Fit für die nächsten zwanzig
Jahre - Winterarbeit 2018-19
Der Sommer endete am 21. September um 11 Uhr vormittags. Da kam
nämlich die Kaltfront eines Sturmtiefs. Als sich die acht bis
neun
Windstärken verzogen, fiel das Wasser um einen Meter und die
Temperatur um 10 Grad. Und ich dachte ernsthaft an ein baldiges
Saisonende.
Der Plan lautete: Ein Boot - nämlich Martha - ist das
Hauptprojekt,
an den anderen wird nur das Nötigste gemacht. Ließ
sich
nicht komplett
durchhalten. Nicht zuletzt hatte der
lange Zeit extrem trockene und heiße Sommer unschöne
Spuren
an Lukendeckeln und Schotts hinterlassen. Oliese und Frieda wurden
endlich die ungeliebten Mastrutscherschienen los, also bekamen ihre
Masten wieder schicke Göhls aus guter Hemlock-Tanne. Oli und
Martha wünschten sich Reitbalken mit vernünftigem
Traveller. Bei Martha wählten wir
gleichwohl insgesamt die große Lösung...
Die
ersten Arbeiten für den soften Einstieg noch im Hafen: Die
Reitbalken. Dabei
habe ich delaminierte bzw. perforierte Schlingen entdeckt und in
Olieses Fall sofort ausgebessert. In Marthas Fall jedenfalls ausgebaut
und Ersatz vorbereitet - ich kam dann nicht mehr weiter, als das
Seitenteil des Hauptschotts im Wege war. Das ist mit der
Außenhaut verschraubt bis unter die Wasserlinie.
Als es damit also nicht weiterging, habe ich mich wieder den Masten
zugewandt: Hülsen für die durchgebogenen Bolzen am
Jumpbock,
Metallrahmen für die ausgeschlagenen Scheibenkästen,
hier und
da ein bisschen Holz - und dann Baustopp, erst im Februar kam das
Holz für die
neue Göhl. Am meisten nach Baustelle sah zunächst
Paula aus.
Sie trug noch ein paar stählerne, ziemlich rostige
Stevenbolzen mit sich herum, und ich konnte nicht widerstehen, sofort
daran herumzufummeln.
Update 29.
März
Huiuiui. Monatelang habe ich nicht mehr berichtet. Ihr ahnt schon woran
das lag: Sehnlichst erwartetes Material - Marthas Kielbolzen und die
Tanne für die Masten - ließ unerwartet lange auf
sich
warten, und als dann Anfang Februar beides gleichzeitig eintraf,
sorgten eine gewisse zeitliche Dringlichkeit und ein ungeheurer
Motivationsschub dafür, dass über vier oder
fünf
Wochen kein Arbeitstag unter zehn Stunden dauerte, die Woche aus sieben
solcher Tage bestand, und ich abends beileibe keine Muße
hatte,
hübsche Geschichtchen darüber zu schreiben, sondern
mich
gedanklich lieber schonmal einstimmte auf die ersten Handgriffe am
nächsten Morgen.
Wenn das nach selbstmitleidigem Gejammer klingt, habe ich es
ungeschickt formuliert. Denn es war nichts Anderes als das winterliche
Äquivalent zum Segeln. Im Sommer fühle ich mich
unausgelastet, wenn ich keine zehn, zwölf Stunden an der Pinne
sitzen darf. Und um in begrenzter Zeit ein ambitioniertes Ziel zu
erreichen, muss man nunmal seine täglichen fünfzig
Meilen
schaffen, wenn der Wind günstig ist. Wo ich dieses Ziel
anschaulich verorten soll - St. Petersburg, Bergen oder Firth of Forth
- weiß ich nicht so recht. Jedenfalls sind wir angekommen:
Nach
gemütlichen Restarbeiten steht Martha schon im Hafen und
betrachtet vom Trailer aus die leeren Stege. Die anderen Booten sind
eingereiht, line up
with the runway an hold
sagt man in der Fliegerei, und warten auf Montag. Das wird ein
aufregender, anstrengender Vormittag, den der Hafenmeister
kommentierte, indem er sagte: "Is ja nur reinschmeißen..."
