Paulas Törnberichte | ||||||
Viele
kleine Boote
Paula ankert in einem Nichts zwischen Birkholm und Strynø.
Die nächste Insel, nicht mehr als eine grasbewachsene,
mückenumschwärmte Sandbank namens Vogtholm, ist
vielleicht zweihundert Meter entfernt. Auf Taasinge drehen die
Windmühlen in Zeitlupe. Daunen sich mausernder
Schwäne treiben vorbei. Die tiefstehende Sonne taucht die
Szenerie in sattes Gelb. Ich höre Musik und komme zur Ruhe.
Als die Sonne hinter Hjortø untergeht, erhebt sich
über Strynø der Vollmond. In dieser entlegenen
Einsamkeit kann ich mich am besten dem Thema widmen: Segeln mit vielen
Menschen und mehreren kleinen Booten.
August 2022
Als wir auf dem Weg nach Schweden auf Anholt
Station
machten, sprach mich ein fröhlicher Rheinländer an:
„Folkeboot?“ Ich nickte, er zeigte sich beeindruckt
von
unserem Anlegen ohne Motor, obwohl er die Platzsuchaktion gar nicht
mitbekommen hatte. Dann gab er zu: „Als wir dich da ganz
allein
anlegen sahen, dachten wir, das macht doch keinen Sinn. Aber als dann
die anderen Boote kamen - da sagten wir: Ja! Das macht Sinn!“
Auf unseren Flottillentörns zelebriere ich das ja schon lange,
dieses Segeln mit kleiner Crew auf kleinem Boot innerhalb einer Gruppe
Gleichgesinnter - um Längen besser, als die gleichen Leute auf
eine große Yacht zu sperren, wo einer Ruder geht und ein
zweiter
sich um die Navigation kümmert, während der Rest sich
langweilt und auf die Nerven geht. Wir finden in großen,
vollen
Häfen immer noch einen Platz, können aber auch die
kleinsten
und engsten, gemütlichsten und flachgründigsten
anlaufen. Und
so weiter. Und immer ist die Gruppe, die Gesellschaft, die Geselligkeit
in Reichweite, ohne sich aufzudrängen oder zum Zwang zu
werden.
Das ist aber nicht unser Privileg - Andere machen das auch so. Und ich
finde, sie machen es genau richtig, und gerne bin ich ein Teil dieser
Community. Nach sechs Wochen Dienstreise am Stück
können
Paula und ich gut ein bisschen Füßehochlegen in der
Dänischen Südsee vertragen, und wie ginge das besser,
als
sich an Lovis anhängen? Sie liegt mit Pommery in Korshavn, das
schaffen wir locker am Samstagnachmittag, und weil Erik immer
für
einen Spaß zu haben ist und Henri und Anja gerne baden gehen,
schwimmen die drei uns entgegen, Erik schnappt sich eine Vorleine,
gemeinsam ziehen sie Paula auf ihren Liegeplatz neben Lovis. Grillkohle
und Fleisch haben sie auch schon besorgt, ich muss mich um nichts
kümmern. Nichtmal um die Törnplanung des
nächsten Tages.
Weil Korhavn so schön und der Wind ein bisschen böig
ist,
bleiben wir einfach da.
Erik muss dann aber nochmal zur Arbeit. Lovis und Paula segeln
zurück nach Thurø, wo wir gerade herkamen, weil ich
das so
hoch gelobt habe. Von dort kreuzen wir nach Strynø, um
weitere
Freunde zu treffen. Dann erneut nach Korhavn. Spätes Auslaufen
und
wenig Wind gegenan bedeuten, dass wir tunlichst die kürzeste
Strecke wählen sollen - Paula lotst Lovis nördlich um
Strynø herum zur Südostecke von Taasinge, wo eine
enge,
unbetonnte Rinne allemal tief genug ist, sofern man sie findet.
Thorsten sagt, hätte er uns nicht hinterhersegeln
können,
wäre er umgekehrt - Paula spielt ihre beliebte Rolle als
Lotsenboot.
