"Hör auf, besser wird es nicht mehr"
- Winterarbeit 2019-20
Reparaturen von Schäden der Saison. Maßnahmen gegen
den altersbedingten Verschleiß. Verbesserungen der
Lebensqualität von Crew und Eigner. Wie immer machen wir von
allem etwas, und zwar reichlich. Ich glaube, wir haben uns noch nie so
viel vorgenommen wie diesmal. Deshalb beginnt die Berichterstattung
darüber auch mit weihnachtlichen Fotomotiven, und online gehen
sie Anfang Januar: Zeit und Muße dafür hatte ich
bisher null.
Die ersten Upgrades haben wir im Oktober aufgespielt, während
die
Boote noch schwammen, und nein, Urlaub oder richtig Pause war seitdem
nicht. Wir segeln im Juni nach Schweden - warum soll ich jetzt Urlaub
machen?
Zwischen
den Booten in der Halle ist es eigentümlich still. Staubige
Einsamkeit dominiert die Holzwerkstatt. Im ausgekühlten
Pausenraum finden keine Pausen statt. Das Farbenraum genannte
Materiallager wirkt auf den ersten Blick ausgedünnt und
unausgewogen: Ein ganzer Karton Mundspatel, aber nur fünf Paar
Nitrilhandschuhe; Schleifpapier, von der Rolle und für die
Maschine, nur noch 100er Körnung und feiner.
Staubbindetücher gibt es zum Abwinken. In dem
"Abreißgewebe" beschrifteten Karton tummeln sich zerfetzte
Glasfasergewebereste. Abreißgewebe gibt es auch, aber nur auf
einer 12cm breiten Rolle. Immerhin, Epoxi nebst Füllstoffen
ist genug da für einen einzigen Kunden...
Oli findet es, kaum hat sie sich ein bisschen eingewöhnt und
zurechtgefunden im Sanatorium Grödersby, großartig:
Eine eigene Werkstatt ganz für sie allein. Sie strahlt so viel
Selbstbewusstsein aus, dass ich mich beinahe entschuldigen
möchte, wenn ich zwischendurch etwas für ihre
Schwestern anfertige. Damit hat sie gar kein Problem, sie ist ja nun
schon unser Hauptprojekt, und von Martha weiß sie genau, wie
das dann läuft.
Es
stimmt ja auch nicht ganz: Hinter ihr stehen ganz viele Boote, das
Winterlager ist voll, und die Werkstatt gehört weder ihr noch
mir. Doch Stephan hat den Betrieb in den letzten Jahren kontinuierlich
verkleinert und macht jetzt nur noch Winterlager und überhaupt
nicht mehr Bootswerft. Als Paula und ich hier kleinlaut, unerfahren und
planlos ankamen, sprangen fünf oder sechs Gesellen herum, dazu
der Meister und ein Auszubildender, gelegentlich eine Praktikantin und
außerdem ein verlässlicher Anteil von Bootseignern,
die in jeder freien Minute ihres Rentnerdaseins selbst Hand anlegten.
Vom Zugucken, von Gesprächen in den Pausen, vom Ausprobieren
und Tipps Beherzigen habe ich hier Bootsbau gelernt. Jetzt muss und
darf ich allein klarkommen und beweisen, dass ich das kann.
Irgendwann wird es ganz vorbei sein. Wahrscheinlich darf Salty
nächsten Winter noch als unser Hauptprojekt an dieser Decke
hängen und sich den Ballast abnehmen lassen. Stephan und ich
werden es genießen, haben wir uns doch inzwischen eine
gewisse Routine erarbeitet. Bis Weihnachten ist er drei Tage die Woche
in Hamburg und wirkt am neuen Toplicht-Katalog mit. Dann sind Oli und
ich ganz für uns und können ungestört
werkeln.
Komplett ungestört sind wir nicht. Eines Montags
öffnet
sich das große Schiebtor. Burkhard, der von sich sagt: "Jetzt
such ich meine Gasmaske" und Peter, der über Burkhard sagt:
"Das ist
ein zerstreuter Professor!", wollen Koralles Mast lackieren.
Burkhard hat heute ein anderes Thema, alle drei Minuten sagt er die
Temperatur durch: "Immer noch sieben Komma zwei Grad." Ich verziehe
mich in die Holzwerkstatt. Ich brauche bestimmt noch einen Riegel 10er
Teakproppen...
*
Weihnachten - Zeit für die Familie. Meine besteht aus lauter
Booten, und Ende Dezember sind wir nicht nur wirklich
ungestört in
den Hallen, es gibt auch erste fertige Ergebnisse, die sich prima als
Geschenke eignen. Diesmal sogar mit Keksen dazu. Ach ja, die
ersten Upgrades im Herbst: Die klassischen Hebel zum Durchsetzen des
Großfalls sind wieder dran. Statt Stolperfallen auf dem
Vorschiff
sitzen die Positionslaternen nun seitlich am Aufbausüll. Die
Steckverbindung des Landstromkabels ist in die Backskiste gewandert,
und statt der schmutzempfindlichen Impellerpumpen schlürfen
nun
12V-Membranpumpen die Bilge leer.
geplant:
- Beseitigung Leckage am Achtersteven / Heckspiegel
- Wegerungsleiste im Cockpit ersetzen
- wenn Zeit ist: Dachhimmel neu lackieren
sowie diverse Kleinigkeiten
Bootsbau ist oft wie ein spannender Krimi. Was ist hier geschehen, wer
ist der Täter, wer das Opfer? Eine Leckage zum Beispiel
erfordert eine gründliche Tatortanalyse. Systematisches
Vorgehen, viel Erfahrung und reichlich Phantasie sind gefragt.
Außen Sikaflex hinzuschmieren, wo sich innen das Wasser
sammelt, ist immer die falsche Antwort - denn das Wasser sammelt sich,
wenn nicht am tiefsten Punkt der Bilge, dann am tiefsten Punkt des
Plankenganges. Und das ist dort, wo das Schiff am breitesten ist. Aber
dort dringt es nicht ein.
Wenn ich die Bilgepumpe unnormal häufig höre, denke
ich als erstes an die Sponung am Vorsteven, unterhalb der Mastspur.
Paulas habe ich letzten Winter kalfatet. Ohne die Kielplanke
nachzuverschrauben - ich hatte großes Vertrauen in die
soliden Kreuzschlitzschrauben zweifellos neueren Datums, diesen Job
hatte also schon jemand erledigt. Ergebnis im Verlauf der Saison: Paula
machte Wasser.
Also doch nachverschrauben, dachte ich. Womöglich erneut
kalfaten. Oder sonstwie. Bis ich mir unterwegs einen Blick in die Bilge
gönnte und erkannte, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte:
Das Wasser kam von achtern!
Jetzt
haben wir also einen neuen Punkt auf der Liste, der nach und nach
bei allen Booten abzuarbeiten sein wird: Der Heckspiegel. Es geht
vornehmlich um den kritischen Bereich unterhalb der Wasserlinie, wo de
Spiegel herzförmig zusammen- und dann in den Steven
ausläuft. Paulas zum Beispiel entpuppt sich als
überaus mulchig - ein Fall für Stecheisen und
Oberfräse. Dann aber die spannende Frage: Wie kriege ich hier
neues Holz rein, ohne den ganzen Spiegel auszubauen? Die Planken
umgeben ihn ja so, dass man nicht einfach einen Schnitt machen und ein
Stück rausnehmen kann. Oder das vielleicht doch bei dem rotten
Zustand des Holzes - aber frisches Holz bekommt man nicht hinein.
Ein Gespräch mit Bootsbaumeister Andreas. Eine Runde
Gehirnschmalz. Dann entsteht in meinem Kopf ein fünfteiliges
Puzzle mit gewagten Schäftungen und komplizierten Schmiegen.
Für die Puzzleteile benutzen wir diverse Pappschablonen und
viel Geduld, dazu einen Schwung Mahagonireste aus der Werft. Bei den
Schmiegen hilft ein Geradschleifer, noch mehr Geduld und zuletzt die
Erkenntnis: Besser wird es jetzt nicht mehr, den Rest erledigt das
Wunderdicht. Bevor der ganze Kram mit Epoxi und amtlichen Schrauben
eingebaut werden kann, muss aber erstmal der Steven trocknen. Das Holz
ist noch fest, immerhin, aber triefend nass. Vielleicht soll ich da
noch einen kräftigen Schluck Imp reinkippen, damit es unter
der Reparaturstelle nicht gleich wieder losmuckelt...
Ansonsten ist Paula wie immer die gute Seele: Morgens und abends ein
Küsschen, sie erinnert mich an die nötige Disziplin,
begrüßt mich wohlwollend früh um sieben und
veranschiedet mich gerne abends kurz vor. Bevor ich mit trockenem Mund
zu krächzen beginne, offeriert sie mir ein alkoholfreies
Flens, wovon sie einen unerschöpflichen Vorrat in der Bilge zu
haben scheint, und lockt mich damit sogar, wenn sie und Salty
beschlossen haben, es sei ausnahmsweise an der Zeit für einen
Arbeitssonntag.
*
Huah, was für ein Kampf! Das fünfteilige
Heckspiegelpuzzle ist die erwartete Herausforderung. Die begann ja
schon damit, die Teile einzupassen mit all den unerhörten
Schmiegen. Einmal habe ich so lange dran rumgefiedelt, bis das
Stück zu klein war und ich von vorne beginnen musste. Seit
alles passt, habe ich den Kram wochenlang nicht angefasst,
während Paula ihren Achtersteven ein bisschen trocknen
ließ. Doch jetzt, kurz vor Weihnachten, ist es endlich so
weit.
Bestmögliche Vorbereitung? Haha, ich werde improvisieren
müssen. Um vier Uhr konnte ich nicht mehr schlafen, um
fünf bin ich schließlich aufgestanden - das hat den
Vorteil, jetzt richtig früh am Tag loszulegen. Alles hinters
Heck holen, was wir brauchen. Tikal zwischen Puzzlestücke und
Planken. Ordentlich Epoxi zwischen das Puzzle. Vorsichtig
reindrücken. Dann in Position hämmern - sitzt ja
stramm, wie es sich gehört. Die neuen Spiegelstücke
bohren und mit dem Steven verschrauben. Oh ja, das schafft was - Harz
drückt aus den Fugen, kleckert herum wie sowieso schon die
ganze Zeit, aber das sieht gut aus jetzt. Schnell Tape auf die Fugen,
damit das Zeug nicht vollständig raussickert. Auf dem Boden
türmen sich die Nitrilhandschuhe - um das Werkzeug nicht
vollzusauen, nehme ich immer wieder ein frisches Paar.
Uha, das Meiste ist geschafft. Jetzt nur noch die Planken gegen den
Spiegel verschrauben. Schafft auch was, sie ziehen sich schön
ran, jetzt quillt Tikal aus den Fugen. Dass nicht alle Schrauben tief
genug versenkt sind, um sie hinterher verspachteln zu können,
ist mir jetzt egal. Ich werde sie einzeln herausdrehen, nachsenken und
wieder einschrauben. Ganz in Ruhe, an einem anderen Tag. Jetzt nur
schnell noch die rausgequollene Sauerei mit dem Mundspatel entfernen,
dann darf Paula sich ums Aushärten kümmern.
