

Zwischen der Stadt und der Kongebro liegt der Westfriedhof, den Erik und ich letztes Jahr nach dem Grab des Bootsbaumeisters absuchten. Inzwischen weiß ich: Seine Urne ist auf dem Südfriedhof bestattet. Ein morgendlicher Rundgang dort lässt mich sogar die im Gestrüpp entsorgten, nicht länger benötigten Grabsteine begutachten, doch den Meister finde ich nicht. Mein Verdacht: Siebzehn Jahre nach seinem Tod ist die Grabstätte aufgegeben, eingeebnet und von Gras überwuchert. Oder ich habe nicht genau genug hingeguckt, weil mir schien, wir sollten bei beharrlichem Schwachwind endlich lossegeln, um rechtzeitig zum nächsten Crewwechsel in Thurø zu sein. Hanno & Co. haben auch den Wetterbericht studiert und beschlossen, erst nachmittags auszulaufen. Ich finde, wir wagen den Versuch, einen Vorsprung herauszusegeln. Und so wird es höchst spannend.

Kein Wind im hinter Bäumen supergeschützten Hafen. Eine schwache Neerströmung direkt vor der Haustür westwärts, während klar zu erkennen ist, dass die Hauptströmung im Fahrwasser ostwärts läuft. Wir legen ab, setzen Segel und treiben....nirgendwohin. Womöglich könnten wir direkt am Ufer in flachem Wasser durch die kaum zweihundert Meter entfernte Brücke treiben, doch es würde uns wenig nützen, denn wir müssten irgendwann mal vom Ufer weg und würden dann in der Hauptströmung zurück Richtung Brücke vertreiben. Nein nein, was wir brauchen ist Wind, und den suche ich weiter in der Mitte. Meine Idee ist, dass am gegenüberliegenden Nordufer der meiste Wind und die schwächste Strömung zu erwarten ist, und da wollen wir hin, ohne allzuweit nach Osten zu vertreiben.

Wie soll man sagen? Ankern wäre schneller. Wir segeln schlicht und einfach rückwärts. Zur Fahrwassermitte hin ist vielleicht eine Spur mehr Wind, aber auch eine Spur stärkerer Strom. Tapfer, aber hilflos, trotzen wir dem eine Weile und grämen uns nicht, dass wir erheblich hinter den Hafen zurückfallen. Wind kommt auf.

Viel brauchen wir nicht, die Strömung ist nur ein Knoten, auf einmal segelt Paula beinahe dahin, wohin die Bugspitze zeigt. Eine Stunde lang haben wir uns von der Brücke entfernt, nun kommen wir näher. Und näher. Und näher. Am Nordufer segelt eine einzige Yacht, der Rest motort oder wartet ab, sie kommt wahrhaftig durch. Ich denke schon an das, was uns jenseits der Brücke erwartet, dort brauchen wir ebenfalls Wind, doch ich sehe kein Gekräusel, was mich skeptisch macht. Egal, wir nähern uns, nähern uns....nicht mehr, denn kaum haben wir die Hafeneinfahrt querab, ist das Windfeld vorbei, und wir treiben wieder zurück in Richtung des ungeliebten Nyhavn.

Am Südufer vor dem Wald geht eine Yacht Anker auf, die eben noch mit dem Bug nach Osten in der Neerströmung lag. Sollen wir das nochmal versuchen? Ohne Wind treiben? Die Brise kommt, wir segeln grobe Richtung Hafen. Und wir segeln richtig toll, bis zu zwei Knoten über Grund! In die Neerströmung, so es sie denn gibt, schaffen wir es nicht, so viel Höhe können wir nicht laufen, doch alternativ nehmen wir Kurs auf die Brücke, südlichstes Segement, reichlich Gekräusel um den Pfeiler, und ja ja ja wir sind....unter der Brücke! Komm schon, ein hilfreiche Bö noch, dann... - Die Segel fallen ein, wir treiben wie gehabt zurück.

Klar könnte ich den Motor starten wie alle Anderen. Aber wozu? Solange jenseits der Brücke auch kein Wind ist, wäre dann die Frage zu stellen, wohin wir motoren wollen. Ich bin hier zum Segeln. Wenn das mangels Wind den ganzen Tag nicht geht, würde ich notfalls zurück zum Kongebro Havn motoren, unser Liegeplatz ist ja noch frei, das kann ich die ganze Zeit gut beobachten. Aber mir gefällt dieses Spiel - wir haben eine Aufgabe bekommen, und wir versuchen sie zu lösen.