Kielnaht
neu kalfaten, die letzten vier alten Stevenbolzen ersetzen,
beharrlich blätternden Unterwasseranstrich zumindest in
Teilbereichen erneuern - das klingt danach, dass ich Paula
diesmal
vorwiegend von unten sah. Bzw. von oben kopfüber in die
Bilge. Das mit den Bolzen hat sich als nötig erwiesen, da war
nicht mehr viel von nach. Die hinterste verbolzte
Bodenwrange ließ sich ziemlich leicht entfernen, mit dem
Stevenbolzen drin. Das war aber ein Blindbolzen, der einfach stramm in
einem Loch im Stevenknie steckte. Zunächst schien es mir so,
als
sei er mitten im Stevenknie einfach abgerissen, doch die Suche nach dem
Rest war erfolglos. Weil ich dabei aber den Holzkiel ein
Stück aufgeprokelt hatte, gibt es dort nun einen Spalt
unterhalb
der betreffenden Bodenwrange, und mit dem langen Bohrer traf
ich genau diesen Spalt, so dass ich dort dem
künftigen
V4A-Bolzen eine schöne Mutter nebst U-Scheibe verpassen konnte
- so
bekommt das Gesamtwerk deutlich mehr halt.
Ein besonderes
Abenteuer war die alte Mastspur. Sie bestand im Wesentlichen aus einem
zwanzig Zentimeter hohen Kantholz auf dem Vorsteven. Das ist eine
ziemlich unzulängliche Konstruktion, wir wollen ja die
Riggkräfte in den Rumpf einleiten und nicht in den Steven, und
eine solche Erhöhung sorgt auch noch für einen
zusätzlichen Hebelarm. Im Zusammenhang mit dem Mastbruch
damals
habe ich Paula eine ordentliche Mastspur über die beiden
benachbarten Bodenwrangen hinweg gebaut. Das ergab sich so, weil der
neue Mast kürzer war. Die alte Konstruktion habe ich einfach
gelassen, wie sie war, und seitdem nicht mehr angeguckt.
Nun interessierte mich aber doch die Herkunft des rostigen Wassers in
der Bilge, also warf ich mal wieder einen Blick dorthin - und entdeckte
vier rostige Bolzenenden. Es hätte mir genügt, die
einfach zu
entfernen, doch in diesem Zusammenhang hat das Wort "einfach" definitiv
nichts verloren. Ausbohren? Der Rohrbohrer wühlt sich
irgendwann
in nassem Holz fest, wird die Späne nicht mehr los, sondern
verstopft vom entstehenden Schlamm und kommt nicht mehr weiter. Nach
diversen Experimenten war ein Stecheisen das Mittel der Wahl. Es sieht
jetzt nicht mehr ganz so gut aus, nachdem es die Hälfte des
Kantholzes in tausend Brocken zerlegen musste, bis die Blindbolzen
freigelegt waren. Die andere Hälfte der alten Mastspur konnte
ich
dann einfach rausnehmen.
Doch die Bolzen blieben im Vorsteven stecken. Dessen Holz sah
erstaunlich gesund aus, wenn man bedenkt, wie viel nasser Gammelkram
jahrelang auf ihm gelegen hat, und so soll das auch bleiben, weswegen
der rostige Stahl wegmusste. Nochmal überbohren, so weit es
ging,
danach habe ich zum dritten Mal die Hydraulikpumpe an Bord geschleppt
und auf die Bolzen - oder sollte ich sie Rundstahl nennen? - erstmal
schöne Gewinde geschnitten, auf die eine Augmutter passte, an
der
die Hydraulik dann ansetzen konnte. Hub für Hub, "Krrk Krrk
Krrk",
löste sich der ganze Mist.
Ich war: er-leich-tert!!!! Paula sagte: "Schön, wenn der
Schmerz
nachlässt." Friedas Kommentar: "Also, diesen Juckreiz kenne
ich
auch..."
Wir
wollten aber ja nicht nur Alteisen entfernen und Eichenholz retten,
sondern auch ein bisschen Leckagebeseitigung betreiben. Deshalb habe
ich
Dichtmasse und Kalfatbaumwolle aus Kielnaht und Sponungen komplett
entfernt. Was darunter zum Vorschein kam, durfte bis
Weihnachten ein
bisschen trocknen. Die Geschenke lagen statt unterm Tannenbaum unter
Paula, und es handelte sich um geliehene Kalfateisen, eine Spindel
Baumwolle und zwei Kartuschen Tikalflex. Kalfaten ist eine
schöne,
traditionelle Arbeit, aber auch eine, nach der man seine Arme
spürt... Immerhin hatte ich geübt, vor Paula war
nämlich
Salty mit ähnlichen Dingen an der Reihe.