Ich
atme durch. Und dann schiebe ich die ganzen Sachen rüber
zu Salty und wiederhole die ganze Aktion. Und als nächstes,
noch
immer im Januar, während Oli und ich mit schwindender Geduld
auf
die neuen Kielbolzen warten, widme ich mich mit Paula der
Sommerkollektion 2020: Außenhaut gründlich schleifen
- wir
arbeiten uns durch alle Farbnuancen der letzten Jahrzehnte. Grundieren
- für einen Tag ist sie wieder dunkelblau. Versuch eins - was
der
Hersteller "Creme" nennt, ist ein drastisches Gelb. Abends gibt es bei
allen, die meiner Enttäuschung zustimmen, Pellkartoffeln mit
Senfsauce. Nicht bei uns. Bei uns gibt es eine neue Mischung, ein
Drittel Creme, zwei Drittel Weiß, und dann bin ich gut
zufrieden
mit dem Ergebnis. Es fehlt nur noch ein letzter Schliff und eine
Endschicht bei günstiger Witterung.
*
Lackieren? Fand ich bisher nie so spannend, als dass diese Phase Einzug
in die Winterarbeits-Berichterstattung gefunden hätte. Das ist
ein
bisschen unfair: Was sich im Inneren des frisch aufgetragenen Lacks
abspielt - Einregeln des Bindemittels, Abdampfen des
Lösungsmittels, Ausbilden einer glatten Schicht, Reaktion mit
der
Luftfeuchtigkeit, Einnisten von Staubbartikeln, ein permanentes Ringen
zwischen Molekülen, Vanderwaalschen Kräften und
kleinklimatischen Besonderheiten - ließe sich mit fundierten
Chemiekenntnissen und etwas Phantasie schildern wie ein spannender
Krimi.
Salty
geplant:
- Cockpitboden
erneuern!
- schwarze Verfärbung StB achtern am Schergang beheben
(Spund?!)
- neue Ruderbank nebst Auflager
- Deck unterhalb der Winschpodeste abdichten, dazu Winschpodeste
abnehmen, Fuge zum Cockpitsüll öffnen.
sowie diverse Kleinigkeiten
bei Begutachtung hinzugekommen:
Aus dem kleinen Spund am Schergang wurde ein umfangreicher Eingriff am
Heck, einschließlich Spiegel, Horizontalknie, Spiegelrahmen.
Eine kleine schwarze Verfärbung am hintersten Ende des
Schergangs will bearbeitet werden. Seit Jahren schon will sie das,
jetzt ist sie endlich an der Reihe. Da ist ein kleiner Riss in der
Planke, verdeckt von der Scheuerleiste, aber vom Heck aus unverkennbar.
Grummelnd denke ich: Da sind irgendwelche Charterer
rückwärts gegen einen Dalben gesemmelt, muss
mächtig gerappelt haben, aber natürlich haben sie
nichts davon erwähnt. Egal, ist ja keine große
Sache, ein Stück Scheuerleiste muss ab und später
neu, und darunter gibt es einen kleinen Spund in der Lärche.
Als die Ecke abgetrennt ist, zeigt sich das Dahinter: Vermuckeltes
Horizontalknie. Vermuckelter Heckspiegel. Was wird hier gespielt? Die
Antwort erfahre ich nur, wenn ich das Deck aufmache.
Darunter offenbart sich eine Kniekonstruktion von ehemals
übertriebener Stabilität - das kenne ich von anderen
Folkebooten zierlicher. Das gilt aber nicht mehr, seit die Eiche ihren
aktuellen Zustand angenommen hat. Da müssen wir bei. Da nehmen
wir erstmal die Handkreissäge und fiedeln 30 mm Gemuckel raus
zwischen Heckspiegel und gesundem Eichenholz. Da pauschal ein
entsprechendes Brett reinzuprügeln, scheint mir der schnellste
Weg zum gesunden Heck. Und während ich schon dabei bin,
passendes Holz zu suchen, ist auch gleich noch ein schönes
Stück Mahagoni dran für den oberen Teil des
Heckspiegels. Die Leimung war dermaßen, dass sich das Brett
mit einem sanften Ruck komplett abnehmen ließ.
Man muss wissen: Ich habe einen Rhythmus geplant. Montag bis Freitag
bin ich in der Werft bei Hauptprojekt Oli. Freitags bereite ich
nebenbei alles vor für den Samstag, den ich in der Halle mit
Paula, Salty und den Kleinteilen verbringe. Sonntag ist Büro,
Wohnung, Mittagsstunde und ein bisschen Pause. Zu tun gibt es immer
genug, da ist ja auch noch der Lackierraum, der vorläufig so
aussieht, als sei ein eingesperrtes Nashorn in Panik geraten.
Irgendwann will ich hier lackieren - ohne etwas Vorbereitung wird das
nicht gehen. Und das bisher allzu improvisierte Büro
möchte in eine wohnliche Ikea-Wunderwelt verwandelt werden.
Oder jedenfalls ich möchte das. Ein schönes
Bastelprogramm für einen Sonntag. Ach, und mein selbstgebautes
Sofa werde ich jetzt auch an die Gegebenheiten der neuen Wohnung
anpassen, und das bedeutet, es zu zerlegen und spiegelverkehrt wieder
zusammenzusetzen. Ich bin ja auch erst vor sieben Jahren eingezogen...
Saltys Heck passt in diesem Umfang nicht wirklich in die Planung. Wir
haben ja eh schon einiges vor diesen Winter. Diesen Samstag zum
Beispiel ist der neue Cockpitboden dran. Der alte hat sich im Laufe der
Saison schon recht weitgehend zerlegt, das stand auch so der Ordnung
halber in jedem Übergabeprotokoll, damit den Charterern nicht
irgendwann der Boden unter den Füßen
wegbröckelt und
sie dann Angst bekommen, dafür aufkommen zu müssen.
Statt nun
750 Euro für
Teakholz auszugeben, habe ich mich, dem Tipp eines Freundes, Charterers
und Tischlers folgend, für Robinie entschieden. Der Baum ist
in Europa heimisch, das Holz ist vergleichsweise günstig,
sensationell witterungsbeständig - und schwer zu bekommen.
Wenn man allerdings Andreas danach fragt, greift der sich nicht nur
sofort zum Mobil-Klönkassn und telefoniert sämtliche
darin gespeicherten Holzhändler ab, sondern redet auch mit
seiner ebenfalls bootsbauernden Mitbewohnerin darüber, und so
kam es, dass ich eines trüben Morgens in Flensburg die
Nut-und-Feder-Reste vom Decksbau eines Traditionsseglers abholen
konnte. Brettware statt Bohlen, ein bisschen feucht vom
Außenlager, aber tauglich - für 50 Euro.
Besäumt, geputzt und gehobelt habe ich das Zeug gestern. Nun
geht das Puzzlespiel los.
Der Cockpitboden eines Folkebootes ist im Wesentlichen zweiteilig:
Zwischen den Backskisten liegen parallel soundso viele Bretter,
abhängig von der Brettbreite, und sind nach Bedarf mit
Querleisten zu Einheiten verbunden. Das geht schnell und einfach, ist
ja schon passend gesägt. Der achtere Teil ist von oben
betrachtet ein fast dreieckiges Trapez. Parallele Bretter (so hatte
Salty das bisher) sehen nicht gut aus - die Fugen müssen von
der hintersten Bodenwrange strahlenförmig nach vorne
auseinanderlaufen. Das wollen wir jetzt schaffen. Ist also mehr als mal
eben anspaxen.
Ich klebe schnell aus Leisten ein grobes Modell zusammen, damit hocke
ich mich unter Saltys Heck auf den Betonboden und scharre mit den
Robinienbrettern. Zur
Verfügung steht mir Vadderns Tischkreissäge, Modell
Aldi, und unsere gebündelte Kreativität. Paula und
Salty sind unerschöpfliche Inspirationsquellen, nicht nur,
wenn es um Cockpitböden geht. Als ich langsam müde
werde, lotst mich Paula unter Deck, wo in der Bilge noch reichlich
alkoholfreies Flens steht. Nach einem kräftigen Schluck davon
bin ich wieder fit.
*
Der Cockpitboden ist so weit fertig, muss nur noch vernünftig
verschraubt werden, und sieht todschick aus. Die Spunde am Schergang
sind angeklebt. Salty wirkt zufrieden. Was denn nun aber mit der neuen
Ruderbank? Ja, da steht schon das Sperrholz...
Gerade die Hälfte des Geplanten habe ich geschafft.
Dafür gründlich und gewissenhaft gearbeitet. Aber
genügt das? Die Boote finden: Nein, du kommst mal
schön am Sonntag auch nochmal hierhin. Ich kratze mich am
Hinterkopf. Robinienstaub rieselt aus dem ungekämmten Haar. An
Olis und Friedas kranken Backskisten fräse ich noch Nuten und
Schäftungen, fürs Kleben wird es mir dann zu
spät. Das Skylight für Olis Vorluk ist eingepasst und
probeweise verschraubt, aber es muss ja noch eingedichtet
werden. Die delaminierte Pinne ist auch noch nicht ganz fertig. Ich
fahre erstmal nach Hause. Verabschiede mich mit einem
fröhlichen, hochmotivierten "Bis morgen!!"
Sonntag. Ich bin um sechs Uhr wach. Ist jetzt so der Rhythmus. Als
Erstes pflücke ich das Sofa halb auseinander, damit ich
hinterher keine Ausrede habe - so kann es nicht auf Dauer bleiben. Dann
fahre ich zur Halle. Aha, das Sperrholz. Die Ruderbank.
Saltys bisherige war eine auf den ersten Blick attraktive, aber
höchst nervige und pflegeaufwändige Sache: Ein
Mahagonibrett, darauf eine pseudoergonomisch geschwungene, figeliensche
und gewagte Konstruktion aus formverleimten, S-förmigen
Leisten, die jeden Winter mit Brüchen, offenen Leimungen oder
sich lösenden Schrauben neuen Ärger bereitete. Die
Unterkonstruktion ist ziemlich prekär in die Spanten
geschraubt, und wenn die Ducht verrutscht, gelingt es keinem Charterer
der Welt, sie wieder in Position zu bringen. Ich habe bereits Tatsachen
geschaffen: Die Leistchen liegen unter Paula bei dem anderen Schrott.
Das Brett habe ich schon verbaut, es sind daraus die Halbschotten
für die neue Unterkonstruktion geworden - klassische
Folkeboot-Bauweise mit Halbschotten und Nirorohren, auf denen die Ducht
verschiebbar ist.
Ein Blick rüber zu Paula verrät mir: Der Clou an der
Ruderbank ist der Strak. Man sitzt ja beim Segeln immer nur in einer
Ecke. In der Mitte darf das gute Stück ruhig schmaler sein,
dann hat man mehr Platz für die Beine. Und über Nacht
habe ich mir auch überlegt, wie ich eine Führung
für die Oberfräse konstuiere, um Paulas Strak auf
Saltys Sperrholz zu übertragen. Umleimer ran, fertig.
Für heute jedenfalls. Die Backskisten sind auch relativ
zügig verleimt. Ich mache weiter mit diesem und mit jenem
Kleinkram, bis mir wirklich nichts Dringendes mehr einfällt,
dann fahre ich zurück nach Sörup. Im Hellen!!!