Also nochmal: Richtung Nordufer, ohne allzuweit nach Osten zu vertreiben. Inzwischen ist Mittag und reichlich Verkehr, erstaunlicherweise motoren uns die meisten Yachten entgegen, wo die doch bei einem guten Knoten mitlaufender Strömung wunderbar segekn könnten. Mir fehlt das Verständnis für das, was sie tun, und vermutlich gilt das umgekehrt genauso. Wir arbeiten uns rüber entlang der Brücke. Ein Brischen. Ich würde jedes Brischen nutzen, auch eine Gewitterbö. Vor Stunden hat in Bagenkop ein Schauer Erik zum Weiterschlafen animiert hat. Seitdem ist er nordwärts gezogen, dann hat er sich verbraucht und aufgelöst. Und dennoch: Wir erreichen das Nordufer in Reichweite der Brücke, nehmen die gewaltige Fahrt von einem guten Knoten über Grund auf und segeln....hinein....drunter....weiter....und schließlich: Hindurch!!!! Hurra!!! Ihr ganzen Motorsegler könnt überhaupt nicht verstehen, was hier gerade passiert ist. Drei Stunden probiert, gehofft, gelauert, dann erfolgreich zugeschlagen - wer sich knifflige seglerische Aufgaben stellt, muss Zeit für Lernprozesse einplanen. Und auch geduldig auf Wind warten.

Zur Belohnung bekommen wir Südwest 4-5, das hat DMI nicht angekündigt, es war von einem insgesamt flautigen Dödeltag auszugehen. In kürzester Zeit kreuzen wir das ganze restliche Snævringen auf und nehmen Kurs auf Bågo. Als wir dort um siebzehn Uhr ankommen, pustet es gerade mit 5-6 aus Süd. Ein kleiner, erkennbar recht voller Hafen ohne Windabdeckung bei diesem unangekündigten Wind - nicht mit uns. Das wäre totaler Blödsinn. Ursprünglich hatten wir un für heute Kalvø in der Genner Bugt vorgenommen, das ich schon mehreren Leuten empfohlen habe, weil andere Leute es als so schön und idyllisch beschrieben haben, aber heute wäre das zu weit und bei überwiegend Südwest unerreichbar gewesen. Auf Bågø war ich länger nicht mehr und weiß, es ist nett dort, aber nun geht es nicht. Also erkunden wir einen neuen Hafen und segeln nach Assens.

Fieses, finsteres Assens - aus den unterschiedlichsten Gründen haben mir diverse Leute von diesem Ziel abngeraten. Also war ich nie hier und wollte nie hin. Jetzt brauchen wir einen großen Hafen, wo man in Ruhe die Fock bergen kann, ihn in Ruhe aufkreuzen und Fahrt abbauen kann und zuverlässig einen erträglichen Liegeplatz findet. Diese Bedingungen werden komplett erfüllt. Ansonsten ist es fürchterlich. Der Ort ist um den riesigen Hafen herum geschätzte drei Kilometer entfernt, das Provinznest dürfte den Aufwand kaum lohnen. Wir liegen am Wohnmobilstellplatz einer Kommerzmarina ohne Charme, mit der auf meine Kosten Geld verdient werden soll. Deutsche Charteryachten, zackige Kommandos und Streitgespräche in sächsischer Mundart, bieten ein bisschen Hafenkino, doch die spektakuläre Ramming bleibt aus, weil sie es langsam und kontrolliert angehen. 

Vergessen wir Assens. Nächster Tag, nächstes Abenteuer: Wenig Wind, also wählen wir die Early Bird-Version und laufen um kurz nach fünf unter einem hübschen Sternenhimmel aus. Um Torø herum sausen wir mit fünf Knoten, dann pendelt es sich auf vier Knoten ein, während es hell wird - und dichter Nebel aufkommt. Zum Glück ist das Handynetz hier ganz gut, das Internet verrät, dass wir AIS-mäßig freie Bahn haben, was ich ganz beruhigend finde. Für zwei Stunden geht es gut voran mit dem Kompass als meinem besten Freund. Dann wird die Sicht besser und die Fahrt schlechter, und ich verbringe eine Stunde damit, mit Erik per SMS zu chatten, bis vorm Leuchtturm Helnæs die Brise ganz einschläft. Erik empfiehlt zu frühstücken.