Zwischendurch erfahre ich: Die Kinder, Henri und Paula,
liebäugeln
mit einem Juniorboot oder etwas Ähnlichem, um künftig
die
Eltern auf eigenem Kiel zu begleiten. Eine befreundete Familie - Lucky
läuft im Laufe des Nachmittags ein - praktiziert das bereits:
Der
Sohn hat einen Drachen, Tochter und Freund nutzen den 15er
Mälarkreuzer, den Papa sich zum Einhandsegeln gekauft hat, die
Eltern verbringen den Urlaub auf dem M30. Wenn sie gemeinsam unterwegs
sind, wird auf dem Großen ein Reff eingebunden, um nicht
soooo
viel schneller zu sein. Es muss aber nicht gemeinsam gesegelt werden,
und das ist der Clou. Diesmal treffen wir Stefan und Birthe allein. Der
Drachen segelt gerne mit einer befreundeten Spækhugger, zwei
junge Pärchen, zuletzt gesichtet bei Pommerys Einweihungsparty
am
neuen Liegeplatz in Marstal. Wir werden sie im Laufe des Sommers noch
treffen.
Wir treffen auch Lispeltute, eine kleine Plastikkiste aus Arnis. Die
liebenswertesten aller Stegnachbarn sind auch mit Freunden unterwegs
und ankern in der Bucht. Ihre Urlaube sind zeitlich versetzt, sie haben
sich irgendwo verabredet und verbringen jetzt ein bisschen Zeit
gemeinsam. Die elfjährige Hannah rudert Kinder und Erwachsene
nach
und nach mit dem Schlauchboot an Land. Unser Tisch füllt sich,
es
wird ein rundum gelungener Abend.
Ich bedauere, Lovis-Paula nicht gesehen zu haben. Die hat dieses Jahr
nur eine Woche segeln wollen, um danach alleine zu Hause ihr eigenes
Programm zu gestalten - mit sechzehn darf und soll man das.
Wäre
sie von Svendborg mit der Bahn abgereist, hätten wir uns
bestimmt
getroffen. Aber es ergab sich vom Gamle Havn eine Mitsegelgelegenheit
an die Schlei und von dort im Auto nach Kiel - und Lispeltutes Freunde
waren dabei und kennen die Geschichte. Ich blicke längst nicht
mehr durch, wer hier wen wo wie flüchtig kennengelernt hat,
aber
gerade deshalb ist der Kleinbootsommer in der Südsee so
sympathisch: Wir leben im Hier und Jetzt wie Kinder, die ad hoc
gemeinsam Spaß haben können, ohne erst den
politischen
Hintergrund abzuchecken. Wobei ich vermute, dass der
einigermaßen
passt.
M15 und M30, Drachen und Spækhugger haben natürlich
immer
das Problem unterschiedlicher Schnelligkeit. Am lehrreichsten,
lustigsten und faszinierendsten ist es, wenn man mit identischen Booten
unterwegs ist. Um das auf die Spitze zu treiben, liud Michael zu einem
Treffen mitten in der Saison in Faldsled ein. Paula und ich mussten
zunächst kurz nach Thurø zum Crewwechsel, wobei ich
diesen
Sommer verwöhnt bin von vielen Wiederkehrern, die kaun
Einweisung
brauchen, und reichlich Zweiwochenbuchungen, die den Aufwand pro
Samstag erheblich reduzieren. Am Sonntag kreuzen wir die 31 Meilen nach
Faldsled und treffen Lovis wieder, aber auch eine ganze Reihe
liebenswert-schrulliger Folkebootsegler, die ich alle von diversen
Folkeboottreffen kenne. Ein solches Event mitten im Sommer ist allemal
eine gute Idee, sehen wir uns doch insgesamt viel zu selten
für
all die gegenseitige Sympathie.
