Folkeboote im Winterlager nicolas thon: fotografie -schreiben - segeln
Paula
Salty
Martha Frieda Oliese



Fit für die nächsten zwanzig Jahre - Winterarbeit 2018-19
Der Sommer endete am 21. September um 11 Uhr vormittags. Da kam nämlich die Kaltfront eines Sturmtiefs. Als sich die acht bis neun Windstärken verzogen, fiel das Wasser um einen Meter und die Temperatur um 10 Grad. Und ich dachte ernsthaft an ein baldiges Saisonende. 

Der Plan lautete: Ein Boot - nämlich Martha - ist das Hauptprojekt, an den anderen wird nur das Nötigste gemacht. Ließ sich nicht komplett durchhalten. Nicht zuletzt hatte der lange Zeit extrem trockene und heiße Sommer unschöne Spuren an Lukendeckeln und Schotts hinterlassen. Oliese und Frieda wurden endlich die ungeliebten Mastrutscherschienen los, also bekamen ihre Masten wieder schicke Göhls aus guter Hemlock-Tanne. Oli und Martha wünschten sich Reitbalken mit vernünftigem Traveller. Bei Martha wählten wir gleichwohl insgesamt die große Lösung...

 




Die ersten Arbeiten für den soften Einstieg noch im Hafen: Die Reitbalken. Dabei habe ich delaminierte bzw. perforierte Schlingen entdeckt und in Olieses Fall sofort ausgebessert. In Marthas Fall jedenfalls ausgebaut und Ersatz vorbereitet - ich kam dann nicht mehr weiter, als das Seitenteil des Hauptschotts im Wege war. Das ist mit der Außenhaut verschraubt bis unter die Wasserlinie. Als es damit also nicht weiterging, habe ich mich wieder den Masten zugewandt: Hülsen für die durchgebogenen Bolzen am Jumpbock, Metallrahmen für die ausgeschlagenen Scheibenkästen, hier und da ein bisschen Holz - und dann Baustopp, erst im Februar kam das Holz für die neue Göhl. Am meisten nach Baustelle sah zunächst Paula aus. Sie trug noch ein paar stählerne, ziemlich rostige Stevenbolzen mit sich herum, und ich konnte nicht widerstehen, sofort daran herumzufummeln.

Update 29. März
Huiuiui. Monatelang habe ich nicht mehr berichtet. Ihr ahnt schon woran das lag: Sehnlichst erwartetes Material - Marthas Kielbolzen und die Tanne für die Masten - ließ unerwartet lange auf sich warten, und als dann Anfang Februar beides gleichzeitig eintraf, sorgten eine gewisse zeitliche Dringlichkeit und ein ungeheurer Motivationsschub dafür, dass über vier oder fünf Wochen kein Arbeitstag unter zehn Stunden dauerte, die Woche aus sieben solcher Tage bestand, und ich abends beileibe keine Muße hatte, hübsche Geschichtchen darüber zu schreiben, sondern mich gedanklich lieber schonmal einstimmte auf die ersten Handgriffe am nächsten Morgen.

Wenn das nach selbstmitleidigem Gejammer klingt, habe ich es ungeschickt formuliert. Denn es war nichts Anderes als das winterliche Äquivalent zum Segeln. Im Sommer fühle ich mich unausgelastet, wenn ich keine zehn, zwölf Stunden an der Pinne sitzen darf. Und um in begrenzter Zeit ein ambitioniertes Ziel zu erreichen, muss man nunmal seine täglichen fünfzig Meilen schaffen, wenn der Wind günstig ist. Wo ich dieses Ziel anschaulich verorten soll - St. Petersburg, Bergen oder Firth of Forth - weiß ich nicht so recht. Jedenfalls sind wir angekommen: Nach gemütlichen Restarbeiten steht Martha schon im Hafen und betrachtet vom Trailer aus die leeren Stege. Die anderen Booten sind eingereiht, line up with the runway an hold sagt man in der Fliegerei, und warten auf Montag. Das wird ein aufregender, anstrengender Vormittag, den der Hafenmeister kommentierte, indem er sagte: "Is ja nur reinschmeißen..."