Bis ich das Sofa zerlegt und neu zusammengesetzt habe, ist es dann doch
einigermaßen spät, dafür, dass ich noch
nichts Richtiges gegessen habe. Aber es war ein erfolgreicher Tag. Und
morgen geht es dann wieder zu Oli - die weiß auch sehr genau,
was gut für uns beide ist...
*
"Salty, das macht keinen Spaß!" Ich muss jammern. Die
ausgebauten Winschpodeste wollen aufgearbeitet werden. Sie waren
vollflächig mit Deck und Süll verklebt mittels einer
Gummipantsche, die ich jetzt mit dem Stecheisen runterschaben muss.
Absolut lächerlich war die weitere Befestigung:
Sechs-Millimeter-Bronzeschrauben durchs Süll, die dort, tief
eingesenkt und verpfropft, so gut wie kein Fleisch hatten,
dafür aber so endlos ins Winschpodest ragten, dass sie sich
nach all den Jahrzehnten beim besten Willen nicht mehr drehen
ließen und ausgebohrt werden mussten. Ist egal, da kommen
überall Proppen rein. Aber dies blöde Geschabe an dem
Gummi jetzt...
Also jammere ich. Salty ist auch nicht begeistert von den
Bootsbaukünsten von...wem nochmal? Hat sie vergessen. Ist ja
auch egal. Salty kann es nicht ändern. Sie möchte
auch, dass ich die alten Winschpodeste aufarbeitem und wieder einbauen
kann. Sie möchte es ganz sehr. Und auch, dass mir die Arbeit
Spaß macht.
Liegt es an meinem Jammern oder ihrer Willenskraft? Plötzlich
flutscht das Stecheisen übers Holz, schubbert dabei
mühelos das Gummi ab, in langen Streifen und breiten
Flatschen. Minuten später finde ich, den Rest könne
der Schwingschleifer schaffen. Ja, das kann er, das geht gut - ich
zeige Salty den Daumen nach oben.
Das Jammern hat neulich schon geholfen, als ich Olis Ballast
spachtelte. Der Ballast war kalt, der Spachtel dementsprechend
zäh, es dauerte ewig und war extrem nervig. Ich schickte Paula
eine SMS dieses Inhalts in die Schule. Sie antwortete nichtmal - und
doch lief es gleich wesentlich besser.
Als ich mich verabschiede, sage ich: "Das war ein guter Tag mit euch!"
Die Winschpodeste sind eigentlich
Plansollübererfüllung., wir
haben schon einiges geschafft. Als ich morgens nach Grödersby
fuhr, fühlte ich mich
müde und war skeptisch. Erster Programmpunkt: Geliebte Oli
begrüßen und eine Schicht Epoxiprimer auf den
Ballast. Zweiter Programmpunkt: Saltys Achterdeck laminieren.
Ich machte es langsam, gründlich, ordentlich, in Ruhe. Und vor
allem: Total entspannt. Normalerweise stresst es mich, mit Kiloweise
Epoxi rumzuschmieren, ich fühle mich unter Zeitdruck, bin mir
allzu bewusst, dass mir im Laminieren Routine fehlt, die ich auch gar
nicht anstrebe, denn dazu müsste ich das öfter
machen, und wer reißt schon gerne Decks nur zum Üben
auseinander?
Jetzt trage ich üppig auf, wickele das Gewebe von der Rolle,
ziehe es in Position, tränke es bei Bedarf nach, wickele
Abreißgewebe hinterher. Ich arbeite mich viertelmeterweise
voran, immer von Markierung zu Markierung, die ich vorher noch schnell
mit dem Edding gemacht habe, weil das Glaszeug dazu neigt, sich beim
Auflegen zusammenzuziehen und dann die vorher abgeschnittene
Länge nicht mehr passt.
Irgendwann ist alles hübsch glasig ohne weiße
Stellen, das Abreißgewebe versieht seinen Job und saugt
überschüssiges Harz auf. Überhaupt, alles
saugt und saugt, und dann wird es aushärten, und ich
beschließe, meine Griffel davon zu lassen, weil es, wie Oli
mir immer einschärft, jetzt nicht mehr besser wird.
Was steht auf dem Zettel? Ach - mein Bedürfnis ist es, erstmal
aufzuräumen und sauberzumachen. Zwischen den Booten und auf
der Werkbank. Ich mache es gründlich wie selten,
wühle sämtliche Werkzeug- und Sammelsuriumskisten
durch, sortiere sie neu und beschrifte sie. Packe Müll und
Späne in Tüten. Fege und sauge. Zwei Stunden bin ich
damit beschäftigt. Und habe am Ende des Tages alles, was auf
der Liste steht, gründlich und ordentlich erledigt.
*
Mitte Januar. Oli wartet auf die Kielbolzen. Restarbeiten stehen noch
auf der Liste. Naturgemäß sind das Sachen, die nicht
so wichtig schienen, zu denen ich zunächst keine rechte Lust
hatte, die notfalls verschoben werden könnten. Das galt, als
ich mich voller Motivation ins Gewühl stürzte. Und
jetzt, wo ich schon darüber nachdenke, wie ich das Lackieren
organisiere? In Saltys Spalte steht da was von Pantry / Schlingerleiste
/ Scharniere / Klappen. Also gut. Sehe ich mir mal an.
Saltys Pantry war bisher dermaßen: Obenauf steht der Kocher.
Darunter verbirgt sich hinter einer Klappe das Besteckfach, ganz unten
lagern hinter einer Tür die Töpfe.
Das Besteck lag bisher in einem Einsatz, der zum Normmaß der
heimischen Küchenschublade passen würde. Hier
rutschte er bei jeder Wende hin und her zwischen der Klappe und einer
Schlingerleiste auf halber Schapptiefe. Hin und wieder hüpfte
ein Besteckteil über die Leiste
rüber, verkroch sich in den Tiefen des Schapps und
begab sich auf den schwerfälligen Abstieg Richtung Bilge. Wenn
sich Gäste über zu wenig Besteck beklagten, zauberte
ich das Fehlende wieder hervor. Zwischen Hauptschott und
Außenhaut steckt seit einem Jahr unerreichbar ein Messer.
Prädikat: Unpraktisch.
Im Herbst fand ich Abhilfe: Eine Plastikbox mit
verschließbarem Deckel und Besteckeinsatz - das ist toll, das
ist ordentlich, das ist zwar ein bisschen verpönt, Kunststoff
ist momentan nicht gerade in Mode, aber jedenfalls langlebig und
deshalb in meinen Augen leicht zu rechtfertigen. Problem aber: Die Box
ist größer als die bisherige Lösung, die
Schlingerleiste musste weg, woraufhin die neue Box natürlich
erstmal sehr, sehr weit in ihre Höhle krabbeln konnte. Deshalb
soll jetzt wieder eine Schlingerleiste ran, nur eben nicht in der alten
Position, sondern so, dass die Box ihre Position hält.
Das wird keine große Aktion. Soll es ja auch nicht. Deckel
ab, Leiste ran, fertig. Aber dann fallen wir die vielen Löcher
und Unansehnlichkeiten auf, die von früheren Versuchen zeugen,
auf die Schnelle die Pantry ein bisschen praktischer zu gestalten. Hier
war mal ein blöder Kugelschnäpper angeschraubt, da
saß mal dies, dort klebte mal das. Die Klappe des
Besteckfachs lässt sich nicht vollständig
öffnen - weil der Vorreiber der Tür im Wege
wäre, wird sie von einer Fangleine aus Takelgarn gestoppt. Ich
mache mich daran, den Vorreiber umzusetzen. Möglichst unter
Verwendung bestehender Löcher, ich will den Rahmen nicht noch
mehr perforieren. Doch die einzige mögliche neue Position
würde den Vorreiber tief unten neben dem Niedergang
verschwinden lassen - ich sehe vor meinem geistigen Auge schon die
ersten Charterer mit Gewalt an der Tür reißen, weil
sie den Verschluss nicht entdecken. Ach die Tür - sie klemmt!
Da schafft der Simshobel Abhilfe, aber schöner ist sie davon
nicht geworden. Ohnehin ist die Außenlage des Sperrholzes
Stellenweise durchgeschliffen. Anderswo ist sie so dünn, dass
sich eine Luft- oder Dampfblase darunter gebildet hat. Und
schließlich wird mir auch bewusst, dass die Tür im
Grunde zur völlig verkehrten Seite öffnet - wer kramt
denn vom Cockpit aus nach Töpfen?
Also baue ich eine neue Tür. Passe den Rahmen mit
Oberfräse und Mahagonileisten an, lasse all die alten
Löcher verschwinden, ziehe das Teil ab. Gleiches
wiederfährt der oberen Klappe, die unverkennbar seit
Jahrzehnten keinen frischen Lack mehr gesehen hat. Und während
der drei Tage, die ich damit immer mal wieder für zwei, drei
Stunden beschäftigt bin, bis alles passt und geschliffen ist,
frage ich mich nach der Quelle meiner erstaunlichen Motivation. Salty
kichert.
Oliese
geplant:
- Alles.
Oder im Wesentlichen:
- Decksbelag Kajütdach erneuern
- Ballastkiel abnehmen, sandstrahlen, grundieren und spachteln
- sämtliche Kiel- und Stevenbolzen in V4A erneuern
- beim Austreiben der Bolzen zerstörte oder anderweitig
erneuerungsbedürftige Bodenwrangen ersetzen, andere aufarbeiten
- Bilgelackierung bestmöglich entfernen, Bilge mit Imp
tränken
- Weiche Spanten am Hauptschott, ggf. weitere, erneuern
- Verbindung zwischen seitlichem Cockpitsüll und
Cockpitrückseite öffnen, neu verkleben und
verschrauben
- verpilztes Stück Außenhaut an Bb ersetzen
- Loggengeber (ohne Funktion, undicht) ausbauen und Loch
verschließen
- StB-Backskiste neu verleimen
- Holzklotz des Motorträgers erneuern
- Vorluk mit Skylight versehen
- fragwürdige Blende aus Mahagonifurnier vom Hauptschott
hobeln,
Bereich verschleifen, Löcher mit Querholzdübeln
verschließen. Offene Fugen im Hauptschott, Resultat des
trocken-heißen Frühlings 2018, ausleisten.
- Alten Landanschluss verdecken.
bei Begutachtung hinzugekommen:
- aus einem Spantenpaar wurden zwei
- (nur) eine Bodenwrange beim Bolzenausbau zerstört und
erneuert
- drei Hilfswrangen im Cockpit ausgebaut, aufgearbeitet und wieder
eingebaut
- Kielschwein der Mastspur war tiefgründig verfault und ins
mulchige Holz mit Epoxi vergossen; nach Muster neue Mastspur
angefertigt.
- Vorstevenlasche war tiefgründig verfault und mit Epoxi
vergossen und modelliert; Stelle fachgerecht mit
großzügigem Eichenspund repariert.
- Kojenschott (brach beim Festhalten während des Ausbaus der
Stevenbolzen plötzlich beidseitig zusammen) ausgebaut, neu
verleimt und wieder eingebaut.