Wie das ja so ist mit der jahrzehntelangen Interaktion rostigen Eisens
mit Eichenholz: Ganz ohne Blessuren blieb das nicht, aber für
richtig große Schäden waren wir noch rechtzeitig.
Das
unterste Stück des Achterstevens wirkte ziemlich geschunden
und
war beim Entfernen des Bolzens im Weg. Da ist jetzt ein neues
Stück angeschäftet, und verkleben ließ es
sich nur mit
einer undurchschaubaren Hilfskonstruktion. Kreative Lösungen
aus
herumliegenden Brettern und Schraubzwingen habe ich echt liebgewonnen.
Der Rest war überwiegend Lackieren. Jahr für Jahr
habe ich
ein Händchen dafür, mich zielstrebig zuerst auf
Paulas
Aufbaufront zu stürzen, beim Eintauchen des Pinsels schon zu
merken, dass der Lack wesentlich zu zäh ist für die
Temperatur, und es dann gründlich zu verhunzen. Wir werden das
in
Zukunft anders machen: Bei vier Grad braucht der Lack einen extra
Spritzer Terpentinersatz, und wenn das ganze Verdünnen zu
einer zu
geringen Schichtdicke führt, male ich lieber entspannt und
fröhlich eine dritte Schicht, als mich durch zwei
quarkig-zähe Schichten zu quälen. Wir haben uns dann
aber
auch über künftige Designveränderungen
ausgetauscht,
denn Paula und ich waren uns einig, dass sie jetzt lange genug mit dem
grauen Freibord rumgefahren ist. Wir haben dann mal Oli's Beauty Palace
konsultiert, und herausgekommen ist, dass Paula jetzt schon an ihrem
Ruderblatt schon die Sommermode 2020 präsentiert.
Salty
Salty machte ein bisschen viel Wasser. Unschätzbarer Vorteil
des
trockenen Wetters: Es ließ sich, unverfälscht von
überall auf den Landungen stehendem Regenwasser, gut
lokalisieren,
wo das herkam. Wir sollten also sämtliche
Plankenstöße nachkalfaten und am besten auch die
Kielnaht.
Das waren die dringenden Dinge.
Darüber hinaus habe ich die Zeit genutzt, Salty mit
aufmerksamen
Augen wieder und wieder zu begutachten und einen Aktionsplan
für
die nächsten zwei Winter zu entwerfen. Sie hat ja nicht das
Selbstbewusstsein der anderen Boote, die mir hin und wieder
unmissverständlich diktieren, was zu tun ist, also habe ich
eher
mit Oli konferiert, die recht genau weiß, was ihre Schwester
braucht. Bei den Themen "Niedergangstür statt Steckschott" und
"ordentliche Ruderbank statt geschwungenem Spielkram aus formverleimten
Leisten" habe ich einsame Entscheidungen längst getroffen -
aber
davon mehr in künftigen Berichten.
An einem - extrem anstrengenden - Tag habe ich tonnenweise
blätternden Altanstrich vom Unterwasserschiff gerackt. Es
wäre großartig, wenn die neue Version jetzt
zuverlässig
hielte. Dann würde es sich lohnen, in diesem Stil
Stück
für Stück weiterzumachen.
Oliese
Die Überarbeitung des Mastes war ja schonmal ein
hübsches
Projekt. Es fand in der anderen Halle stand, also überwachte
Frieda, ob ich das auch wirklich ordentlich mache - sie konnte einen
leichten Bogen in der Göhl nicht verhindern (wer selbst so
eine
Arbeit vorhat, möge mich kontaktieren: Ich kenne jetzt alle
möglichen Fehler und das einfachste Gegenmittel).
Größere Arbeiten wünschte sich Oliese
ansonsten dieses Jahr nicht, sondern hat sich bereits für
nächsten
Winter als Hauptprojekt angemeldet. Es gab aber einiges auszubessern,
zum Beispiel
Backskisten und Lukendeckel. Da hat uns
hauptsächlich
die Trockenheit einen Streich gespielt. Das Vorluk ließ sich
ohne
großen Aufwand ausleisten und wird noch einige Jahre halten.
Das
Schiebeluk habe ich mir genau angesehen - und kurzerhand ein neues
gebaut. Mit etwas Übung (dank Frieda) ging das schneller, als
das
alte, aus allen Leimungen reißende Teil provisorisch
aufzuarbeiten. Oli wirkte bei der Anprobe hochzufrieden, und zu meinem
Entzücken passte es auch nach dem Lackieren...