Das Gekräusel nähert sich von hinten und erreicht uns nie, wir treiben in der Strömung vor ihm weg. Irgendwann ist dann doch wieder Wind, und wir nähern uns beharrlich Lyø. Spækhugger und Drachen ankern im Päckchen an der Trille - sie kommen später in Erwartung nächtlichen Schietwetters in den Hafen. Wir sausen mit Vollzeug rein und finden eine freie Box - die Hauptsaison ist vorbei. Das Hafenkino ist gewohnt großartig: Letzte Woche waren hier ja Leute auf der Suche nach Benzin, nachdem sie ihr Schlauchboot auf dem Weg vom Ankerplatz zum Hafen trockengefahren hatten. Jetzt schleppt ein Segelboot eine recht große, stählerne Motoryacht in den Hafen, auf der die Elektrik und somit der Antrieb ausgefallen ist. Zwischendurch hat das wohl durchaus zu kokeln angefangen. Ich gehe erstmal zu Anne-Mette zum Einkaufen.

Morgens bein Ablegen geht das Hafenkino weiter, aber ich möchte nicht spotten. Paula und ich kreuzen aus dem Hafen, denn es ist zunächst Nordwind. Lisbeth und Lusi wollen in den Gamle Havn, wir haben grobe Richtung Svendborg geplant, und je länger ich darüber nachdenke, desto sinnvoller erscheint mir Drejø. Auf Höhe Avernakø Yachthafen dreht der Wind auf Ost, wir kreuzen, und Lusi kommt auf. Während der Wind allmählich schwächelt und Lisbeth sich beharrlich nähert, wählt Lusi einen anspruchsvollen Weg zwischen den Flachs hindurch - wir halten uns konservativ an die grüne Tonne vor Nakkeodde, von der aus ich den Kurs zum Gamle Havn kenne. Segeln können wir ihn zunächst nicht - der Wind schläft komplett ein. Kurz vor der Tonne überholt uns die Spækhugger und segelt erstaunlich lange weiter, während Paula längst auf der Stelle treibt.

Kein Wind, keine Strömung, keine Fahrt, und zu tiefes Wasser zum Ankern - ich flüchte vor der Knallsonne in die Koje. Gucke nach zehn Minuten nach dem Rechten, lege mich wieder hin. Und schlafe prompt ein. Paula weckt mich eine Stunde später, als sie mit dem einsetzenden Westwind wieder in Gang kommt. Bevor ich das Ruder übernehme, fährt sie einen sinnvollen Kurs. Als ich an der Pinne bin, im Halbschlaf nur mäßig orientiert, irritiert es mich, dass das Seegras um uns herum bis kurz unter die Wasseroberfläche wuchert. Sekunden später kommen wir fest.

Mit einem Knoten festzukommen, bedeutet aber nur, dass ich das Ruder richtig fixieren und mich am Want ein bisschen rauslehnen muss, schon segelt Paula sich wieder frei. Vor uns birgt Lisbeth die Segel und tuckert gaanz langsam auf den Hafen zu - bei einem Meter vierzig Tiefgang ist die Ansteuerung eines Hafens mit 1,20m Solltiefe ein Wagnis. Was auf Lusi passiert, kann ich kaum erkennen - die hätten es beinahe vor der Flaute ans Ziel geschafft, sind aber in richtig flachem Wasser verhungert. Den Außenborder haben sie gar nicht erst mit, was ich erfreulich konsequent finde. Als wir alle im Gamle Havn liegen, spendiere ich erstmal eine Runde Bier aus dem Kühlschrank des Clubheims.

Abendliche Prognose für Freitag: Nord (schlecht, weil in der schmalen Rinne genau gegenan), ostdrehend (schlecht, man müsste nach der Rinne Richtung Svendborg kreuzen), gefolgt von Flaute (schlecht, davon hatten wir in den letzten Tagen genug) und schwachem West (gut, aber vermutliich zu spät, um in Svendborg Besorgungen zu erledigen und dann rechtzeitig vor den neuen Gästen Thurø zu erreichen). Morgendliches update: Ganztägig Nordwind. In den Nuancen ist aktuell NNNE, vielleicht aus 15°, damit können wir den Sollkurs von 340° locker laufen, aber ein Winddreher auf 340° steht unmittelbar bevor. Ich habe es richtig eilig: In wenigen Minuten Zähne putzen, unerledigten Abwasch sicher verstauen, Segel auspacken, Fallen anschlagen....zu spät: Als ich das Groß setze, hat die Drehung bereits stattgefunden, und wir stehen in der Hafenausfahrt im Wind.