Winterarbeit früherer Jahre

Paula 


Kielnaht neu kalfaten, die letzten vier alten Stevenbolzen ersetzen, beharrlich blätternden Unterwasseranstrich zumindest in Teilbereichen erneuern - das klingt danach, dass ich Paula diesmal vorwiegend von unten sah. Bzw. von oben kopfüber in die Bilge. Das mit den Bolzen hat sich als nötig erwiesen, da war nicht mehr viel von nach. Die hinterste verbolzte Bodenwrange ließ sich ziemlich leicht entfernen, mit dem Stevenbolzen drin. Das war aber ein Blindbolzen, der einfach stramm in einem Loch im Stevenknie steckte. Zunächst schien es mir so, als sei er mitten im Stevenknie einfach abgerissen, doch die Suche nach dem Rest war erfolglos.  Weil ich dabei aber den Holzkiel ein Stück aufgeprokelt hatte, gibt es dort nun einen Spalt unterhalb der betreffenden Bodenwrange, und mit dem langen Bohrer traf ich genau diesen Spalt, so dass ich dort dem künftigen V4A-Bolzen eine schöne Mutter nebst U-Scheibe verpassen konnte - so bekommt das Gesamtwerk deutlich mehr halt.

Ein besonderes Abenteuer war die alte Mastspur. Sie bestand im Wesentlichen aus einem zwanzig Zentimeter hohen Kantholz auf dem Vorsteven. Das ist eine ziemlich unzulängliche Konstruktion, wir wollen ja die Riggkräfte in den Rumpf einleiten und nicht in den Steven, und eine solche Erhöhung sorgt auch noch für einen zusätzlichen Hebelarm. Im Zusammenhang mit dem Mastbruch damals habe ich Paula eine ordentliche Mastspur über die beiden benachbarten Bodenwrangen hinweg gebaut. Das ergab sich so, weil der neue Mast kürzer war. Die alte Konstruktion habe ich einfach gelassen, wie sie war, und seitdem nicht mehr angeguckt.

Nun interessierte mich aber doch die Herkunft des rostigen Wassers in der Bilge, also warf ich mal wieder einen Blick dorthin - und entdeckte vier rostige Bolzenenden. Es hätte mir genügt, die einfach zu entfernen, doch in diesem Zusammenhang hat das Wort "einfach" definitiv nichts verloren. Ausbohren? Der Rohrbohrer wühlt sich irgendwann in nassem Holz fest, wird die Späne nicht mehr los, sondern verstopft vom entstehenden Schlamm und kommt nicht mehr weiter. Nach diversen Experimenten war ein Stecheisen das Mittel der Wahl. Es sieht jetzt nicht mehr ganz so gut aus, nachdem es die Hälfte des Kantholzes in tausend Brocken zerlegen musste, bis die Blindbolzen freigelegt waren. Die andere Hälfte der alten Mastspur konnte ich dann einfach rausnehmen.

Doch die Bolzen blieben im Vorsteven stecken. Dessen Holz sah erstaunlich gesund aus, wenn man bedenkt, wie viel nasser Gammelkram jahrelang auf ihm gelegen hat, und so soll das auch bleiben, weswegen der rostige Stahl wegmusste. Nochmal überbohren, so weit es ging, danach habe ich zum dritten Mal die Hydraulikpumpe an Bord geschleppt und auf die Bolzen - oder sollte ich sie Rundstahl nennen? - erstmal schöne Gewinde geschnitten, auf die eine Augmutter passte, an der die Hydraulik dann ansetzen konnte. Hub für Hub, "Krrk Krrk Krrk", löste sich der ganze Mist.

Ich war: er-leich-tert!!!! Paula sagte: "Schön, wenn der Schmerz nachlässt." Friedas Kommentar: "Also, diesen Juckreiz kenne ich auch..."

Wir wollten aber ja nicht nur Alteisen entfernen und Eichenholz retten, sondern auch ein bisschen Leckagebeseitigung betreiben. Deshalb habe ich Dichtmasse und Kalfatbaumwolle aus Kielnaht und Sponungen komplett entfernt. Was darunter zum Vorschein kam, durfte bis Weihnachten ein bisschen trocknen. Die Geschenke lagen statt unterm Tannenbaum unter Paula, und es handelte sich um geliehene Kalfateisen, eine Spindel Baumwolle und zwei Kartuschen Tikalflex. Kalfaten ist eine schöne, traditionelle Arbeit, aber auch eine, nach der man seine Arme spürt... Immerhin hatte ich geübt, vor Paula war nämlich Salty mit ähnlichen Dingen an der Reihe.