- Flachen Spund, ca. 12 mm, achtern in Kielbohle eingebaut und
Bolzenlöcher rekonstruiert
- beim Ausbau beschädigte Teile des Schiebeluksülls
ausgebessert
- Türschwelle (Mittelteil des Haupschotts) nebst Auflagern
für Salon- und Cockpitboden erneuert
- Ablaufschläuche beider Lenzpumpen erneuert
Langsam
und stetig dreht sich der Bohrer in den rostigen Stahl. Ein Kranz von
Spänen türmt sich um das Loch. Rauch steigt auf, es
riecht nach heißem Öl. Noch ist der Bohrer scharf.
Er darf nicht überhitzen.
"Hallo? Stephan?" ruft jemand in die Halle. Kratzend schraubt sich der
Gewindeschneider in das Loch, immer drei Umdrehungen vor und eine
zurück, damit er sich nicht festfrisst in den Spänen.
"Krrk krrk krrk", einen zurück, wieder vor. "Stephan? Hallo?",
ruft die Stimme. Das Gewinde ist tief genug, der Augbolzen wird halten.
Pallhölzer unter, Hydraulik rauf (uuuuuff!), Schäkel
ran.
Dann langsam Druck geben. Oder besser gesagt Zug.
Hub für Hub zerrt der Hydraulikheber am Kielbolzen. Ein
Stück
ist er schon rausgekommen aus seiner Bodenwrange, und sie ist nichtmal
aufgerissen. Weitere
Hübe, bis zum Anschlag, dann ein dickeres Pallholz als
Unterlage. Und weiter, Hub für Hub. In der Halle ist Stephan
aufgetaucht. Freudige Begrüßung, Smalltalk. Das
letzte Stück Kielbolzen flutscht aus dem Holz. Der Heber kippt
um. Längst ist die Gemütlichkeit der Kajüte
staubigem Baustellenflair gewichen. Überall
Pallhölzer, Keile, Werkzeug, Dreck. Alles rutscht und poltert
in
die
Bilge, einschließlich mir - der Halt gebende Cockpitboden war
im
Weg und
ist ausgebaut. Und jetzt ein weiterer Bolzen, ein weiteres
Erfolgserlebnis!
*
Die
Bodenwrange muss raus. Nicht nur, weil sich dann der Bolzen - er
verbindet sie mit Stevenknie und Kielbohle - leichter ausbauen
lässt. Vor allem wird der kurze Nachbarbolzen, dessen Mutter
direkt auf dem Stevenknie sitzt, halb von der Bodenwrange verdeckt.
Die Schrauben und Nägel durch die Außenhaut sind
entfernt. Ein paar Schläge mit dem Fäustel,
vorsichtiges Unterschieben von Keilen, zuletzt ein Ruck mit dem
Kuhfuß - das Oberteil fliegt mir entgegen. Hurra! Jetzt das
Unterteil: Leichte Schläge mit dem Fäustel - hm, es
bewegt sich nicht allzu frei. Unterteile von Bodenwrangen bekommt man
normalerweise leicht rausgehebelt mit Hilfe des Kuhfußes,
dessen eine Zinke abgebrochen ist. Die verbliebene Zinke passt neben
dem Bolzen ins Nüstergatt und erzeugt dort Druck nach oben.
Doch dieses Bodenwrangen-Unterteil rührt sich keinen
Millimeter.
Zehnmal überprüfe ich, ob ich nicht doch noch
irgenwelche Schrauben übersehen habe. Leiter rauf, Leiter
runter, rauf, runter, gegen Ende des Arbeitstages werden die Beine
schwer. Aber nein, da sind keine Schrauben und keine Nägel und
kein sonstwas. Die Wrange muss kommen. Tut sie aber nicht.
Wie
war das noch beim Überbohren des Stevenbolzens? Klebte da
nicht jede Menge altes Sikaflex am Bohrer? Ich ahne Böses -
das bisschen Kraft, das ich mit dem Kuhfuß ausüben
kann, ist nicht stark und kontinuierlich genug, um den
hartnäckigen Kleber zu lösen. "Oli, sag du", seufze
ich. Und erhalte, zuverlässig wie immer, meine Intuition.
Ich bohre ein Loch durch die Wrange. So gut es geht, so tief kriege ich
kaum die Bohrmaschine in die schmale Bilge. Stecke einen Tampen durch
das Loch. Kreuzknoten drauf, ein paar Pallhölzer - die
passenden habe ich von Bord geworfen, also nochmal Leiter runter und
rauf - und bringe den Hydraulikheber in Stellung.
Krrk, Krrk, Hub um Hub strafft sich das Seil. Es reckt sich und reckt
sich, spannt sich und spannt sich, wird dünner und
dünner, der Knoten zieht sich zusammen. Ich achte auf meine
Sitzposition: Wenn das Seil reißt, was jeden Moment passiert
wird, möchte ich außerhalb der Schussrichtung sein.
Ein weiterer Hub. Krrk. Noch einer. Krrk. Resigniert sehe ich auch
diesen Versuch scheitern und habe keine Idee für den
nächsten. Gedankenverloren drücke ich den Hebel.
"Schrrrrrrrnkkkk!", sagt die Bodenwrange.
Ich halte inne. Und bin noch resignierter: Bestimmt ist das Loch
ausgerissen, das ich für den Tampen gebohrt habe. Oder? Ja,
bestimmt. Das Licht ist nicht besonders gut, ich verstelle die Lampe.
Finde das Loch unversehrt. Dafür die Bodenwrange ein
Stück hochgerutscht.
Noch ein Hub. Geht plötzlich ganz einfach. Wir klatschen uns
ab, Oli und ich. Die Bodenwrange ist ausgebaut und heil geblieben.
Bloß den supertighten, mit mehreren Tonnen Zug gespannten
Kreuzknoten kriegt kein Mensch mehr auf...
Das
Bodenwrangenunterteil ist aber auch wirklich witzig: Es besteht aus
irgendeinem Tropenholz - keine Jahresringe - und ist aus zwei Teilen
verleimt. Das kann man machen, wenn man keinen langen Bohrer hat, das
Loch für den Bolzen also mit der Oberfräse macht.
Aber üblicherweise baut man es dann so, dass die beiden Teile
nach dem Verschleifen bündig sind. Hier passt immer nur ein
Teil, deswegen auch das ganze Gummi - das sollte nämlich die
entstandenen Lücken füllen. Naja. Ganz
hinfällig ist diese Bodenwrange noch nicht. Sie wird
hübsch aufgearbeitet und kommt wieder an ihren Platz. Und ich
notiere mir, dass ich sie im Blick behalten werde. Dringender Rat an
alle Hobbybastler: Baut eure reparierten Teile tunlichst so ein, dass
man sie auch wieder ausbauen kann! Keine Verklebungen an unsinnigen
Stellen!
*
Dritter
Tag. Vier Bolzen noch. Nummer eins verbindet Stevenknie und
Achtersteven. Keine Wrange. Ich versuche ihn auszutreiben. Er verbiegt.
Verschwindet in der Eiche. Auch sitzt er extrem fest. Ich versuche ihn
nach innen zu treiben. Der Kopf ist im Steven eingesenkt.
Überbohren von innen ist die einzige Chance. Dazu muss ich ihn
wieder gerade biegen. Dafür wiederum muss ich ihn
überhaupt
erst wiederfinden. Der Bohrer findet ihn tatsächlich, aber es
kostet Zähne.
Kostet Schärfe. Bedeutet dauerndes Festfressen. Ich bohre dann
doch unterm Boot liegend den
Kopf weg. Treibe ihn von außen nach innen. Treibe den Rest
des Kopfs durch ein Loch, das zu klein für ihn ist. Erfolg
nach zwei Stunden. Puh. Nummer zwei.
Stevenknie und Kielbohle. Keine Wrange. Schön senkrecht nach
unten. Er kommt ein Stück, der Kopf taucht auf. Drehen mit dem
Schraubenschlüssel würde ihn lösen. Der
"Kopf" ist eine Sechskantmutter. Sie ist nicht schön
festgerostet wie bei den anderen. Sie löst sich sofort.
Überbohren, Treiben von unten - alles keine Option: Das Brett
des Trailers ist im Weg. Also muss er weiter runter. Ich
überbohre. Stecke ein Rohr in das Loch, das den Bolzen
umringt, damit der Austreiber ihn zuverlässig trifft und ich
ihn nicht ins Holz neben den Bolzen schlage. Endlich habe ich ihn weit
genug raus. Gripzange, Kuhfuß, viel Geduld. Er kommt raus.
Nach zwei Stunden. Dafür steckt oben das Rohr bombenfest...
Nummer drei. Gleiche Anordnung, nur etwas weiter vorne. Mist, genau an
der Stelle ist Oli aufgepallt. Ich hebe sie an, verschiebe das
Pallholz. Dann wieder Rohr und schwerer Hammer. Ganz vorsichtig, damit
nicht wieder etwas feststeckt. Er kommt. Der Kopf hält dem
Schraubenschlüssel stand. Ich finde einen Platz für
den Kuhfuß. Zwanzig Minuten, dann ist er raus - so
hätte ich mir das bei jedem Bolzen gewünscht.
Nummer
vier. Hinterste Bodenwrange. Zum Glück kenne ich das Spiel
schon: Beim Einbau wurde der Bolzen rechtwinklig durch den Achtersteven
gesteckt, dann die Bodenwrange draufgestülpt, und beim
Positionieren der Bodenwrange wurde der Bolzen um dreißig
Grad geknickt. Bei den neuen V4A-Bolzen wird das nicht gehen. Das
Material ist zu hart und spröde. Aber raus geht es ganz
einfach, wenn man den Bolzenverlauf kennt. Und zuerst die Bodenwrange
ausbaut. Nochmal einen Schwung Löcher in den Rumpf. Dann geht
es ganz leicht. Und auch der Bolzen kommt beinahe freiwillig. Punkt 13
Uhr zwanzig sind alle r.a.u.s.!!
Der Rest des Tages vergeht damit, das Chaos zu ordnen. Im Cockpit und
unterm Heck liegt Werkzeug jeglicher Größe zwischen
Pallhölzern, Brocken, Bronzeschrauben, Stahlnägeln
und verbogenen Bolzenresten. Dazu jede Menge Dreck und
Krümelkram. Zum Feierabend ist die Baustelle so, dass man
morgen hier weitermachen kann. Erfolg!!
*
Die
neuartige, universell einsetzbare Smart Machine für die
Holzbearbeitung ist wirklich beeindruckend: Blitzend und leuchtend
scannen Laser und Kameras das Werkstück aus allen
Perspektiven. Die Software analysiert das Ergebnis, ermittelt
selbständig in Sekunden bisherige und künftig
gewünschte
Form. Sensoren bestimmen Holzart, Faserverlauf und Feuchtegrad. Surrend
huschen Anschlagschienen, Anlaufrollen, Klemmen und Saugnäpfe
in Position.
Das Reservoir an Werkzeugen ist immens, die Auswahl erfolgt
automatisch. Messer, Klingen, Sägeblätter und Walzen
rasten klickend an die richtigen Hebel und Arme. Dann startet der
kräftige Elektomotor, der auch große Schnitttiefen
in Hartholz mühelos bewältigt. Mit einer Genauigkeit
von fünfzig Mikrometern arbeiten sich die Werkzeuge am
Werkstück entlang. Die eingebaute Absaugung sorgt für
eine staubfreie Werkstatt. Minutenschnell sind selbst die komplexesten
Gebilde fertiggestellt.