Michaels „Klinker-Cup“ getaufte Idee besteht
außerdem
darin, spielerisch Folkeboot zu segeln: Keine Regatta also, und dennoch
eine Abwechslung vom Hafenhopping oder trägen Herumlungern des
Fahrtensegelns. Zwei dänische und zehn deutsche Folkeboote
folgen
seinem Ruf nach Faldsled, jenem kleinen, gemütlichen. unter
normalen Umständen etwas langeweiligen Hafen in der
Helnæs
Bugt, den kaum jemand auf dem Radar hat, weil er abseits der
Standardrouten liegt. Für unser Programm bietet er ideale
Bedingungen: Direkt vor der Haustür liegen die Startlinie der
lokalen Mittwochsregatta und drei Kardinaltonnen, die sich prima nutzen
lassen für eine kurze, flexible Bahn. Der Wind ist insgesamt
flautig, dicht unter Land haben wir ab spätem Vormittag eine
hübsche Seebrise, die für unser Programm perfekt
geeignet
ist.
Das mit Abstand lustigste Spiel besteht darin, zwei Teams zu bilden,
von denen jedes einen Gejagten und drei Verfolger stellt. Die beiden
Gejagten starten mit einer Minute Vorsprung und dem Handicap eines
Treibankers. Aufgabe der Verfolger: Steine in den gegnerischen
Treibanker legen und das Boot so weiter verlangsamen. Es ist
faszinierend, wie Menschen, die bisher Wert auf großen
Sicherheitsabstand zum allem und jedem gelegt haben, plötzlich
so
fokussiert sind auf das Steineablegen, dass sie sich auf einen Meter
zum nächsten Boot herantrauen.
Auf der letzten der vier solchen Wettfahrten fahren Henri und Christian
auf Liv jede Menge Ausweichmanöver und kommen als
abgeschlagene
Zweite, aber mit nur einem einzigen Stein ins Ziel - es zeigt sich das
große, längst nicht ausgeschöpfte taktische
Potenzial
dieses Spiels, aber auch, dass die Regeln entsprechend angepasst werden
müssen. Punkte gibt es nämlich nur für den
Zieldurchlauf, und letztlich interessiert das niemanden. Leider ist
danach das Tagesprogramm auch schon zuende. Der zweite Tag
verläuft ähnlich.
Man könnte fragen: Braucht man das? Wieviel Sinn macht es,
eine
Stunde lang im Kreis zu segeln und in regelmäßigen
Abständen einen Ring auf eine Stange zu werfen, bis alle Ringe
aufgebraucht sind? Haben die, die nicht hier sind, etwas verpasst? Auf
jeden Fall ist es kurzweilig und macht Spaß. Vor allem ist es
ein
Anlass, mitten in der Saison Freunde und gute Bekannte zu treffen. Oder
überhaupt erst kennenzulernen, mit dem F im Segel als
Ausgangspunkt.
Am Mittwochmorgen haben dann wohl alle genug gespielt. Es regt sich
Aufbruchstimmung. Prognose: Schwach umlaufend - das neun Meilen
entfernte Lyø ist das naheliegende, halbwegs realistsische
Ziel.
Der gemeinsame Weg dorthiin ist der eigentliche Höhepunkt des
Klinker Cup: Zehn Folkeboote folgen der Seebrise und segeln von
Gekräusel zu Gekräusel.
Wäre man unter diesen Bedingungen alleine unterwegs,
würde
man meinen, bei einem Knoten käme es nicht so drauf an,
würde
gemütlich treiben, bis Langeweile aufkommt, und dann den Motor
starten, wie es alle Anderen in Sichtweite schon längst getan
haben. Nun sorgt die Gruppendynamik dafür, dass alle ernsthaft
versuchen, segelnd Lyø zu erreichen, und sie stellen fest:
Wenn
man nicht hoffnungslos zurückfallen will, muss man auf Zack
sein,
darf kein Windfeld auslassen, muss jede Brise antizipieren,
ständig die Segelstellung anpassen und den richtigen Kurs
wählen. „Wir hatten alle Hände voll zu
tun“,
sagten Arne und Detlef auf der Lill. Chrtistian und Liv segelten sich
ins Nirvana dicht an der Steilküste von Hornenæs.
Jesper und
Potemkin sind unübertreffliche Meister nicht nur des Trimms,
sondern auch des Erkennens von Windfelder und Situationen - sie
erteilten uns allen eine Lehrstunde. Es hätte aber auch anders
ausgehen können - die Brise, die sie nutzten, hatte ich auch
gesehen. Zu ihr zu kommen, bedeutete mächtig Höhe
laufen.