Wie das ja so ist mit der jahrzehntelangen Interaktion rostigen Eisens mit Eichenholz: Ganz ohne Blessuren blieb das nicht, aber für richtig große Schäden waren wir noch rechtzeitig. Das unterste Stück des Achterstevens wirkte ziemlich geschunden und war beim Entfernen des Bolzens im Weg. Da ist jetzt ein neues Stück angeschäftet, und verkleben ließ es sich nur mit einer undurchschaubaren Hilfskonstruktion. Kreative Lösungen aus herumliegenden Brettern und Schraubzwingen habe ich echt liebgewonnen.

Der Rest war überwiegend Lackieren. Jahr für Jahr habe ich ein Händchen dafür, mich zielstrebig zuerst auf Paulas Aufbaufront zu stürzen, beim Eintauchen des Pinsels schon zu merken, dass der Lack wesentlich zu zäh ist für die Temperatur, und es dann gründlich zu verhunzen. Wir werden das in Zukunft anders machen: Bei vier Grad braucht der Lack einen extra Spritzer Terpentinersatz, und wenn das ganze Verdünnen zu einer zu geringen Schichtdicke führt, male ich lieber entspannt und fröhlich eine dritte Schicht, als mich durch zwei quarkig-zähe Schichten zu quälen. Wir haben uns dann aber auch über künftige Designveränderungen ausgetauscht, denn Paula und ich waren uns einig, dass sie jetzt lange genug mit dem grauen Freibord rumgefahren ist. Wir haben dann mal Oli's Beauty Palace konsultiert, und herausgekommen ist, dass Paula jetzt schon an ihrem Ruderblatt schon die Sommermode 2020 präsentiert.





Salty

Salty machte ein bisschen viel Wasser. Unschätzbarer Vorteil des trockenen Wetters: Es ließ sich, unverfälscht von überall auf den Landungen stehendem Regenwasser, gut lokalisieren, wo das herkam. Wir sollten also sämtliche Plankenstöße nachkalfaten und am besten auch die Kielnaht. Das waren die dringenden Dinge.

Darüber hinaus habe ich die Zeit genutzt, Salty mit aufmerksamen Augen wieder und wieder zu begutachten und einen Aktionsplan für die nächsten zwei Winter zu entwerfen. Sie hat ja nicht das Selbstbewusstsein der anderen Boote, die mir hin und wieder unmissverständlich diktieren, was zu tun ist, also habe ich eher mit Oli konferiert, die recht genau weiß, was ihre Schwester braucht. Bei den Themen "Niedergangstür statt Steckschott" und "ordentliche Ruderbank statt geschwungenem Spielkram aus formverleimten Leisten" habe ich einsame Entscheidungen längst getroffen - aber davon mehr in künftigen Berichten.

An einem - extrem anstrengenden - Tag habe ich tonnenweise blätternden Altanstrich vom Unterwasserschiff gerackt. Es wäre großartig, wenn die neue Version jetzt zuverlässig hielte. Dann würde es sich lohnen, in diesem Stil Stück für Stück weiterzumachen.




Oliese


Die Überarbeitung des Mastes war ja schonmal ein hübsches Projekt. Es fand in der anderen Halle stand, also überwachte Frieda, ob ich das auch wirklich ordentlich mache - sie konnte einen leichten Bogen in der Göhl nicht verhindern (wer selbst so eine Arbeit vorhat, möge mich kontaktieren: Ich kenne jetzt alle möglichen Fehler und das einfachste Gegenmittel). Größere Arbeiten wünschte sich Oliese ansonsten dieses Jahr nicht, sondern hat sich bereits für nächsten Winter als Hauptprojekt angemeldet. Es gab aber einiges auszubessern, zum Beispiel Backskisten und Lukendeckel. Da hat uns hauptsächlich die Trockenheit einen Streich gespielt. Das Vorluk ließ sich ohne großen Aufwand ausleisten und wird noch einige Jahre halten. Das Schiebeluk habe ich mir genau angesehen - und kurzerhand ein neues gebaut. Mit etwas Übung (dank Frieda) ging das schneller, als das alte, aus allen Leimungen reißende Teil provisorisch aufzuarbeiten. Oli wirkte bei der Anprobe hochzufrieden, und zu meinem Entzücken passte es auch nach dem Lackieren...