Schade ist nur die Sache mit Softwarefehler. Das Gerät erkennt
sehr wohl ein Boot. Aber einen Spund im Vorsteven interpretiert es als
Rohmaterial für ein Gewürzregal, Modell "Homer
Simpson"...
Nein, da arbeite ich doch lieber von Hand. Tatsächlich sehe
ich in dem hohen Anteil Handarbeit einen Vorteil in dem Job. Die
eingesetzten Hilfsmittel sind handelsübliche
Werkzeugmaschinen, deren Gebrauch oft Hilfskonstruktionen und
entsprechendes Gehirnschmalz voraussetzt. Wo das nicht geht oder
unglaublich aufwändig wäre, kommen seit Jahrhunderten
bewährte Dinge zum Einsatz: Hammer, Hobel, Handsäge,
Stecheisen. Und ich finde das gut so, auch wenn es manchmal
heißt, den Spund im Vorsteven tatsächlich von Hand
beihobeln zu müssen - leidlich über Kopf, und dann
auch noch mit Arbeitsrichtung von oben nach unten. Ein erfahrenerer
Handwerker hätte sich die Faserrichtung vor dem Anfertigen der
Schäftungen angesehen, damit die schweißtreibende
Arbeit zumindest ergonomisch erträglich bleibt. Aber nun ist
das Ding eingeklebt, Oli erträgt geduldig mein Gejammer, und
morgen oder übermorgen werde ich den letzten Rest verschleifen
können. Das natürlich dann maschinell...
*
"Tack!"
Man hört es, wenn eine Bodenwrange passt. Sie fällt
dann mit diesem satten, dunklen Ton in Position, der nur entsteht, wenn
alle Flächen komplett anliegen und im gleichen Moment
einrasten. Passt sie nicht, stößt sie nur mit zwei
Punkten irgendwo an, und es erklingt ein helles "Klock", woraufhin die
Bodenwrange um diese beiden Punkte herum kippt. Die dreckige, alte
Außenhaut hinterlässt auf der frischen Eiche ein
bisschen Schmutz, dort muss dann Holz weggearbeitet werden, und die
Chancen stehen gut, dass anschließend ein helles "Klock" und
ein neues Bisschen
Schmutz davon künden, wo die nächste Stelle ist, die
es zu raspeln und zu schleifen gilt.
Man ahnt es schon: Der Weg zur neuen Bodenwrange ist langatmig und
mühsam. Er beginnt mit einem Seufzer und der Diagnose: "Die is
kaputt!" Niemand wechselt ohne Not eine Bodenwrange. Bei Oli war ich
optimistisch: Drei habe ich selbst schon neu gebaut (die alten waren
weich), eine weitere ist nicht original, also neueren Datums,
wenngleich aus Sperrholz, das man typischerweise nicht unbedingt als
Ersatz für solide, feste Eiche wählt.
Überhaupt, die Materialauswahl bei einer früheren
Großreparatur: Bodenwrange aus Sperrholz, Planken aus
Mahagoni, die Brettlaschen statt mit Kupernieten mit
Stahlnägeln befestigt - da hat jemand genommen, was im Regal
lag. Nicht das, was guter Bootsbau verlangt hätte.
Gerne genommen löst sich eine Bodenwrange beim Ziehen des vom
Rost aufgeblühten Kielbolzens auf. Das sieht aus, als
würde man den Reißverschluss öffnen, man
kann, während man den Hebel der Hydraulikpumpe bedient, beim
Auseinanderfliegen resigniert und ernüchtert zugucken. Hier
ist es anders: Es geht um die Wrange vorne an der Mastspur, durch die
der "kleine" Kielbolzen geht. Sie hatte es schwer, weil die Mastspur
eingelassen ist und wenig Holz übrig bleibt, um die Form zu
halten. Sie war also schon Schrott, bevor der Bolzen auch noch die
Mitte auseinandergefetzt hat.
Zweiter Schritt: Wir brauchen die alte Bodenwrange als Modell
für die neue. In ihrer Postition mit einigen Sperrholzstreifen
zusammengespaxt, wird sie diese letzte Aufgabe gut erfüllen
können. Als nächstes brauchen wir Holz. Ich
drücke Niels die alte Wrange in die Hand, er sagt mir, wann er
wieder vor Ort ist, und zuverlässig wie ein Uhrwerk bringt er
einen passenden Abschnitt einer ausreichend dicken Eichenbohle mit. Und
nun kommen die Werkzeugmaschinen ins Spiel.
Der Dickenhobel ist eine Wahnsinnsmaschine. Er ist nicht an Ort und
Stelle gebaut worden, doch man bekommt sofort Mitleid mit den Menschen,
die ihn hierher transportieren mussten, und verwirft gleich die Frage
nach einem künftigen Standort. Eine
respekteinflößende Höllenmaschine. Aber
auch ein Wunderwerk. Schritt für Schritt reduziert er eine von
den Jahren des Lagerns schmuddelig gewordene, sägerauhe Bohle
auf ein schönes, frisches, passgenaues Stück Holz.
Was jetzt fehlt und vorher noch dran war, kann man nebenan im
Spänesack der Absaugung betrachten.
Dieser Dickenhobel zieht einen enormen Anlaufstrom und
verfügt, typisch für leistungsstarke, alte
Elektromaschinen, über eine Stern-Dreieck-Schaltung. Das muss
man nicht verstehen. Es genügt sich zu merken, dass man zuerst
alle anderen Geräte ausschalten muss, dann kann man ihn auf
die erste Stufe stellen. Und bevor er konstant auf höchster
Drehzahl läuft, darf man auf keinen Fall weiterschalten auf
Stufe zwei. Und erst, wenn er auf Stufe zwei konstant läuft,
darf die Absaugung eingeschaltet werden. Weil: Wenn man diese
Reihenfolge missachtet, fliegt die Sicherung.
Heute zieht er sich ein Stück Eiche durch. Nicht allzu oft, es
ist ungehobelt kaum dicker als die alte Bodenwrange, zu deren
Nachfolger es werden soll. Doch es hat sich ein wenig geworfen und ist
außenrum durch Feuchtigkeit und Alterung nicht gerade
ansehnlich. Das ließe sich rausschleifen - würde
ungefähr drei Stunden dauern und dutzende Bögen
Schleifpapier verbrauchen. Der Dickenhobel ist in einer Minute damit
fertig.
Er läuft immer noch aus, in hellen, unangenehmen
Tönen singend und wimmernd, während ich die Kontur
der alten Wrange auf die neue Eiche übertrage. Den Bleistift
hat schnell noch der Bandschleifer angespitzt. Jetzt kommt die
Bandsäge zum Einsatz. Auch ein uraltes, grundsolides Modell,
ebenfalls mit Stern-Dreieck-Schaltung, aber in Relation zur
Stromversorgung und Sicherung lange nicht so kritisch.
Trotzdem
habe ich Respekt. So ein Band fragt nicht danach, ob es
weiches Modellbauholz, harte Eiche oder einen Finger zu fassen bekommt.
Es kann auch mal reißen - und dann ist die Frage, ob man auf
der richtigen Seite steht, oder ob der Arbeitstag abrupt beendet ist
(und so schnell kein nächster möglich ist). Ich
säge erstmal die Mallkante (das ist die Kontur ohne
Schmiegen
an der Seite der Bodenwrange, wo sie größer ist). Im
zweiten
Schritt
halte ich die neue Wrange schräg und unterfüttere
sie,
entsprechend der von der alten abgenommenen und an der neuen
angerissenen Schmiegen - so
weit vorne im Schiff laufen die Bordwände schon ziemlich spitz
aufeinander zu, also muss die Bodenwrange an ihrer Vorderseite
wesentlich kleiner sein
als achtern. Dann gilt es auch noch die Mastspur grob
auszusägen.
Anders als grob kann es sowieso nicht sein - die Bandsäge
zittert und erzeugt einen Schnitt, der auf jeden Fall noch verschliffen
werden muss. Immerhin verzichte ich diesmal - Olis Selbstvertrauen ist
ansteckend - auf eine gehörige Angstzugabe. Ich freue mich,
dass das Sägen schonmal gut gelaufen ist, dann besinne ich
mich darauf, dass der mühsame, zeitraubende, nervige Prozess
des Einpassens erst jetzt ansteht. Gehorsam klettere ich die Leiter
hinauf und begebe mich unter Deck.
Klock. Die Bodenwrange kippt um zwei Punkte. Ich greife zum
Schwingschleifer, der neben mir liegt, weil ich eben noch damit Proppen
verschliffen habe. Ein bisschen Schleifen hier, ein bisschen Fiedeln da
- neuer
Versuch. Klock. Also nochmal: Schleifen hier, fiedeln da. Ich denke
noch, ich werde wohl zur Hobelbank gehen und die Raspel nehmen
müssen.
"Tack!" Sitzt und passt. Rührt sich kein Stück.
Absolut perfekt - in nichtmal dreißig Sekunden!!
*
Ich
höre das gerne, wenn Oli sagt: "Kannst aufhören. Wird
nicht
mehr besser." Dank ihrer beständigen Motivation bin ich
offenbar
gut in Form - sie sagt es ziemlich häufig. Was steht heute an?
Ein
Stück Planke. Ist ja erstmal nix besonderes. Nur dass es
nur einen halben Meter lang ist, vom Heckspiegel nach vorne, und dort
folgt unter einer krude vernagelten Brettlasche Mahagoni. Klarer Fall,
im weiteren Verlauf nach vorne war die Originalplanke marode und ist
erneuert worden. Oli hat an der Backbordseite mehrere so seltsam
reparierte Plankengänge: Immer ein Stück Mahagoni.
Waren die zu faul, sich die widerstandsfähige Lärche
zu besorgen? Warum sind da drei Plankenstöße
statisch ungünstig direkt übereinander? Warum sind
die Laschen nicht mit Kupfernieten eingebaut, sondern mit inzwischen
heftig rostenden Stahlnägeln, die wir nächstes Jahr
ausbohren werden?
Und warum, zum Teufel, haben die dabei nicht gleich bis ganz zum
Heckspiegel gearbeitet? Hier ist der Stoß, die Lasche, die
Mahagoniplanke - dort muckelt das restliche Stück
pilzbefallener
Lärche wacker vor sich hin! Ich hatte das auf der Liste, bin
nicht überrascht - es wird aber doch höchste Zeit
für diese Reparatur.
Die hohe Kunst beim Bau eines Klinkerrumpfs besteht im Hobeln der
Landungen. Also der Stellen, an denen die Planken überlappen.
Wenn das nicht sauber und exakt gearbeitet ist, sind Leckagen sicher,
schließlich ist dort kein Kleber und sonstwas dazwischen, nur
Holz auf Holz. Zum Vorsteven und Heckspiegel hin geht die Landung in
eine Falz über, die schließlich auf null
ausläuft: Direkt am Steven und am Spiegel ist die
Außenhaut innen wie außen glatt. Und in diesem
Übergangsbereich befinden wir uns.