Meine Befürchtung war, dass das Höhelaufen bremst und
die
Brise, wenn wir die Stelle erreichen, eingeschlafen oder weitergezogen
sei oder gar ungünstig gedreht hätte.
Grundsätzlich
richtig: Zu dicht unter Land und zu weit draußen sind ganz
schlecht, bei Flaute müssen kurze Schläge gefahren
werden.
Phantastischerweise dreht der Wind im Laufe der sechs Stunden von
Nordwest über West auf Südost, ohne
vollständig
einzuscshlafen. Wir segeln immer hoch am Wind mit gelegentlichen
Holeschlägen.
Vormittags habe ich angekündigt, auf keinen Fall in den Hafen
von
Lyø einzulaufen. Ich wollte einfach nur weg und keinen mehr
sehen. Lyø in der Hauptsaison ist mein absolutes No-go. Vor
zwei
Jahren war ich hier mit Lene und Pommery und musste am Folgetag vor
ihnen flüchten, um ganz alleine der drohenden Depression
gerade
noch zu entgehen. Dass Lene Paula einen Platz an ihrer Seite
freigehalten hatte, den sich dann Pommery schnappte, habe ich nicht
vergessen.-
Ich habe jetzt aber auch keine bessere Idee -
ein sinnvoller Ankerplatz
war zu weit entfernt für diesen Wind, wenn man einkalkuliert,
dass
Ankern vor Lyø auch eher das Gegenteil von Einsamkeit
bedeutet.
Ich werde rebellisch. Wir sind ein bisschen hintenan - mir mangelt
Motivation, außerdem steht die neue Fock nicht gut, weil
schon
vier der Druckknöpfe kaputt sind. Trotz der schwachen Brise
setze
ich das Fall kräftig durch, das sieht schon besser aus, und
als
die die Sache ernster nehme und aktiv den besten Wind suche in finde,
holen wir gehörig auf und treffen gleichzeitig mit Pommery vor
der
Hafeneinfahrt ein.
Drinnen puzzelt sich gerade Lene als zweites Boot in eine ausreichend
freie Box. Unsere Chance! Pommery steht im Wind, Erik freut sich noch,
wieviel Fahrt sie dabei macht, aber dann bleibt sie stehen und treibt
an den Molenkopf. Erik birgt Segel, wir ziehen vorbei. Während
Erik noch wriggt, piekst Paula in Lenes Box, unsere Bugspitze an Lenes
Heck, zwei Vor- und zwei Achtersprings auf der Heckpfähle.
Paula
ragt vier Meter aus der Box, aber wir haben einen sicheren Platz mit
ebenerdigem Stegzugang über ein befreundetes Boot - und das
fühlt sich erheblich besser an, als über Angelboote
oder
fremde Yachten zu klettern. Später legt sich Lovis noch
außen quer an die Pfähle, Thorsten und Henri beutzen
Paula
und Lene als Ausstieg.
Alle finden irgendeinen Platz, dann bricht die Gruppe auf: Anlegebier
bei Anne-Mette. Anschließend Abendessen bei Anders in der
Gamle
Skole. Ich bleibe an Bord - das ist ein entscheidender Vorteil, wenn
die Gruppe sich über lauter kleine Boote verteilt: Man kann
sich
nach Lust und Bedürfnissen ins Getümmel
stürzen oder
komplett separieren. Christian liegt mit Liv draußen vor
Anker,
obwohl er weiß, dass es im Hafen ein improvisiertes
Plätzchen gäbe - auch er kann Geselligkeit nur in
wohldosierten Maßen genießen.
Für uns wird es Zeit für einen frühen
Aufbruch in die
Einsamkeit zwischen Strynø, Taasinge und Birkholm. Und
anschließend für den nächsten Crewwechsel
in
Thurø. Dort läuft gerade die dänische
Ylva-Meisterschaft. Das sind tolle, schnittige Boote aus den 70er und
80er, 89 wurden gebaut, dreißig davon sind hier.
„Det ser
hyggeligt ud“, sagt jemand, als er mich im Cockpit tippen
sieht.
weiter: Spielend
Folkeboot segeln
zurück: Kreuzfahrt
ins Smålands Fahrwasser