Der Rest war unspektakulär: Ein neues Echolot, weil das alte nur noch sporadisch plausible Werte anzeigte. Und fünf offene Plankenschäftungen. Der Vorbesitzer muss ein großer Freund von Sikaflex gewesen sein. Oder ein (*...passendes Schimpfwort bitte selbst einfügen...*). Aus zwei der Schäftungen hat der Multimaster jedenfalls millimeterdicke Lappen von Sikaflex rausgezittert, und das kann einfach nicht dauerhaft halten. Auch der Echolotschwinger war in diesem Stil eingebaut: Man braucht ein 45mm-Loch in der Aufnahme und ein 17mm-Loch fürs Gewinde durch die Planke. Gebohrt waren 50mm und 20mm, der Rest dann mit Sika ausgefüllt. Und ich habe mich gewundert über die Leckage am Echolotgeber... Naja, statt eben mal altes Gerät rausziehen und neues reinstecken waren das also vier halbe Tage Arbeit. Hab ich irgendwie gerne gemacht, aber nicht komplett ohne Fluchen und Schimpfen über den, der es letztes Mal so vermasselt hat.

Zwischendurch hatten Oli und Salty also oft ihre Ruhe und mussten sich die Zeit vertreiben. Kurz vor Karneval - der ja bei uns im Norden eher gemieden wird - habe ich die diversen Reparaturstellen an den Unterwasserschiffen geprimert. Der Primer ist grau, unser bevorzugtes Antifouling schwarz. Was also machten die beiden? Sie erklärten kurzerhand, sich als Zebras verkleidet zu haben.

Und dann erfuhr Oli, meine Gedanken lesend, von diesem YouTube-Channel "Bibis Beauty Palace" (nach langen Arbeitstagen vertreibe ich mir die Zeit bisweilen etwas zweckfrei. Nicht direkt mit Schminktipps für Teenager. Aber Bibi hatte dann einen kurzen Auftritt in einer Show, die ich mir angesehen habe). Oliese jedenfalls dachte: Was diese verzogene Göre im Internet kann, kann ein ausgewachsenes Folkeboot allemal. Also macht sie jetzt "Olis Beauty Palace". Folkeboot Jane gehört zu ihren ersten Subscriberinnen. Beim Design des Heckspiegels hat sich am Ende doch der Eigner durchgesetzt, und ich bin sicher, dass Oli ihm das irgendwann dezent und schmunzelnd heimzahlen wird.


Frieda


Der Mast - weg mit der blöden Rutscherschiene. Darüber hinaus: Kleinigkeiten. Der Cockpitboden ist ausgebessert mit frischem Kambala. Eine letzte weiche Stelle an der Außenhaut ist geflickt. Im Auto liegt noch der Motorträgerschlitten, dem ich gerne ein neues, dickeres, besser passendes Brett verpassen würde. Und sonst: Sollte ich vielleicht auch mal ein Buch zusammen mit Frieda schreiben. Sie ist eine Meisterin des Spottes und der Provokation. 








Martha


Anfang März: Stephan von der Werft in Grödersby wirft einen Blick auf Marthas Fenster. Beginnende Risse, dazu Niro-Schrauben in Messingrahmen - ob mir das schon aufgefallen sei und so. Ich antworte: "Ich finde, Martha und ich haben für diesen Winter genug geleistet." Und kaum jemand weiß so gut wie Stephan, dass ich Recht habe. 

Ihren Wellnessaufenthalt in der Bootswerft Grödersby hatte Martha ein Jahr im Voraus gebucht. Bisher hatte sie ihren Ballast immer wieder mitgebracht, und nichs erweckte den Eindruck, das könne demnächst anders ausgehen, aber wir waren dennoch der Meinung, sie solle als Erste das Projekt "Neue Kielbolzen" angehen - damit ist sie fit für die nächsten mindestens fünfundzwanzig Jahre. 