Gerne hätte ich das alte Stück vollständig
erhalten als Vorlage. Doch das Holz war zu schlecht, es
zerbröselte. Schlimmer noch: Ich brauchte den Multimaster,
a.k.a Zittersäge, um
es loszukriegen, und stellte mich beim Sägen, in
Fehleinschätzung der Gegebenheiten, ungeschickt genug an, um
auch gleich noch die Planke darüber zu beschädigen
und ausspunden zu müssen. Dabei half die Oberfräse,
keine große Sache, aber jetzt fand ich das Einpassen der
neuen Lärche schon ein bisschen anspruchsvoll.
Oli war optimistisch. Sie war ja anfangs so skeptisch dem neuen Eigner
gegenüber, aber inzwischen wirkt sie ziemlich begeistert. Sie
ist überhaupt total bei der Sache. Genauso konzentriert wie
ich. Das ist bemerkenswert - an diesem Platz nahe der
Kettenzüge haben ja schon mehrere ballastlose Folkeboote
gestanden. Jane habe ich nicht mitbekommen, aber der war damals wohl
alles Recht, solange sie nicht ins ferne Holland musste, sondern ihre
Mission erfüllen konnte. Lene hatte sich ihren Wellnessurlaub
definitiv anders vorgestellt. Ihre Wärmebehandlung bekam sie
später auch, aber erstmal kam der Zahnarzt an Bord und brachte
den großen Bohrer mit, und das Boot wirkte panisch und
verängstigt. Martha letztes Jahr entschied sich vertrauensvoll
für den Winterschlaf und ließ die ganze Prozedur
über sich ergehen, ohne mir auch nur ein einziges Mal bei der
Suche nach Werkzeug zu helfen. Sie wachte erst wieder auf, als wir mit
den neuen Kielbolzen jonglierten und der Tag
näherrückte, an dem sie ihre Schwestern in der
anderen Halle wiedertreffen sollte.
Mit Oli ist es nun so, dass wir gemeinsam an ihr arbeiten. Bisher hat
sie zwar manchmal auf die Zähne gebissen, aber wirklich jeden
Handgriff abgesegnet. Motiviert und selbstbewusst gehe ich mit der
Lärche in die Holzwerkstatt und nehme den Falzhobel - eher aus
Lust und Laune, so richtig geplant war das erst für den
nächsten Tag. Mal kurz ranhalten, hier noch weiterhobeln, dann
auch da anpassen, schließlich hierauf achten - eine halbe
Stunde später wage ich es, das neue Plankenstück
beherzt in Position zu hämmern, ohne zu befürchten,
alles ringsum zu zertrümmern. Ein paar kleine Korrekturen
noch, dann sagt Oli meinen Lieblingssatz. Eine
Drehstütze zwängt es perfekt in Position.
Den endgültigen Einbau - noch mit Schrauben statt
Kupfernieten, verschiebe ich auf den nächsten Morgen. Aber gut
zu wissen, dass er unproblematisch sein wird. Zur Sicherheit,
so genau wie die des großen, großartigen Thorkild
Lind sind meine Hobelfähigkeiten zweifellos nicht,
werde ich ordentlich Tikal ringsum schmieren. Und Oli
hat ein Loch weniger in der Außenhaut.
*
Stephan rief aus Hamburg an: Ob ich in der Halle sei und kurz Zeit
hätte, ihm einen Gefallen zu tun. "Ich bin gerade auf der
Leiter", sagte ich, "aber ich geh da auch gerne von runter, wenn du mir
sagst, wo ich stattdessen hingehen soll." Er sprach von Gold. Ich
schluckte. Und dass da im mittleren Schrank in der Schlosserei ein
Kästchen mit Gold stünde.
In meiner Vorstellung war er der Mafia in die Hände gefallen
und kam erst wieder frei, wenn er sein für den Ruhestand
vorgesehenes Vermögen in Goldbarren ausgehändigt
hätte, das ausgerechnet in der Werkstatt versteckt war, so
dass ich nun in die Sache reingezogen wurde.
Es handelte sich natürlich um Blattgold. Deswegen war das
Kästchen auch schwer zu finden: Das Gold war nicht als solches
zu erkennen, und die ganzen Fläschchen und Tücher und
sonstigen Sachen drumherum sagten mir überhaupt nichts.
"Jonathan kommt gleich und holt das ab. Ich sag ihm Bescheid. Die sind
nämlich am Vergolden und haben nicht mehr genug."
Endlich konnte ich mir zusammenreimen, worum es ging: Die Göhl
einer A&R-Yacht. Nein, nicht die Mastgöhl. Deren
Göhl ist eine rund ausgefräste Zierde kurz unter der
Scheuerleiste. Und die wird nunmal vergoldet. Warum, interessiert mich
nicht, und Oli hatte auch nichts Anderes als tiefe Missbilligung auf
Lager.
Als Jonathan das Goldkästchen zurückbrachte, war
Stephan zufällig selbst da. Oli wunderte sich, was man im
Kontext Bootsbau für krasse Themen draufhaben kann: Es ging um
die Entwicklung des Goldpreises. Und wieviel also so eine Göhl
im Vergleich zu vor Jahren jetzt kostet. Olis Meinung: "Echte Segler
brauchen sowas nicht."
Bei der letzten Schicht Epoxi-Primer habe ich nicht mehr viel
Farbauswahl. Ich färbe nämlich jede zweite Schicht
ein, um
besser sehen zu können, das ich überall hingemalt
habe.
Grün und Rot ist alle, Blau will Oli nicht,
es bleibt nur noch Ocker. Wie fast jedes Mal tappe ich in die
gleiche Falle: Beim Durchrühren im Schummerlicht des
Farbenlagers sieht man absolut keinen Unterschied zu vorher. Ich kippe
also noch mehr rein. Und dann noch einen Spritzer extra. Beim
Auftragen ist sofort klar, dass ich es wieder übertrieben
habe. Doch nein - quietschgelb wird der Ballast nicht. Es ist eher
die Farbe puren Goldes. Dass der Ballast bis zum Ansetzen ein paar
Wochen so bleibt - damit kann Oli ausgezeichnet leben.
*
Olis
großer Tag beginnt mit Frieren bei leichten Minusgraden. Als
die
eben aufgegangene Sonne die Pfützen vor der Halle auftaut,
hängt das Boot bereits in den Kettenzügen und kann,
die Nase
durchs Tor gesteckt, selbst begutachten, was für ein
schöner
Sonnentag es wird. Gestern haben wir vorbereitet, was vorzubereiten
ging: Trecker
rausgefahren, damit Platz ist. Ballast angehoben, abgesetzt, angehoben,
abgesetzt - und dadurch um 180° gedreht, so dass er nun so
steht,
wie er angebaut wird. Die neuen Kielbolzen, vorgestern erst sind sie
eingetroffen, reingesteckt. Dazu die Löcher saubergefiedelt,
also
von reingelaufenem Primer, Rost und sonstigem Mist befreit. Teerfilz
angerissen, zugeschnitten und gelocht. Deck und Kajüte
aufgeräumt, ebenso die Halle um Oli herum.
Die Bolzen sind nicht alle parallel, Nummer vier spreizt
gewaltig. Ihn werden wir ganz zum Schluss erst einfädeln
können - solange noch reichlich Abstand zwischen Kiel und
Ballast
ist, trifft er sein Loch nicht. Aber das wird nachher gut gehen. Wir
sind im Begriff, den Teerfilz mit Wurzelteer zu tränken und
den
Kiel von unten mit Bitumenspachtel einzustreichen. Stephan
fragt,
ob ich ausprobiert habe, wie gut die Bolzen durch
die Löcher im Holz passen. Ging ja nicht:
Erst waren keine Bolzen da, und dann stand Oli aufgepallt auf dem
Trailer mit reichlich wenig Platz unter ihr. Alle Löcher sind
gründlich nachgebohrt, mehr kann ich nicht sagen. Wir
probieren es
aus. Und sehen keine Chance, auch nur einen einzigen Kielbolzen
einzutreiben - eher drücken wir Oli in die Höhe.
Wir versuchen alles, was zur Verfügung steht: Nachbohren mit
einem
zwanziger Bohrer - naja. So weit waren wir ja eh schon. Nachbohren mit
einer 20er Lochsäge - das bringt zumindest die Erkenntnis,
worin
das Problem besteht. Ursprünglich war der Ballast ja ganz
unklassisch mit Sikaflex angesetzt, davon hängt noch jede
Menge in
den Löchern. Jedes Mal Bohren fördert einen
Haufen
Krümel davon zu Tage, ohne dass der Bolzen insgesamt wirklich
fluffig liefe. Wir probieren einen langen Rohrbohrer mit
auseinandergebogenen Zähnen - danach geht der Bolzen allzu
leicht
rein und rutscht beim Loslassen gleich wieder raus. Das ist vielleicht
ein bisschen übertrieben viel Lochdurchmesser. Der Trick ist
ein auf einen etwas kleineren Bohrer geklebtes Stück
Schleifpapier. Damit fiedeln wir Loch um Loch, Zentimeter um
Zentimeter, sauber, bis jeder Bolzen mit akzeptablem Kraftaufwand in
seine Öffnung wandert.
Wir senken
Oli langsam ab, Schritt für Schritt, ein Stück vorne,
ein
Stück hinten, dann wieder vorne, dann hinten nochmal hoch,
weil
wir es übertrieben haben. Oli stürzt sich gierig auf
ihre
neuen Bolzen, aber wenn sie verkanten, sind sie eben verkantet. Und
nachdem sie nicht mehr verkantet sind, rutschen sie wieder perfekt rein
in den Bootsrumpf, der ihr neues Zuhause sein wird. Es läuft
perfekt, bis Stephan eine Leiter anstellt,
hochsteigt und einen Blick ins Cockpit wirft. Diagnose: Nummer
fünf ist wesentlich zu lang, Nummer sechs erheblich zu kurz.
Ich
klettere selbst hoch und, welche Überraschung, sehe nichts
Anderes.
Nachdenklich reibe ich mir das Kinn. Stephan ist überzeugt,
ich
hätte die hintersten beiden Bolzen vertauscht, aber das
alleine
löst das Rätsel nicht. Viel eher habe ich mich bei
einem
verrechnet und bei dem anderen vermessen, aber das hilft ja jetzt nicht
weiter - tauschen oder neu anfertigen lassen sind keine Optionen. Die
Bodenwrange von Nummer sechs wird ausgeklinkt - dauert fünf
Minuten. Bolzen Nummer fünf stört zum Glück
auch in
seiner Überlänge nicht den Cockpitboden - ich werde
die
Bodenwrange ein Stück aufbauen, verwende jetzt erstmal ein
provisorisches Eichenklötzchen mit eilig erledigter 22mm
Bohrung,
um ad hoc Druck aufbauen zu können, und bin letztlich mit dem
Resultat nicht unzufrieden: Wenn ich das Füllstück
ein
bisschen breiter mache, kann ich die "Türschwelle" des
Hauptschotts damit verschrauben. Daduch bekommt Oli an einer durchaus
neuralgischen Folkebootschwachstelle erheblich mehr
Stabilität.
Sogar die Handlenzpumpe zerrt künftig nicht einfach nur an ein
paar Schräubchen, sondern einem amtlichen 20mm-Kielbolzen.