Der Rest war unspektakulär: Ein neues Echolot, weil das alte
nur
noch sporadisch plausible Werte anzeigte. Und fünf offene
Plankenschäftungen. Der Vorbesitzer muss ein großer
Freund
von Sikaflex gewesen sein. Oder ein (*...passendes Schimpfwort bitte
selbst einfügen...*). Aus zwei der Schäftungen hat
der
Multimaster jedenfalls millimeterdicke Lappen von Sikaflex
rausgezittert, und das kann
einfach nicht dauerhaft halten. Auch der Echolotschwinger war in diesem
Stil eingebaut: Man braucht ein 45mm-Loch in der Aufnahme und ein
17mm-Loch fürs Gewinde durch die Planke. Gebohrt waren 50mm
und
20mm, der Rest dann mit Sika ausgefüllt. Und ich habe mich
gewundert über die Leckage am Echolotgeber... Naja, statt eben
mal
altes Gerät rausziehen und neues reinstecken waren das also
vier
halbe Tage Arbeit. Hab ich irgendwie gerne gemacht, aber nicht komplett
ohne Fluchen und Schimpfen über den, der es letztes Mal so
vermasselt hat.
Zwischendurch hatten Oli und Salty also oft ihre Ruhe und mussten sich
die Zeit vertreiben. Kurz vor Karneval - der ja bei uns im Norden eher
gemieden wird - habe ich die diversen Reparaturstellen an den
Unterwasserschiffen geprimert. Der Primer ist grau, unser bevorzugtes
Antifouling schwarz. Was also machten die beiden? Sie
erklärten
kurzerhand, sich als Zebras verkleidet zu haben.
Und dann erfuhr Oli, meine Gedanken lesend, von diesem YouTube-Channel
"Bibis Beauty Palace" (nach langen Arbeitstagen vertreibe ich mir die
Zeit bisweilen etwas zweckfrei. Nicht direkt mit Schminktipps
für
Teenager. Aber Bibi hatte dann einen kurzen Auftritt in einer Show, die
ich mir angesehen habe). Oliese jedenfalls dachte: Was diese verzogene
Göre im Internet kann, kann ein ausgewachsenes Folkeboot
allemal.
Also macht sie jetzt "Olis Beauty Palace". Folkeboot Jane
gehört
zu ihren ersten Subscriberinnen. Beim Design des Heckspiegels hat sich
am Ende doch der Eigner durchgesetzt, und ich bin sicher, dass Oli ihm
das irgendwann dezent und schmunzelnd heimzahlen wird.
Frieda
Der Mast - weg mit der blöden Rutscherschiene.
Darüber
hinaus: Kleinigkeiten. Der Cockpitboden ist ausgebessert mit
frischem
Kambala. Eine letzte weiche Stelle an der Außenhaut ist
geflickt.
Im Auto liegt noch der Motorträgerschlitten, dem ich gerne ein
neues, dickeres, besser passendes Brett verpassen würde. Und
sonst: Sollte ich vielleicht auch mal ein Buch zusammen mit Frieda
schreiben. Sie ist eine Meisterin des Spottes und der
Provokation.
Martha
Anfang
März: Stephan von der Werft in Grödersby wirft einen
Blick
auf Marthas Fenster. Beginnende Risse, dazu Niro-Schrauben in
Messingrahmen - ob mir das schon aufgefallen sei und so. Ich antworte:
"Ich finde, Martha und ich haben für diesen Winter genug
geleistet." Und kaum jemand weiß so gut wie Stephan, dass ich
Recht habe.
Ihren Wellnessaufenthalt in der Bootswerft Grödersby hatte
Martha
ein Jahr im Voraus gebucht. Bisher hatte sie ihren Ballast
immer
wieder mitgebracht, und nichs erweckte den Eindruck, das könne
demnächst anders ausgehen, aber wir waren dennoch der Meinung,
sie
solle als Erste das Projekt "Neue Kielbolzen" angehen - damit ist sie
fit für die nächsten mindestens
fünfundzwanzig Jahre.
Vor
zwei Jahren unterzog sich Folkeboot Lene an gleicher Stelle derselben
Prozedur - und wirkte todunglücklich, so als habe sie mit
Wärmepackungen und reichlich Entspannung gerechnet, bevor
zuerst
eine rigorose Diät sie der Hälfte ihres Gewichtes
beraubte
und dann der Zahnarzt mit dem großen Bohrer an Bord kam.