Ob ein Folkeboot eine zehn Meter schmale Rinne bei Wind genau gegenan aufkreuzen kann? Zwei Schläge fahren wir zu weit aus und hängen kurz fest, aber Paula schafft es. Wir brauchen bei zwei Windstärken eine Dreiviertelstunde für die halbe Meile und sind gut zufrieden mit unserem Vormittagsprogramm. Nach all der Gluthitze der letzten Tage sind bedeckter Himmel und ein melancholisches Grau-in-Grau gar nicht unwillkommen. Und gegen Mittag erreichen wir Svendborg, wo ich mich mit einem vollgekritzelten Einkaufszettel zu Føtex begebe.

Der Wind schläft ein, die Strömung spült uns nach Thurø. Oli und Salty sind schon da, bereit für die nächsten Gäste, und ich blicke zurück auf eine Woche voller Abenteuer. Nochmal sieben Tage Südsee stehen an, danach der Rückweg zur Schlei.

Weil das Wetter sommerlich bleibt wie selten, wir weiterhin unternehmungslustig sind wie noch nie, und weil die anstehende Ostlage es hinsichtlich eines fluffigen Rückwegs nahelegt, gucken wir nochmal im Smålands Fahrwasser nach dem Rechten. Dort ist im Juli eine Baustelle offengeblieben: Der Naturhafen bzw. Ankerplatz Dybsø Havn. Dort wollten wir unbedingt gemeinsam mit Frieda ankern, doch es passte mit dem Wind nicht, also ankerten wir woanders und segelten vorbei, und ich darf vorwegnehmen: Gut, dass ich Frieda nicht zu diesem Abenteuer verdonnert habe.

Dybsø ist eine Insel der südseeländischen Doppelküste, ein paar Meilen südlich von Karrebæksminde, unmittelbar südlich von Enø, überlappend mit der Halbinsel Svinø und dicht nördlich der fingerartigen Halbinsel Knudshoved. Zwischen Enø, Dybsø und Svinø tut sich der weite, seichte Dybsø Fjord auf. Dybsø hat offiziell einen Einwohner, von dem ich vermute, dass er nicht dort wohnt, sondern sich regelmäßig um das Wohlergehen des einzigen Hauses und der Schafe kümmert.

In der Seekarte des NV-Verlags ist Dybsø Havn kommentarlos mit einem Ankersymbol gekennzeichnet, im Hafenhandbuch wird es nicht erwähnt. Es gibt eine Zufahrt zum vorgeschlagenen Ankerplatz, die durchgängig mindestens zwei Meter tief sein muss, aber der genaue Verlauf ist weder betonnt oder sonstwie markiert, noch lässt er sich ohne detailierteren Maßstab hinreichend genau aus der Karte abzirkeln. Es gibt auch einen Svinø Havn, drei Stege mit einem Meter Solltiefe, für uns nicht erreichbar. Wikipedia verrät: Der Sund zwischen Dybsø und Svinø ist fünfzig Meter schmal und bis zu sechs Meter tief. Google Earth zeigt die eine oder andere hinderliche Sandbank, die Seekarte außerdem listige Steine beiderseits der Einfahrt. Hier liegt eindeutig eine Barre, überwiegend flach und steinig; an der richtigen Stelle kommen wir wahrscheinlich gerade so drüber.

Über Agersø und Bisserup segeln wir hin. Soll man da rein? Können wir? Trauen wir uns? Ich habe noch einen Joker: Den „Hafenguide Dänemark und Südwestschweden“ von Per Hotvedt, einem Norweger, der ein umfangreiches Ringbuch mit Informationen zu so ziemlich jedem Schluck Wasser zusammengetragen hat. Nur in diesem Werk ist der Naturhafen beschrieben, also stürze ich mich gierig auf die Informationen: Luftbild, Skizze, Text. Dort steht: „Die Einsteuerung bereitet keine Schwierigkeiten, selbst wenn sie auf der Karte eventuell etwas kompliziert wirken mag. Halten Sie sicheren Abstand zu den Steinen entlang des Ufers, besonders besonders an Sønderhoved, der Südspitze von Dybsø, wo sich die Untiefen bis zu 50-60 m weit ins Meer hinaus erstrecken. Sicher in den Kanal eingelaufen, halten Sie sich in der Mitte des Gewässers, wie auf dem großen Bild ersichtlich.“

Um es zusammenzufassen: Es gibt einen Weg mit ausreichender Wassertiefe. Festkommen ist leichter, als diesen Weg auf Anhieb finden. Und: Wenn man dem „Hafenguide“ vertraut. kommt man auf jeden Fall fest. Denn man darf sich an keiner Stelle in der Mitte halten! Das tiefe Wasser ist an der Barre dichter an Svinø, im Sund dann dicht an Dybsø.