Stephan macht erstmal Mittag, während ich mich mit
gekränktem
Stolz und kreativer Problembewältigung herumschlage. Oli sagt
nichts. Sie weiß ja sowieso, dass am Ende alles gut wird,
weil es
ja alternativlos so kommen muss.
Eine gute Stunde später sind alle Muttern kräftig
angezogen,
der Druck lässt den Wurzelteer den Ballast vollkleckern, und
Stephan räumt erstmal auf - es ist erstaunlich, wieviel
Werkzeug
man bei so einer Aktion nach und nach aus allen Richtungen
herbeischleppt. Ich rühre Epoxi an und klebe die vorbereiteten
Holzfüllstückchen in die Taschen. Um siebzehn Uhr ist
alles
erledigt, was wir uns für diesen Tag vorgenommen haben - das
darf
wohl als Erfolg gelten.
Und gleichzeitig war es die letzte Großaktion des Winters.
Der
Rest sind, wie man so sagt, Restarbeiten: Bodenwrange
Aufhöhen,
Geklecker des herausquellenden Bitumens entfernen, und dann vorwiegend
Schleifen und Lackieren.
Frieda
geplant:
- Havarieschaden
an der StB-Scheuerleiste beheben
- Bb-Backskiste neu verleimen
- alten Landstromanschluss verdecken
- provisorisch ausgebesserte Mastgöhl dauerhaft reparieren
sowie diverse Kleinigkeiten
Ich treffe mich mit Frieda zur Anprobe: Sie und Salty bekommen einen
Bock! Niels hat wirklich schönes Holz dafür
ausgegraben - ich traute kaum meinen Augen, was da aus dem Dickenhobel
kam: Tiefstes Rot, feinstes Sipo-Mahagoni, sowas Gutes bekommt man
heutzutage kaum noch, weil in den Plantagen immer nur Kaya
wächst. Er muss dieses Brett ewig gelagert haben, jetzt hat es
er es rausgerückt, weil ich auf 30 mm Stärke bestand.
Das Problem ist der Ablaufschlauch von Friedas Handlenzpumpe - er geht
mitten durch die Bodenwrange, wo der Bock ransoll. Das erfordert eine
üppige Aussparung, die ich jetzt mit groben Bleistiftstrichen
anreiße. Immerhin, ansonsten passt "Modell Oliese" ziemlich
gut in Friedas Bilge. Zufrieden kehre ich zurück in die
Werkstatt, nicht ohne schnell noch die Eiche für Olis neue
Bodenwrange einzupacken und auf dem Weg auch bei Salty Maß zu
nehmen. Aber was ist überhaupt ein Bock?
Vor zwei Jahren wollte Björn unbedingt einen Reitbalken
für Jane. Gleichzeitig wollten Jörg und Ralf dringend
Heidis Reitbalken aus dem Cockpit schaffen. Beides sollte Niels
möglich machen. Schmunzelnd schlug er einen Tausch vor, aber
natürlich hätte kein Teil des einen Bootes auf dem
anderen gepasst. Außerdem hat ja jeder Eigner so seine
Sonderwünsche, abgerockte Altteile von Winterlagernachbarn
gehören in der Regel nicht dazu.
Jedenfalls saß Niels auf Heidi und kritzelte in seinem
Notizbuch - er sollte ein Angebot erstellen. Und er fragte mich, wie
das eigentlich heißt, was Heidi bekommen soll. Ich sagte
schulterzuckend: "Ich kenne das als Bock. Hab ich irgendwo
aufgeschnappt." Niels war zufrieden: "Ich schreibe auf:
Großschotbock." Seitdem heißt das so.
Nachdem jetzt alle meine Boote einen Reitbalken haben, möchte
ich als nächste Eskalationsstufe, dass sie alle sowohl mit als
auch ohne ihn gesegelt werden können. Salty hatte als
Alternative ein Auge im Cockpitboden, wo man die Großschot
hätte einschäkeln können - aber sich so tief
zu bücken, um die Curryklemme zu erreichen, schien mir
unpraktikabel. Frieda hatte: nix! Und jetzt kriegen beide also so
richtig Bock. Und dann auch noch aus so schönem Holz - beinahe
zu schade für ein Bauteil, das letzten Endes doch selten zum
Einsatz kommen wird, denn der Traveller ist keine ganz unwichtige
Trimmeinrichtung. Ich würde immer dazu raten, ihn zu benutzen.
Aber immerhin bin ich nun an einem weiteren Punkt die Diskussion los,
welches Boot für welche Bedürfnisse zu chartern ist:
Mit und ohne Reitbalken ist fortan kein Entscheidungskriterium.
Der Bock bietet einen weiteren Vorteil, der mir neulich morgens in den
Sinn kam, als ich an die lieben Feuerwehrleute aus der Pfalz dachte:
Sie wünschen sich einen größeren Kochtopf -
den ich zum Frühjahr besorgen werde, ist ja keine
Mühe, und sie haben Recht - und einen vernünftigen
Cockpittisch anstelle des jackeligen Modells "Paris" aus dem Baumarkt.
Auch da haben sie Recht. Kann ich aber jetzt nicht anfertigen - ohne
Reitbalken und Backskisten ist Probesitzen und Größe
Bestimmen unmöglich, und wenn das alles wieder eingebaut ist,
beginnt die Saison. Allenfalls kann ich dann ein Modell bauen
für den nächsten Herbst.
Dafür habe ich aber schon die passende Idee, und sie
beinhaltet, dass der Bock auch als Träger für den
Cockpittisch dient. Unabhängig davon, ob der Reitbalken
eingebaut oder entfernt ist. Unabhängig sogar davon, ob ein
drittes oder gar viertes Crewmitglied auf der Ruderbank sitzt, wenn es
Essen gibt. Die passende Sperrholzplatte und Leisten für die
Umleimer habe ich auch schon gekauft. Ich fürchte nur, die
Damen werden - morgens, wenn sie an die Feuerwehrleute oder sonstige
Lieblingskunden und Fanclubmitglieder denken - ihre ganz eigenen Ideen
entwickeln, was ich aus dem Material bauen könnte, und wenn
dann die Zeit der neuen Cockpittische gekommen ist, werde ich mit
leeren Händen dastehen. Hoffentlich nicht auch mit leerem
Kopf.
*
Auf unserem Programm heute: "Blöde weiße Klappe
weg."
Ich muss kurz etwas weiter ausholen: Oli und Frieda hatten ja noch
diesen althergebrachten Landanschluss, den ihr Vorbesitzer eingebaut
hatte, mit so einer Campingbus-Steckdose in der Ecke des Hauptschotts
oberhalb der Backskiste. Totaler Scheiß: Man musste immer die
kompletten dreißig Meter Kabel rausholen und zwei Stecker
raufwürgen. Seit Oktober ist bei allen Booten die
Steckverbindung in der Backskiste und bleibt immer zusammen, man muss
also nur so viel Kabel ziehen, wie der aktuelle Liegeplatz erfordert.
Die Campingbus-Steckdosen, von denen man zunächst nur eine
blöde, weiße Plastikklappe sieht, sind also endlich
obsolet. Raus gingen sie - mit etwas brachialer Gewalt, weil Schrauben
festsaßen und die Köpfe abrissen - relativ einfach.
Aber so kann es ja nicht bleiben, da musste ein neues Stück
Eiche sauber eingepasst werden, wo man niemals hätte ein solch
gruseliges Loch prokeln dürfen.
Dann muss endlich mal erwähnt werden, dass ich ein
Listenmensch bin. Nein, keiner, der gerne auf irgendwelchen Listen
steht. Sondern einer, der Listen führt. Oder jedenfalls eine:
Die Winterarbeitsliste. Da steht alles drauf, was ich an den Booten
erledigen will oder muss. De facto ist das eine Word-Tabelle, sortiert
nach Bootsnamen, Prioritäten und Zeitfenster. Es gibt also
Zeilen für irgendwann mal, für diesen Winter,
für brandaktuell, und dann für heute, morgen und
übermorgen. Diese drei Zeilen aktualisiere ich jeden Abend und
drucke sie dann aus, damit ich mich daran durch den Arbeitstag hangeln
kann - und inzwischen habe ich genug Erfahrung für
realistische Einschätzungen des Soll- und Kann-Bereichs.
Auf dieser Liste stand diese Woche beharrlich: Olis Bilge impen.
Dienstag Abend war aber das Imp alle, die neue Lieferung für
Freitag zu erwarten, und ich zog in Erwägung, Andreas um ein
Gebinde oder wenigstens einen Schluck anzuschnorren. Oli fand, wir
könnten mit dem Weiterimpen problemlos warten und inzwischen
in Ruhe die restlichen Arbeiten erledigen. Also Baumscheren,
Aufarbeiten des Schiebeluksülls, und.... äh.... Ich
fand die Idee ja grandios, aber dann rutschte plötzlich die
blöde weiße Klappe ins aktuelle Tagesprogramm. Die
sonstigen Listeneinträge sind prägnant in Form von
Fachausdrücken - hier fiel mir wirklich nichts Treffenderes
ein als "Blöde weiße Klappe weg", und ich
befürchtete eine unerfreuliche Tätigkeit: Wie
verwandelt
man ein unförmiges Loch in eine definierte Öffnung
mit geraden Kanten, in die sich ein Füllstück exakt
einpassen lässt? Nun konnte ich mich nicht länger
drücken. Ich hielt die kleine Makita-Oberfräse ins
Cockpit und stellte fest, dass es eine Chance gab. Widmete Mittwoch
zwei Stunden dem Anfertigen einer Frässchablone.
Heute nun: Die Schablone passt und ist angespaxt. Die Dachleisten sind
perfekt, Projekt Kajütdach kann von der Liste (markieren und
beherzt auf Entfernen drücken). Die Baumscheren sind fertig
gesägt, gefräst und geschliffen. Der Kaffee ist
durchgelaufen und getrunken. Eine Tasse zumindest. "In Ruhe Kaffee
trinken? Ich habe doch gar keine Ruhe", sage ich zu Oli,
während ich sie aus der Höhe der Empore zufrieden
betrachte.
Vor der zweiten Tasse klettere ich ins Cockpit, nehme die
Fräse, lasse sie in der Schablone herumsausen. Um in die
untere rechte Ecke zu kommen, muss ich die Zugentlastung ihres
Netzkabels gehörig biegen, was echt nervig ist, aber letztlich
kommt sie überall hin, und es entsteht eine schöne,
rechteckige, exakt der Schablone entsprechende Öffnung, nur
mit abgerundeten Ecken. Zum Einpassen des neuen Stücks Eiche
hilft die abgenommene Frässchablone, darüber hinaus
brauche ich viel Geduld, viel Gefühl am Bandschleifer und
reichlich Kondition beim mehrmaligen Rauf-Runter auf der Leiter. Ich
passe ein dickes Stück Eiche an, und als es mehrstenteils
perfekt scheint, säge ich es hockant durch, damit Frieda auch
gleich ihres passgenau überreicht bekommen kann. Ein Hub
Epoxi, ein bisschen Geschmier, dann ist Oli quasi fertig mit ihrer
weißen Klappe - nur noch nach dem Aushärten ein
Ründchen verschleifen und dann zwei Proppen für die
Schraubenlöcher, die die Frässchablone verursacht
hat.