Martha
war vom ersten Tag an froh und glücklich (nur musste sie zwei
Wochen an Land im Hafen warten, bis sie ihren Platz beziehen durfte,
und dachte da schon, wir hätten sie dort vergessen). Tapfer
ließ sie sich den Ballast abtrennen und das Alteisen aus dem
Rumpf bohren, treiben und ziehen. Während ich ihr Ersatz
für
die fünf Bodenwrangen anfertigte, die die Prozedur nicht
überstanden hatten, begab sie sich vertrauensvoll in den
Winterschlaf.
Woher ich das weiß? Martha ist gewöhnlich extrem auf
Zack
und hilft mit, wo sie kann. Wenn ich jetzt ein Stecheisen suchte, kam
da keineswegs sofort eine Eingebung, wo ich es zuletzt benutzt hatte,
jetzt also sofort finden würde. Statt dessen lief das so: Ich
dachte an das Stecheisen. Sah mich hilfesuchend um. War ratlos. Sagte:
"Martha? Martha, wo ist denn nur das Stecheisen? Äh...Martha?"
Bis
sie dann schläfrig zu sich kam und "Was? Wie? Wo?" murmelte,
hatte
ich längst sämtliches Werkzeug, das unter Deck
herumlag,
gründlich durchgewühlt, und als sie dann ein
müdes "Das
Stecheisen? Welches Stecheisen?" zustande brachte, hatte ich den
Proppen auch schon abgeschlagen. Ich fand das aber ganz gut so, zeugte
es doch von einem wohltuenden Vertrauen des Bootes in die Arbeiten des
Eigners.
Im Januar hing der Ballast neben ihr - gesandstrahlt, gespachtelt und
geprimert, die letzte Schicht himmelblau eingefärbt, so dass
ich
fortan vom "Blauen Wunder" sprach. Die Kielbolzen waren bestellt, es
gab einen (dann doch mehrfach verschobenen) Liefertermin, die
Stevenbolzen hatte ich bereits einzubauen begonnen, und so sah es
danach aus, als könne sich Martha demnächst zu ihren
Schwestern in der anderen Halle gesellen. Da wachte sie vorfreudig auf
aus ihrem Schlummer, und das war auch ganz gut so, denn so konnte sie
immerhin der fleißigen Schulpraktikantin Gesellschaft
leisten,
die ihr mit Heißluftfön und Kratzer den
unansehnlichen Lack
der Außenhaut abzog.
Zunächst
war ich an der Reihe: Cockpit- und Salonboden, Handlenzpumpe und andere
Dinge ausbauen. Muttern lösen bzw. abflexen (50/50). Proppen
aus
Vor- und Achtersteven bohren. Vorstevenbolzen austreiben (ging super).
Achterstevenbolzen vergeblich versuchen auszutreiben (war nicht anders
zu erwarten, der Weg durch die Bodenwrangen etc. ist lang und
festgerostet). Bodenwrangen der Achterstevenbolzen ausbauen (hat allein
fast zwei Tage gedauert).
Dann
trat das Werftteam in Aktion, und mit ihm die Kettenzüge.
Durch
gezielte Hammerschläge gelang es, dass sich zwischen Holzkiel
und
Ballast vorne ein kleiner Spalt auftat. Multimaster, Keile und
Elektrofuchsschwanz hatten etwas zu fassen, worauf sie sich gierig
stürzten. Von Kielbolzen zu Kielbolzen arbeiteten Andreas und
ich
uns vor, bis es beim letzten Bolzen ordentlich knirschte und der
Ballast frei auf den Trailer sackte.
Das
Gusseinen mit den prall in ihm steckenden unteren Teilen der
Kielbolzen, also die halbe Martha, reiste ab - in eine Schlosserei, die
hoffentlich eine Idee hat, wie man den Kram da rauskriegt. Die andere
halbe Martha setzten wir sanft auf Böcke. Und dann begann das
Gepuzzel. Grundidee: Ein paar Hammerschläge abwechselnd von
oben
und unten, um den stramm im Holz sitzenden Bolzen ansatzweise zu
lösen. Dann von unten ein Gewinde in den bündig
abgeschnittenen Bolzen schneiden, einen Augbolzen reindrehen, daran mit
der Hydraulik ziehen und gleichzeitig von oben mit
Hammerschlägen
nachhelfen. Beim ersten Kielbolzen ging das supergut. Und er sah auch
insgesamt so aus, als hätte er locker noch dreißig
Jahre
überstanden.