Es ist wirklich schön hier. Aber würde ich nochmal herkommen? Immerhin weiß ich jetzt mehr als vorher - aber nachdem wir beim Einlaufen und erneut beim Auslaufen festgekommen sind, mit reichlich Außenborderschub und erzwungenem Badespaß, stimmt mich das skeptisch. Zumindest bin ich froh, nicht auch gleich noch die Charterboote in dieses Verderben gelotst zu haben. Neulich im Nebel sahen die Spinnennetze am Außenborder mit all den Tropfen so hübsch aus. Jetzt leistet der treue Freund am Heck ohne Murren gute Dienste. Und das Baden...freiwillig springe ich niemals ins Wasser, aber wenn es der guten Sache dient, ich zu Fuß das tiefere Wasser finde und den Vorsteven in die entsprechende richtige Richtung schiebe, macht es mir erstaunlich viel Laune. Trotzdem komme ich mir vor wie ein Segelanfänger in der vollen Unbeholfenheit seiner ersten Saison.

Per Hotvedt kann bei nüchterner Betrachtung keine 1500 Häfen und Ankerplätze selbst ausgiebig erkundet haben - sein Buch dürfte eher dem Prinzip der stillen Post folgen. Das ist ein echtes Manko. Der anschließende Segeltag ist auch nicht viel besser: Statt Südost 4-5 haben wir Ost 2-3 und fürchterliches Rollen in einer nervigen Dünung. Als wir doch noch den passenden Wind zur Welle kriegen, sind wir recht zügig in Omø, wo ich vor vierzehn Jahren das letzte Mal war. Immer noch ganz nett hier, ich werde mir aber einprägen, dass die Boxen viel zu kurz sind für heutige Yachten - selbst Paulas Propeller ragt ein Stück raus. Außschießer an einen beliebigen Pfahl wird also in der Hauptsaison misslingen oder zumindest extrem schwierig. Jetzt ist aber reichlich Platz, und es gibt tatsächlich schmale Boxen, wo wir, und wirklich nur wir, gerade so eben hineinpassen.

Ein letztes Crewwechselwochenende im gemütlichen Sejlklub, dann verabschiede ich mich von Thurø und vom Sommer, und wir kehren zurück an die Schlei. Natürlich nicht, ohne noch in Aerøskøbing den obligatorischen Zitronenkuchen einzupacken und auf Barsø die auch dieses Jahr vorzüglichen Brombeeren zu pflücken. Eine Erkundungstour muss auch noch sein: Zuerst gucken wir uns Kalvø an - dort war ich erstaunlicherweise noch nie, obwohl jeder sagt, es sei schön da, und ich es auch immer wieder Gästen empfehle. Aber wenn Paula und ich hinwollen, ist immer entweder frühzeitig Flaute oder tüchtig Ostwind, und dann scheint es mir nicht zielführend, dort anzulegen. So auch diesmal - bei Nordost verbringen wir die Nacht lieber in Barsø, allein schon wegen der Brombeeren.

Morgens machen wir den kurzen Abstecher in die Genner Bugt und gelangen zu dem Fazit: Schön hier, aber es ist mir zu voll und zu böig im engen Hafen, um anzulegen und mich umzusehen. Bei schwächerem Nordost als diesem hier mit sechser Böen könnte man es durchaus wagen und auch ruhig liegen.  Der Approach ist einfach, rote Spieren markieren die Untiefen. Nächstes Mal dann, heute drehen wir ab und schließen eine andere Bildungslücke: Stevning Nor im Als Fjord, eben nördlich der Einfahrt zum Augustenborg Fjord.

Beim Reinkreuzen fällt auf: Reichlich Platz und Wassertiefe, am Nordufer sorgen zuerst die Bäume für bunte Turbulenzen, und dann wird es rapide flach, zackiges Wenden ist gefragt. Der Hafen selbst ist gut belegt mit einheimischen Motorbooten und anscheinend ein Geheimtipp auf der deutschen Seite der Flensburger Förde. Es wäre ruhig hier, wenn die nicht so laut quatschen würden, und die Landschaft ist vielleicht kein Traum, aber lieblich und gefällig. Wochenends geht das hier sicher so zu wie in Schleimünde. Unter der Woche ist es eine tolle Alternative zu Sottrupskov, Mjels Vig, Sønderborg oder Ankern im Als Sund - aber nur bei nördlichem bis östlichem Wind. Plan erfüllt, jetzt können wir zurück zur Schlei.



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