Danach also endlich - nach Feierabend der ersten Schicht und zu Beginn
der kürzeren zweiten - lasse ich mich nach Wochen mal wieder
bei Martha und Frieda blicken. Martha bekommt den Schlitten ihres
Motorträgers eingebaut, mit neuem Holzklotz. Komplett fertig,
kann nun gestrichen werden von der Liste. Frieda passe ich erstmal den
neuen Großschotbock ein, bohre Löcher durch die
Bodenwrange, die ihn tragen wird, und reiße im Cockpitboden
die künftige Aussparung an.
Dann richte ich den Strahler in die Ecke des Hauptschotts. Oh... Ah...
so viel Platz! Da wird das mit dem Fräsen ja eine Freude!
Frieda sagt nix. Überhaupt sagen Frieda und Martha nix - sie
wissen ja, wie das läuft, wenn man nicht das Hauptprojekt ist:
Dann gibt's das Minimum an Zuwendung nicht vor Weihnachten. Womit sie
sich die Zeit vertreiben, verraten sie nicht - wie ich Frieda kenne,
spottet sie über Jane, oberhalb derer ihre halbe
Ausrüstung, Polster, Fender, Festmacher und Staubsauger, zum
Trocknen von der Decke hängt. Seit sechs Wochen, bei neunzig
Prozent Luftfeuchtigkeit. Und wie ich Martha kenne, ist es ihr ein
bisschen peinlich, dass ihre Schwester so sehr spottet,
während sie doch lieber in Ruhe Winterschlaf halten
würde.
Ich hole also die vorsorglich mitgebrachte Oberfräse aus dem
Auto. Dann taucht das erste Problem auf: Die Frässchablone
lässt sich so nicht anbringen - da gucken zwei abgerissene
Schrauben aus dem Holz. Gripzange? Keine Chance. Also ausbohren. Hab
ich ja zum Glück was für dabei. Aber... Hm. Eine der
beiden Lochsägen sollte doch noch gut sein. Aber nein - Oli
hat beide längst abgenudelt, zusätzlich zu den
fünf, die ich schon entsorgt habe. Mit viel Kraft und unter
Akzeptanz eines leichten Brandgeruchs gelingt es mit, die Schrauben zu
überbohren und rauszuzerren. Die Bahn ist frei.
Oder ist sie es? Als die Oberfräse zum ersten Mal
hängenbleibt, wird mir klar, warum es schien, als sei bei
Frieda reichlich Platz im Vergleich zu Oli: Ihr Hauptschott sitzt
hinter dem benachbarten Spant anstelle von davor, wie es ansonten
üblich ist. Das wirkt optisch geräumig, hilft aber
nichts, denn das Gehäuse der Fräse
stößt nun eben gegen den nächsten Spant und
gegen die Außenhaut. Geräumig wirkte es auch auf
denjenigen, der die blöden weißen Klappen eingebaut
hat - und er ist dadurch erheblich nach außen gerutscht, ohne
dass es auffiel.
Außerdem ist irgendwas mit dem Holz. Oder dem
Fräser. Ist der womöglich stumpf? Er ruckelt und
ruckt ruppig durch die Gegend, die Anlaufrolle verhindert eine
Katastrophe, die Kante, die er fräst, wird aber erst nach
Korrigieren der Drehzahl und etlichen Durchläufen halbwegs
eine Kante anstelle einer Kraterlandschaft. Eiche ist gnadenlos hart,
und diese Eiche hier ist noch jung wie Frieda, staubtrocken und
störrisch. Und die Fräse reicht nicht in die rechte
untere Ecke - da kann ich mich und das Netzkabel verbiegen, wie ich
will, aber hier kommen wir nicht hinein.
Haare raufend habe ich das Gefühl, mich vor Frieda
rechtfertigen zu müssen. "Ja hm", murmele ich, "dann wohl mit
dem Stecheisen. Hab aber keins dabei." Die Häfte meiner
Stecheisen liegt auf Salty herum, irgendeins hat sie ständig
griffbereit, egal, wo ich gerade auf ihr bin, und ein oder zwei davon
sind sogar noch halbwegs scharf. Hole ich jetzt aber nicht, irgendwann
muss ja auch mal Feierabend sein.
Und so verunstaltet der Programmpunkt "Blöde weiße
Klappe weg" noch länger meine Liste.
*
Zwischendurch tritt Team Heidi nebst Lackfräse in Aktion, um
an der Außenhaut das ungeliebte 2k-Produkt, dessen Name mit C
beginnt und nicht genannt werden darf, zu entfernen. Die Coellanbeize,
die die Lärche rötlich eingefärbt hat, hat
für eine unnatürliche, grässliche bis
scheußliche Optik gesorgt, und abgesehen davon ist das Zeug
nur so lange gut und pflegeleicht, bis man es dann doch mal
nachlackieren muss. Auf einem Folkeboot hat es definitiv nichts zu
suchen.
Jörg und Ralf sind jedenfalls ganz begeistert vom Fortschritt,
den ihr neues Werkzeugmaschinchen erzielt. Ich komme
hauptsächlich vorbei, um ihnen die bestellten Kalender zu
liefern, dann auch, um Frieda und Martha Hallo zu sagen, und
selbstverständlich gucke ich mir interessiert Baustelle Heidi
an. Mit eigenem Werkzeug im Gepäck nähere
ich mich Frieda
erst drei Tage später wieder. Ich habe auch eine kleine
Bastelarbeit zur Anprobe mitgebracht: Aus Saltys Teakresten habe ich
zwei Flurbretter gebaut, die in Friedas Cockpitboden künftig
die Sperrholzteile ersetzen werden. Das vordere passt ganz wunderbar -
Frieda wünscht sich das Griffloch...hier? Oder hier? Nein,
ungefähr da. Ich reiße es an, gebohrt wird
später. Das zweite Flurbrett...naja, wer hat denn da die
Aussparung für den Bock gemessen? Kann ja nie und niemals
passen. Das kann ich ja gleich wieder mitnehmen.
Aber jetzt erstmal, *seufz*, mit dem Stecheisen in der Eiche pickern.
Entlang der noch aufgeschraubten Frässchablone geht das total
einfach und schnell. Das Füllstück lässt
sich reinhämmern, den Rest macht das Wunderdicht.
"Früher Feierabend oder schnell noch einkleben?", frage ich
mich. Frieda liefert eine sehr pragmatische Antwort: "Wenn du in der
anderen Halle Epoxi holst, kannst du ja gleich noch die Flurbretter
fertigmachen."
Eine knappe Stunde später ist alles so weit erledigt, Frieda
und ich sind gut zufrieden - und wann ich komme und das Ganze
nacharbeite, möchte ich lieber nicht versprechen.
Martha
geplant:
- Sponung
am Vorsteven neu verschrauben
- Decksfugen ausbessern
- Fenster erneuern, neu eindichten und verschrauben
sowie diverse Kleinigkeiten
bei Begutachtung hinzugekommen:
- Spiel am unteren Ruderblattscharnier beseitigen
Martha
zeigt hier stellvertretend für ihre Schwestern die Upgrades
aus dem Herbst: Zuverlässig schlürfende Membranpumpen
für die Bilge. Und Positionslaternen am Aufbausüll
anstelle der Stolperfalle an der Bugspitze. Eine Pumpe, die sich nicht
an jedem kleinen Krümel Dreck verschluckt, ist gut
für ein leckes Boot, dachte sich Martha. Aber sie dachte auch,
eine beseitigte Leckage sei noch viel besser. So stellte sie sich mit
Frieda und fünf anderen Folkes in den "Kohlenschuppen" - und
hatte erstmal viel Zeit. Als ich mit Oli und Salty und den
blöden weißen Klappen so weit durch bin und mich zu
Martha geselle, hat sie sich schon etwas schönes
überlegt, mit dem sie mich ein Weilchen aufhalten kann.
Mal eben die Fenster ausbauen und neu eindichten? Halt, nicht so
hastig.
Erstmal muss das alte Gummi aus der Falz. Dann müssen die
alten Schraubenlöcher ausgepfropft werden, wenn die
Messingrahmen nicht wieder mit gigantisch dicken Blechschrauben
montiert werden sollen, deren Spitzen unter Deck aus dem Süll
pieksen. Anschließend muss die Falz sauber gemacht und auch
ein bisschen nachgefälzt werden. Und weil zerbrochene Fenster
uncool sind und für die nachgearbeiteten Rahmen nicht einmal
mehr als Schablone für die neuen passen, komme ich auch noch
mit vier Stückchen Hartfaserplatte, Raspel und Stecheisen zu
Besuch.
Hier fehlt jetzt noch die Pointe. Dann wartet mal ab!
Hm. Mitte Januar fehlen immer noch sowohl die Fenster als auch die
Pointe. Aber das Plexiglas, Fundsache aus den Tiefen der Werft, liegt
schon bereit. Außerdem ist die schön getrocknete
Sponung
gesäubert und neu verschraubt, die alten Löcher sind
verpfropft, die neuen verspachtelt. Jetzt muss das verschliffen werden,
außerdem will ich sämtliche Bolzen nochmal
nachziehen und
die Mastspur wieder einbauen. Das geweitete Loch des unteren
Ruberlagers ist mit einer Dübelstange verschlossen und
erwartet
einen langen Bohrer, der dafür sorgt, dass ich das Lager
wieder
einschrauben kann. Und ich habe den Loggengeber entfernt und das Loch
verschlossen - auch hier muss noch geschliffen werden, wobei ich innen,
unter der Koje, auch gleich noch die Umgebung vom G4 befreien will, das
der Vorbesitzer hier verteilt hat.
Allein,
die ganze Woche schon finden Oli, Salty und ich immer einen Grund,
nicht das ganze Werkzeug und Material ins Auto zu laden, nach
zweiminütiger Fahrt wieder auszupacken und die wenigen
Handgriffe
endlich zu erledigen. Aber heute ist Martha-Tag! Es ist ein
ausgesprochen schöner Freitagmorgen, beinahe
frühlingshaft.
Mitte Januar ist das durchaus bedenklich, Greta Thunberg ist
großartig, hat vollkommen Recht, aber ich fürchte,
sie kommt
dreißig Jahre zu spät. Naja, milde Winter wie diesen
und den
letzten und die ganzen davor sind für uns durchaus
vorteilhaft,
und wie die gerade aufgegangene Sonne Frieda mit rötlichem
Schimmer zu überziehen beginnt, ist wirklich schön
anzusehen.
Mittags
ist die Liste abgearbeitet. Martha ist zufrieden. Ich bin es nicht -
hat sich kaum gelohnt, die Sachen hin und her zu schleppen. Aber was
verspricht doch die Wetterprognose? Nächste Woche relativ mild
und
vor allem trocken - das ist eindeutig Lackierwetter! Olis
Kajütdach und Paulas Freibord habe ich schon fest eingeplant.
Jetzt fange ich mal an, Marthas Außenhaut anzuschleifen. Vier
Stunden später ist das erledigt, und ich verabrede mit Frieda,
dass sie Montag nachzieht, damit wir Dienstag die erste Schicht
Klarlack machen können. Klarlack im Januar? Mir scheint, wir
liegen extrem gut in der Zeit.