Vor zwei Jahren unterzog sich Folkeboot Lene an gleicher Stelle derselben Prozedur - und wirkte todunglücklich, so als habe sie mit Wärmepackungen und reichlich Entspannung gerechnet, bevor zuerst eine rigorose Diät sie der Hälfte ihres Gewichtes beraubte und dann der Zahnarzt mit dem großen Bohrer an Bord kam. Martha war vom ersten Tag an froh und glücklich (nur musste sie zwei Wochen an Land im Hafen warten, bis sie ihren Platz beziehen durfte, und dachte da schon, wir hätten sie dort vergessen). Tapfer ließ sie sich den Ballast abtrennen und das Alteisen aus dem Rumpf bohren, treiben und ziehen. Während ich ihr Ersatz für die fünf Bodenwrangen anfertigte, die die Prozedur nicht überstanden hatten, begab sie sich vertrauensvoll in den Winterschlaf.

Woher ich das weiß? Martha ist gewöhnlich extrem auf Zack und hilft mit, wo sie kann. Wenn ich jetzt ein Stecheisen suchte, kam da keineswegs sofort eine Eingebung, wo ich es zuletzt benutzt hatte, jetzt also sofort finden würde. Statt dessen lief das so: Ich dachte an das Stecheisen. Sah mich hilfesuchend um. War ratlos. Sagte: "Martha? Martha, wo ist denn nur das Stecheisen? Äh...Martha?" Bis sie dann schläfrig zu sich kam und "Was? Wie? Wo?" murmelte, hatte ich längst sämtliches Werkzeug, das unter Deck herumlag, gründlich durchgewühlt, und als sie dann ein müdes "Das Stecheisen? Welches Stecheisen?" zustande brachte, hatte ich den Proppen auch schon abgeschlagen. Ich fand das aber ganz gut so, zeugte es doch von einem wohltuenden Vertrauen des Bootes in die Arbeiten des Eigners.

Im Januar hing der Ballast neben ihr - gesandstrahlt, gespachtelt und geprimert, die letzte Schicht himmelblau eingefärbt, so dass ich fortan vom "Blauen Wunder" sprach. Die Kielbolzen waren bestellt, es gab einen (dann doch mehrfach verschobenen) Liefertermin, die Stevenbolzen hatte ich bereits einzubauen begonnen, und so sah es danach aus, als könne sich Martha demnächst zu ihren Schwestern in der anderen Halle gesellen. Da wachte sie vorfreudig auf aus ihrem Schlummer, und das war auch ganz gut so, denn so konnte sie immerhin der fleißigen Schulpraktikantin Gesellschaft leisten, die ihr mit Heißluftfön und Kratzer den unansehnlichen Lack der Außenhaut abzog.
 

Zunächst war ich an der Reihe: Cockpit- und Salonboden, Handlenzpumpe und andere Dinge ausbauen. Muttern lösen bzw. abflexen (50/50). Proppen aus Vor- und Achtersteven bohren. Vorstevenbolzen austreiben (ging super). Achterstevenbolzen vergeblich versuchen auszutreiben (war nicht anders zu erwarten, der Weg durch die Bodenwrangen etc. ist lang und festgerostet). Bodenwrangen der Achterstevenbolzen ausbauen (hat allein fast zwei Tage gedauert).

Dann trat das Werftteam in Aktion, und mit ihm die Kettenzüge. Durch gezielte Hammerschläge gelang es, dass sich zwischen Holzkiel und Ballast vorne ein kleiner Spalt auftat. Multimaster, Keile und Elektrofuchsschwanz hatten etwas zu fassen, worauf sie sich gierig stürzten. Von Kielbolzen zu Kielbolzen arbeiteten Andreas und ich uns vor, bis es beim letzten Bolzen ordentlich knirschte und der Ballast frei auf den Trailer sackte.

Das Gusseinen mit den prall in ihm steckenden unteren Teilen der Kielbolzen, also die halbe Martha, reiste ab - in eine Schlosserei, die hoffentlich eine Idee hat, wie man den Kram da rauskriegt. Die andere halbe Martha setzten wir sanft auf Böcke. Und dann begann das Gepuzzel. Grundidee: Ein paar Hammerschläge abwechselnd von oben und unten, um den stramm im Holz sitzenden Bolzen ansatzweise zu lösen. Dann von unten ein Gewinde in den bündig abgeschnittenen Bolzen schneiden, einen Augbolzen reindrehen, daran mit der Hydraulik ziehen und gleichzeitig von oben mit Hammerschlägen nachhelfen. Beim ersten Kielbolzen ging das supergut. Und er sah auch insgesamt so aus, als hätte er locker noch dreißig Jahre überstanden.