Aus
dem zweiten Kielbolzen flog der Augbolzen sofort wieder raus. Er war so
vergammelt, dass um unser Gewinde herum nicht mehr viel Substanz war.
Endlich also ein handfester Grund für die ganze Operation! Wir
versuchten es von oben, unter Deck, wo ja noch die volle
Materialstärke in Form eines inzwischen etwas
pilzförmig
gehauenen Gewindes vorhanden war: Bohren, Gewindeschneiden, Hydraulik,
von unten lösende Hammerschläge. Ging phantastisch!
Flutschte
mehr oder weniger einfach so raus.
Kielbolzen
Nummer drei: Auf die gleiche Weise, nicht nur, weil es ja eben so gut
ging, sondern auch, weil von unten ein abgebrochener Bohrer
drinsteckte. Ergebnis: Fünf Millimeter rauf und runter,
knirschende Bodenwrange, aber kein erkennbarer Fortschritt. Dann war
erstmal Feierabend. Martha sieht das Ganze gelassen - sie
weiß
ja, dass nach und nach alles gut wird, auch das, was unterwegs zu Bruch
geht. Lene ("Folkeboot Lene hatte sich den Wellness-Urlaub im
Sanatorium Grödersby anders vogestellt...") machte vor zwei
Jahren
einen unglücklicheren Eindruck. Trotzdem war mir wohler, als
das ganze Alteisen endlich raus war aus dem Boot.
Fünf neue Bodenwrangen sind es geworden. Die anzufertigen, ist
mit
freiem Zugang zu Bandsäge und Hobelbank kein großes
Problem.
Das bestand eher schon im Bohren der Löcher für die
Kielbolzen. Die Lösung, mit der ich am besten zurechtkam,
bestand
in der Verwendung der Ständerbohrmaschine. Deren zu geringem
Hub
ließ sich dadurch beikommen, den Bohrer nicht etwa
rauszuziehen,
sondern in der Wrange stecken zu lassen, sie mit anzuheben und mit
weiteren Pallhölzern zu unterfüttern. Ein in allen
Dimensionen gerades Loch schafft man nur mit Hilfe einer
aufwändigen Hilfskonstruktion, aber nach einigem Ausprobieren
und
Üben ging es besser als urpsrünglich gedacht. Ein
einziges
Stück habe ich verbohrt, aber es war noch ein bisschen Eiche
da,
um es schnell neu zu sägen.
Zwischendurch haben wir noch ein paar andere Sachen erledigt: Die
Schlinge im Cockpitbereich an Steuerbord ist neu, und auch die
Befestitung des Reitbalkens steckt schon drin. Am Hauptschott sind die
aufgerissenen Leimungen ausgeleistet, das Eichenstück an
Steuerbord ist komplett neu und bereits eingebaut, die Schwelle am
Niedergang hat durch einen zusätzlichen Balken Festigkeit und
Torsionsstabilität. Die Rüsteisenspanten - die waren
genagelt! - sind ausgebaut und aufgearbeitet und kommen dann mit
ordentlichen V4A-Schrauben wieder rein. Für diese Arbeiten
musste
Martha nach und nach völlig geleert werden: Vorpiek,
Salonkojen,
Schwalbennester, Salon- und Cockpitboden, Wegerungen - alles ist raus,
bis auf die Schapps. Das wird noch ein Riesenspaß, den ganzen
Kram wieder einzubauen.
Doch vorher möchte der inzwischen gesandstrahlte Ballast
geprimert
und geprimert und geprimert und gespachtelt, geschliffen und noch
dreimal geprimert werden. Parallel dazu kommen aus verschiedenen
Himmelsrichtungen die ganzen Bolzen und der Teerfilz, so dass wir
Anfang Januar zwei Tonnen Bootsgewicht wieder zu einer einzigen Martha
zusammensetzen können.
Die erträgt die Prozedur nicht nur mit
der gleichen stoischen
Gelassenheit, mit der sie segelt, wie ich anfangs den Eindruck hatte.
Sie hat einfach komplett abgeschaltet und entspannt sich. Gelegentlich,
wenn ich sie um Hilfe bei der Suche nach einem Werkzeug bitte, kommt
sie zu sich, aber dann muss sich sich wirklich erst aufrappeln und
einen Überblick verschaffen, bevor sie mir sagen kann, wo es
liegt. Dieses kaum ermessliche Vertrauen in die Qualität
meiner
Arbeit ist wirklich rührend - und ich werde es nicht
enttäuschen!