Aus dem zweiten Kielbolzen flog der Augbolzen sofort wieder raus. Er war so vergammelt, dass um unser Gewinde herum nicht mehr viel Substanz war. Endlich also ein handfester Grund für die ganze Operation! Wir versuchten es von oben, unter Deck, wo ja noch die volle Materialstärke in Form eines inzwischen etwas pilzförmig gehauenen Gewindes vorhanden war: Bohren, Gewindeschneiden, Hydraulik, von unten lösende Hammerschläge. Ging phantastisch! Flutschte mehr oder weniger einfach so raus.

Kielbolzen Nummer drei: Auf die gleiche Weise, nicht nur, weil es ja eben so gut ging, sondern auch, weil von unten ein abgebrochener Bohrer drinsteckte. Ergebnis: Fünf Millimeter rauf und runter, knirschende Bodenwrange, aber kein erkennbarer Fortschritt. Dann war erstmal Feierabend. Martha sieht das Ganze gelassen - sie weiß ja, dass nach und nach alles gut wird, auch das, was unterwegs zu Bruch geht. Lene ("Folkeboot Lene hatte sich den Wellness-Urlaub im Sanatorium Grödersby anders vogestellt...") machte vor zwei Jahren einen unglücklicheren Eindruck. Trotzdem war mir wohler, als das ganze Alteisen endlich raus war aus dem Boot.

Fünf neue Bodenwrangen sind es geworden. Die anzufertigen, ist mit freiem Zugang zu Bandsäge und Hobelbank kein großes Problem. Das bestand eher schon im Bohren der Löcher für die Kielbolzen. Die Lösung, mit der ich am besten zurechtkam, bestand in der Verwendung der Ständerbohrmaschine. Deren zu geringem Hub ließ sich dadurch beikommen, den Bohrer nicht etwa rauszuziehen, sondern in der Wrange stecken zu lassen, sie mit anzuheben und mit weiteren Pallhölzern zu unterfüttern. Ein in allen Dimensionen gerades Loch schafft man nur mit Hilfe einer aufwändigen Hilfskonstruktion, aber nach einigem Ausprobieren und Üben ging es besser als urpsrünglich gedacht. Ein einziges Stück habe ich verbohrt, aber es war noch ein bisschen Eiche da, um es schnell neu zu sägen.

Zwischendurch haben wir noch ein paar andere Sachen erledigt: Die Schlinge im Cockpitbereich an Steuerbord ist neu, und auch die Befestitung des Reitbalkens steckt schon drin. Am Hauptschott sind die aufgerissenen Leimungen ausgeleistet, das Eichenstück an Steuerbord ist komplett neu und bereits eingebaut, die Schwelle am Niedergang hat durch einen zusätzlichen Balken Festigkeit und Torsionsstabilität. Die Rüsteisenspanten - die waren genagelt! - sind ausgebaut und aufgearbeitet und kommen dann mit ordentlichen V4A-Schrauben wieder rein. Für diese Arbeiten musste Martha nach und nach völlig geleert werden: Vorpiek, Salonkojen, Schwalbennester, Salon- und Cockpitboden, Wegerungen - alles ist raus, bis auf die Schapps. Das wird noch ein Riesenspaß, den ganzen Kram wieder einzubauen.

Doch vorher möchte der inzwischen gesandstrahlte Ballast geprimert und geprimert und geprimert und gespachtelt, geschliffen und noch dreimal geprimert werden. Parallel dazu kommen aus verschiedenen Himmelsrichtungen die ganzen Bolzen und der Teerfilz, so dass wir Anfang Januar zwei Tonnen Bootsgewicht wieder zu einer einzigen Martha zusammensetzen können.


Die erträgt die Prozedur nicht nur mit der gleichen stoischen Gelassenheit, mit der sie segelt, wie ich anfangs den Eindruck hatte. Sie hat einfach komplett abgeschaltet und entspannt sich. Gelegentlich, wenn ich sie um Hilfe bei der Suche nach einem Werkzeug bitte, kommt sie zu sich, aber dann muss sich sich wirklich erst aufrappeln und einen Überblick verschaffen, bevor sie mir sagen kann, wo es liegt. Dieses kaum ermessliche Vertrauen in die Qualität meiner Arbeit ist wirklich rührend - und ich werde es nicht enttäuschen!